World of X

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Im Dunkeln allein

von Chris H

Kapitel 1

Freitag, 13. November 1998
02:23 Uhr morgens



"Scully! Vorsicht, hinter Ihnen!", rief Mulder seiner Partnerin Agent Dana Scully zu. Scully wirbelte erschrocken herum, konnte aber nichts entdecken. Nur Dunkelheit. "Wo? Wo!? Hier ist nichts, Mulder!", schrie sie verzweifelt.

Mulder war mit wenigen Sätzen an ihrer Seite. "Ich könnte schwören, ich hätte ihn gesehen", sagte er atemlos. Er drehte sich von Scully weg und in diesem Moment spürte er einen heftigen Schlag auf seinen Brustkorb. Ein unerträglicher Schmerz durchzuckte ihn. Entsetzt sah er an sich hinab und beobachtete, wie sich sein graues T-Shirt mit einer warmen, dunkelroten Flüssigkeit tränkte. Langsam, wie in Trance, griff er sich an seinen Oberkörper und sein Blut rann ihm durch die Finger, seinen Handrücken hinab und tropfte schließlich von seinem Ellbogen auf den braunen, vom Regen aufgeweichten Boden. Der Special Agent stürzte zu Boden. Dumpf, leise und weit entfernt hörte er jemanden schreien. Es musste wohl Scully sein. "Nein!"

Er nahm es kaum wahr, dass Scully das Biest mit einem gezielten Schuss niederstreckte, sich dann auf die Knie niederließ und seinen Kopf auf ihren Schoß legte. Auch dass sie ihr Handy aus ihrer Tasche holte und versuchte, die Rettung zu erreichen, bekam er nicht mit. Vor ihm lag ein langer Tunnel, der kein Ende zu nehmen schien. Mulder versuchte zu laufen, aber etwas hinderte ihn daran. Es kam ihm vor, als würde er gegen eine zähe Flüssigkeit ankämpfen. Plötzlich erblickte er ein weißes, grelles und doch vertrautes Licht weit in der Ferne. Von irgendwo her hörte er jemanden mit Tränenerstickter Stimme seinen Namen rufen: "Mulder! Mulder!"

Aber er hörte nicht darauf. Plötzlich ließ der Widerstand nach und Fox ging langsam auf das blendende Licht zu, das das Ende des Tunnels zu sein schien.



You know our love was meant to be
The kind of love to last forever
And I want you here with me
From tonight until the end of time
You should know
Everywhere I go
Always on my mind
In my heart
In my soul



Scully wusste, dass sie einen Schock hatte. In ihren Armen lag ihr Partner, blutüberströmt, mit schmerzverzerrtem Gesicht. Über seinen Oberkörper zogen sich vier tiefe, klaffende Schrammen die unaufhörlich bluteten. Scully war so verwirrt, dass sie vergessen hatte, wo sich der schwarze Jeep befand, mit dem sie gekommen waren. Über das Handy erreichte sie niemanden. Kein Netz. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie rief immer wieder Mulders Namen. Doch er reagierte nicht. Die Agentin wusste nicht, was sie tun sollte. Zwar war sie erfahrene Ärztin, doch der Schock hatte sie gelähmt. Eine einsame Träne rollte über ihre Wange und fiel unbemerkt in ihren Tod.



Baby, you're the meaning in my life
You're the inspiration
You bring feeling to my life
You're the inspiration
Wanna have you near me
I wanna have you hear me saying
"No one needs you more than I need you"



Immer weiter ging Mulder den Gang entlang, aber das Licht kam ihm trotzdem noch so fern vor. Je weiter er sich dem hell erleuchteten Tor näherte, desto leichter, freier und geborgener fühlte er sich. Auf einmal erblickte der Agent eine schwarze Silhouette am Ende des Tunnels.

"Nein! Das kann nicht sein!", stieß er ungläubig hervor. Die Gestalt näherte sich dem jungen Mann mit langsamen, bedächtigen Schritten. Fox starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die Person am Ende des Ganges. Er konnte sich nicht bewegen. Auf einmal hörte er eine tiefe Stimme, die durch den Tunnel hallte: "Fox! Fox, mein Junge! Dass ich dich so schnell hier wieder sehe, hätte ich mir nicht gedacht. Dass man einem jungen Menschen wie dir das Leben raubt, ist nicht gerecht."

