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Lost Investigations - Esurio

von meiko

The X-Files: Lost Investigantions 5.6 - Esurio

The X-Files: Lost Investigantions 5.6 - Esurio

by meiko



< Ein zufälliger Besucher der Erde des ausklingenden 20. Jahrhunderts wäre im Jahre 1985 möglicherweise zu der Erkenntnis gekommen, dass er in diesem Jahr den Gipfel menschlicher Untaten erlebt hätte. Das Wettrüsten der Nationen, das drohende Gespenst der atomaren Vernichtung – all dies hätte ihn glauben lassen können, der Mensch hätte bereits den Bodensatz der Dekadenz erreicht. >

Und doch hätte dieser Besucher geirrt, dachte Dana Scully und hielt über ihrem Tagebuch inne. Denn noch hätte jener fremde Gast keine Ahnung gehabt, was sich eines Tages als Spätfolge menschlicher Ignoranz und Kurzsichtigkeit in den Ebenen Usbekistans entwickeln würde...



[Opening Credits]
Spoiler: Staffel 9


Annapolis Opera, Maryland
8:55 pm
2 Tage zuvor...

Monica Reyes blickte verstohlen auf ihre Fingernägel und widerstand mühsam dem Drang, auf die Armbanduhr zu sehen. Eine zu offensichtliche Geste, doch sie hatte nicht vor, die anderen, hingerissen lauschenden Gäste zu konsternieren.
Andererseits langweilte sie sich gerade zu Tode. Sie liebte klassische Musik, insbesondere die Vertreter der Romantik, aber heute hatte sie feststellen müssen, dass ihr die italienische Oper einfach einen Tick zu... (sie kramte im Geiste nach dem passenden Adjektiv) ...zu stark war. Und ganz sicher eine viel zu große Portion, so als hätte man ihr Hauptgericht und Nachspeise auf einen Schlag serviert.
Entspann dich, flüsterte eine Stimme in ihr. Heute hatte sie frei - und eigentlich war ihr gerade jedes Mittel recht, um nicht wieder an die merkwürdigen, oft unheimlichen Fälle erinnert zu werden, die sie mit ihrem neuen Partner John Doggett bearbeitete.
Der erste Akt neigte sich seinem wohlverdienten Ende zu und Monica fragte sich, was Verdi wohl dazu gesagt hätte, dass sich Jahrhunderte später ein irakischer Diktator zur Reinkarnation von Nebukadnezar II erklären würde - jenem Nabucco, dem sie nun angestrengt lauschte.
Plötzlich entstand Unruhe in den hinteren Rängen. Vereinzelte Schreie wurden laut, begleitet vom anschwellenden Gemurmel der Gäste. Die Akteure auf der Bühne und im Orchestergraben waren professionell genug, um die Störung gekonnt zu überspielen - doch einige Sekunden später war klar, dass da etwas nicht stimmte.
Monica erhob sich und versuchte, in dem Halbdunkel des Saales etwas zu erkennen. Da erhob sich ein vielstimmiger Schrei, der Körper eine Frau wurde in die Luft gewirbelt und fiel mit einem entsetzlichen Krachen in die Sitzreihen zurück.
Das Orchester verstummte. Und dann erlosch auch noch das Licht auf der Bühne.

