Washington D.C.
Fbi-Zentrale
25.2.96
12.50
„Nun, Scully?“ Mulder betrat den Autopsieraum, wo Scully soeben die Untersuchung an der Leiche von Mark Joran beendet hatte.
Sie zog die blutigen Handschuhe aus und ließ sie in den Mülleimer fallen. Mulder warf einen Blick auf die im Neonlicht bläulichweiße Leiche, auf der man die schwarze Naht des Y-Schnittes deutlich sehen konnte.
Der Eichenholzpfahl war bereits im Labor, um ihn auf Besonderheiten zu untersuchen, und das Loch, leicht links versetzt in seiner Brust, gähnte wie eine dunkle Höhlung in seinem Leib.
„Etwas Besonderes gefunden?“ Mulder löste den Blick von der Wunde, er fragte sich, wie es sich anfühlen musste, wenn man einen Pfahl in den Leib eines Menschen trieb. Dieser Gedanke war dunkel, voller Schatten, aber wie oft mussten sie in Schatten tauchen, um zu verstehen, was den Verstand eines Mörders bewegte, was ihn vielleicht sogar erregte!
Sich in den Verstand eines Mörders dieser Art hineinzuversetzen war wie eine Wanderung an einem Abgrund, verzerrte die Perspektiven, hatte die Anziehungskraft eines schwarzen, dunklen Soges, den man fürchtete und der einen dennoch faszinierte.
„Keine ausfahrbaren Vampirzähne, da muss ich Sie enttäuschen, Mulder!“ Scully klang eher eine Spur müde als spöttisch.
„Keine Abnormitäten bei Mr. Joran?“ Mulder ließ noch einen Blick auf dem Toten ruhen.
„Nun, er war ungewöhnlich blass, was jedoch nicht abnorm ist. Laut seiner Akte hat er wohl immer nachts gearbeitet und niemals einen Job gehabt, der sich im Tageslicht abspielte. Er ist leicht anämisch gewesen, aber ansonsten kerngesund.“
„Anämisch? Blutarm?“ Mulder hob eine Augenbraue. Scully schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie den Gedanken schnell wieder, ich glaube nicht, dass dies eine passende Diagnose für einen Vampir ist. Ich selbst habe öfters Präparate zur Blutbildung einnehmen müssen, und ich bin kein Vampir!“
Mulder lächelte schelmisch. „Sagen wir so, Sie haben noch nicht an meinem Hals geknabbert!“
Scully grinste. „Ich kann mich gerade noch so beherrschen, Mulder.“
Ihr Partner lachte leise auf, wurde dann aber wieder ernst. „Es gehört schon etwas dazu, einen Mann auf diese Weise zu töten. Gibt es Anzeichen dafür, dass Joran gekämpft hat?“
„Nun, unter den Fingernägeln konnte ich einige Fasern finden, sind im Labor, auf seinem Körper fanden sich keine Spuren einer anderen Blutgruppe als seiner eigenen, kein Speichel, kein Sperma.“
„Sperma?“ Mulder sah überrascht aus.
„Nun ja, die Symbolik muss nicht unbedingt auf Vampirimus hinweisen, außer natürlich der Knoblauch, der Pfahl gäbe auch eine passende Phallussymbolik ab und dann durch das Herz getrieben ...“ Scully brach mit einem Schulterzucken ab.
„Er hat ein Herz durch Untreue gebrochen?“ Mulder schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube nicht, dass so ein Motiv dahintersteckt, dazu passt, wie Sie schon sagten, der Knoblauch nicht.“
Scully nickte. „Ja, es sieht schon eher nach einem geistesgestörten Täter aus, der aus religiösem Irrglauben heraus agiert. Vielleicht stammt er auch aus einem schizophrenen Formenkreis, halluziniert, hört Stimmen, die ihm offenbaren, wer ein Dämon ist.“
„Hat unser Killer das Herz von Joran glatt getroffen?“ Mulder runzelte die Stirn, vage kam ihn etwas bekannt vor, fast so, als hätte er mal über ähnliche Fälle gelesen.
