World of X

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Anticipation

von XFilerN

Kapitel 1

6. November / 7:45 Uhr
FBI-Hauptquartier
Washington D.C.

Agent Dana Scully betrat das Gebäude der FBI-Zentrale und war sichtlich überrascht über den Andrang und den Geräuschpegel der dort, in der Eingangshalle, vorherrschte. Dutzende Agenten standen in kleinen Gruppen beieinander und redeten teils aufgeregt, teils nachdenklich wirkend miteinander. Was brachte all die Agenten dazu sich hier zu versammeln, anstatt in ihre jeweiligen Büros und an die Arbeit zu gehen, fragte sich Scully und schloss sich einer der Gruppen an.
„Ist irgendetwas passiert?“, wollte sie von Special Agent Duke wissen und schaute fragend zu dem dunkelhäutigen Mann auf, der gut zwei Köpfe größer war als sie selbst.
Er machte einen leicht betrübten Eindruck auf Scully, so dass sie ihn mittels einer Handbewegung erneut bat, sie über den ungewöhnlichen Umstand zu informieren. Agent Duke blickte zu einem der anderen Agenten und dann wieder zu Scully.
„Agent Kimberly Wang – sie hat sich gestern offensichtlich in ihrem Apartment das Leben genommen“, sagte er leise.
Scullys Augenbrauen schossen nach oben. „Selbstmord?“, Agent Duke nickte. „Ist das sicher?“
„Tja“, fiel Agent Hanson in die Unterhaltung ein, der bisher schweigsam geblieben war und nun ebenfalls zu Agent Scully hinunter schaute. „Laut dem was ich aus der zweiten Etage erfahren habe, von wem spielt ja keine Rolle, hat sich erst kürzlich ihr Verlobter von ihr getrennt. Sie waren wohl schon über sechs Jahre zusammen und dann... Ich denke, das hat sie mehr mitgenommen, als sie gegenüber ihren Kollegen oder ihrem Partner zugegeben hatte.“
„Das würde ich auch nicht an die große Glocke hängen“, kommentierte Scully. Duke und Hanson nickten. „Steht schon fest, wie sie sich das Leben genommen hat?“, fragte Scully weiter.
„Ja“, antwortete Agent Duke. „Sie hat sich – erschossen, durch den Mund.“
Scully legte eine Hand auf den Mund, zog die Brauen zusammen und nickte schwach. „Wird ermittelt?“
Agent Hanson schüttelte den Kopf. „Nein, weshalb auch. Es war Selbstmord, eindeutig. Was sollte eine Untersuchung ergeben?“
„Nun, man sollte nichts ausschließen, wie ich meine“, entgegnete Scully ernst. „Ich denke einfach, dass es nicht zu ihr passt.“
Gerade als Duke den Mund öffnete, um etwas zu erwidern betrat Assistant Director Skinner das Gebäude und schaute sich kurz in der Menge um, bevor er Scully entdeckte und zielstrebig auf sie zukam. „Was ist denn hier los? Haben Sie alle nichts zu tun?“, fragte er so laut, dass seine autoritäre Stimme in der gesamten Empfangshalle zu vernehmen war. „Agent Scully, das gilt auch für Sie.“
„Sir, wir...“, versuchte sie ihrem Vorgesetzten zu erklären, weshalb sie noch nicht an ihrem Arbeitsplatz war, doch er unterbrach sie, indem er den Kopf schief legte und sie fragend ansah.
„Sie sind keine Klatschreporter und das ist nicht die Zentrale der Washington Post, sondern das FBI-Gebäude. Würden Sie sich also bitte alle, sofort, auf Ihre Arbeitsplätze begeben.“ Aus seiner Reaktion war deutlich herauszuhören, dass er über den plötzlichen Tod von Agent Wang informiert war, er aber nicht darüber sprechen wollte. Mit ernster Miene drehte er sich einmal um die eigene Achse und schaute jeden der anwesenden Agenten, mit dem Blick eines Vorgesetzten an, der keine Widerrede dulden würde. Flüstern und Kopfschütteln war die Ernte seines autoritären Auftretens, doch nach und nach lichtete sich die Menge als jeder Agent sich in Richtung der Fahrstühle aufmachte.
„Sir, ich...“, versuchte Scully es erneut, doch diesmal wurde sie von der Stimme unterbrochen, die plötzlich von hinter ihr erklang.
„Guten Morgen.“
Sie wandte sich um und blickte in die klaren blauen Augen ihres Partners, Agent John Doggett. „Sir, gut das ich Sie hier treffe. Ich müsste Sie nachher kurz sprechen, wegen dem Bericht über den Kinley Fall“, sagte er an Skinner gewandt und schaute dann seine Partnerin an.
„Holly wird Ihnen sagen, wann ich Zeit dafür habe, Agent Doggett.“
„Gut, vielen Dank.“
Damit war das Gespräch für Skinner auch schon beendet und er begab sich ebenfalls, wie all die Agenten zuvor zu einem der Fahrstühle. Man hatte ihn schon früh an diesem Morgen über den Selbstmord von Wang informiert und ihm klar gemacht, dass er dafür zu sorgen hatte, dass dieser Zwischenfall kein Aufsehen unter seinen Agenten erregen würde. Die Presse würde noch früh genug davon erfahren, hatte man ihm gesagt. Die Direktion war besorgt darüber, dass einige Agenten, die die Verstorbene näher kannten zu sehr von der Arbeit abgelenkt würden und so hatte Skinner mal wieder den schwarzen Peter zugeschoben bekommen und nun als Buh-Mann da stand.
„Alles in Ordnung, Agent Scully? Skinner sah sehr ernst aus“, begann Agent Doggett als er sich zusammen mit Scully auf den Weg in den Keller machte.
„Kennen Sie Agent Wang?“, fragte sie und sah im Gehen zu ihrem Partner auf.