An den Wänden leuchteten grelle, auf die Notausgänge hinweisende Schilder auf und ein breiter Menschenstrom ergoss sich hektisch in Richtung Ausgang.
"Bitte bewahren Sie Ruhe und begeben Sie sich zu den Notausgängen", erklärte eine automatische Stimme und eine Sekunde später wurde Monica von der Masse der evakuierten Menschen zu einem der Tore getragen.
Menschen im Abendanzug, in teuren Roben - sogar im Frack waren sie erschienen. Unruhe und Angst war auf ihren Gesichtern zu lesen.
Monica fluchte innerlich. So hatte sie sich diesen Abend nicht vorgestellt, und dabei hatte sie ein paar freie Tage so dringend gebraucht. Schlimmer konnte es eigentlich kaum noch kommen.
Als sie das Foyer der Oper erreichte, ließ sie resigniert die Schulter hängen.
Überall auf dem Foyer waren die dunkelblauen Jacken des FBI zu sehen. Deeskalationsteams geleiteten die Gäste aus dem Gebäude, während wenigstens drei verschiedene SWAT Gruppen die Aufgänge zum Festsaal sicherten.
"Schlimmer geht immer", dachte Monica boshaft, griff in ihr Jackett und zückte den unvermeidlichen FBI-Ausweis. Mit etwas Mühe löste sie sich aus dem Menschenstrom und wurde bis zur Einsatzleitung durchgewunken.
Dort tauchte das angespannte Gesicht ihres Partners auf.
"Sie hier?", fragte Monica überrascht.
"Ich hätte Sie fast das gleiche gefragt", gab Agent Doggett zurück.
"Was ist hier eigentlich los?", erkundigte sie sich und zog mühsam die blaue Spezialweste über, die ihr Partner zurechtgelegt hatte.
"Tut mir leid, dass wir Ihren freien Abend unterbrechen, Monica. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätten wir stattdessen sicher eine McDonalds-Filiale gestürmt. Sie wissen ja, was Agent Mulder in den Akten über die bösartigste Kraft des 20. Jahrhunderts notiert hat..."
Monica Reyes warf ihm einen eisigen Blick zu.
"Schon gut", fuhr er fort. "Das hier ist leider kein Spiel. Es ist sogar so ernst, dass wir die Oper evakuieren mussten."
"Ein Amokläufer?", fragte sie ins Blaue, da ihr Partner offensichtlich nicht gewillt war, mit seinen Informationen herauszurücken. Aber wie sie ihn kannte, versuchte er gerade nur, seine Anspannung unter Kontrolle zu bekommen.
John nickte. "Höchstwahrscheinlich. Sicher ist bisher nur, dass sich ein unbekannter Angreifer hier im Gebäude versteckt hält. Ich selbst bin erst heute früh in diesem Fall konsultiert worden, weil man sich offenbar über die wahre Natur des Burschen nicht ganz im Klaren ist."
"Eine X-Akte?", fragte sie ungläubig.
Er hob ratlos die Schultern. "Sie wissen ja, wie ich darüber denke. Für mich ist der Begriff X-Akte nichts weiter als die Bequemlichkeit, nicht tief genug nach den wissenschaftlichen Hintergründen der zahlreichen Fälle zu forschen."
"Ich glaube kaum, dass man Agent Mulders Arbeit damit gerecht wird", warf sie verärgert ein.
John schüttelte den Kopf. "Vergessen Sie mal für einen Augenblick Agent Mulder. Das ist ein Schema, Monica. Und Sie können es bis zu J. Edgar Hoover zurückverfolgen!"
Sie verschränkte demonstrativ die Arme. "Es gab Unruhe im Opernsaal. Ist jemand verletzt worden?"
Doggett strich sich wieder über die Stirn. "Leider. Wir sind hier angerückt ohne ein klares Bild über unseren Verdächtigen, trotzdem haben wir scheinbar ins Schwarze getroffen. Wir vermuten, dass der Unbekannte durchdrehte und sich irgendwo hinter den Kulissen verschanzte, als er unsere FBI Truppe bemerkte. Eine Besucherin wurde verletzt, sie hat sich mehrere Knochen gebrochen. Alles in allem hatte sie aber großes Glück." Er öffnete und schloss die Fäuste und sah in diesem Moment sehr erschöpft aus.

Special Agent Riley brachte eine dünne Mappe und drückte sie Agent Reyes in die Hand.
Neugierig öffnete Monica die Akte und wünschte im gleichen Augenblick, sie hätte es nicht getan.
"Sind das die Fotos der Opfer?", fragte sie.
John nickte. "Man ist ihm schon seit einigen Monaten auf der Spur. Er hat es geschafft, unter den Augen der Polizei und des FBI eine blutige Spur durch den Staat Maryland zu ziehen. DNS-Proben, die an den bisherigen Tatorten gesammelt wurden, deuten auf einen etwa vierzigjährigen Mann hin. Offenbar ist er nicht sehr wählerisch, was das Geschlecht seiner Opfer angeht, aber eine Gemeinsamkeit gibt es doch." Er zögerte und sah sie grübelnd an.
"Ja?", hakte sie nach.
"Allen Opfern sind die Brunner-Drüsen des Zwölffingerdarms entfernt worden."
Sie tauschten einen vielsagenden Blick aus.
"Irgendein Foto des Verdächtigen? Eine Personenbeschreibung?"
John presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. "Nichts Brauchbares. Ein unauffälliger Mann in den Vierzigern, mittelgroß, schlank."
Monica seufzte. "Das könnte ja auf fast jeden Gast zutreffen."
Doggetts Gesicht wurde starr. "Auf jeden Fall wird er das Gebäude nicht ohne uns verlassen. Hier sitzt er in der Falle!"

