World of X

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Nach all den Jahren

von Leyla Harrison

Kapitel 1

MITTWOCH, 5. JUNI 1996

FBI, WASHINGTON DC

 

Mulder trat in sein Büro. Er hoffte, dass Scully da sein würde. Sie war da. Aber sie sah nicht annähernd so froh aus ihn zu sehen, als er es war.

"Hi", grüßte er, als er die Tür hinter sich schloss. Er sog in sich auf wie sie aussah, wie er es immer tat. Heute trug sie einen engen Blazer mit cremefarbener Bluse darunter. Er sah die elfenbeinfarbenen Strümpfe und wie sie mit übereinander geschlagenen Beinen am Tisch saß. Und die hochhackigen Schuhe, denen er bis vor sechs Wochen keine große Beachtung geschenkt hatte.

Vor sechs Wochen waren sie ein Paar geworden.

"Hi zurück", sagte Scully. Sie blätterte gerade einige Unterlagen durch und schaute auf, als er den Raum betrat, doch wandte sich schnell wieder dem zu, das sie in den Händen hielt.

"Weißt du was?" fragte Mulder.

"Nein, sag es mir, Mulder." Er merkte sofort, dass sie müde klang. Er hoffte, dass das, was er zu sagen hatte, dem abhelfen würde.

"Ich habe gerade den Antrag zurückbekommen, den ich eingereicht hatte. Wir haben den Rest der Woche frei."

Scully sah zu ihm hoch. "Wieso haben wir den Rest der Woche frei?" fragte sie. Sie deutete auf die Akten auf ihrem Schreibtisch. "Wir müssen bis zum Ende der Woche Berichte zu sieben Fällen schreiben. Das ist ein Riesenhaufen Arbeit."

Mulder stellte sich hinter sie und massierte sanft ihren Nacken. "Komm schon, Scully, wir können das am Wochenende machen und sie Montag einreichen. Wir könnten den Rest der Woche miteinander verbringen." Seine Stimme war verführerisch. "Mir fällt bestimmt etwas ein, was wir machen können." Scully befreite sich vorsichtig aus seinen Händen und stand auf.  Sie sah ihm ins Gesicht. "Was ist los?"

"Gar nichts." Scully strich eine Strähne hinter ihr Ohr. "Ich bin bloß kaputt."

"Warum verschwinden wir nicht von hier, holen uns Mittagessen und gehen damit hinüber zu Pool für den Rest des Nachmittags."

Bei seiner Erwähnung von Mittagessen rümpfte Scully die Nase. "Ich habe eigentlich keinen Hunger, Mulder."

Mulder nahm sie in die Arme und küsste sie, doch sie erwiderte den Kuss nicht wie sie es normalerweise tat. "Dana", sagte er leise, "Was ist los? Du bist schon die ganze Woche so."

Scully konnte ihm nicht in die Augen sehen. "Mir wird das alles irgendwie zu viel."

Mulder ließ sie sofort los und trat ein paar Schritte zurück. Er war überrascht. Seit ihrem ersten Mal miteinander waren sie praktisch unzertrennlich. Sie verbrachten jede freie Minute damit sich zu lieben, zu küssen oder sich an romantischen Orten einfach nur anzuschauen. Wenn sie arbeiteten, waren sie immer vorsichtig, dass niemand im FBI bemerkt, was sich zwischen ihnen verändert hat. Mulder gab zu, es ging alles ein bisschen schnell, aber Scully hat ihn nie spüren lassen, dass es ihr etwas ausmacht.

Bis vor zwei Tagen, als sich ihr Benehmen so seltsam verändert hatte. "Bin ich der Grund?"

"Ich weiß es nicht, Mulder. Mir kommt alles nur ein bisschen zu schnell vor." Scully drehte ihr Gesicht ihm zu und bemühte sich, ihre Augen auf den seinen zu halten. Aber sie schien sich sehr sicher zu sein mit dem, was sie sagte. "Wir wissen immer noch nicht, zu was das Ganze führen kann. Ich meine, wir sind jetzt anderthalb Monate zusammen. Wird es die ganze Zeit so bleiben oder findest du, dass wir eine dauerhafte Beziehung eingehen sollten?"

Mulder versteifte sich. "Dauerhaft?" Er wusste, dass er nicht so reagiert sollte, aber der Gedanke, sich völlig an jemanden zu binden, selbst wenn dieser Jemand Scully ist, flößte ihm Angst ein. Es würde heißen, dass er sie verlieren könnte. Und da würde er nie drüber hinweg kommen. Er wusste genau, was sie wollte. Er wollte es auch, aber ihm war nicht wohl dabei. Wenn er es tun würde, würde es heißen, dass wenn er sie verlieren könnte... er hatte sie schon einmal fast verloren. Damals waren sie noch nicht einmal zusammen, und es hat ihn schon so mitgenommen.