„Etwa 1,65 groß, langes dunkles Haar, circa 32 Jahre?“ Scully nickte. „Ja, warum fragen Sie?“
„Weil Special Agent Wang gestern Selbstmord begangen hat“, antwortete sie nachdenklich und stieg die Treppen hinab.
„Was soll ich jetzt sagen? Ich bin sprachlos.“ Wieder schaute Doggett zu ihr hinab, bevor er seinen Schlüsselbund hervor holte und das kleine Kellerbüro aufschloss. „Leider kommt so etwas immer wieder vor, Agent Scully.“
Sie sah ihren Partner überrascht an und schloss die Tür hinter sich. Während sie ihren Mantel auszog und an die Gardarobe hängte meinte sie: „Ihnen scheint es nicht sehr viel auszumachen, Agent Doggett.“
„Es stimmt mich schon etwas traurig... aber mal ehrlich, was erwarten Sie von mir?“, fragte Doggett und hängte seinen Mantel neben ihren.
„Ich kann nicht sagen weshalb, aber ich hatte vom ersten Moment an, als ich davon erfahren habe, ein ungutes Gefühl. Mein Instinkt sagt mir, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist und dass es kein Selbstmord war.“ Früher hatte Mulder oftmals seinen Intuitionen vertraut und war dadurch so manchem auf die Spur gekommen, was sonst ungeklärt geblieben wäre. Nun schien diese ‚Gabe’ auf Scully übergesprungen zu sein. Sie konnte es sich selbst nicht erklären, aber sie glaubte wirklich daran, dass dieser Selbstmord keiner war. Sie hatte Wang nur flüchtig gekannt und nur ein einziges Mal mit ihr zu Mittag gegessen, aber dennoch – etwas störte sie.
„Sie haben ein ungutes Gefühl?“, wiederholte Doggett ihre Worte und setzte sich an den Schreibtisch. Er schaltete den Computer ein und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Scully nickte und setzte sich auf die Schreibtischkante. „Können Sie mir auch sagen, was wir jetzt tun sollen? Selbst wenn es Mord gewesen wäre, würde das nicht in unseren Bereich fallen. Falls Sie es vergessen haben, Agent Scully, wir bearbeiten die X-Akten und sind keine Ermittler in Sachen Mord.“
Sie schaute Doggett ernst an und lehnte sich etwas nach hinten. Seit einer Woche tat ihr der Rücken immer heftiger weh, ganz gleich wie viel sie stand, saß oder lag. Inzwischen war es auch nicht mehr zu übersehen, dass sie den fünften Schwangerschaftsmonat erreicht hatte. Sie fasste sich an den Rücken und versuchte ihre Wirbelsäule etwas abzustützen. Sie seufzte tief. „Agent Doggett, diese Frau war gerade mal 32 Jahre alt. Erst kürzlich hatte sie zwar, nach dem was mir gesagt wurde, ihren Verlobten verloren...“
„Sie meinen er ist ebenfalls gestorben?“, unterbrach er sie und Scully schüttelte den Kopf.
„Nein, er hat sie wohl verlassen. – Das ist jedoch nicht der Punkt. Kimberly machte auf mich nie den Eindruck, als sei sie suizidgefährdet. Und...“
Abermals unterbrach er sie. „Und auf Grund Ihres Gefühls und dem bisschen was Sie über Agent Wang wissen, wollen Sie nun eine Ermittlung durchführen? Agent Scully, verstehen Sie mich nicht falsch – aber diese Untersuchung wäre ungerechtfertigt und wird ganz sicherlich nicht bewilligt werden. – Haben Sie Skinner darauf angesprochen?“
Scully schüttelte den Kopf und rieb sich die Stirn. „Nein, das habe ich nicht. Ich hatte es allerdings vor.“
„Davon rate ich Ihnen ab. Er scheint heute nicht gerade gut gelaunt zu sein und...“, er stockte als er sich Scullys fragendem Blick bewusst wurde. „Was?“
„Das sollte ich Sie fragen. Skinner hat, wie jeder andere Mensch, nun einmal hin und wieder schlechte Laune. Deswegen kann ich doch trotzdem meinen Job tun.“
„Ihr Job, Agent Scully, sind die X-Akten und keine Mord oder Selbstmord Fälle. Ich denke wir haben auch so genug zu tun“, argumentierte Agent Doggett dagegen und wies auf den Stapel Akten, die auf der linken Schreibtischseite lagen und darauf warteten abgearbeitet zu werden. „Solche Dinge geschehen nun mal, auch wenn man es manchmal nicht wahrhaben möchte. Ich denke, dass niemand hier innerhalb des Bureaus, alles über seine Kollegen wissen kann. Möglicherweise hatte sie mehr Gründe, als Sie oder sonst wer für möglich halten. Kann es nicht sein, dass sie mehr als Sie oder jemand anderes meint, an ihrem Partner gehangen hatte? Wenn man über längeren Zeitraum eine Beziehung hat, jemanden liebt und geliebt wird, kann eine Trennung tiefe Wunden reißen. Mag sein, dass sie sich einsamer gefühlt hat, als sie es nach außen hin zeigte.“ Er legte seiner Partnerin vorsichtig die Hand auf den Arm. „Bitte lassen Sie es dabei bewenden.“
„Okay, na schön. Vielleicht haben Sie ja Recht...“, gab sie sich kleinlaut geschlagen. Bestimmt hatte Doggett Recht. Sie wusste wirklich nicht allzu viel über diese Frau. Zum Teufel, sie kannte ja nicht einmal ihren eigenen Partner richtig. Alles was sie über ihn wusste waren die Dinge, die in seiner Personalakte standen und die sie in den Monaten ihrer Zusammenarbeit über ihn gelernt und in Erfahrung gebracht hatte. Sie könnte von ihm kein Profil erstellen. Woher sollte sie also wissen, was in Kimberly vorgegangen war, als sie den Abzug gedrückt hatte?