„Ja, was darauf schließen lässt, dass er die Anatomie eines Menschen gut kennt, die meisten Leute verfehlen erstmal das Herz, gleiten an Rippen ab, genau den Punkt zu treffen, wo man auf keine Rippen trifft, dazu gehören Vorkenntnisse.“
„Oder viel Übung“, bemerkte Mulder düster.
Scully nickte. „Oder das. Ich denke auch nicht, dass Joran das erste Opfer dieses Mannes war. Der Schlag, der den Eichenholzpfahl in sein Herz gebohrt hat, war glatt, und wir fanden Spuren von Äther im Blutkreislauf. Er hat Joran betäubt, um dann in Ruhe arbeiten zu können. Der Schlag saß perfekt, es dürfte mit einem einzigen Schlag geschehen sein, so glatt wie die Wundränder sind, der Pfahl drang in den Herzmuskel ein, zerriss die Aorta und zerstörte zwei Herzkammern auf seinem Weg, tödlich sicher.“
Mulder schauderte leicht. „Ich werde in den Akten nachforschen, vielleicht finden sich Vergleichsmöglichkeiten. Bislang könnte er immer Glück gehabt haben, und das Feuer zerstörte die meisten Spuren.“
Scully nahm die Schutzbrille ab und nickte. „Ein naheliegender Gedanke, insofern hat er vielleicht diesmal seinen ersten Fehler gemacht.“ Sie blickte Mulder an. „Was haben Sie über die Tarotkarte herausgefunden?“
Ihr Partner zog die in eine Klarsichthülle geschweißte Karte hervor. „Keine Fingerabdrücke, davon bin ich auch nicht ausgegangen. Jeder Insiderladen kann solche Tarotkarten bestellen, ich denke, da verläuft die Spur im Sand. Die Bedeutung der Karte lässt sich auf Macht, Autorität und Gesetze interpretieren. Aber ich wüsste nicht, in welcher Art sich die Karte mit Joran in Verbindung setzen lässt, das war mein Gedanke, aber es gibt kein Muster.“
Scully besah sich die Karte, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Melissa wollte immer das Tarot befragen, Sie wissen schon, ob mir der Mann meines Lebens über den Weg läuft und solche Dinge. Sie sagte immer, dass die Bedeutung der Karten nicht zwangsläufig aus einem Buch gelesen werden müsse, dass die Texte der Interpretation nicht zutreffen müssen, sondern dass einem das Bild selbst manchmal alles verrät.“
„Und, hat Melissa Ihnen einen Mann vorhergesagt?“ Mulders Stimme klang sanft.
„Ich habe sie nie danach gefragt.“ Scully wandte sich ab, sie hatte Melissas Gedankengängen nie folgen wollen, ihrem Hang zur Esoterik, zu Dingen, die man nicht beweisen konnte, sondern an die man glauben musste.
Nach Melissas Tod bereute sie jede Stunde, die sie versäumt hatte, den Gedanken ihrer Schwester folgen zu wollen. Sie wünschte, sie könne mit Melissa auf dem Boden sitzen, diese ekligen Weihrauchräucherstäbchen riechen, die sie so gerne verbrannte, und zusehen, wie ihre Schwester Karten für sie legte oder das I-Ging befragte.
X X X
„Welche Richtung sollen wir jetzt einschlagen?“ Scully öffnete, mit dieser Frage auf den Lippen, die Türe zu ihrem Büro und sah erstaunt auf den Mann, der auf ihrem Stuhl saß und es sich scheinbar bequem machte. Er las, scheinbar aufmerksam, eines von Mulders Sensationsheftchen mit der Schlagzeile „Neunköpfiges Monster fraß meinen Mann und schwängerte meinen Hund“.
„Wer sind Sie?“ Scully kam Mulder mit ihrer Frage zuvor, der Fremde erhob sich geschmeidig und lächelte gewinnend.
