World of X

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Never say Never

von Putzi

Kapitel 1

WASHINGTON D.C.

14.20 Uhr



Es war ein warmer, sonniger Frühlingstag. Ein leichter, angenehmer Frühlingswind wehte durch die Haare der keinen, rothaarigen Agentin. Scully saß auf einer Bank im Park und aß einen HotDog. Sie konnte Mulder nicht verstehen, wie konnte er bei diesem Wetter in seinem Kellerbüro sitzen und während der Mittagspause arbeiten? Scully jedenfalls genoß die Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und schloß ihre Augen, um die wohlige Wärme, die sich auf ihrem Körper ausbreitete zu genießen. Sie lauschte dem Rauschen der Bäume, die im warmen Wind raschelten und sogar die Geräusche, der nicht weit entfernten Straße zu übertönen schienen. Plötzlich wurde die Idylle durch Kinderlachen gestört. Scully öffnete die Augen und bemerkte, wie sich eine Frau gegenüber von ihr auf die Parkbank setzte. Sie hatte ein kleines Kind von vielleicht 5 Jahren dabei und schob einen Kinderwagen, indem wohl ebenfalls ein Baby zu liegen schien. Dana Scully beobachtete lächelnd die Frau, die jetzt ihr Baby auf den Arm nahm und ihm die Brust gab. Das kleine Mädchen hatte sich neben seine Mutter gesetzt und beobachtete still, wie sein Geschwisterchen trank. Dieses Bild versetzte Dana einen Stich in der Bauchgegend und ihr Lächeln verschwand. Oh, wie beneidete sie diese Frau um ihr Glück. Sie würde nie Kinder haben können und ihre einzige Chance jemals zu erfahren, was es heißt Mutter zu sein, hatte sie vergeben. Sie hatte Emily einfach sterben lassen. Äußerlich tat sie so, als wäre sie darüber hinweg und als wäre sie davon überzeugt, dass sie das Richtige getan hatte, aber tief in ihrem inneren wußte Dana, dass sie sich selbst betrog. Wieviel Nächte hatte sie wach gelegen und sich Vorwürfe gemacht? Wieviele Male war sie Nachts schreiend aufgewacht, weil sie von Emily geträumt hatte? Unzählige Male!



"Mummy? Kann ich ein Eis haben?" fragte das kleine Mädchen, dass den Eisverkäufer am Ende der Strasse

entdeckt hatte.



"Nachher Schatz!" sagte ihre Mutter und schenkte ihr ein Lächeln.



Das Mädchen fand sich damit ab, ließ den Eisverkäufer aber nicht aus den Augen.

Scully belächelte die Szene und ihr kam wieder die erste Begegnung mit Emily in den Sinn.

Scully wußte bis heute nicht, wer sie damals angerufen hatte und ihr gesagt hatte, dass jemand Hilfe brauchte. Wäre ihre Schwester Melissa nicht ermordet worden, wäre sie fest davon überzeugt gewesen, dass Melissa sie angerufen hatte.

Als sie dann den Anruf zurück verfolgen ließ, nannte ihr das FBI die Adresse der Sims, Emilys Pflegeeltern. Als Scully dort ankam mußte sie feststellen, das Emilys Pflegemutter ermordet worden war. Scully kam das kleine Mädchen, das auf dem Arm ihres Pflegevaters Schutz suchte, gleich bekannt vor. Scully stellte Untersuchungen an, weil sie glaubte, oder hoffte, dass Emily Melissas Tochter sei um somit die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Emily und Melissa erklären zu können. Was sie statt dessen herausfand, war weitaus schwerwiegender, als sie erwartet hatte. Der DNS-Test ergab, das Emily ihre Tochter war. Erschaffen aus einer der Eizellen, die Scully bei ihrer Entführung entnommen worden waren und somit ein unschuldiges Kind, das nur lebte, um Versuchskaninchen für die skrupellosen Männer zu sein, deren Verschwörung Mulder und Scully aufdecken wollten. Einer Verschwörung, von der Scully lange nicht geglaubt hatte, dass es sie gab und welche sie als Hirngespinst ihres Partners abgetan hatte.

Diese Männer, die öfter als nur einmal ihr Leben und ihre Arbeit zerstört hatten und die auch verantwortlich für den Tod ihrer Schwester Melissa, Mulders Vater und dem Verschwinden von Mulders Schwester Samantha waren, sorgten auch dafür, dass Scully an einem bösartigen, inoperablen Gehirntumor erkrankte, der durch die Entfernung des Implantats in ihrem Nacken, das ihr bei ihrer Entführung eingepflanzt worden war, ausgebrochen war.

