World of X

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Dark Horizon

von Steffi Raatz, XFilerN

Kapitel 4

 Krycek lehnte sich gegen den Jeep, den er einige Straßen von Scullys Fundort entfernt gefunden hatte und sah hinüber zu der Ärztin, die im Freien ihre Untersuchung an der kleinen Rothaarigen vollzog.

Die Sonne brannte vom Himmel und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Er war sich nicht bewusst, dass es jemals zuvor so heiß gewesen wäre. Noch während er mit einer Hand seine Augen vor der Sonne abschirmte, rümpfte er die Nase und versuchte den verwesenden Gestank der Leichen zu ignorieren.

Den Blick auf Scully gerichtet, stellte er sich die Frage, warum sie in Washington gewesen war. Seine letzten Informationen hatten ihre Flucht mit Mulder aus einer Todeszelle beinhaltet. Wie dumm oder verzweifelt musste man da sein, um ausgerechnet wieder nach Washington zurückzukehren? Er holte tief Luft und zog seine linke Hand vom heißen Blech des Wagens weg. Der Verlust eines Armes - selbst, wenn es nur den Klon betroffen hatte - hatte ihn geprägt. Seine Hände und Arme waren ihm heilig geworden. Deshalb sah er seine Hände auch an und zog die Augenbrauen hoch, derweil er die Schnittwunden betrachtete. 

"Sie sollten sich auch untersuchen lassen", erklang Scullys Stimme direkt vor ihm und er sah von seinen Händen auf, ihr direkt in das Gesicht. Sie deutete besorgt auf seine Hände.

"Das ist nur eine Lappalie!", erwiderte er und betrachtete sie eingehend. "Und wie geht es Ihnen?"

"Die medizinische Versorgung ist mangelhaft und Dr. Miller konnte keine erforderlichen Untersuchungen durchführen, soweit sie jedoch ohne große technische Hilfe eine Diagnose aufstellen kann, habe ich ziemliches Glück gehabt. Außer der Platzwunde und Abschürfungen bin ich wohl noch ganz." Sie lächelte matt und wollte sich gegen das Auto lehnen. Ihre Hand berührte das Blech und mit einem kurzen Aufschrei zog sie sie wieder zurück. Alex nahm ihre Hand, griff durch das offene Fenster in den Wagen und holte eine kleine Flasche hervor, aus der er kühles Wasser über ihre gerötete Haut goss.

"Danke", murmelte sie und ihre Blicke trafen sich.

Für einen Sekundenbruchteil wusste Alex nicht, wie er reagieren sollte, dann unterbrach er den Augenkontakt und stellte die Flasche wieder beiseite. 

"Hat man Ihnen etwas über Ihren Gedächtnisverlust sagen können?", wechselte er das Thema. 

Scully entzog ihm ihre Hand und wedelte damit in der Luft, um sich Abkühlung zu verschaffen. "Sie vermutet, dass es sich sowohl um psychogene als auch um retrograde Amnesie handelt."

Mit einem Blinzeln sah er sie nun doch wieder an. "Bitte was?" 

"Oh", sie lächelte, "das heißt, meine Erinnerungen sind aufgrund eines Schocks, eines schlimmen Erlebnisses oder etwas ähnlichem gelöscht, vielmehr in meinem Unterbewusstsein gespeichert und dringen nicht mehr an die Oberfläche und zum anderen habe ich die Erinnerungen auch durch einen Schlag auf den Kopf verloren. Der richtige Auslöser könnte bewirken, dass alles schlagartig wieder zurückkehrt."

"Und was zu wieviel von jeder Amnesieart... ich meine, woran..." Er geriet ins Stocken und versuchte das Gehörte zu verarbeiten.

"Zu gleichen Teilen vermutlich!", entgegnete sie und betastete ihre versorgte Platzwunde an der Stirn. "Die Frage ist nur, was der Auslöser war und durch was ich mein Gedächtnis wieder erhalte. Es wird irgendein Wort, irgendein Anblick sein. Etwas, womit ich nicht rechne und dann, ist alles wieder in Ordnung."

In Ordnung war gar nichts. Alex zog die Stirn kraus. "Und wann kann es passieren?"

"Jederzeit!", kam es von ihr, während sie den Jeep umrundete und einstieg.

Jederzeit - hallte es in seinem Kopf wider. Na wunderbar. Da hatte er sich gerade damit abgefunden, dass sie nicht mehr wusste, wer sie war, da konnte ein einziges Wort von ihm alles ändern. Er war sich nicht sicher, ob er weinen oder lachen sollte. Wieder mal.

In einem Anflug von Selbstironie musste er sich eingestehen, dass er es vielleicht nicht anders verdiente. 

Er ließ seinen Blick von der Stelle, wo sie noch eben gestanden, hatte weg gleiten und stieg in den Jeep ein. Wie selbstverständlich saß sie auf der Beifahrerseite und wartete darauf, dass er den Wagen starten würde. Alex kam in den Sinn, dass sie glaubte, sie wären Freunde oder Kollegen gewesen. Vielleicht auf entfernte Bekannte. Irgendwas jedenfalls musste ihr den Glauben schenken, sie würde das richtige tun, wenn sie sich an ihn hielt.

"Wohin jetzt?", erklang ihre Stimme neben ihm und er startete den Motor, ohne einen weiteren Blick an sie zu verschwenden.

"Raus aus der Stadt."

"Und dann?" Sie drehte den Kopf zur Seite und betrachtete forschend sein Gesicht, "meinen Sie nicht, wir sollten hierbleiben und helfen? Es gibt so viele Verletzte, so viele hilflose Menschen..."