6. November / 22:14 Uhr
Washington D.C.

Jack Potters saß vor dem Fernseher und hielt ein Glas mit Weinbrand in der Hand, das er langsam schwenkte und dann zu seinen Lippen führte. Er sah sich die Nachrichten des Tages an, war in Gedanken aber ganz woanders. Früh an diesem Tag hatte er wieder mit dem FBI Psychologen über Dorothea gesprochen, über die Probleme mit ihr und darüber, dass er glaubte ohne sie in ein tiefes Loch aus Einsamkeit zu stürzen. Mit Hilfe des Alkohols versuchter er sie aus seinen Gedanken zu verbannen, doch die erwünschte Wirkung blieb noch aus. Er hatte Dr. Liakou erzählt, dass er seit der Scheidung mehr als früher trank und fürchtete, dass dies zur Gewohnheit werden und seine Arbeit beeinflussen würde, doch Dr. Liakou hatte versucht ihn zu beruhigen, hatte gesagt, dass der Kummer vorbeigehen würde, sein Ende finden würde und es gar nicht erst zur Abhängigkeit führen würde.
Jack hoffte, dass der Psychologe Recht behalten würde, denn alles was er jetzt noch hatte, war die Liebe zu seiner Arbeit.

Es war kurz nach Mitternacht, als Jack plötzlich erwachte und sich schlafend auf der Couch wieder fand. Der Fernseher lief noch immer. Irgendetwas hatte ihn geweckt, ein Geräusch. Er richtete sich auf und schaltete den Fernseher aus, dann lauschte er in die Stille, die in seinem Apartment vorherrschte.
Einige Sekunden verstrichen, doch das Geräusch kam nicht wieder. Müde schüttelte er den Kopf, stand auf und ging in Richtung des Schlafzimmers.
Wie gewöhnlich ließ er die Türe offen, als er im Dunkeln zu seinem Bett hinüber ging und sich seiner Kleidung entledigte. Ein fremder Geruch erweckte plötzlich seine Aufmerksamkeit, der Geruch eines Aftershaves oder Parfüms, und Jack wandte sich um. Er erschrak, als er die Silhouette einer Person entdeckte und wollte das Licht auf dem Nachtkästchen einschalten, doch so weit kam er nicht. Sekundenbruchteile später spürte er einen Stich in seinem Rücken, knapp unterhalb der Wirbelsäule und schlug instinktiv um sich. Dabei erwischte er seinen Angreifer, der mit einem Ächzen zu Boden ging, sich aber gleich wieder aufrappelte.
Den Angreifer abgewehrt versuchte Jack erneut die Nachttischlampe anzuschalten, und spürte kurz vor erreichen derselbigen einen harten Schlag auf seinen Hinterschädel. Dunkelheit hüllte ihn augenblicklich ein, als er mit einem Stöhnen zu Boden ging.


7. November / 8:30 Uhr
FBI-Hauptquartier
Washington D.C.

Zusammen mit Agent Doggett saß Scully vor Assistant Director Skinner und wartete darauf, dass er das Telefongespräch beenden würde, das er seit gut zwei Minuten führte. Immer wieder tauschten sie und ihr Partner Blicke, verhielten sich aber ruhig und musterten die Wände des Büros.
„Verstehe“, sprach Skinner ernst und nickte, auch wenn es die Person auf der anderen Seite der Leitung nicht sehen konnte. „Ja, gut. Danke.“ Er legte den Hörer auf und schaute die beiden Agenten vor sich ernst und mit tiefen Falten auf der Stirn an.
„Es gab wieder einen Todesfall“, erklärte er leise, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen.
Bei diesen Worten schnellte Scullys Kopf in Agent Doggetts Richtung und wieder zurück zu ihrem Vorgesetzten. „Ein Agent?“, fragte sie. Skinner nickte und griff nach der Tasse dampfenden Kaffees, die er an seine Lippen führte. „Sir?“, Scully blickte erneut zu ihrem Partner, der inzwischen eher an ihr Gefühl zu glauben schien, da er sie entschuldigend ansah und dann wieder zu Skinner. Dieser stellte die Tasse wieder zurück und schenkte seiner Agentin Aufmerksamkeit. „Gehe ich recht in der Annahme, dass es ein weiterer Selbstmord war?“
Er nickte nachdenklich. „Ja – zumindest sollte es wie bei Agent Wang, nach einem aussehen. Inzwischen wird angenommen, dass es sich um Mord handelt.“
„Wer ist das Opfer“, erkundigte Agent Doggett sich und meldete sich somit erstmals zu Wort.
„Agent Jack Potters.“
„Wie wurde er ermordet?”, fragte Scully interessiert.
„Man hat es wie Selbstmord durch Strangulierung aussehen lassen“, antwortete Skinner und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Sir, ich wollte es Ihnen schon gestern sagen, aber man hatte mir davon abgeraten...“ Scully warf ihrem Partner einen vernichtenden Blick zu und dieser verzog das Gesicht darauf hin zu einer Grimasse. „Ich hielt es gestern schon für angebracht eine Morduntersuchung einzuleiten.“
„Weshalb?“, erkundigte sich Skinner sofort. Wusste Agent Scully etwa mehr als er selbst?
„Nun, Sir, aus einem Gefühl heraus hielt ich es für ausgeschlossen, dass sich Agent Wang das Leben genommen hat. Und jetzt wurde mein Verdacht bestätigt.“ Skinner nickte während Doggett auf seine Hände schaute, die gefaltet in seinem Schoß lagen.
„Hat schon jemand die Ermittlungen übernommen?“, wollte sie wissen und lehnte sich ihrem Vorgesetzten ein Stück entgegen.
„Die Abteilung für Gewaltverbrechen, warum?“
Doggett rieb sich das Gesicht. Er ahnte bereits, worauf Scully mit diesen Fragen hinaus wollte.
„Sir, lassen Sie uns den Fall übernehmen. Ich würde gerne selbst die Autopsie an Agent Potters und auch an Agent Wang vornehmen.“ Director Skinner zögerte und schaute abwechselt die Agenten vor sich an, bevor er nickte. „Danke, Sir“, lächelte Scully zufrieden.
„Schon gut, Sie beide haben im Augenblick ohnehin keinen Fall. Und auf diesem Weg erfahren wir schneller, woran die Beiden tatsächlich gestorben sind. Erstellen Sie mir ein Täterprofil und geben Sie mir umgehend bescheid, sobald Sie die ersten Untersuchungsergebnisse vorliegen haben.“ Skinners Stimme hatte wieder diesen autoritären Ton angenommen und beide Agenten nickten während sie sich aus ihren Sitzen erhoben.
Während die Beiden auf die Tür zugingen schaute Scully ihren Partner mit ihrem ‚ich hab’s doch gleich gesagt’ Grinsen an, woraufhin er die Augen verdrehte und schwach nickte. Ja, sie hatte Recht behalten, aber das hatte er ja unmöglich vorher wissen können. Scully schien ihren Job wirklich in jeder Hinsicht zu erfüllen.