Scully kam nicht umhin festzustellen, dass er sehr gut aussah, größer noch als Mulder überragte er sie um einiges, schlank, aber mit breiten Schultern unter dem Mantel. Sein langes, schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, sein Gesicht war ein wenig zu kantig, um wirklich schön zu sein, aber das unterstrich seine männliche Attraktivität noch.
„Sie müssen Agent Scully sein!“ Seine Stimme war kultiviert und angenehm, er schüttelte ihre Hand, ohne zu fest zuzudrücken, aber auch nicht zu sanft.
„Ja.“ Scully war von dem Fremden überrascht, es verirrte sich selten jemand in ihr Büro, zumal es im Keller lag, und eigentlich sah man ihm noch gut an, dass es mal eine Abstellkammer für den Photokopierer gewesen war.
„Ich bin Josh Parker.“ Er schüttelte Mulders Hand. „Agent Mulder, nicht wahr?“
Mulder bequemte sich zu einem Nicken, griff sich sein Schundblättchen und verstaute es in einer Schreibtischschublade, er mochte es nicht, wenn man ungefragt in seinen Dingen wühlte.
„Sollte uns das etwas sagen, Mr. Parker?“ Mulder gab sich nicht viel Mühe, freundlich zu wirken.
Parker bot Scully charmant wieder ihren Stuhl an und hob leicht die Schultern. „Ich bin Journalist, L.A. Tribune, aber momentan sammle ich eher Material für mein Buch, über Serienmörder.“
„Und was haben wir damit zu tun, Mr. Parker?“ Mulder mochte es nicht, wie dieser Kerl Scully ansah, und noch weniger mochte er, dass Scully durchaus diesen Blicken nicht abgeneigt zu sein schien!
„Sie haben die Leiche!“ Josh Parker zog eine Mappe aus seinem Mantel und knallte sie auf den Tisch. „Ich reise durch das ganze Land, auf der Jagd nach dem Vampirkiller.“
Scully öffnete die Mappe und betrachtete die Zeitungsausschnitte, sie alle beschäftigten sich mit Bränden, bei denen man verkohlte Leichen gefunden hatte.
„Was nicht in der Zeitung steht, ist, dass fast überall noch festgestellt wurde, dass die Opfer schon vor dem Brand starben, an einem Stich durch das Herz. Ich war gestern unter den Schaulustigen am Tatort.“
„L.A. ist weit weg, was führt Sie nach Washington und noch dazu, so perfekt getimet, dass Sie gleich Ihren Phantomfreund wiederfinden.“ Mulders Skepsis war deutlich bemerkbar.
„Zufall! Karma! Schicksal!“ Josh lächelte Scully an. „Nun, sagen wir so, ich habe den Polizeifunk abgehört, und rein aus beruflichem Interesse fuhr ich hin, von einem der Streifenpolizisten erfuhr ich mehr von den Tatumständen, und deshalb bin ich hier, ich kann Ihnen helfen.“
„Das ist nett gemeint, Mr. Parker, aber wie denken Sie, uns bei der Aufklärung des Mordes helfen zu können?“ Scully fächerte mit den Fingern die Artikel auseinander, es waren sehr viele.
„Weil ich ihn kenne, nicht persönlich, nein, das noch nicht, aber, wie er denkt! Wir könnten ja bei einem Essen darüber reden?“
Mulder schüttelte den Kopf. „Ich wollte selbst noch im Archiv Nachforschungen anstellen.“
Scully zuckte leicht die Schultern. „Eigentlich könnte ich einen Happen vertragen.“
„Wunderbar!“ Parker lächelte, und Mulder sah missgestimmt zu, wie seine Partnerin mit dem charmesprühenden Journalisten entschwand, noch ehe die Türe ganz ins Schloss fiel, hörte er Scullys Lachen.
Der Kerl brachte sie zum Lachen! Nein, Mulder war gar nicht erbaut über die Hilfe, die Josh Parker ihnen zu bieten gedachte.
XXX
„Seit wann jagen Sie diesem Serienmörder hinterher?“ Scully trank einen Schluck Kaffee. Seltsamerweise hatte Josh sie in ein wunderbares, kleines Restaurant geführt, das genau Scullys Geschmack entsprach, sie jedoch bislang nicht entdeckt hatte.