Ohne ihren Partner wäre sie höchst wahrscheinlich schon längst tot. Wie oft hatte er ihr schon das Leben gerettet, wie oft war er dagewesen, wenn sie eine Schulter zum weinen gebraucht hatte. Wie oft hatte er einfach nur ihre Hand gehalten und ihr Kraft gegeben. Er war in den 7 Jahren, die sie nun zusammen arbeiteten mehr als nur ihr Partner geworden. Er war ihr Freund, ihr einziger Freund, und der einzige, dem sie blind vertraute. Doch seit einigen Jahren, war da mehr als nur das. Diese Gefühle, die mehr bedeuteten als Freundschaft. Die Spannung zwischen ihnen, wenn sie sich berührten. Er war nicht mehr einfach nur ihr Partner. Er war nicht nur ihr Freund. Nein, sie hatte sich in ihn verliebt. Ja, sie war verliebt in Fox Mulder.

Scully hatte sich schon oft gefragt, ob es alles nur Einbildung war. Mulder war schließlich der einzige Mann in ihrem Leben und so hatte sie ja nicht gerade viel Auswahl, aber Scully war sich sicher, dass es nicht daran lag. Sie mochte Mulders Art. Wie er es verstand sie auf die Palme zu bringen und sie doch immer wieder zum Lachen brachte. Wie er sich um sie sorgte und versuchte sie vor allem zu schützen und sich dann die Schuld gab, wenn er es nicht schaffte. Sie liebte einfach alles an ihm.

Doch da war diese Angst in ihr, dass er diese Gefühle nicht auch für sie empfand. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm. Einerseits war sie sicher, dass er diese Spannung zwischen ihnen auch spürte. Das er auch für sie mehr als Freundschaft empfand. Er hatte ihr auch schon einmal gesagt, dass er sie liebe, doch sie hatte ihm nicht geglaubt, da er an diesem Tag nicht ganz zurechnungsfähig gewesen war, wie sie sich einredete. Wie gern hätte sie ihm an diesem Tag geglaubt. Wie gern hätte sie ihn gesagt, dass sie das Selbe für ihn empfand. Doch sie war wieder einmal ausgewichen, hatte ihm nicht geglaubt, oder hatte einfach Angst gehabt, dass sich etwas verändern würde. Wie oft war sie ihm schon ausgewichen und hatte sich später dafür gescholten.

Aber dann war da diese andere Seite von Mulder, die sie glauben ließ, dass sie nur Freunde waren. Diese Blicke, die er Diana Fowley immer zugeworfen hatte und die Scully rasend Eifersüchtig werden ließen.



Scully atmete tief ein und schüttelte den Kopf. Dann sah sie wieder zu der Frau und den zwei kleinen Kindern hinüber.



"Mummy! Kann ich jetzt ein Eis haben?" quengelte das kleine Mädchen.



"Gleich Schatz. Jetzt laß deinen Bruder doch erst trinken!" antwortete die Mutter und streichelte dem Mädchen über den Kopf.



"Mummy, wann kommt Daddy heute nach Hause?" fragte das kleine Mädchen.



"Nicht so spät Schatz. Er liest dir sicher noch eine Geschichte vor," sagte die Mutter.



Das kleine Mädchen strahlte und es kam Scully so vor, als hätte ihr Lächeln die Sonne dazu gebracht noch heller zu strahlen. Das Mädchen sah sich im Park um. Ihr Blicke schweiften zu der rothaarigen Frau, die auf der Bank gegenüber saß. Scully bemerkte den Blick des Mädchen und lächelte sie an. Das Mädchen lächelte zurück. Wieder versetzte es Scully einen Stoß in die Magengegend. Das Mädchen hätte ein Lächeln wie Emily. So warm und unschuldig, dass man in das Herz der Kleinen sehen konnte. Doch in dem Herz des Mädchens sah Scully nicht den Kummer, den sie in Emilys Herzen gesehen hatte. Den Kummer Mutter und Vater verloren zu haben und jetzt ganz alleine auf der Welt zu sein. Unvermittelt rann Scully eine Träne die Wangen hinunter, die sie jedoch schnell wieder weg wischte. Instinktiv faßte sie nach dem kleinen goldenen Kreuz, dass an ihrem Hals baumelte und schloß die Augen. Sie sah die Szene vor sich, als sie es Emily umhängte, damit es sie beschützte. Es hatte sie nicht beschützt. Sie war dennoch gestorben. Es hatte nicht geholfen. Weder Emily, noch ihr selbst, als sie vor zwei Jahren nach dem Bienenstich in die Antarktis verschleppt worden war.