***


„Still“, flüsterte Monica und erhob warnend die Hand. Nach einigen Sekunden winkte sie und nickte ihrem Partner zu.
„Korridor 3 ist sauber“, meldete Doggett leise in sein Funkgerät.
Dann hob er die Pistole mit beiden Händen an und schob sich langsam um die nächste dunkle Ecke.
Monica verfluchte im Stillen die Techniker, die es noch immer nicht geschafft hatten, die Beleuchtung wieder zusammenzuflicken.
Leer lagen die Kulissen des Operngebäudes vor ihnen. Normalerweise herrschte hier geschäftiges Treiben, doch jetzt lastete erdrückendes Schweigen auf den Winkeln, Schatten und Schiebewänden.
„Ein ideales Versteck“, flüsterte Monica.
Doggett nickte und sicherte den nächsten Abschnitt.
Dann sahen sie ihn.

Zusammengekauert hockte er zitternd in seiner dunklen Ecke. Als der Strahl der Taschenlampen auf ihn fiel, zuckte er zusammen, zog die Arme enger um den Körper und kniff die geblendeten Augen zusammen.
„Bitte…“, stammelte er mit schwerem Akzent. „Helfen Sie mir!“
John kniete bei ihm nieder, während Monica mit der Waffe im Anschlag abwartend stehen blieb und die Kollegen über Funk informierte.
„Wer sind Sie?“
Der Fremde atmete tief durch und zwang sich, die Stimme unter Kontrolle zu bekommen. „Menchikov. Oleg Menchikov. Als das Chaos hier ausbrach, habe ich den Kopf verloren, bin in die falsche Richtung gelaufen und…“
„Sie arbeiten hier?“, fragte John.
Menchikov nickte. „Ich stamme aus Usbekistan und bin hier als Bühnenarbeiter angestellt.“
Doggetts Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er den Worten des Mannes Glauben schenkte. „Wie dem auch sei, Sie werden jetzt erst einmal mit uns kommen.”
„Danke“, flüsterte Menchikov mit unsicherer Stimme. „Aber erst muss ich Ihnen noch zeigen, weshalb ich den Kopf verloren habe…“

***


Zu dritt betraten sie den Bereich, in dem die Bühnenbilder an langen Stahlseilen rangiert wurden. Je nach Bedarf ließen sie sich heben und senken, so dass auf der Bühne jede gewünschte Kulisse mit dem dazu passenden Bühnenbild ausgestattet werden konnte.
„Hier war es“, sagte Menchikov leise und deutete ins Dunkel.
„Monica“, flüsterte John und kniete neben der verstümmelten Leiche nieder. Ein älterer, gut gekleideter Mann, vielleicht einer der Gäste der Vorstellung. Doch von seinem feinen Anzug waren nur zerfetzte und blutbefleckte Lumpen geblieben. Das nackte Fleisch lag frei und ließ die hässliche Wunde auf seinem Bauch mit unbarmherziger Deutlichkeit hervortreten.
„Er ist tot?“, fragte Monica.
John nickte. „Kein Zweifel. Ihm sind die Brunner-Drüsen entfernt worden“



FBI Academy
Quantico, Virginia
10:22 pm

'Die Brunner-Drüsen des Zwölffingerdarms', überlegte Scully. 'Sie produzieren einen alkalischen, glykoproteinhaltigen Schleim sowie Maltase, Amylase und proteolytische Enzyme'. Ihre Gedanken wanderten zu den nicht ganz zweifelsfrei belegten Fällen zurück, die sie mit Agent Mulder bearbeitet hatte. Leberfressende Monster, schleimsaugende Verrückte… Ein Mutant mit gesteigertem Appetit auf die Brunner-Drüsen hatte ihr gerade noch gefehlt.