"Ich denke, ich komme damit klar, wenn du nichts Permanentes willst." Scullys Stimme zitterte ein wenig, aber Mulder schien es nicht zu bemerken.

"Scully, ich hatte gehofft, dass wir das später bereden könnten, wenn wir nicht im Büro sind."

"Klar", antwortete sie mit, hoffte sie, fester Stimme. "Wir können gerne später darüber reden. Kein Problem."

Mulder seufzte vor Erleichterung. Sie versteht es, dachte er. "Also, wie wär's mit Abendessen, hm?"

Scully setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und mied seine Augen.

"Mulder, im Grunde denke ich, dass wir nicht jeden wachen Moment miteinander verbringen sollten. Das kann nicht sehr gesund sein."

"Und was ist mit jedem schlafenden Moment?" fragte er schelmisch. Scully sah ihn an. "Vielleicht ist es besser, wenn wir uns morgen wiedersehen."

Es war klar, sie wollte Abstand haben. Mulders Grinsen verschwand augenblicklich. "Bist du sicher, Scully?" Etwas stimmte nicht, doch er wusste nicht, was es war.

"Ja, ich bin mir sicher."

Mulder dachte kurz darüber nach. Da gab es etwas, das Scully beunruhigte, und er wollte sie nicht drängen. Er wollte sie nicht noch mehr verärgern, da es offensichtlich war. Dass sie nicht über das sprechen wollte, was ihr so zusetzte. Er konnte trotzdem das Gefühl nicht ignorieren, dass sie eigentlich mit ihm reden sollte. Es war immerhin nicht so, dass sie nur Freunde waren.

"Ich brauche ein wenig Abstand, Mulder", sagte sie und brach somit die Stille. In ihrer Stimme lag Schmerz. Mulder sah ihr ins Gesicht. Sie sah sehr beunruhigt aus.

"OK", antwortete Mulder so ruhig wie er konnte. Er hatte Recht. Irgendetwas stimmte nicht. "OK. Ich werde ihn dir geben. Aber, Scully, ich muss dich eines fragen."

"Was?" fragte sie und sah ihn an.

"Habe ich irgendetwas falsch gemacht oder gesagt?"

Sie richtete ihren Blick auf die Akten auf dem Schreibtisch, schloss ihre Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie öffnete ihre Augen wieder.  "Nein, Mulder. Es ist nichts, was du getan hast." Ihre Stimme war kontrolliert, aber er spürte trotzdem, dass sie etwas von ihm verbarg.

Sie waren beide still. Mulder trat unruhig von einem Bein auf das andere.  Sie sahen sich einen Moment an. Dann räusperte sie sich. "Kannst du das hier für mich zu Ende machen?" Sie stand auf und deutete auf die Unterlagen. "Ich muss für eine Weile hier raus."

"Sicher", nickte Mulder und wünschte sich, er könnte zu ihr gehen und sie in den Arm nehmen. Doch er wusste, dass sie das jetzt nicht wollte. Er fühlte sich distanziert von ihr. Er konnte sich nicht daran erinnern, sich seit sechs Wochen jemals so gefühlt zu haben. Mulder witzelte immer darüber, dass man sein Leben in zwei Teile teilen könnte - bevor und nachdem sie zusammengekommen waren.

Scully nahm ihre Sachen und wandte sich zum Gehen. Mulder drehte sich nicht um, um sie heraus gehen zu sehen. Als sie die Türklinke in der Hand hielt, hielt sie inne. Sie drehte sich wieder zu ihm um. "Mulder."

Er drehte sich immer noch nicht um. "Ja?"

"Ich liebe dich", sagte sie leise. Er wusste auch ohne ihr Gesicht zu sehen, dass sie weinte. Dann hörte er, wie sie die Tür öffnete und sie war weg. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, ihr zu antworten.

 

***

 

Mulder:

Zwei Tage sind seitdem vergangen. Scully ist den Rest der Woche nicht zur Arbeit gekommen. Ich habe sie einmal angerufen, am Donnerstagnachmittag, aber es war nur ihr Anrufbeantworter dran. Ich bin sicher, meine Nachricht darauf klang ziemlich erbärmlich. Als ich aufgelegt hatte, habe ich mir gewünscht, dass ich die Nachricht wieder löschen könnte.

"Scully, ich weiß nicht, was dich so verärgert hat, aber ich hatte gehofft, dass wir darüber reden könnten. Alles, was ich möchte, ist mit dir reden.  Bitte, Scully."

Sie hatte nicht zurückgerufen.

Ich habe bis Sonntag gewartet und die ganze Zeit mit mir selbst gekämpft.  Sie wird dich schon anrufen, sobald sie dazu bereit ist, redete ich mir ein. Aber ich muss wissen, was hier los ist, verdammt!