Sie erwachte aus ihren Gedanken und beschloß zurück ins Büro zu gehen, bevor sie weiter in ihren Erinnerungen schwelgen würde und all die Alpträume und Vorwürfe wiederkehren würden. Sie stand auf, ging lächelnd an der Frau mit den zwei Kindern vorbei und machte sich auf den Weg zurück zum J. Edgar Hoover Building.







FBI-ZENTRALE, WASHINGTON D.C.

MULDERS BÜRO



Zum dritten Mal las sich Special Agent Fox Mulder nun die Akte durch, die ihn am Morgen des heutigen Tages erreicht hatte. Es handelte sich um einen Mordfall und der zuständige Detektiv, scheinbar ein sehr junger und unerfahrener Mann, tappte im Dunkeln. Fox Mulder war bekannt für seine Fähigkeit sich in Mörder hinein versetzten zu können und hinzu kam, dass man die genaue Todesursache nicht feststellen konnte. Na typisch! Dafür ist ‚Spooky' Mulder dann wieder Recht! dachte Mulder. Er war nicht sonderlich beliebt bei seinen Kollegen beim FBI. Seine Methoden waren ihnen zu unorthodox und seine Arbeit ein Dorn im Auge. Sie hielten ihn für übergeschnappt, weil er sein Leben damit vergeudete, Fälle zu lösen, die als ungelöst galten und sich daraus erhoffte seine Schwester wieder zu finden, die, wie er sagte, von Außerirdischen entführt wurde, als er 12 Jahre alt war. Die einzige, der er vertraute, und der er alles anvertrauen konnte, war Scully. Naja, alles bis auf diese eine kleine Sache: Dass er sie liebte. Er liebte sie von ganzem Herzen. Immer wenn sie im Raum war, kam es Mulder vor, als erhelle sie das ganze Zimmer. Sie war alles, was ihm geblieben war und Mulder war sich sicher, dass er schon längst aufgegeben hätte, wäre Scully nicht gewesen. Sie war seine seelische Stütze, die ihm immer neue Kraft gab weiter nach der Wahrheit zu suchen. Der Wahrheit, der sie immer näher kamen. Es war zu seiner Lebensaufgabe geworden nach der Wahrheit und seiner Schwester zu suchen und die Verschwörung gegen das amerikanische Volk aufzudecken. Doch was, wenn er es schaffte? Was, wenn er der Welt mit unwiderlegbaren Beweisen zeigen könnte, dass er all die Jahre Recht gehabt hatte. All die Jahre in denen ihn die Menschheit für verrückt gehalten hatte und nur Scully da gewesen war um ihn zu unterstützen. Was wenn dieser Tag gekommen war? Was würde dann seine Lebensaufgabe sein? Was sollte er dann den lieben langen Tag tun? Heiraten? Kinderkriegen? Glücklich werden? Konnte er das überhaupt? War er nicht glücklich, so wie es war? Wäre er überhaupt fähig glücklich zu sein, ohne seine Arbeit, ohne seinen Kreuzzug? Mulder wußte, dass er all das nur für einen Menschen auf der Welt aufgeben könnte. Nur mit einem Menschen könnte er glücklich werden, auch ohne Arbeit. Mit Scully! Doch ob sie das gleiche für ihn empfand? Mulder war sich nicht sicher. Oft wich sie seinen Berührungen aus, oder tat seine Geständnisse als Träumereien und Halluzinationen ab. Oder hatte sie einfach Angst vor einer Veränderung? Mulder verspürte diese Angst auch, doch seine Sehnsucht Scully zu berühren, ihre weichen Lippen auf seinen spüren zu können wuchs mit jedem Tag. Nur einmal hatte er sich getraut, seinen Gefühlen freien lauf zu lassen. Er hatte sie am Silvesterabend geküßt. Er mußte sich jetzt noch an den Kopf fassen, als er daran dachte, wie bescheuert er sich doch angestellt hatte. Er war solch ein Idiot! Er hatte die Frau geküßt, die er mehr als alles andere liebte und ihm fiel nichts anderes ein, als zu sagen "Die Welt ist nicht untergegangen!" und ihr ein frohes neues Jahr zu wünschen. Er war so ein Feigling! Aber noch mal würde ihm das nicht passieren, dessen war sich Mulder sicher. Bei der nächsten Gelegenheit würde er ihr seine Liebe gestehen. Oh, wie liebte er diese Frau ...



