World of X

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Dark Horizon

von Steffi Raatz, XFilerN

Kapitel 2

"John, das musst du sehen", rief sie ins Innere der kleinen Hütte, die für die nächsten drei Wochen ihr beider zuhause sein sollte.

Die Suspendierung vom FBI hatte John und Monica dazu veranlasst einige Wochen Urlaub in Kanada zu machen. Es war Johns Idee gewesen, da es das Ferienhaus seines Onkels war und er hatte Monica gebeten ihn zu begleiten.

Er trat hinaus auf die kleine Veranda und das Holz unter ihm knirschte bedenklich. Es war ein altes Haus, das schon seit über zwanzig Jahren hier stand und im Grunde einer Renovierung bedurfte. Das Holz war morsch, das Dach nicht mehr vollständig dicht und längst blätterte überall die Farbe von der Wand ab.

Sie hörte ihn kommen und wandte sich zu ihm um. "Es ist leider schon weg. Da war eben ein wirklich seltsam aussehendes Flugzeug, John."

Ihr Gegenüber lächelte ein wenig. "Seltsam?"

"Ja", nickte sie. "Etwas Ähnliches habe ich noch nie zuvor gesehen. Es war dreieckig, ziemlich groß und mit vielen Lichtern an der Unterseite versehen. Zudem ist es ein waghalsiges Manöver geflogen." Monica sah ihren Partner unverwandt an.

Langsam kam er näher zu ihr und setzte sich neben sie auf die Stufen. Eine Hand auf ihre rechte Schulter legend, meinte er: "Wenn ich dir so zuhöre, dann klingt das schon fast, als hättest du ein UFO gesehen." Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. "Du möchtest unbedingt mal eins sehen, nicht wahr?"

"Wer will das nicht? Das ist doch immerhin der Beweis, den wir brauchen." Sie hob ihre Augenbrauen an und seufzte leise.

Ihr fehlte die Arbeit bereits, und dass, obwohl sie erst seit knapp einer Woche hier oben in den Bergen waren. Es war eine wunderschöne und idyllische Landschaft und dennoch, so richtig entspannen und die Arbeit hinter sich lassen konnte sie nicht. Vermutlich interpretierte sie deshalb mehr in dieses Flugzeug hinein, als tatsächlich da war. Die vergangenen Wochen ließen sie nicht mehr los.

"Ich muss nicht unbedingt ein UFO sehen", sagte John leise und nahm die Hand wieder von ihrer Schulter. "So viele Leute haben angeblich schon mal eins gesehen, und was hat es ihnen eingebracht? Nichts."

"Sie haben für sich den Beweis, John. Wie kannst du da sagen, dass das nichts ist?", widersprach sie ihm.

"Skinner ist verschwunden, weil er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hat, Scully und Mulder sind auf der Flucht und suchen ihren Sohn. Keinem den wir kennen, und der schon einmal Kontakt mit einem angeblichen Raumschiff hatte, erging es seitdem gut. Niemand will davon wissen, und nur eine handvoll Menschen glaubt tatsächlich, dass die Wahrheit irgendwo dort draußen ist." Sein Blick war ernst, doch seine Stimme war sanft. "Ich will kein solches UFO sehen, wenn das Wissen darum für mich bedeutet, dass ich mein Leben aufgeben muss und alles was mir wichtig ist."

In diesem Moment sah er sie mit einem Blick an, der ihr vor Rührung fast schon Tränen in die Augen trieb. Meinte er sie mit ‚wichtig’? Hatte er Angst sie zu verlieren, so wie Scully Mulder verloren hatte?

Sie wusste darauf nichts zu erwidern und hielt stattdessen lieber seinem Blick stand, der ihr ein ungewohntes Bauchkribbeln bescherte, so als ob darin Schmetterlinge tanzen würden.

"Wir beide haben erst kürzlich erfahren müssen, was es mit diesem Wissen auf sich hat", fuhr er nach einiger Zeit des Schweigens fort. "Wir haben uns für Mulder weit aus dem Fenster gelehnt, haben ihn vor dem Tod bewahrt und ihm und Scully zur Flucht verholfen."

"Ja", stimmte sie nachdenklich zu. "Ich weiß, worauf du hinauswillst."

"Und jetzt sitzen wir hier, mit der Ungewissheit darüber, ob es bei einer dreiwöchigen Suspendierung bleibt, oder ob wir unsere Jobs beim FBI endgültig verlieren. – Denkst du, dass es das wert war?"