Assistant Director Walter Skinner presste das Telefon mit einer Hand an das Ohr, während er mit der anderen hektisch ein paar Notizen auf der Rückseite eines Computerausdrucks machte.
„Wie sagten Sie, war der Name des Mannes?“ Skinner lauschte. „Oleg Menchikov.“ Er nickte der FBI Agentin hinter dem Monitor zu.
Dana Scully tippte den Namen in die Suchmaske der Datenbank ein und war nicht im Geringsten erstaunt, dass die Namenssuche keine sinnvollen Ergebnisse zurück lieferte.
„Geburtsort? Ausbildung? Irgendetwas?“, flüsterte sie Skinner zu, der die Frage mit verbissenem Gesichtsausdruck ins Telefon weitergab.
„In Ordnung, danke“, sagte er schließlich und legte auf.
„Das ist doch wie verhext“, brummte er. „Angeblich keine Spur von unserem Verdächtigen, stattdessen ein verstörter russischer Bühnenarbeiter. Prüfen Sie das mal, Dana. Er gibt an, aus Mujnak, Usbekistan zu stammen. Irgendwelche Übereinstimmungen?“
Scullys Gesicht leuchtete geisterhaft hinter dem Monitor des Macintoshs auf, als sie die entsprechenden Suchanfragen startete.
Seit Stunden saßen sie hier und verfolgten die Aktion des FBI in Maryland – und sie waren so sehr in ihre Arbeit vertieft gewesen, dass ihnen sogar entgangen war, wie dunkel es bereits geworden war.
Draußen herrschte tiefe Nacht.

„Nichts“, sagte Scully entmutigt, doch dann stutzte sie. „Mujnak“, murmelte sie gedankenverloren. „Mujnak… da war doch dieser Artikel im Scientific American…“
Hastig rief sie eine Webseite auf, dann hielt sie den Atem an. „Walter“, flüsterte sie. „Das hier sollten Sie sich einmal ansehen.“

Der besondere Ton in ihrer Stimme ließ Skinner aufhorchen. Er hatte es in all den Jahren gelernt, auf die warnenden Untertöne in den Worten seiner Agenten zu hören.
Interessiert beugte er sich über den Text und begann zu lesen.
„Verdammt!“, entfuhr es ihm und seine Hand tastete nach dem Telefon.
„Charley? Ja, hier Skinner. Holen Sie Doggett und Reyes sofort da raus, hören Sie? … Ja, sofort. Die beiden sind in Lebensgefahr!“
Er ließ die Hand mit dem Hörer sinken. „Wir haben ihn“, sagte er leise.
Scully starrte auf den Bildschirmtext. Sie hoffte inständig, dass sie nicht zu spät kamen.


Annapolis Opera, Maryland
10:29 pm

Doggetts Funkgerät meldete sich. „Ja?“, fragte er leise und wandte sich halb ab.
„Bleiben Sie wo Sie sind und sichern Sie nur die Lokation. Wir schicken sofort Verstärkung!“
Doggett runzelte die Stirn. „Was zum…“
Aus den Augenwinkeln bemerkte er eine Bewegung. Blitzschnell wirbelte er herum, doch Oleg Menchikov war schneller gewesen. Mit einem harten Tritt hatte er Monicas Dienstwaffe zur Seite geschleudert, so dass diese mit einem schleifenden Geräusch zwischen den Holzwänden verschwand.
Dann packte er die Agentin am Hals und zerrte sie mit schier unbegreiflicher Kraft in die Finsternis der Kulisse.
„Keine Bewegung“, befahl John entsetzt. „Monica!“
Doch es war zu spät. Von den beiden war nichts mehr zu sehen.
Schwer atmend blieb John zurück und verfluchte diesen unverzeihlichen Augenblick der Unachtsamkeit.