"Ich... ich bin tot?", stammelte Mulder entsetzt. Wie konnte das sein? Gerade eben war er noch im Wald gewesen, mit Scully. Wie lange war das her? Er konnte sich nicht erinnern.

"Nein, noch nicht. Du kannst umkehren, wenn du möchtest. Noch ist es nicht vorbei. Dein Herz schlägt noch, Fox, leise und kaum spürbar, aber es schlägt. Du musst dich entscheiden", antwortete der Mann und löste sich aus dem Licht. Fox starrte ihn erschrocken an. Wie war das möglich? Der Agent traute seinen Augen nicht, und doch, es erschien ihm so real. Nach einigen Minuten stammelte er: "Dad, bist du das?"



And I know
Yes I know that it's plain to see
So in love when we're together
Now I know
That I need you here with me
From tonight until the end of time
You should know
Everywhere I go
You're always on my mind
You're in my heart
In my soul



Scully fasste einen Entschluss. Sie legte Mulders Kopf vorsichtig auf ihre Jacke, die sie zuvor zu einem Bündel zusammengewickelt hatte. Dann sprang sie auf und rannte so schnell sie ihre Beine trugen in die Richtung, in der sie den Wagen vermutete. Dort wollte sie mit dem Funktelefon noch einmal versuchen, den Notdienst zu erreichen. Zu allem Überfluss begann es zu regnen.

Scully konnte ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Warum er? Verdammt noch mal, sie war Ärztin und sie wusste, dass auch ein Rettungsteam ihm nicht mehr helfen konnte. In einer verdammten Sekunde hatte sie ihren Partner und besten Freund verloren. Oder war er sogar mehr? Egal, jetzt war es zu spät, ihm die Dinge zu sagen, die sie ihm schon vor Jahren hätte sagen sollen. Ein Leben ohne ihn, das konnte sie sich nicht vorstellen. Wie würde sie die Anrufe mitten in der Nacht, wenn er ihr wieder mit seinen verrückten Theorien kam, vermissen, den Geruch seines Aftershaves, wenn sie eine Entschuldigung fand, ihm ins Ohr zu flüstern. Ja, selbst seine zynischen Witze würden ihr fehlen. Schnell zwang sie diese Gedanken aus ihrem Gehirn. Es konnte nicht vorbei sein! Nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten, konnte es nicht so enden.



You're the meaning in my life
You're the inspiration
You bring feeling to my life
You're the inspiration
Wanna have you near me
I wanna have you hear me saying
"No one needs you more than I need you"



"Ja, Fox. Ich bin es. Ich bin gekommen, um dich abzuholen. Ich dachte, es wäre nicht so verwirrend für dich, wenn es jemanden gibt, der dir erklärt, in was für einer Situation du dich hier befindest", sagte sein Vater. Mulder nickte geistesabwesend.

Tot? Das konnte nicht sein. Und Scully! Was machte sie jetzt wohl durch? Scully... er musste an ihre Augen denken. Diese Augen hatten ihn Tag für Tag von Neuem verzaubert. Scully war seine Partnerin und beste Freundin. Sie war seine einzige Freundin. Er liebte sie von ganzem Herzen. Waren sie vielleicht doch mehr als nur gute Freunde? Nein, so, wie sie mit ihm redete und auch so, wie sie sich gab, konnte sie nicht das Gleiche empfinden wie er. Oder doch? Er wusste es nicht. "Dad? Wie ist es so? Ich meine, da, wo du jetzt lebst?", fragte er den alten Mann.

"Komm mit, ich zeige es dir", antwortete dieser, legte seinem Sohn den Arm um die Schulter und führte ihn zu einem riesigen Fenster, das dem jungem Mann zuvor gar nicht aufgefallen war. Helles, warmes Licht brach durch die Scheibe und erfüllte Fox mit einem angenehmen Gefühl.