7. November / 9:43 Uhr
Haus von Agent Jack Potters
Washington D.C.

Agent Doggett untersuchte gerade das Schlafzimmer des Verstobenen auf Fingerabdrücke, als ein Mitglied des Spurensicherungsteam zu ihm kam. Er hielt ihm ein Handy entgegen. „Agent Doggett, Dana Scully verlangt nach Ihnen. Das ist doch Ihr Handy, oder?“
Doggett lächelte und nahm das Telefon mit einem schlichten Nicken an. Er hatte es wohl in einem der unteren Zimmer liegen lassen.
„Doggett hier“, meldete er sich.
„Ich bin’s. Haben Sie schon etwas gefunden?“, fragte Scully ohne Umschweife.
„Noch nichts Handfestes. In der ganzen Wohnung sind Fingerabdrücke verteilt, die ich erst noch untersuchen lassen muss. Ansonsten deutet nichts auf einen Einbruch hin. Möglicherweise hat der Täter das Opfer gekannt. – Ich lasse später alle Indizien in beiden Fällen vergleichen, das wird es uns erleichtern, ein Bild vom Täter zu bekommen. ...Was ist mit Ihnen? Hat die erste Autopsie schon etwas ergeben?“ Doggett ging in die Hocke und fuhr mit einem Pinsel über eine Stelle, an der er einen Fingerabdruck vermutete. Tatsächlich hob sich aus dem schwarzen Pulver ein Abdruck hervor.
„Ich bin noch nicht ganz fertig mit der Untersuchung an Kimberly. Es sieht im Augenblick noch nicht nach Mord aus. Allerdings muss ich noch auf das Ergebnis der Blutuntersuchung warten. An ihrer Hand konnte ich Schmauchspuren finden. Also entweder hat der Täter sie ruhig gestellt und ihr die Waffe in die Hand gedrückt, damit es wie Selbstmord aussieht oder sie hat es wirklich selbst getan.“
„Wir tappen also noch im Dunkeln...“, sagte Doggett und musterte den Fußboden unterhalb des Fensters vor dem er kniete genauer.
„Moment, Agent Scully.“ Von dem beigefarbenen Teppichboden hob sich ein etwas dunkleres Braun ab. Und als Doggett etwas davon aufhob, es sich ansah und daran roch zeigten sich deutliche Anzeichen von Zufriedenheit auf seinem Gesicht.
„Agent Doggett, sind Sie noch dran?“, erkundigte sich Scully als sie ungeduldig wurde. Es war ja nicht so, dass sie selbst nichts zu tun hatte.
„Ich bin noch da“, erwiderte er und verstaute etwas von dem Fund in einem kleinen Plastiktütchen. „Wie es aussieht habe ich etwas Erde unterhalb eines Fensters im ersten Stockwerk gefunden.“
„Endlich, das ist doch mal was“, sagte Scully und seufzte hörbar vor Erleichterung.
„Ich werde mich jetzt mal draußen, vor dem besagten Fenster umschauen. Mit etwas Glück kann ich Schuhabdrücke finden.“
„Melden Sie sich dann bitte, wenn Sie mehr wissen.“
„Mache ich. Bis dann“, antwortete er, beendete das Gespräch und schob sowohl das Handy als auch die Tüte, mit dem Indiz ein.

John Doggett durchquerte den vorderen Abschnitt des Grundstücks und bog schließlich um die Hausecke. Hinter dem Haus sah der Rasen des Grundstücks nicht sonderlich gepflegt aus. Überall lag Laub, das unter seinen Schritten raschelte, die Blumenbete sahen verwildert aus und die Hecke, die das Grundstück säumte sah aus, als wäre sie seit Monaten nicht mehr geschnitten worden. Er schaute sich genau um, bevor er etwa in der Mitte der hinteren Hauswand stehen blieb und nach oben zum Schlafzimmerfenster blickte. Er schätzte die Höhe auf gut dreieinhalb Meter vom Boden bis hinauf und es gab kaum eine Möglichkeit dort hinauf zu klettern. Die Regenrinne war über zwei Meter von dem Fenster entfernt und auch sonst bot das Haus nichts, woran der Mörder hochklettern und in das Schlafzimmer einsteigen hätte können. Der Boden unter ihm jedoch war schlammig vom letzten Regen. Hätte der Mörder eine Leiter oder etwas Vergleichbares benutzt, war dies nun kaum noch festzustellen. Der Regen würde seine Spuren verwischt haben. Doggett atmete tief durch und ging in die Hocke, um den Boden dennoch zu untersuchen. Aus seiner Manteltasche holte er einen Bleistift und schob damit die Blätter beiseite. Nichts. Er seufzte innerlich. Selbst wenn es hier einen Fußabdruck gegeben hatte, so war dieser verschwunden.
Langsam erhob sich der Agent wieder und machte sich wieder auf den Weg in den Vorgarten. Überall standen oder wuselten Männer und Frauen auf der Suche nach Spuren herum und keiner schien zufrieden oder zuversichtlich. Noch war Doggett nicht bereit die Hoffnung aufzugeben. Insbesondere nicht, da er immer noch den Fingerabdruck hatte. Möglicherweise würde ihn dieser in der Ermittlung voran bringen.
Schnell wies er noch jemanden an, den hinteren Teil des Grundstücks gründlich auf Spuren zu untersuchen. Eventuell hatte er auch nicht gründlich genug nachgesehen. Er durfte keinen Fehler machen, schließlich ging es in beiden Fällen um den Tod von FBI-Agenten.
Nachdem sich ein Teil des Spurensicherungsteam an die Arbeit machte, setzte Agent Doggett sich in seinen Wagen, um zum Haus des ersten Opfers zu fahren.


