World of X

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Reality

von XS

Chapter 5

Der Treppenaufgang war stockfinster. Sie konnte nicht einmal sehen, wie sie ihren Fuß auf die nächste Stufe setzte. Es war wie ein einziges schwarzes Loch, das sich unter ihr befand und in dem sie sich gleichzeitig auch zu befinden schien. Sie wusste natürlich, dass sie nur den Lichtschalter hätte betätigen müssen, um diese Angst, in die Unendlichkeit zu fallen, zu beseitigen. Aber die Angst, dass jemand das Licht sehen könnte und sie vermutlich nie wieder die Chance bekommen könnte zu fliehen, war größer. Größer, als die Angst, von der Dunkelheit verschluckt zu werden, je sein könnte. Also tastete sie sich weiter durch die Dunkelheit. Eng an die Wand gepresst, mit ihren Fingern die Wand berührend. Vorsichtig, um nicht zu stolpern, tastete sie vor jedem endgültigen Schritt mit ihrem Fuß den Boden ab. Sie wusste, dass vor ihr nichts liegen konnte. Kein gähnender Abgrund oder etwas ähnliches. Nicht im wirklichen Leben. Wenn dies ein Traum wäre, dann könnte sie mit allem rechnen, aber sie war sich sicher, dass sie sich in der harten Realität befand und sie nicht darauf hoffen konnte, einfach aufzuwachen. Sie musste sich selber aus diesem Schlamassel befreien.

Vorsichtig glitten ihre Hände weiter über die Wände. Sie befand sich jetzt zwischen zwei Etagen, in der Mitte des Treppenaufganges. Sie tastete sich zum Beginn der Treppenstufen vor und nahm den zweiten Teil in Angriff.

Während sie sich immer weiter nach oben vorarbeitete, dachte sie noch einmal über alles nach.

*Ist das wirklich richtig, was ich hier tue? Was ist, wenn meine 'Theorie' falsch ist? Was ist, wenn ich mich geirrt habe? Ist dann nicht alles für mich verloren?*

Scully dachte noch einmal über ihre Theorie nach. Es war unglaublich wichtig, dass sich keine logischen Fehler in ihr befanden. Denn wenn sie sich geirrt hatte, würde sie vermutlich eingewiesen werden... Aber darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken.

Sie war davon ausgegangen, dass Mulder existierte. Das er nicht existieren sollte, war einfach absurd. Sie hatte klare Erinnerungen an ihn. Sie konnte ihn vor sich sehen, wie er ihr mit ungetrübten Enthusiasmus eine seiner verdrehten und verqueren Theorien erklärte.

Sie musste bei dem Gedanken daran lächeln. Vor allem, wenn sie daran dachte, dass sie eine genauso absurde Theorie aufgestellt hatte.

Dann das FBI. Mulder war ihr Partner gewesen: beim FBI! Und das sie für die Bundesbehörde arbeitete, konnte sie mit absoluter Sicherheit sagen. Das erste Gespräch mit Sektionschef Blevins war ihr nur zu gut in Erinnerung. Und auch der geheimnisvolle Mann, der anwesend gewesen war. Er hatte kein Wort gesagt, sie nur mit seinen eiskalten und grauen Augen gemustert, als könnte er bis in ihr Innerstes sehen. Und er hatte während der gesamten Einweisung geraucht. Das hatte sie zunächst am meisten irritiert. Rauchen war in öffentlichen Gebäuden verboten. Und er hatte sich das Privileg herausgenommen im Hauptgebäude des FBI zu rauchen.

Doch später hatte sie ihn nicht wegen des Rauchens hassen gelernt. Der "Krebskandidat" hatte viele schreckliche und grausame Dinge getan, für die sie ihn hassen konnte. Und auch er überzeugte sie davon, dass all diese Dinge, die angeblich nicht existierten, nicht nur durch eine Gehirnerschütterung zustande gekommen waren.

Instinktiv griff sie sich bei dem Gedanken an den Kettenraucher an ihr Genick. Sie tastete ihren Nacken ab. Keine Narbe war zu fühlen, geschweige denn das kleine Implantat, das dort sein sollte.

*Was passiert hier? Was haben die mit mir gemacht?*

In Scullys Magengegend breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Ihr Leben zu manipulieren, das konnte sie sich noch vorstellen, aber das Implantat sowie die Narbe verschwinden lassen, das war doch unmöglich.

Das passte nicht in ihre Theorie, aber wie sollte sie das sonst erklären? Ihrer Meinung nach, war sie nach dem letzten Fall, den sie bearbeitet hatte irgendwie betäubt und in dieses Krankenhaus gebracht worden. Vollgepumpt mit irgendwelchen experimentellen Drogen, von denen sie lieber nichts näheres wissen wollte, hatte man ihr weismachen wollen, dass ihr Leben, so wie sie es kannte, nicht existierte. Weder Mulder, noch ihr Job beim FBI oder die Fälle, die sie einer Regierungsverschwörung näherbrachten, sollten wahr sein. Aber das war geradezu lächerlich. Entweder hatten DIE nicht gewusst, dass ihre Drogen nicht richtig wirken oder aber, sie hatten sich der Hoffnung hingegeben, dass sie leicht zu manipulieren war. Dass ihr Wille leicht gebrochen werden konnte und sie so von der Idee einer Regierungsverschwörung abgebracht wurde.

Aber da hatten sie sich getäuscht. Scully würde niemals so leicht aufgeben. Sie war eine Kämpfernatur und würde es denen heimzahlen. Alles, was sie ihr und Mulder und ihren Familien angetan hatten. Melissa, Samantha und Mulder's Vater. Sie waren alle gestorben. Und sie selber wäre auch beinahe gestorben, mehr als einmal. Sie würde DIE nicht einfach so davonkommen lassen. Oh, nein. Ganz sicher nicht.

Wütend ballte sie eine Hand zur Faust und wünschte sich sie hätte jemanden vor sich, dem sie diese ins Gesicht schlagen könnte. Einem Verantwortlichen. Jemandem, der ihr das alles angetan hatte.

Doch plötzlich hielt sie inne. Ihre Fingerspitzen, mit denen sie noch immer gedankenverloren die Wand abgetastet hatte, waren auf eine Erhebung gestoßen. Eine kühle und glatte Oberfläche. Vermutlich eine Tür.

Scully war bereits an einigen Türen vorbeigekommen, aber diese musste eine der Letzten sein. Sie tastete die Tür ab und spürte einen Windhauch durch die Ritze fegen. Vielleicht war sie schon auf dem Dach angelangt, nachdenklich wie sie gewesen war.

Sie tastete weiter und berührte kurze Zeit später den Türgriff. Erleichtert drückte sie den Griff nach unten und zog. Nichts. Die Tür rührte sich nicht einen Millimeter.

*Nein! Bitte geh' auf! Nicht jetzt, wo ich so nah am Ziel bin. Bitte mach schon, geh auf!*

Doch auch als sie noch einmal halbherzig daran rüttelte, tat sich nichts. Fassungslos stand Scully einige Sekunden in der Dunkelheit, während sich langsam Tränen der Wut und Verzweiflung in ihren Augen bildeten.

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