***

„Diesen Weg hat er genommen?“
Doggett nickte und beobachtete schweigend, wie Charles Everett mit seiner SWAT Gruppe die Gänge ausleuchtete.
Johns Gesicht sah entsetzlich grau aus – so viel ließ sich trotz des Halbdunkels noch ausmachen.
„Er ist es?“, fragte er noch einmal fassungslos.
Charley Everett nickte. „Machen Sie sich keine Vorwürfe. Wenn sich hier jemand Gedanken machen sollte, dann unsere Einsatzleitung, die das von Ihnen erstellte Profil offenbar nicht ernst genug genommen hat. Aber wir werden ihn bekommen. Dank Skinner und Scully sind wir auf der richtigen Spur.“
„Was haben die beiden herausgefunden?“, flüsterte John, während sie tiefer in die Kulisse des Operngebäudes vordrangen.
Everett grinste säuerlich. „Eine entzückende Geschichte, und wir können sie noch nicht einmal als Science Fiction abtun. Ihr Agent Mulder hätte todsicher seine Freude daran gehabt.“



FBI Academy
Quantico, Virginia
10:45 pm

Walter Skinner hatte seinen Stuhl neben Scully gerückt. Seine Augen huschten über die Bildschirmseiten, wechselten gelegentlich einen Blick mit Scully und lasen dann weiter.
„Es passt alles“, sagte Dana schließlich. „Auch wenn ich wünschte, es würde eine andere Erklärung für sein Verhalten geben.“
Skinners Finger trommelten ungeduldig auf der Tischplatte herum. „Das kann ich nicht glauben. Denken Sie wirklich, der Schlüssel ist die ehemalige Wosroschdenije-Insel im immer mehr austrocknenden Aralsee in Russland?“
„In Usbekistan“, korrigierte Scully. „Früher ein Teil des Sowjetreiches, aber jetzt nur noch eines der Länder, die sich um die immer knapper werdenden Ressourcen des Aralsees streiten.“
Skinner schüttelte ungläubig den Kopf. „Und das soll wirklich der Aralsee sein?“, fragte er und tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. „Zu meiner Schulzeit war er doch viel größer!“
Dana nickte. „Schon wieder der Einfluss des Menschen. Um die anliegenden Baumwollplantagen am Leben zu erhalten, wurde so viel Wasser aus den Zuflüssen des Sees abgeleitet, dass der Aralsee immer mehr versandete. Die Sowjetunion hat den Niedergang des Gewässers jahrelang versucht zu vertuschen, doch heute sind nur noch diese kläglichen Reste übrig.“
„Menchikov stammt aus Mujnak“, warf Walter ein.
„Und Mujnak liegt verheerend in der Windrichtung der ehemaligen Wosroschdenije-Insel. Die Russen hatten dort ein Testgelände für Biowaffen errichtet: Milzbrand, Pest, Typhus… all die unsäglichen Schrecken. Durch das Absinken des Wasserspiegels wurde aus der früher so isolierten Insel eine gewaltige Landzunge mit Verbindung zum Festland. Walter, was wäre, wenn einige dieser Krankheitserreger den Zusammenbruch des Sowjetreiches überlebt haben, mutiert sind und zusammen mit dem Wind als toxischer Sturm über die Städte geblasen wurden? Wäre es denn nicht denkbar, dass dies bei den dortigen Bewohnern unkontrollierte Zellwucherungen auslösen könnte?“
„Mutationen?“ Skinners Augen wurden schmal.
„Ja. Wir haben schon so viele Dinge gesehen – denken Sie nur an die Reaktorunfälle von Tschernobyl. Was also, wenn wir es mit Fällen von Mutationen zu tun bekommen, die kein Arzt dieser Welt bisher untersuchen konnte? Was ist…“ Scully schaltete den Monitor ab und blickte Skinner fest in die Augen. „Was ist, wenn unser Verdächtiger eines dieser bedauernswerten Opfer mit einer gefährlichen Mutation ist? Würde dies nicht eine Erklärung für sein Täterprofil und die Art seiner Verbrechen liefern? Er muss so schnell wie möglich isoliert werden, bevor er noch mehr Schaden anrichtet!“
Skinner sah sie finster an. „Und bevor er Appetit auf weitere menschliche Organe bekommt.“