Josh rührte seinen Espresso um. „Ich traf schon mit seinem Vorgänger zusammen.“
Scully sah ihn erstaunt an.
„Emanuel Kanter, Arzt, ein brillanter Mann, bis er dabei erwischt wurde, als er einem Nachtwächter einen Eichenholzpfahl durch die Brust trieb.“
„In welchem Gefängnis sitzt er ein?“ Scully ging die Möglichkeit in Gedanken durch, dass er wieder auf freiem Fuß war.
„In keinem, er wurde der Psychiatrie überstellt, nach seiner Verhandlung. An seiner Geistesgestörtheit hatte das Gericht keine Zweifel. Kanter hielt sich für einen Auserwählten Gottes, berufen gegen die Dämonen zu kämpfen, die unter uns leben, mit den Masken normaler Menschen auf ihrem Antlitz. Armer Kerl! Ich habe ihn vor vier Jahren besucht, öfters, damals fing ich an, Material für mein Buch zu sammeln, ein überaus gescheiter Mann, bis auf seine Wahnvorstellungen.“
„Dämonen …“ Scully schüttelte missbilligend den Kopf.
Josh Parker lächelte und deutete auf das Kreuz um ihren Hals. „Müssten Sie nicht an so etwas glauben? Wenn Sie an Gott glauben, dann müssten Sie doch auch an den Teufel glauben?“
Scully berührte das Kreuz mit den Fingern. „Die Hölle existiert nur in den Menschen, das Böse, wenn Sie es so nennen wollen, Mr. Parker.“
„Josh“, erklärte er mit Nachdruck. „Ich stimme Ihnen zu, Dana, ich habe das Böse oft gesehen! Die meisten meiner eigenen Schlagzeilen leben von diesem Bösen, und manchmal könnte man wirklich meinen, es gibt Monster in dieser Welt, aber sie tragen das Gesicht von Menschen. Von Menschen, die das World Trade Center in die Luft jagen, die jemanden töten, für ein paar Dollar, oder ihr Kind verhungern lassen, weil sie gerade voll auf Crack sind.“ Parkers Stimme zitterte ein wenig unter dem Aufwallen seiner Gefühle.
„Entschuldigen Sie, eigentlich sollte ich der zynische, abgebrühte Reporter sein, aber das kann man eben nur spielen, nachts, wenn man allein ist, dann kriechen die Schatten, die man gesehen hat, aus einem heraus, werden zu Alpträumen und lassen einen schreiend aufwachen!“ Josh atmete tief aus. „Geht es Ihnen nie so, Dana?“
Scully nickte. Oh ja, sie wusste, von was Parker redete, ihren Job konnte man nach außen hin abschütteln, aber in manchen Nächten war er eine Falle, ein Strudel aus Alptraum und Erinnerung in einem.
„Was ist mit Kanter; könnte er aus der Psychiatrie geflohen sein?“ Scully wollte das Gespräch wieder auf eine weniger persönliche Schiene bringen.
„Nein, er ist tot!“
Scully sah erstaunt in Parkers blaue Augen. „Tot?“
„Ja, er starb vor etwa drei Jahren, es muss sich also um einen Menschen handeln, der ihn imitiert! Ein schlauer Bursche, bislang hat er keinen Fehler gemacht, jedes Mal einen Brand gelegt, seltsam, dass er diesmal seine Arbeit zeigte!“ Parker runzelte nachdenklich die Stirn.
„Er wurde gestört, sonst hätte er auch diesmal einen Brand gelegt!“ Scully trank ihren Kaffee aus.
„Sind Sie sicher, Dana? Vielleicht wollte er seine Arbeit auch zeigen? Oder er ist müde, will geschnappt werden, so etwas soll ja öfter vorkommen, auch bei Kanter stellte sich Schlampigkeit bei seinen Morden ein, was zu seiner Verhaftung führte. Vielleicht sucht er einen Nachfolger?“
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„Nun, Scully?“ Mulder betrat den Autopsieraum, wo Scully soeben die Untersuchung an der Leiche von Mark Joran beendet hatte.