Die Türe öffnete sich und Mulder wurde aus seinen Gedanken geweckt. Scully kam in das Kellerbüro und schloß die Tür hinter sich. Wenn man vom Teufel spricht! dachte Mulder, ersetzte dann aber das Wort Teufel durch Engel, denn Scully war definitiv mehr Engel als Teufel.



"Mulder?" Scully sah ihn fragend an. "Haben sie mir überhaupt zugehört?"



Mulder überlegte einige Sekunden. Hatte sie denn etwa etwas zu ihm gesagt? Er sollte ihr wirklich besser zuhören! "Natürlich hab ich das! Ich ... mußte mir nur die richtige Antwort überlegen."



Scully zog die Augenbrauen zusammen und sah Mulder mit ihrem das-können-sie-jemand-anderem-erzählen-Blick an. "Sie mußten überlegen, was sie auf die Frage 'Wie war ihre Mittagspause?' antworten?"



"Ja... Wissen sie Scully, ich bin nicht mehr der Jüngste, und mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, dass ich mich daran erinnern kann, was ich die letzte Stunde gemacht habe!" sagte Mulder mit gespielter Ernsthaftigkeit.



Über Scullys Gesicht huschte ein Lächeln. "Also, raus mit der Sprache. Was ist so wichtig, dass sie schon gar nicht mehr hören, wenn ich mit ihnen rede?" fragte Scully und setzte sich in den Stuhl vor Mulders Schreibtisch.



"Ach, nichts weiter. Ich war nur in Gedanken!" sagte Mulder und versuchte das Thema zu beenden, um nicht in eine verzwickte Lage zu kommen.



"Und worüber?" fragte Scully neugierig.



Über dich! Ich denke nur noch an dich ... dachte Mulder. "Über ... " Mulders Blick fiel auf die Akte, die er eben noch angesehen hatte. "Ich hab nur über diesen neuen Fall nachgedacht." Feigling! Idiot! schalt er sich selbst.



"Welchen neuen Fall?" fragte Scully.



Mulder deutete auf die Akte und Scully nahm sie vom Tisch, um darin herum zu blättern.

"Sie ist heute Morgen aus Richmond, Texas gekommen." sagte Mulder. "Ein Richter wurde tot aufgefunden. Die Todesursache konnte nicht zufriedenstellend festgestellt werde, da alles auf einen Tod durch ertrinken hindeutet, weit und breit aber kein Wasser vorhanden war. Er ist einfach so während einer Verhandlung gestorben."



"Ertrunken?" fragte Scully skeptisch und sah Mulder mit diesem Blick an.



"Was meinen sie denn, warum man uns ruft? Die Geisterjäger?" sargte Mulder etwas sarkastisch.



Scully sah ihm einige Minuten in die Augen. "Was ist ihre Theorie?"



"ICH habe keine Theorie!" sagte Mulder betont.



"Na schön. Also, was haben sie als nächstes vor?" fragte Scully.



"Sie und ich werden morgen früh nach Richmond fliegen und die ca. 20 Augenzeugen befragen, die bei der Verhandlung anwesend waren. Während ich nach dieser Nervenarbeit zurück ins Hotel gehen werde, mich gemütlich aufs Bett legen werde - und mir vielleicht 'nen Porno ansehen werde - werden sie in das kalte, ungemütliche, unbequeme und langweilige gerichtsmedizinische Labor gehen und die Leiche von Richter Steven Miller obduzieren." sagte Mulder mit einem sarkastischen Lächeln.



Scully lächelte leicht gereizt zurück. "Und würden sie mir vielleicht auch sagen, weshalb ich Richter Miller nochmals obduzieren sollte, wenn bei der ersten Obduktion festgestellt wurde, dass er ertrunken ist!"



"Tja, das ist eine wirklich knifflige Frage!" sagte Mulder und tat so, als müsse er angestrengt nachdenken. "Ja, ich hab's! Vielleicht, weil der Richter nicht ertrunken sein kann, oder Scully?"



"Naja, aber was ist, wenn ich wirklich keine Lust habe mich in das kalte, ungemütliche, unbequeme und langweilige Labor zu stellen und nach etwas zu suchen, dass nicht da ist?" fragte Scully provozierend.