Annapolis Opera, Maryland
10:46 pm

Als Monica wieder zu sich kam, schnappte sie würgend nach Luft. Jeder Atemzug stach unbarmherzig in ihren Lungenflügeln und machte jede Sekunde zur Pein.
Sie schlug die Augen auf und bewegte vorsichtig den Kopf.
In Ordnung, dachte sie. Vermutlich hatte sie sich nur ein paar Rippen geprellt. Wo war sie?
„Bewegen Sie sich nicht, ich habe Ihre Pistole“, grollte eine tiefe Stimme hinter ihr.
Dann trat ihr Angreifer ins Licht der glimmenden Notbeleuchtung.
„Menchikov? Sind Sie das?“, stieß Monica mühsam hervor.
„Ganz wie Sie wünschen, es spielt keine Rolle mehr. Nicht mehr für Sie!“
Monica hatte große Mühe, diese Stimme mit Oleg Menchikov, dem zitternden Bühnenarbeiter, zu assoziieren, so sehr hatte sie sich verändert.
„Was meinen Sie?“, fragte sie und hoffte, dass er auf das Frage-Antwort-Spiel einging. Warum kam John nicht? Wie hatten sie sich nur verlieren können?
„Sie warten auf Ihren Partner?“, fragte Menchikov und erlaubte sich ein dünnes Lächeln, das seine spitzen, gelben Zähne freilegte. „Machen Sie sich besser keine allzu großen Hoffnungen. Vielleicht wird er kommen, vielleicht auch nicht. In jedem Fall wird es für Sie zu spät sein.“
„Aber… warum? Warum tun Sie das?“, keuchte Monica entsetzt.
„Was tun Sie, wenn Sie hungrig sind?“ gab der Usbeke zurück. „Wenn der Hunger an Ihren Eingeweiden zerrt und Sie ganz genau wissen, dass nichts seinen endlosen, zügellosen Appetit stillen wird, als das frische Fleisch… Fleisch…“
Seine Stimme war zu einem schrillen, hohen Flüstern geworden.
„Ich habe mich lange dagegen gewehrt, doch schließlich konnte ich nicht anders, ich musste ihrem Willen einfach nachgeben.“
„Ihrem Willen? Von wem sprechen Sie denn?“, versuchte Monica das Gespräch in die Länge zu ziehen.
Menchikov strich über seinen Bauch. „Es begann damals in Mujnak“, flüsterte er, den Blick ins Leere gewandt. „Irgendwann musste ich das Land verlassen, weil man mir auf die Spur gekommen war. Doch wohin ich auch ging, nirgends konnte ich diesen Hunger stillen…“
Irres Feuer flackerte in seinen Augen. Dann schob er den Pullover hoch und entblößte die nackte Haut seines Oberkörpers.
Irgendetwas pulsierte unter der Haut, irgendetwas bewegte sich hin und her, langsam, doch mit tödlicher Gewissheit.
Finger schienen unter der Bauchdecke entlang zu gleiten, die sich nun wie in einer monströsen Schwangerschaft nach außen wölbte und dem Mann unsägliche Schmerzen zu verursachen schien.
„Was ist das?“, wollte Monica fragen, doch die Worte bleiben ihr im Halse stecken, als sie sah, wie sich am Bauchnabel des Mannes eine Öffnung bildete.
Langsam, ganz langsam wuchs sie in die Breite, dann erschien dort eine wächserne Hand. Die Hand streckte sich, wurde zu einem ganzen Arm, an dessen Oberseite…
Monica wurde übel.
„Es… es will Sie!“, kreischte Menchikov und ließ sich nach hinten fallen.
Der Arm schnellte aus der Körperhöhlung und bewegte sich beängstigend schnell auf Monica zu. Auf seiner behaarten Oberseite bildete sich ein weit geöffneter Mund.
Endlich gehorchte ihr Körper. Ruckartig warf sie sich zur Seite und stieß einen verzweifelten Schrei aus.