Sie zog die blutigen Handschuhe aus und ließ sie in den Mülleimer fallen. Mulder warf einen Blick auf die im Neonlicht bläulichweiße Leiche, auf der man die schwarze Naht des Y-Schnittes deutlich sehen konnte.
Der Eichenholzpfahl war bereits im Labor, um ihn auf Besonderheiten zu untersuchen, und das Loch, leicht links versetzt in seiner Brust, gähnte wie eine dunkle Höhlung in seinem Leib.
„Etwas Besonderes gefunden?“ Mulder löste den Blick von der Wunde, er fragte sich, wie es sich anfühlen musste, wenn man einen Pfahl in den Leib eines Menschen trieb. Dieser Gedanke war dunkel, voller Schatten, aber wie oft mussten sie in Schatten tauchen, um zu verstehen, was den Verstand eines Mörders bewegte, was ihn vielleicht sogar erregte!
Sich in den Verstand eines Mörders dieser Art hineinzuversetzen war wie eine Wanderung an einem Abgrund, verzerrte die Perspektiven, hatte die Anziehungskraft eines schwarzen, dunklen Soges, den man fürchtete und der einen dennoch faszinierte.
„Keine ausfahrbaren Vampirzähne, da muss ich Sie enttäuschen, Mulder!“ Scully klang eher eine Spur müde als spöttisch.
„Keine Abnormitäten bei Mr. Joran?“ Mulder ließ noch einen Blick auf dem Toten ruhen.
„Nun, er war ungewöhnlich blass, was jedoch nicht abnorm ist. Laut seiner Akte hat er wohl immer nachts gearbeitet und niemals einen Job gehabt, der sich im Tageslicht abspielte. Er ist leicht anämisch gewesen, aber ansonsten kerngesund.“
„Anämisch? Blutarm?“ Mulder hob eine Augenbraue. Scully schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie den Gedanken schnell wieder, ich glaube nicht, dass dies eine passende Diagnose für einen Vampir ist. Ich selbst habe öfters Präparate zur Blutbildung einnehmen müssen, und ich bin kein Vampir!“
Mulder lächelte schelmisch. „Sagen wir so, Sie haben noch nicht an meinem Hals geknabbert!“
Scully grinste. „Ich kann mich gerade noch so beherrschen, Mulder.“
Ihr Partner lachte leise auf, wurde dann aber wieder ernst. „Es gehört schon etwas dazu, einen Mann auf diese Weise zu töten. Gibt es Anzeichen dafür, dass Joran gekämpft hat?“
„Nun, unter den Fingernägeln konnte ich einige Fasern finden, sind im Labor, auf seinem Körper fanden sich keine Spuren einer anderen Blutgruppe als seiner eigenen, kein Speichel, kein Sperma.“
„Sperma?“ Mulder sah überrascht aus.
„Nun ja, die Symbolik muss nicht unbedingt auf Vampirimus hinweisen, außer natürlich der Knoblauch, der Pfahl gäbe auch eine passende Phallussymbolik ab und dann durch das Herz getrieben ...“ Scully brach mit einem Schulterzucken ab.
„Er hat ein Herz durch Untreue gebrochen?“ Mulder schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube nicht, dass so ein Motiv dahintersteckt, dazu passt, wie Sie schon sagten, der Knoblauch nicht.“
Scully nickte. „Ja, es sieht schon eher nach einem geistesgestörten Täter aus, der aus religiösem Irrglauben heraus agiert. Vielleicht stammt er auch aus einem schizophrenen Formenkreis, halluziniert, hört Stimmen, die ihm offenbaren, wer ein Dämon ist.“
„Hat unser Killer das Herz von Joran glatt getroffen?“ Mulder runzelte die Stirn, vage kam ihn etwas bekannt vor, fast so, als hätte er mal über ähnliche Fälle gelesen.