Zur selben Zeit
Gerichtsmedizinisches Institut
Washington D.C.

Scully hatte gerade Kimberlys Leichnam im Kühlfach verstaut, als jemand den Autopsiesaal betrat. Es war eine junge blonde Frau, die einen weißen Kittel trug und Scully einen braunen Umschlag übergab.
„Agent Scully, die Untersuchungsergebnisse von Kimberly Wang sind da.“
„Oh, gut. Vielen Dank“, sagte sie und nahm den Umschlag entgegen. Schnell öffnete sie ihn und nahm den Inhalt heraus. Routiniert ging sie die einzelnen Ergebnisse durch und begann mit einem Mal nachdenklich zu nicken. Sie sah von den Unterlagen zu der Frau auf, die noch immer vor ihr stand.
„Ich möchte nicht neugierig erscheinen, aber...“, begann die junge Frau im weißen Kittel.
„Sieht so aus, als hätten wir einen Beweis“, sagte Scully. „Das Opfer wurde ruhig gestellt, damit sie sich nicht wehren würde. Es war also eine Selbstmord Inszenierung.“
„Denken Sie, dass auch der andere Agent ermordet wurde?“
„Ja, jetzt habe ich wirklich keinen Zweifel mehr. Allerdings brauche ich noch mehr Beweise, das hier reicht nie und nimmer aus, um den Täter zu identifizieren.“ Scully deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung der Unterlagen.
„Viel Glück, Agent Scully“, sagte die junge Frau noch und verließ den Raum dann wieder.
„Ja, das kann ich brauchen...“, raunte Scully und sah sich nochmals die Ergebnisse an. „Das brauche ich wirklich.“

Zwei Stunden Später, Scully war gerade dabei Jack Potters zu obduzieren, bekam sie erneut Besuch. Es war Agent Doggett der sich ihr langsam näherte.
„Hey...“, grüßte er sie leise.
„Sie brauchen nicht zu flüstern, Agent Doggett. Der wacht nicht mehr auf“, entgegnete sie mit einem Nicken in Richtung der Leiche. Sie legte das Skalpell beiseite und zog die Latexhandschuhe aus. „Und, sind Sie fündig geworden?“
„Ich bin mir noch nicht sicher. Wir lassen im Augenblick die Fingerabdrücke vergleichen und jagen sie durch die Datenbank. – Haben Sie etwas herausgefunden?“, fragte Doggett entgegen und musterte den Leichnam vor sich. 
„Ja, das habe ich. Kimberleys Blutuntersuchung zeigt, dass sie eine Art Schlafmittel zu sich genommen haben muss. Ich fand Spuren von Droperidol und Fentanyldihydrogencitrat. Diese Wirkstoffe sind häufig in Anästhetika zu finden, in sehr geringen Dosen aber auch in Schlaftabletten. Sie wurde offensichtlich ruhig gestellt, damit sie sich nicht wehren konnte. Ihrem Mörder gelang es so ganz einfach den Selbstmord zu inszenieren.“ Agent Scully sah Doggett ernst an. „Und sehen Sie mal hier.“ Sie zog sich erneut Handschuhe an und reichte auch ihrem Partner ein Paar, drehte dann Jack Potters Kopf so, dass man die hintere Schädelpartie sehen konnte. „Hier hinten, knapp oberhalb des Kugelgelenks ist eine deutliche Beule zu spüren. Durch den dichten Haarwuchs hätte ich sie beinahe übersehen... Die Röntgenbilder bestätigen meine Vermutung.“ Sie zeigte auf die Leuchttafel, keine drei Meter links von ihnen, auf der einige Aufnahmen hingen. Bilder des Schädels, die an besagter Stelle eine deutliche Fraktur wiedergaben.
„Er hat also einen Schlag bekommen“, sagte Doggett und nahm die Hand wieder vom Kopf der Leiche fort. Er bewunderte Scully, dass es ihr nichts ausmachte an Toten herum zu schneiden und ihr eiskaltes steifes Fleisch zu berühren. Ihm jagte es einen Schauer über den Rücken, wann immer er eine Leiche anfasste.
„Exakt, das ist es. Hatte der Täter noch ein leichtes Spiel mit Wang, da sie als Frau wohl schwächer als ihr Mörder war, so bekam unser Verdächtiger bei Agent Potters wohl etwas mehr Schwierigkeiten, als er erwartet hatte und war gezwungen zu improvisieren.“
„Sie gehen also schon davon aus, dass unser Verdächtiger ein Mann ist?“, erkundigte sich Agent Doggett.
Scully nickte. „Ja. Ich weiß noch nicht welcher Gegenstand es war, mit dem Agent Potters außer Gefecht gesetzt wurde, aber der Winkel zeigt deutlich, dass die Person so groß wie er selbst gewesen sein musste und der Schlag war zu stark, als dass es eine Frau hätte sein können. – Wir können also davon ausgehen, dass wir einen weißen Mann, Anfang bis Mitte vierzig suchen, der ungefähr einen Meter achtzig bis fünfundachtzig groß und kräftig ist. Das Gewicht schätze ich auf runde achtzig bis neunzig Kilo.“ Doggett nickte sichtlich beeindruckt. Während er noch keinen einzigen handfesten Beweis hatte, konnte Scully doch schon deutliche Fortschritte vorweisen.
„Die Frage ist jetzt noch, weshalb Agenten? Aus anderen Staaten ist kein vergleichbarer Fall bekannt, so dass wir davon ausgehen können, dass der Mörder es auf Agenten aus Washington abgesehen hat. Beide Opfer waren Single, aber...“
„Was? Ich dachte Potters war verheiratet“, fiel Scully ihrem Partner ins Wort.
„Nein, er war seit fünf Monaten geschieden“, antwortete Doggett. „Das ist allerdings so ziemlich das einzige, was sie, mal abgesehen von dem Beruf, gemeinsam hatten. Ein Muster ist also noch nicht klar zu erkennen.“ Scully nickte und musterte Agent Doggett nachdenklich.
Nach einer Weile, in der sie Augenkontakt gehalten hatten, meinte sie dann plötzlich: „Wollte er die Scheidung, oder seine Frau?“
„Ich weiß nicht. Das hab ich nicht gefragt. – Halten Sie das für relevant?“
Scully kaute auf ihrer Unterlippe. „Vielleicht“, meinte sie dann. „Könnte Sie versuchen das heraus zu finden. Ich bin hier in einer Stunde fertig und müsste dann auch Potters Laborergebnisse vorliegen haben.“
„Ich werde mein Bestes tun, Agent Scully.“ Doggett zog die Latexhandschuhe wieder aus und warf sie in den Müll. „Wir sehen uns dann im Büro.“
„Gut, bis später.“ Sie sah Agent Doggett noch nach, bis sich die Tür wieder hinter ihm schloss, nahm dann wieder das Skalpell und machte sich daran, die Autopsie abzuschließen.
Immer wieder jedoch musste sie kleine Pausen einlegen, wenn der Schmerz in ihrem Rücken zu groß wurde. Eine Autopsie war auch so immer recht anstrengend und zwei an einem Tag waren das Maximum für sie, auch ohne dass sie schwanger war. Doch jetzt machte ihr die Arbeit mit jeder Woche mehr zu schaffen.
Bei ihrem letzten Fall hatte sie versucht einem Verdächtigen zu folgen, aber selbst rennen konnte sie jetzt kaum noch. Ein heftiger Schmerz war ihr in den Unterleib gefahren und hatte sie in die Knie gezwungen. Sie war froh gewesen, dass Doggett in diesem Augenblick bei ihr gewesen war und die Verfolgung dann allein beendet hatte – erfolgreich. Er war sofort zu ihr zurückgekehrt und hatte dafür gesorgt, dass sie sich schonte, damit dem Baby nichts geschah.
Inzwischen hatte sie ihn als ihren Partner akzeptiert, auch wenn er vollkommen anders als Mulder war. Selbst Scherze erlaubten sie sich oder kleine Anspielungen, die nur sie beide verstanden und für Außenstehende selten nachvollziehbar waren. Sie war glücklich ihn als Partner an ihrer Seite zu haben.