Monica zuckte mit den Schultern. Sie wusste darauf keine Antwort. Auf der einen Seite liebte sie ihren Job und die damit verbundene Möglichkeit das Paranormale zu erforschen, und auf der anderen Seite wollte sie ebenso wie Mulder und Scully nur noch die Kolonisation, an die sie im Gegensatz zu John ernsthaft glaubte, aufhalten. Dieser Umstand könnte durchaus zu ihrer Entlassung führen, doch das war es ihr in gewisser Weise wert.

"Weshalb hast du dich nicht wieder versetzen lassen – weg von den X-Akten?", fragte sie schließlich.

"Ich bin mir selbst nicht sicher", raunte er. "Zum einen deshalb nicht, weil ich das Gefühl hatte es Agent Scully schuldig zu sein und zum anderen, weil ich durchaus wissen wollte, ob ich mich irre oder nicht."

Es war unmöglich, dass eine Frau wie Scully an so viele Phänomene glaubte, die die Wissenschaft nicht erklären konnte. Und es gab viel zu viele Menschen, die an diese eine Sache so felsenfest glaubten, dass es fast schon unmöglich war, dass sie alle sich irrten und einem Hirngespinst nachjagten. Personen wie Fox Mulder, der sein Leben dieser Suche nach der Wahrheit gewidmet hatte, Skinner, der seine Karriere aufs Spiel gesetzt hatte, Marita Covarrubias, die aussagte als Testobjekt gedient zu haben und Jeffrey Spender, der angab, dass er früher selbst nicht an all das glauben wollte, bis sein eigener Vater ihn zu einem Testobjekt machte und seinen Sohn grausamen Qualen unterzogen hatte. All das konnte keine Erfindung sein und musste zu etwas weitaus Größerem führen, als es seine eigene Vorstellungskraft zuließ zu akzeptieren.

"Aber du glaubst noch immer, dass es für all das was wir in den letzten Monaten gesehen und erlebt haben eine rationale Erklärung gibt." Monica sah ihn prüfend an und lehnte sich währenddessen mit verschränkten Armen an das wacklige Treppengeländer.

John nickte und sie seufzte leise. "Ich weiß einfach nicht, welche Beweise du noch brauchst, um zu glauben, John."

"Das weiß ich doch nicht einmal selbst", gab er mit rauer Stimme zu verstehen. "Ich möchte mir die Illusion erhalten, dass das Schlimmste was uns Menschen zustoßen kann, wir selbst sind und nicht etwa eine Horde feindseliger Aliens, die nichts anderes im Sinn haben als ihren Planeten zurückzufordern und uns zu Sklaven zu machen. – Ich habe Angst vor eurer Wahrheit, Monica. Fürchterliche Angst..."

"Die habe ich auch, John." Unvermittelt beugte sie sich zu ihm vor und nahm ihn in die Arme. Ihre Augen schließend, nahm sie den Duft seines Aftershaves wahr und sog ihn ein. "Wir können nicht vor der Realität flüchten. Selbst nicht an einen wunderschönen Ort wie diesen, an dem wir zwei allein und vom Rest der Welt abgeschnitten sind", flüsterte sie ihm ins Ohr.

Abermals nickte John und sie löste sich wieder von ihm. "Ich weiß... – aber können wir nicht wenigstens die paar Tage so tun, als gäbe es die Kolonisation und all das Drumherum nicht?" John sah sie mit müden Augen an. Er wollte nicht mehr kämpfen. Alles was er wollte, war leben und die Zeit hier genießen, solange sie andauerte.

Ihm war mehr als bewusst, dass er nicht ewig vor dem größten Problem, das die Menschheit je hatte, davonlaufen konnte. Doch hier oben, in den Bergen Kanadas schien all das so weit entfernt – als wäre es in einem anderen Leben.

Die X-Akten hatte man ihnen weggenommen, sie suspendiert und ihnen damit die einzige Chance genommen, um der ganzen Sache weiter nachzugehen. Was sollte es also, dass sie sich nun hier den Kopf zerbrachen. Sie wussten noch nicht einmal, ob sie jemals wieder zum FBI zurückkehren durften, um heimlich weitermachen zu können. Aufgeben stand außer Frage, er wollte es nur noch etwas hinausschieben. Den entscheidenden Kampf, das Ende der Welt wie er sie kannte.