„Ja, was darauf schließen lässt, dass er die Anatomie eines Menschen gut kennt, die meisten Leute verfehlen erstmal das Herz, gleiten an Rippen ab, genau den Punkt zu treffen, wo man auf keine Rippen trifft, dazu gehören Vorkenntnisse.“
„Oder viel Übung“, bemerkte Mulder düster.
Scully nickte. „Oder das. Ich denke auch nicht, dass Joran das erste Opfer dieses Mannes war. Der Schlag, der den Eichenholzpfahl in sein Herz gebohrt hat, war glatt, und wir fanden Spuren von Äther im Blutkreislauf. Er hat Joran betäubt, um dann in Ruhe arbeiten zu können. Der Schlag saß perfekt, es dürfte mit einem einzigen Schlag geschehen sein, so glatt wie die Wundränder sind, der Pfahl drang in den Herzmuskel ein, zerriss die Aorta und zerstörte zwei Herzkammern auf seinem Weg, tödlich sicher.“
Mulder schauderte leicht. „Ich werde in den Akten nachforschen, vielleicht finden sich Vergleichsmöglichkeiten. Bislang könnte er immer Glück gehabt haben, und das Feuer zerstörte die meisten Spuren.“
Scully nahm die Schutzbrille ab und nickte. „Ein naheliegender Gedanke, insofern hat er vielleicht diesmal seinen ersten Fehler gemacht.“ Sie blickte Mulder an. „Was haben Sie über die Tarotkarte herausgefunden?“
Ihr Partner zog die in eine Klarsichthülle geschweißte Karte hervor. „Keine Fingerabdrücke, davon bin ich auch nicht ausgegangen. Jeder Insiderladen kann solche Tarotkarten bestellen, ich denke, da verläuft die Spur im Sand. Die Bedeutung der Karte lässt sich auf Macht, Autorität und Gesetze interpretieren. Aber ich wüsste nicht, in welcher Art sich die Karte mit Joran in Verbindung setzen lässt, das war mein Gedanke, aber es gibt kein Muster.“
Scully besah sich die Karte, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Melissa wollte immer das Tarot befragen, Sie wissen schon, ob mir der Mann meines Lebens über den Weg läuft und solche Dinge. Sie sagte immer, dass die Bedeutung der Karten nicht zwangsläufig aus einem Buch gelesen werden müsse, dass die Texte der Interpretation nicht zutreffen müssen, sondern dass einem das Bild selbst manchmal alles verrät.“
„Und, hat Melissa Ihnen einen Mann vorhergesagt?“ Mulders Stimme klang sanft.
„Ich habe sie nie danach gefragt.“ Scully wandte sich ab, sie hatte Melissas Gedankengängen nie folgen wollen, ihrem Hang zur Esoterik, zu Dingen, die man nicht beweisen konnte, sondern an die man glauben musste.
Nach Melissas Tod bereute sie jede Stunde, die sie versäumt hatte, den Gedanken ihrer Schwester folgen zu wollen. Sie wünschte, sie könne mit Melissa auf dem Boden sitzen, diese ekligen Weihrauchräucherstäbchen riechen, die sie so gerne verbrannte, und zusehen, wie ihre Schwester Karten für sie legte oder das I-Ging befragte.
X X X
„Welche Richtung sollen wir jetzt einschlagen?“ Scully öffnete, mit dieser Frage auf den Lippen, die Türe zu ihrem Büro und sah erstaunt auf den Mann, der auf ihrem Stuhl saß und es sich scheinbar bequem machte. Er las, scheinbar aufmerksam, eines von Mulders Sensationsheftchen mit der Schlagzeile „Neunköpfiges Monster fraß meinen Mann und schwängerte meinen Hund“.
„Wer sind Sie?“ Scully kam Mulder mit ihrer Frage zuvor, der Fremde erhob sich geschmeidig und lächelte gewinnend.