Gegen 12:05 Uhr
FBI-Hauptqartier
Washington D.C.

„Kommen Sie inzwischen besser zurecht?“, fragte ihr Gegenüber sanft. Auf seinem Schoß lag ein kleiner Block und in der Hand hielt er einen Kugelschreiber. Immer wieder machte er sich Notizen oder musterte seine Patientin aufmerksam. Seitdem sie ihren ehemaligen Partner verloren hatte, kam Agent Scully ihn regelmäßig einmal in der Woche besuchen.
„Ja“, nickte sie. „Wir haben unsere Differenzen beigelegt und kommen seit meinem letzten Besuch hier wesentlich besser zurecht.“
„Sie haben ihm also gesagt, dass Sie noch nicht über Agent Mulders Verlust hinweg sind, Sie aber bereit sind ihn als Partner zu akzeptieren?“, hakte er nach und musterte Scully eingehend.
„Nicht direkt, nein. Ich habe ihm allerdings gesagt, dass ich keinen Beschützer brauche und sehr gut ohne seine Hilfe zu Recht komme. Wie auch Agent Mulder, hatte Doggett plötzlich versucht mir mehr als nötig bei der Arbeit zur Hand zu gehen. Auch hatte er, das sagte ich ja beim letzten Mal bereits, mich ständig gefragt wie es mir ginge. Ich erklärte ihm, dass ich schwanger und nicht krank bin, es mir den Umständen entsprechend gut ginge und er mich nicht wie ein rohes Ei behandeln solle.“
„Und wie hat er darauf reagiert?“, fragte er weiter, während er sich wieder Notizen machte.
Agent Scully dachte einen Augenblick nach, bevor sie antwortete. „Er hat genickt und mir zu verstehen gegeben, dass er nicht vorhatte mir das Gefühl zu geben schwächer zu sein oder unfähig meiner Arbeit nachzugehen. Er hat sich entschuldigt und damit war ich dann zufrieden“, antwortete sie.
Ihr Gegenüber nickte. „Gut. – Kommen wir wieder zurück zu Agent Mulder. Haben Sie immer noch diese Träume?“
„Nicht mehr jede Nacht“, sagte sie, „aber ja, ich träume immer noch von ihm“.
„Dana, Sie müssen aufhören sich die Schuld zu geben. Sie konnten nichts mehr für ihn tun, konnten nicht verhindern, dass dies geschah. Sie müssen lernen damit klarzukommen und weiterzumachen.“ Er sah ihr tief in die Augen und lehnte sich ihr ein Stück weit entgegen.
Abermals nickte sie. „Das ist leider leichter gesagt als getan. Ich frage mich nun einmal immer wieder, ob ich ihn nicht hätte retten können, wäre ich schneller gewesen – wäre ich nicht durch meine Schwangerschaft daran gehindert worden schneller zu laufen, um rechtzeitig Hilfe zu holen.“
Zu Anfang der Sitzungen war es ihr nicht leicht gefallen über diese Dinge zu reden, doch etwas lag in der Natur ihres Psychologen, das ihr das nötige Vertrauen gab sich zu öffnen. Nicht zuletzt hatte sie bemerkt, dass es schlichtweg befreiend sein konnte und ihr die Arbeit mit Agent Doggett seitdem leichter fiel.