Da war sie wieder die Ärztin. Alex schaltete in den Leerlauf und lehnte sich mit beiden Händen auf das Lenkrad. Sein Kopf ruckte herum und ihre Augen trafen sich. "Wir können den Menschen hier nicht helfen. Dafür sind andere da. Dana, wir sollten lieber zusehen, dass wir hier verschwinden und vielleicht herausbekommen, was mit den anderen passiert ist, die wir kennen."

"Andere, die wir kennen", kam es sehr leise von ihr und er konnte sehen, wie es in ihrem kleinen hübschen Kopf zu arbeiten begann. Eine schier aussichtslose Suche nach Erinnerungen. Alex begann sich zu fragen, was der tatsächliche Auslöser gewesen war. Der Angriff, der Schlag auf den Kopf oder war gar etwas mit ihrem Sohn oder Mulder geschehen? Ihm brannten Fragen auf der Zunge, die er nicht aussprechen durfte, wollte er nicht riskieren, dass sie schlagartig wieder über alles Bescheid wusste.

Sicherlich half ihm am Ende eine Scully, die ihr Gedächtnis wieder hatte mehr als so, doch im Augenblick war sie in ihrer unschuldig unwissenden Art besser für seine Gesundheit. Erst wenn er ihr Vertrauen und ihre Loyalität sicher wusste, konnte er riskieren, sie mit Dingen zu konfrontieren, die ihr Gedächtnis zurückbringen konnten. Aber dafür brauchte er Zeit.

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Monica zerstückelte eine Zwiebel und schob sie anschließend in eine kleine Pfanne, die aussah, als käme sie aus dem späten 19. Jahrhundert. Es gab ein leises Zischen und feine dünne Fettspritzer verteilten sich auf dem Gasherd.

"Haben wir uns nicht eigentlich lange genug versteckt?", durchbrach sie die Stille mit ihrer Stimme und erreichte, dass John sich in seinem Sessel vorm Kamin zu bewegen begann. 

Einen langen Moment sagte er gar nichts und schien in sein Buch vertieft zu sein, obwohl sie wusste, dass dem nicht so war. Sie konnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf zu arbeiten begonnen hatte.

"Es riecht gut!", kam es schließlich in einem leicht brummigen Ton von ihm.

Monica rollte mit den Augen und schob mit einem Holzlöffel die zu dünstenden Zwiebeln in der Pfanne hin und her. Sie mochte den Geruch von Zwiebeln ebenso, auch wenn das Schneiden vorher ihr Tränen in die Augen trieb. Womit sie wieder beim Thema war.

"John, du hast meine Frage nicht beantwortet."

Er sah noch einen kurzen Augenblick auf sein Buch, legte es dann zur Seite und sie konnte sehen, dass er es recht widerwillig tat. In seinen Augen schien die Situation, in der sie sich befanden, scheinbar ideal.

"Ich weiß nicht, was du willst, Monica. Wir hatten entschlossen, dass es so das Beste sein würde, und jetzt glaubst du, dass es das nicht mehr ist?"

"Ich will nicht sagen, dass wir einen Fehler begangen haben", erwiderte sie und legte das Küchenmesser zur Seite, mit dem sie ein Paar Tomaten geschält hatte. Ihr Oberkörper beugte sich verschwörerisch vor und ihre Augen fixierten die ihres Freundes. "Aber willst du nicht wissen, was aus unseren Freunden und Kollegen geworden ist?"

John holte tief Luft und rieb sich mit den Händen über sein Gesicht. Natürlich wollte er wissen, was geschehen war, wo sie steckten und ob sie vielleicht in der Lage waren, einem von ihnen zu helfen. Es gab so viele Fragen. So viele Rätsel. Aber war er schon wieder bereit dafür, sich hinauszustürzen in den Moloch?

"John?" Ihre Augen suchten nach einer Antwort.

"Ja, natürlich möchte ich wissen, was aus ihnen geworden ist", seufzte er leise und hievte sich langsam aus seinem Sessel. "Aber was wird sein, wenn wir herausfinden, was passiert ist und uns dann wünschten, es nie erfahren zu haben?"

"Monica", er trat hinüber zu ihr an den Tisch, "ich habe Angst. Ich habe verdammte Angst, dass wir uns wieder auf etwas einlassen, was uns Kopf und Kragen kostet."

Sie lächelte beruhigend, schritt um den Tisch herum und legte ihm ihre Hand an die Wange. "Ich habe mich in meinem Leben schon vor vielem gefürchtet, John. Aber ich habe auch gelernt, dass man sich dieser Furcht stellen muss."

Er schloss die Augen und lauschte dem beruhigenden Knacken und Prasseln des Feuers im Kamin. Ihre Hand schien wie Balsam zu sein, schien ihn innerlich ein wenig zu beruhigen. Vielleicht färbte ja auch etwas von ihrer Kraft auf ihn ab, für die er sie schon lange bewunderte. 

Als er die Augen wieder öffnete, sah sie ihn noch immer an. Abwartend, fragend. Und er wusste, er war ihr eine Antwort schuldig. 

"Lass mir eine Nacht, Monica. Eine Nacht, um darüber zu schlafen."

Sie nickte, ein müdes Lächeln auf ihren Lippen, und zog ihre Hand wieder zurück, um sich erneut dem Essen zu widmen, dessen Geruch bereits die gesamte kleine Holzhütte erfüllte.

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