Wanna have you hear me saying
"No one needs you more than I need you"



Nach etwa fünfzehn Minuten, die Dana endlos erschienen waren, erreichte die Agentin die Landstraße, an deren Rand sie den Wagen geparkt hatte. Doch der Jeep war nirgends zu entdecken. Er musste wohl einige hundert Meter die Straße hinauf stehen. Scully begann wieder zu laufen. Der Regen hatte sie inzwischen völlig durchnässt und sie hatte keinen einzigen trockenen Faden mehr am Leib. Doch sie ignorierte die Kälte und ihre nassen Füße. Sie dachte nur an Mulder und dass sie ihn unbedingt retten musste, auch wenn dies, wie sie wusste, nahezu unmöglich war. Endlich, nachdem Scully die Hoffnung fast schon aufgegeben hatte, sah sie das Auto am Straßenrand. Sie stürzte an dessen Seite und riss die Fahrertür auf. In diesem Moment war sie froh, dass sie ständig vergaß, abzuschließen. Das Telefon lag genau dort, wo sie es vermutet hatte. Sie packte das kleine Gerät und begann, die Tasten zu drücken. Dann, nach endlos scheinenden Momenten, hob jemand am anderen Ende der Leitung den Hörer ab. "Emergency Technical Services?" Erleichtert atmete Scully auf. "Hallo? Ich brauche hier unbedingt einen Rettungswagen, und zwar schnell..."



You're the meaning in my life
You're the inspiration
You bring feeling to my life
You're the inspiration



Was Fox sah, als er durch das Fenster blickte, raubte ihm beinahe den Atem. Vor ihm lag ein prunkvoller Saal mit vielen Festgästen. Aber was für Gäste! "Ist das Onkel Henry?", fragte Mulder seinen Vater erstaunt. Dieser nickte. "Aber er starb, als ich zehn Jahre alt war! Bei einem Autounfall, wenn ich mich richtig erinnere", murmelte Mulder mehr zu sich selbst als zu seinem Vater.

Wieder nickte der Mann. "Ich weiß. Seltsam, nicht wahr? Wenn du genau hinsiehst, wirst du noch mehrere bekannte Gesichter entdecken. Alle sind gekommen, um dich zu begrüßen. Das da unten ist ein Willkommensfest für dich." Mulder sah immer wieder von seinem Vater hinunter zu den Festgästen. Er war vollkommen verwirrt. Was sollte er tun? Er hatte die Wahl zwischen einem Leben in Saus und Braus mit all seinen Freunden und Verwandten, die er vor langer Zeit verloren hatte oder einem Leben voll Einsamkeit und nichts, das sein Leben lebenswert machte. Außer Scully. Aber er wusste, dass sie sich nie auf eine Beziehung mit ihm einlassen würde. Dazu war sie viel zu professionell. Bei diesem Gedanken musste er lächeln.

Nein, es gab nichts, wofür es sich zu leben lohnte. "Okay, Dad! Gehen wir!", antwortete er schließlich. Sein Vater legte ihm seinen Arm um die Schultern und sie gingen beide langsam auf das hell erleuchtete Tor zu. Auf halbem Weg drehte sich der junge Mann noch einmal um und blickte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Vielleicht in der Hoffnung, etwas zu finden, das ihn von seinem Entschluss abbringen konnte. Doch da war nichts. Wie sollte er auch wissen, dass seine Partnerin unterwegs war, um Hilfe zu holen und deshalb nicht da war, um ihn zurückzuholen. Sein Vater und er durchschritten das Tor zum Jenseits und Fox ließ eine Welt hinter sich, die er ebenso sehr vermissen würde, wie er sich jetzt darüber freute, eine neue zu betreten.



When you love somebody...



Scully war inzwischen zurück gerannt, denn sie wollte Mulder nicht zu lange allein lassen. Sie legte ihren Arm um seinen Nacken und sah in seine Augen. Jene Augen, in denen sie sich verlieren konnte, jene Augen, die immer mit dem Leben erfüllt gewesen waren, das jetzt fehlte, jene Augen, die sich schlossen, langsam, aber für immer.

Auf einmal spürte Dana eine Leere in ihrem Leben, eine Leere in ihrem Herzen, eine Leere so unermesslich, dass sie niemals zu füllen vermocht werden würde. Und die Agentin, die sich sonst immer unter Kontrolle gehabt hatte, stieß nun einen lauten, schmerzerfüllten Schrei aus, der in hemmungslosem Schluchzen erstarb.

Und so verließ Fox Mulder die Frau, für die er von Anfang an bestimmt gewesen war. Die Frau, die von Anfang an für ihn bestimmt gewesen war. Er ließ sie allein. Verloren im Dunkeln für immer...



When you love somebody
'Til the end of time...


Ende
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