Scully kam nicht umhin festzustellen, dass er sehr gut aussah, größer noch als Mulder überragte er sie um einiges, schlank, aber mit breiten Schultern unter dem Mantel. Sein langes, schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, sein Gesicht war ein wenig zu kantig, um wirklich schön zu sein, aber das unterstrich seine männliche Attraktivität noch.
„Sie müssen Agent Scully sein!“ Seine Stimme war kultiviert und angenehm, er schüttelte ihre Hand, ohne zu fest zuzudrücken, aber auch nicht zu sanft.
„Ja.“ Scully war von dem Fremden überrascht, es verirrte sich selten jemand in ihr Büro, zumal es im Keller lag, und eigentlich sah man ihm noch gut an, dass es mal eine Abstellkammer für den Photokopierer gewesen war.
„Ich bin Josh Parker.“ Er schüttelte Mulders Hand. „Agent Mulder, nicht wahr?“
Mulder bequemte sich zu einem Nicken, griff sich sein Schundblättchen und verstaute es in einer Schreibtischschublade, er mochte es nicht, wenn man ungefragt in seinen Dingen wühlte.
„Sollte uns das etwas sagen, Mr. Parker?“ Mulder gab sich nicht viel Mühe, freundlich zu wirken.
Parker bot Scully charmant wieder ihren Stuhl an und hob leicht die Schultern. „Ich bin Journalist, L.A. Tribune, aber momentan sammle ich eher Material für mein Buch, über Serienmörder.“
„Und was haben wir damit zu tun, Mr. Parker?“ Mulder mochte es nicht, wie dieser Kerl Scully ansah, und noch weniger mochte er, dass Scully durchaus diesen Blicken nicht abgeneigt zu sein schien!
„Sie haben die Leiche!“ Josh Parker zog eine Mappe aus seinem Mantel und knallte sie auf den Tisch. „Ich reise durch das ganze Land, auf der Jagd nach dem Vampirkiller.“
Scully öffnete die Mappe und betrachtete die Zeitungsausschnitte, sie alle beschäftigten sich mit Bränden, bei denen man verkohlte Leichen gefunden hatte.
„Was nicht in der Zeitung steht, ist, dass fast überall noch festgestellt wurde, dass die Opfer schon vor dem Brand starben, an einem Stich durch das Herz. Ich war gestern unter den Schaulustigen am Tatort.“
„L.A. ist weit weg, was führt Sie nach Washington und noch dazu, so perfekt getimet, dass Sie gleich Ihren Phantomfreund wiederfinden.“ Mulders Skepsis war deutlich bemerkbar.
„Zufall! Karma! Schicksal!“ Josh lächelte Scully an. „Nun, sagen wir so, ich habe den Polizeifunk abgehört, und rein aus beruflichem Interesse fuhr ich hin, von einem der Streifenpolizisten erfuhr ich mehr von den Tatumständen, und deshalb bin ich hier, ich kann Ihnen helfen.“
„Das ist nett gemeint, Mr. Parker, aber wie denken Sie, uns bei der Aufklärung des Mordes helfen zu können?“ Scully fächerte mit den Fingern die Artikel auseinander, es waren sehr viele.
„Weil ich ihn kenne, nicht persönlich, nein, das noch nicht, aber, wie er denkt! Wir könnten ja bei einem Essen darüber reden?“
Mulder schüttelte den Kopf. „Ich wollte selbst noch im Archiv Nachforschungen anstellen.“
Scully zuckte leicht die Schultern. „Eigentlich könnte ich einen Happen vertragen.“
„Wunderbar!“ Parker lächelte, und Mulder sah missgestimmt zu, wie seine Partnerin mit dem charmesprühenden Journalisten entschwand, noch ehe die Türe ganz ins Schloss fiel, hörte er Scullys Lachen.
Der Kerl brachte sie zum Lachen! Nein, Mulder war gar nicht erbaut über die Hilfe, die Josh Parker ihnen zu bieten gedachte.
XXX
„Seit wann jagen Sie diesem Serienmörder hinterher?“ Scully trank einen Schluck Kaffee. Seltsamerweise hatte Josh sie in ein wunderbares, kleines Restaurant geführt, das genau Scullys Geschmack entsprach, sie jedoch bislang nicht entdeckt hatte.