Ihm schwirrten so viele Fragen durch den Kopf, die er noch beantworten musste. Die zu beantworten er Monica, Scully, Mulder, Skinner und so vielen Menschen schuldete. Er wollte wissen, wie es seinen ehemaligen Kollegen ging. War Skinner untergetaucht? Hatten Mulder und Scully ihren Sohn inzwischen wieder oder waren sie noch immer auf der Suche nach ihm? Was war mit Kersh geschehen, nachdem er ebenfalls an Mulders Flucht beteiligt war? Er hatte sich mitschuldig gemacht, gesagt, dass er nun auf ihrer Seite stand und nicht mehr untätig sein wollte.

Hierbei handelte es sich ganz sicher um eine Verschwörung. Nur wer zum Teufel zog die Fäden? Etwa Brad Follmer? Innerlich lachte John bei diesem Gedanken. Follmer war auf seine Weise gefährlich, aber nicht annähernd mächtig genug, um auch nur einen der vielen Fäden zu kontrollieren. Er war eine Marionette, so wie Kersh, wie Skinner es war und wie alle, die irgendwie mit den X-Akten in Verbindung standen. Jemand zog an ihren Fäden und sie taten, was man wollte das sie tun.

Wieso hatte sich Monica nach Washington versetzen lassen? Zu ihm, in dieses muffige, dunkle Kellerbüro... Warum war sie nicht in New Orleans geblieben, dort war sie sicher gewesen. Ihre Karriere war dort viel sicherer, ihr Leben, ihre ganze Zukunft. Dieses Kellerbüro, die X-Akten und diese verdammte Kolonisierungsverschwörung waren wie ein Fluch. Wie ein verdammter Fluch, der jedermanns Leben zerstörte.

Sie waren ebenso geflüchtet wie Mulder und Scully. Nur wurde ihr Leben nicht bedroht, sondern lediglich ihre Arbeit. Was weitaus weniger wichtig war. Doch wie lange war ihr Leben sicher? Nur so lange, wie sie bereit waren die Finger von dem zu lassen, was die X-Akten ausmachte? Solange, wie man ihnen nicht nachweisen konnte, dass sie maßgeblich an Mulders Flucht aus der Todeszelle beteiligt waren?

John seufzte und fuhr sich grüblerisch mit beiden Händen durchs Haar. Als er sich so umdrehte, dass er Monica ansehen konnte, entdeckte er ihre ausgestreckte Hand. Sie lächelte, wie so oft. Und er erwiderte es, dankbar, dass sie selbst jetzt – nach allem – immer noch dazu imstande war. Er nahm ihre Hand, stand jedoch von allein auf. Als er direkt vor ihr stand und ihr in die Augen sah, da wusste er genau, wofür er weiterkämpfen würde. Wofür es sich lohne, zurück nach Washington, in die Höhle des Löwen, zu kehren. Die linke Hand hob sich wie von selbst, streichelte ihre Wange und sie schmiegte sich gegen den Handrücken, schloss die Augen.

Er beobachtete sie, wie sie genießend den Moment auskostete. Ein Moment, der ihm für lange Zeit, er hoffte für immer, im Gedächtnis haften bleiben würde. Über ihnen die Sterne, vor ihren Augen das Panorama der pechschwarzen Wälder Kanadas und von hinter ihnen drang das golden, tanzende Licht der Petroleumlampe aus dem Haus. Er stricht mit dem Daumen über ihre Wange, fühlte die Wärme ihrer Haut unter seinen Fingern und schloss selbst die Augen. Alles in ihm drängte danach die Gelegenheit zu nutzen. Er wusste längst, dass seine Gefühle von ihr erwidert wurden. Sie wäre nicht hier, wenn es nicht so wäre. Er wusste es, und doch, er traute sich nicht sie zu küssen.

Enttäuscht stellte sie fest, dass der Moment schon viel zu lange andauerte. Sie hatte es sich gewünscht, wie schon so viele Male zuvor, doch er war noch immer nicht bereit den nächsten Schritt zu machen. Monica wollte es sich nicht anmerken lassen, dass sie enttäuscht war und legte ihre Hand mit einem Lächeln auf den Lippen auf seine. "Lass uns reingehen. Es wird ziemlich kühl."

Ihre warme Stimme zwang ihn die Augen wieder zu öffnen. Nur zögerlich nickte er, im Grunde ungewillt diesen Moment vorbeigehen zu lassen. "Was hältst du von einem Tee?"

"Ich denke, dass ich lieber schlafen gehe", sagte sie und wandte sich zum Gehen.

John folgte ihr zurück in die Hütte und schalt sich selbst einen Idioten. Er hatte es vermasselt. Erneut eine Chance verspielt. Und er fragte sich, wie viele sie ihm wohl noch gewähren würde, bevor sie seiner Unsicherheit überdrüssig wurde und es aufgab zu warten.

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