Gegen 13:00 Uhr
FBI-Hauptqartier
Washington D.C.

Ohne zu klopfen betrat Scully das Büro und fand Agent Doggett vertieft in einigen Unterlagen lesend vor. Sie lächelte, ging zu ihm hinüber und stellte eine Plastiktüte auf das was er gerade las. Augenblicklich schnellte sein Kopf nach oben. Sie nahm an, dass er so konzentriert gearbeitet hatte, dass er sie nicht einmal hereinkommen gehört hatte. Nach dem Treffen mit Dr. Liakou war sie schnell noch zum Chinesen um die Ecke gegangen, damit es ihrem Partner auch nicht auffallen würde, dass sie bereits seit über einer Stunde fertig mit der letzten Autopsie gewesen war.
„Ich hoffe Sie haben Hunger, Agent Doggett. Ich bin auf der Fahrt hierher noch zum Chinesen und habe uns ein Mittagessen besorgt“, schwindelte sie kurzerhand und nahm die fünf verschiedenen Päckchen aus der Tüte, warf diese in den Müll und reichte ihrem Partner ein Paar Stäbchen.
„Und was für einen Hunger ich habe. Vielen Dank“, antwortete er mit einem Lächeln und nahm die Stäbchen entgegen. „Es wird auch Zeit, dass ich eine Pause mache, bevor ich mein Genick nicht mehr spüren kann.“ Er nahm sich eines der Päckchen, öffnete es und nahm den würzigen Duft in sich auf. „Hm, das riecht lecker. Nächstes Mal zahle ich das Essen, okay?“
„Klar, kein Problem“, antwortete Scully und schob sich eine Portion Reis und Gemüse in den Mund. „Was haben Sie eben gemacht?“, fragte sie kauend.
„Ich habe versucht das Täterprofil zu erstellen“, erklärte Doggett nachdem er seinen Mund geleert hatte. „Ich hänge jedoch fest.“
Scully schluckte hastig die nächste Portion hinunter. „Woran genau hängt es denn? Vielleicht kann ich Ihnen helfen.“
„Das hoffe ich. – Ich erkenne sein Motiv nicht.“
„Hm...“, raunte Scully und dachte einen Augenblick nach. „Beide Opfer waren Single, so um die Anfang bis Mitte dreißig und hier in Washington wohnhaft. Beide arbeiteten für das FBI.“ Wieder führte Scully hungrig die Stäbchen an ihren Mund und kaute hastig, bevor sie weitersprach. „Möglicherweise suchen wir jemanden, der mal beim FBI tätig war. Es könnte aber auch sein, dass es jemand ist, der Singles aus irgendeinem Grund nicht mag.“
„Sie haben noch etwas gemeinsam. Beide haben ihre langjährigen Partner verloren. Sie war verlobt, er sogar verheiratet gewesen. Vielleicht ist das eine Sache, die wir nicht ignorieren sollten“, meinte er und schluckte das Essen hinunter.
Scully nickte. „Ja, das ist richtig. Wer fällt Ihnen spontan ein, der im selben Alter ist, beim FBI, verlassen wurde und Single ist?“
Doggett dachte einen Augenblick nach, dann meinte er. „Hopsen, Jefferson, Manson...“
„Duke, Goldstein, Benton“, fuhr sie an seiner Stelle fort.
„... Dana?“, sagte Doggett nach einer Weile des Nachdenkens.
„Hm, ja?“, antwortete sie mit vollem Mund und vergrub die Stäbchen auch schon wieder im Reis.
Sollte er ihr das jetzt wirklich sagen? Es könnte ihr den Appetit zunichte machen oder sie furchtbar erschrecken. Er hatte keine Wahl, er musste es tun. „Dana, Sie...“
„Was ich?“, fragte sie. Ihr war nicht ganz klar, was er meinte. Es verwirrte sie einwenig, dass er sie mit dem Vornamen ansprach... Hatte sie vielleicht etwas am Kinn kleben? Instinktiv leckte sie sich die Lippen und fuhr sich mit den Fingern über den Mund. Da war jedoch nichts.
„Sie sind Single, in genau diesem Alter, beim FBI und... – Mulder ist erst kürzlich... gestorben.“
Zunächst schluckte Scully schwer, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Ja, schon, aber Mulder war mein Partner beim FBI, mein bester Freund und nicht etwa... Nein, also ich glaube nicht, dass ich zu den Gefährdeten gehöre, außerdem ist er... wir haben uns nicht getrennt.“
„Agent Scully, bitte. Wir müssen auf Nummer sicher gehen und ausschließen können wir Sie nicht von der Liste. Für so manchen Agenten oder auch Außenstehenden kann Ihre Beziehung zu Mulder nach mehr ausgesehen haben, als sie vielleicht war.“
„Soll ich mich jetzt zitternd in meiner Wohnung verkriechen? Was erwarten Sie jetzt von mir?“ Scully schaute Agent Doggett ernst an, versuchte die Angst zu überspielen, die mit seinen Worten in ihr empor gefackelt war. Darin war sie wirklich gut, selbst Mulder hatte es nicht immer gesehen. Sie hoffte, dass auch Doggett es nicht bemerken würde.
Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich erwarte nicht, dass Sie sich verkriechen... aber ich möchte, dass Sie vorsichtig sind. Hat außer Ihnen noch jemand den Schlüssel zu Ihrem Apartment?“
Da war er wieder – dieser Beschützerinstinkt, den offensichtlich alle Männer in ihrer Gegenwart glaubten zum Ausdruck bringen zu müssen. Sie wollte jedoch nicht schon wieder darüber diskutieren und meinte: „Meine Mutter und Mulder hatte einen, warum?“
„Sonst niemand?“ Scully schüttelte den Kopf und Doggett nickte. „Okay. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich nach Feierabend mit zu Ihnen komme, mir die Wohnung anschaue und gehe, sobald ich sie als sicher einstufe?“
„Sie sind nicht Kevin Costner und ich bin nicht Whitney Houston. Ich kann auf mich selbst aufpassen, Agent Doggett.“ Sie sah ihn vollkommen ruhig an, während ihm die Sorge um sie praktisch ins Gesicht geschrieben stand. Eigentlich hatte sie es nicht geplant ihn so anzufahren, aber er schien es wirklich nicht verstehen zu wollen, dass sie keinen weiteren Beschützer brauchte. Mulder hatte sieben Jahre lang diesen Job übernommen, ohne dass sie es wollte und Doggett sollte nicht auch noch so sein. Musste es ausgerechnet der Beschützerinstinkt sein, den die Beiden als einziges gemeinsam hatten? Sie seufzte.
„Wenn schon nicht für sich selbst, Agent Scully, dann lassen Sie mich trotzdem nachsehen – für Ihr Baby.“
Sie atmete tief ein und wieder aus, wunderbar, was sollte sie diesem Argument entgegensetzen? „Fein, wenn Sie es für nötig halten. Ich bin dennoch der Ansicht, dass ich nicht in Gefahr bin.“
„Danke“, nickte Agent Doggett zufrieden und aß wieder weiter. Scully tat es ihm gleich, denn auch ihr Magen war noch lange nicht voll. Sie schwiegen die restliche Zeit während sie aßen und schauten sich nur gelegentlich mal an.