Josh rührte seinen Espresso um. „Ich traf schon mit seinem Vorgänger zusammen.“
Scully sah ihn erstaunt an.
„Emanuel Kanter, Arzt, ein brillanter Mann, bis er dabei erwischt wurde, als er einem Nachtwächter einen Eichenholzpfahl durch die Brust trieb.“
„In welchem Gefängnis sitzt er ein?“ Scully ging die Möglichkeit in Gedanken durch, dass er wieder auf freiem Fuß war.
„In keinem, er wurde der Psychiatrie überstellt, nach seiner Verhandlung. An seiner Geistesgestörtheit hatte das Gericht keine Zweifel. Kanter hielt sich für einen Auserwählten Gottes, berufen gegen die Dämonen zu kämpfen, die unter uns leben, mit den Masken normaler Menschen auf ihrem Antlitz. Armer Kerl! Ich habe ihn vor vier Jahren besucht, öfters, damals fing ich an, Material für mein Buch zu sammeln, ein überaus gescheiter Mann, bis auf seine Wahnvorstellungen.“
„Dämonen …“ Scully schüttelte missbilligend den Kopf.
Josh Parker lächelte und deutete auf das Kreuz um ihren Hals. „Müssten Sie nicht an so etwas glauben? Wenn Sie an Gott glauben, dann müssten Sie doch auch an den Teufel glauben?“
Scully berührte das Kreuz mit den Fingern. „Die Hölle existiert nur in den Menschen, das Böse, wenn Sie es so nennen wollen, Mr. Parker.“
„Josh“, erklärte er mit Nachdruck. „Ich stimme Ihnen zu, Dana, ich habe das Böse oft gesehen! Die meisten meiner eigenen Schlagzeilen leben von diesem Bösen, und manchmal könnte man wirklich meinen, es gibt Monster in dieser Welt, aber sie tragen das Gesicht von Menschen. Von Menschen, die das World Trade Center in die Luft jagen, die jemanden töten, für ein paar Dollar, oder ihr Kind verhungern lassen, weil sie gerade voll auf Crack sind.“ Parkers Stimme zitterte ein wenig unter dem Aufwallen seiner Gefühle.
„Entschuldigen Sie, eigentlich sollte ich der zynische, abgebrühte Reporter sein, aber das kann man eben nur spielen, nachts, wenn man allein ist, dann kriechen die Schatten, die man gesehen hat, aus einem heraus, werden zu Alpträumen und lassen einen schreiend aufwachen!“ Josh atmete tief aus. „Geht es Ihnen nie so, Dana?“
Scully nickte. Oh ja, sie wusste, von was Parker redete, ihren Job konnte man nach außen hin abschütteln, aber in manchen Nächten war er eine Falle, ein Strudel aus Alptraum und Erinnerung in einem.
„Was ist mit Kanter; könnte er aus der Psychiatrie geflohen sein?“ Scully wollte das Gespräch wieder auf eine weniger persönliche Schiene bringen.
„Nein, er ist tot!“
Scully sah erstaunt in Parkers blaue Augen. „Tot?“
„Ja, er starb vor etwa drei Jahren, es muss sich also um einen Menschen handeln, der ihn imitiert! Ein schlauer Bursche, bislang hat er keinen Fehler gemacht, jedes Mal einen Brand gelegt, seltsam, dass er diesmal seine Arbeit zeigte!“ Parker runzelte nachdenklich die Stirn.
„Er wurde gestört, sonst hätte er auch diesmal einen Brand gelegt!“ Scully trank ihren Kaffee aus.
„Sind Sie sicher, Dana? Vielleicht wollte er seine Arbeit auch zeigen? Oder er ist müde, will geschnappt werden, so etwas soll ja öfter vorkommen, auch bei Kanter stellte sich Schlampigkeit bei seinen Morden ein, was zu seiner Verhaftung führte. Vielleicht sucht er einen Nachfolger?“
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