Dann krachten zwei Schüsse durch die Nacht und machten dem Spuk vor ihren Augen ein Ende. Von den Kugeln getroffen, zuckte das Ding mehrmals krampfhaft auf, aber noch immer schien es nicht gewillt, seine Beute aufzugeben.
Doch bevor der gespenstische Arm Monica erreichen konnte, feuerte John Doggett zwei weitere gezielte Schüsse ab – und dann noch zwei, bis das Magazin leer war.
Charles Everett prüfte den körperlosen Arm mit der Fußspitze – tatsächlich schien nun alles Leben aus ihm gewichen zu sein.
„Tot“, stellte er fest. „Wie geht es Agent Reyes?“

Doggett kniete neben seiner Partnerin nieder und prüfte ihren Puls.
„Sind Sie verletzt?“
„Ich glaube nicht“, brachte sie mühsam hervor. „Allerdings könnten einige Rippen geprellt sein.“
Doggett zwinkerte ihr zu. „Besser, als wenn Ihnen jetzt ein paar Körperteile fehlen würden.“
Übelkeit wallte in Monica auf und sie ließ erschöpft den Kopf sinken.
John beobachtete, wie das nachrückende FBI-Team den hilflos in einer Ecke zusammengesunkenen Menchikov in Gewahrsam nahm und eilig fortschaffte.
„Schon gut“, sagte John leise. „Ruhen Sie sich aus. Es ist vorbei.“
Monica dachte über seine Worte nach. Ihr Blick fiel auf den reglosen Arm, dessen Haare von Blut und Schleim ganz verkrustet waren. Unheilvoll bleckten die Zähne aus der Haut und schienen sie anzugrinsen.
„Wer weiß das schon so genau…“, sagte sie leise.



FBI Academy
Quantico, Virginia
2 Tage später…

“Nachtrag zum Autopsiebericht des Falles Oleg Menchikov.”

Dana Scully hielt ratlos inne und fragte sich, wie sie ihren Befund formulieren sollte, ohne sich der Lächerlichkeit ihrer Vorgesetzten preiszugeben.
Sie glaubte an den Bericht, den ihr John und Monica geliefert hatten, doch aus Erfahrung wusste sie, dass ihr Glaube in diesen Fällen keine große Rolle spielte. Was zählte, waren Tatsachen.
Leider waren die Tatsachen im Fall Oleg Menchikov alles andere als ergiebig. Was blieb, war die Autopsie eines Stückes toten Fleisches und ein Verdächtiger, der unmittelbar nach seiner Festnahme in die bundespsychiatrische Abteilung des Staates Virginia überführt wurde. Alle Versuche, dort an ihn heranzukommen, hatten sich bisher als erfolglos erwiesen.
Dana seufzte tief und wünschte sich einmal mehr Fox Mulder an ihrer Seite. Was sie neun Jahre zuvor niemals für möglich gehalten hätte, war geschehen. Sie fühlte sich so leer ohne ihn.

„Die Untersuchung des rätselhaften Körperteils konnte trotz aller Bemühungen nur ungenügende Resultate erbringen. Als gesichert kann angenommen werden, dass es sich dabei um eine durch Mutation stark vergrößerte und entartete Dermoidzyste handelt. Eine Dermoidzyste taucht gelegentlich bei Frauen auf und stellt Überreste einer embryonalen Fehlentwicklung dar. Vermutlich entstand sie bei Menchikov aus fehlerhaftem embryonalen Zwillings-Zellmaterial.
Während diese seltenere Art von Zellwucherung bei Frauen meist unauffällig verläuft und operabel behandelt werden kann, siedelt sie sich bei Männern oft in den Hoden an führt dort mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bösartigem Zellwachstum.
Die bei Oleg Menchikov vorgefundene extrem mutierte Variante einer Dermoidzyste ist bisher noch niemals dokumentiert worden.“

Es war dunkel geworden, doch Scully hatte sich nicht die Mühe gemacht, das Licht einzuschalten. Sie wollte ohnehin gleich aufbrechen. Ihr geliebter Sohn würde auf sie warten…

„Über die Ursache der atypischen Mutation kann ohne Befragung des Verdächtigen nur spekuliert werden. Wenn sich die bekannten Fakten als wahr herausstellen, wenn von der Insel Wosroschdenije tatsächlich Strahlung oder gefährliche Krankheitserreger ausgehen, dann mag Oleg Menchikov kein Einzelfall bleiben und es stellt sich die Frage, wie viele Gräuel der Mensch den Vertretern seiner Art noch zufügen muss, bevor er endlich zur Vernunft kommt.

Ende des Berichtes.
Special Agent Dana Scully.“



Ende.


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