***

Um 13:30 Uhr fanden sich Doggett, Scully und einige andere Agenten im Büro des Assistant Direktor Skinner ein, um die bisherigen Indizien zu vergleichen und das Täterprofil durchzugehen. Dieser Fall hatte inzwischen Toppriorität erlangt, denn keiner wollte das Risiko eingehen, dass noch ein Agent starb, während die Ermittlungen mehr schlecht als recht vorangingen.
Nach drei Stunden endlosen Diskutierens, glaubte Scully ihren Rücken nicht mehr zu spüren. Und nicht nur das, auch tat ihr, wie vermutlich den Anderen auch, der Hintern vom langen Sitzen weh. Sie atmete erleichtert aus, als Director Skinner allmählich zum Schluss kam.
Doggett warf Scully einen aufmunternden Blick zu. Ihm war nicht entgangen, wie arbeitsreich dieser Tag gewesen war und dass ihr inzwischen alle Glieder zu schmerzen schienen.
„Zum Schluss habe ich noch eine Bitte an Sie alle“, erklärte Skinner sachlich. „Ich möchte nicht, dass auch nur irgendeiner der betroffenen Agenten die heutige Nacht allein zu Hause verbringt. Wir müssen jedes Risiko ausschließen. Teilen Sie allen mit, dass sie zu ihren Familien, Freunden oder zu wem auch immer gehen sollen. Wichtig ist, dass niemand allein ist, bis wir den Killer gefasst und hinter Gitter gebracht haben.“
Scully seufzte und ließ die Schultern fallen. Wo sollte sie denn jetzt hingehen? Ihre Mutter war die Woche über bei ihrem Bruder Charles und zu den Lone Gunmen würden sie keine zehn Pferde bekommen. Gerade als sie den Mund aufmachen wollte, um Skinner etwas zu sagen, schaute dieser sie mit diesem Blick an, welcher sie immer an ihren Vater erinnerte, wenn er besonders streng zu ihr wurde. „Agent Scully, fahren Sie bitte zu Ihrer Mutter.“
„Sir, die ist nicht zu Hause. Die ganze Woche nicht.“
„Haben Sie sonst jemanden, der Sie für eine Nacht aufnehmen würde?“, erkundigte sich Skinner.
Sie schüttelte den Kopf und plötzlich vernahm sie ein deutliches Räuspern hinter sich. Sie schloss die Augen und versuchte Ruhe zu bewahren.
„Sie können gerne bei mir übernachten. Meine Couch ist sehr bequem, dann können Sie das Schlafzimmer haben“, fiel Doggett in das Gespräch mit ein.
„Gut, damit wäre das geklärt“, sagte Skinner zufrieden und entließ sämtliche Agenten.
Als Agent Scully neben Doggett auf den Korridor trat und Richtung Fahrstuhl ging, warf sie ihm einen dieser eiskalten Blicke zu. „Was sollte das? Wir hatten uns doch geeinigt, dass Sie sich nur meine Wohnung anschauen. – Ich kann unmöglich bei Ihnen übernachten, das ist...“
„Scully, bei allem Respekt, wir sind beide erwachsen. Was soll dieser Aufstand? Wollen Sie, dass der Killer vielleicht ausgerechnet heute Nacht Sie erwischt und Ihr Kind niemals das Licht der Welt erblickt? Hören Sie also bitte damit auf, okay.“
„Mein Gott, an das hab’ ich nun wirklich nicht gedacht, Agent Doggett. Es ist nur so, dass es nicht erlaubt ist, dass sich zwei Partner mit verschiedenem Geschlecht ein Hotelzimmer teilen und plötzlich scheint es okay, wenn wir eine Wohnung teilen?“
„Das ist ein Ausnahmezustand, nicht mehr und nicht weniger.“ Doggett rieb sich mit der linken Hand übers Gesicht. „Wenn alles gut geht, Agent Scully, ist es nur für eine Nacht.“
Sie nickte und rollte mit den Augen. „Ist gut, okay. Ich habe es ja verstanden. – Seien Sie aber gewarnt, ich schnarche manchmal.“
„Ich auch... und ich bin sicherlich lauter als Sie“, ließ er sich von ihrem Scherz anstecken und beide lächelten wieder.

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