Sie kam auch Montag nicht zur Arbeit. Oder Dienstag. Oder Mittwoch. Am Donnerstagvormittag habe ich sie endlich angerufen. Diesmal war ein Band dran. "Es tut uns leid, aber die Nummer, die Sie gewählt haben, existiert nicht mehr. Es gibt keine weiteren Informationen über die Nummer. Dies ist eine Tonbandaufnahme."

Ich knallte den Hörer auf die Gabel. Existiert nicht mehr? Ich konnte förmlich die Angst in meinen Adern spüren. Ist ihr irgendetwas passiert?

Ich griff nach meinem Mantel und fuhr zu ihrer Wohnung. Verdammt, ich hätte nicht so lange warten dürfen. Was wenn... ich stoppte meinen Gedanken. Ich wusste, dass sie Abstand wollte. Aber ich musste wissen, dass es ihr gut ging.

Ihr Auto stand nicht auf der Straße, als ich ihre Einfahrt hinauffuhr. Ich ging in das Gebäude und zu Scullys Apartment. Ich stand für einen Moment nur vor ihrer Tür, doch dann atmete ich tief durch und klopfte.

Die Tür sprang auf durch den Druck meiner Hand. Ich zückte vorsichtshalber meine Waffe. Oh, nein, dachte ich. Scully, wir haben nur so wenig Zeit miteinander gehabt. Bitte Gott, betete ich, lass ihr nichts passiert sein. Ich machte die Türe ganz auf und erschrak.

Die Wohnung war leer. Sie wurde leer geräumt. Alle Möbel waren weg. Ich schaute auch in den anderen Räumen nach. Nichts. Einige Essensreste lagen im Kühlschrank, etwas Limonade und ein wenig Butter, sonst nichts. Auch die Kleiderschränke waren leer und es war kein Telefon angeschlossen. Alle Bilder an den Wänden waren ebenfalls weg. Keine Kleider in den Schränken, nichts im Medizinschrank. Die Wohnung war völlig leer.

Wie benommen wanderte ich durch das Apartment. Ich konnte nicht verstehen, was passiert war. Letztendlich ging ich wieder hinaus zum Auto. Ich wollte Margaret Scully auf dem Handy anrufen, doch bevor ich wählen konnte, klingelte es. Scully, schoss es mir durch den Kopf und hob sofort ab.

"Mulder, hier ist Skinner. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass Agent Scully gekündigt hat."

Meine Hoffnungen, dass Scully am anderen Ende der Leitung sein würde, verschwanden augenblicklich. "Was?" fragte ich ungläubig. "Sie hat gekündigt?"

"Ich hatte geglaubt, dass Sie es wüssten, doch dann habe ich gesehen, dass die Unterschrift des Zeugen auf der Kündigung nicht die Ihre ist." Skinner sprach ruhig, doch ich ahnte, dass er enttäuscht war. Natürlich ist er ruhig, dachte ich. Er ist ja nicht ich. Er hat keine Ahnung, dass wir zusammen sind. Er ist nicht verliebt in sie wie ich es bin.

"Das... das wusste ich nicht", schaffte ich zu sagen. "Ich bin gerade in ihrer Wohnung und es scheint, als ob sie umgezogen ist. Ihre Sachen sind weg. Hat sie eine neue Adresse auf ihrer Kündigung hinterlassen?"

"Agent Mulder, ich habe gedacht, dass Sie mehr darüber wüssten."

"Nein, Sir", sagte ich. Ich habe gehofft, dass ich einige Antworten von Ihnen bekommen würde, dachte ich im Stillen.

"Keine neue Adresse. Sie schrieb auf das Formular, dass ihre alte Adresse ab gestern ungültig sei." Skinner hielt inne. Ich wollte ihn fragen, ob er sie gesehen hat, ob er mit ihr geredet hat, wie sie auf ihn gewirkt hat. Es musste alles ein Missverständnis sein. "Ich habe am Montag mit ihr telefoniert, nachdem ich ihre Kündigung erhalten hatte. Ich habe sie nach dem Grund ihrer Kündigung gefragt", sagte Skinner mit einer weniger als sonst formellen Stimme. "Sie sagte, dass sie es nicht mit mir besprechen wolle."

Da sind wir schon zwei, dachte ich. Offensichtlich will sie mit mir auch nicht darüber reden. "Danke, Sir."

"Es ist ein großer Verlust für das FBI", sagte Skinner wieder in seinem professionellen Tonfall.

"J-ja", stotterte ich und fühlte plötzlich die aufkommenden Tränen. "Danke, Sir."

Ich legte auf und wählte Margaret Scullys Nummer, als ich den Wagen anließ.

Sie hob beim ersten Klingeln ab. "Hallo?"

"Mrs. Scully, ich bin's, Fox Mulder." Meine Stimme war gepresst. "Ich muss mit Ihnen über Scully reden."

"Ich weiß, Fox", sagte sie. "Ich habe Ihren Anruf schon erwartet. Können Sie vorbeikommen?"

"Ich bin schon unterwegs."

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