Mulder überlegte kurz. "Sie könnten sich auch zusammen mit mir den Porno ansehen!" sagte er mit einem auffordernden Lächeln. Wir könnten auch selbst einen drehen! huschte es ihn durch den Kopf.



Scully verdrehte die Augen, stand auf und nahm eine andere Akte vom Schreibtisch. "Da ziehe ich doch das kalte, ungemütliche, unbequeme und langweilige Labor vor!"



Mulder faßte sich gespielt entsetzt an den Kopf. "Scully! Sie ziehen einen Abend mit einer Leiche, einem Abend mit mir vor? Ich bin entsetzt!"



Über Scullys Gesicht huschte ein Lächeln. Sie sagte nichts auf Mulders Anspielung, sondern verschwand hinter dem Regal und suchte nach einer Akte. Sie liebte es, wenn er das machte. Wenn er versuchte sie auf die Palme zu bringen und alles in diesen kleinen Neckereien endete.





GEORGE TOWN



Auf dem Weg zum Flughafen am nächsten Morgen war Scully schlecht gelaunt. Mulder hatte sie abgeholt und gleich bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Er nahm an, dass es wegen des Fluges war. Dana haßte fliegen. Er konnte sich auch noch nach 7 Jahren an ihren ersten gemeinsamen Flug erinnern. Dana war total verkrampft auf ihrem Sitz gesessen und hatte versucht sich so wenig wie möglich zu bewegen. Sie hatten mittlerweile schon ein paar 100 Flüge hinter sich, aber Mulder konnte sich heute, wie früher immer noch darüber amüsieren, wie sie versuchte nicht zu zeigen, dass sie eine Scheißangst vor dem Fliegen hatte. Er hoffte, dass ihre Laune nach der Landung wieder etwas heben würde, denn wenn Dana schlecht gelaunt war, hatte er nichts zu lachen und die Autopsie würde sie auch nicht gerade aufmuntern.





RICHMOND, TEXAS

FLUGPLATZ

11.00 UHR



Seine Hoffnungen erfüllten sich, denn kaum waren sie aus dem Flugzeug gestiegen, hatte sie schon wieder ein Lächeln auf dem Gesicht. Vielleicht hat sie ja vergessen, was ich gestern gesagt habe! dachte Mulder. Oder vielleicht liegt es am guten Wetter. In Endeffekt war es ihm egal, weshalb sie nicht mehr so schlecht drauf war. Das einzige, was zählte war, dass er seine Ruhe haben würde.



"Agent Mulder!" drang eine Stimme von irgendwo her. Scully und Mulder drehten sich in die Richtung, aus der der Ruf gekommen war. Ein junger Mann kam auf die Beiden zu und streckte Mulder die Hand entgegen. "Detektiv Curtis. Ich habe ihnen die Akte geschickt," fing er an zu erzählen.



"Das ist Agent Scully, meine Partnerin. Wir haben eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie uns hier abholen. Wir wollten als erstes ins Hotel fahren." Sagte Mulder etwas verwirrt.



"Oh, ja, das hat schon seine Richtigkeit. Ich bin hier nur gerade vorbei gekommen und dachte ich heiße sie gleich Willkommen!" sagte Detektiv Curtis mit einem Zahnpastalächeln.



Scully konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie den Detektiv musterte. Er schien sehr unerfahren und neu in seinem Job und vor allem sehr pflichtbewußt. Aber irgendwie war er süß. Gegen Mulder hatte er zwar keine Chance, aber irgend etwas an ihm war süß.



"Soll ich sie vielleicht mit zum Hotel nehmen?" fragte Curtis und sah Scully mit einem breiten Lächeln an.



Mulder bemerkte Curtis Blick, der ihm einen Stich versetzte. "Ich glaube das wird nicht nötig sein, wir mieten uns einen Leihwagen!" sagte Mulder schnell, um Curtis davon abzubringen Scully weiterhin so anzuschmachten.



"Na schön! Wir sehen uns dann auf der Wache. Hat mich gefreut sie kennen zu lernen! Agent Mulder, Agent Scully!" Curtis sah Scully wieder so an, als er ihr die Hand reichte und sich verabschiedete.



Mulder verdrehte die Augen. Am liebsten hätte er ihre Hände auseinander gerissen und ihm gesagt, dass Scully schon vergeben sei. Sie war seine Scully, auch wenn sie das noch nicht wußte. "Auf wiedersehen Detektiv Curtis!" sagte Mulder betont und man hörte deutlich aus seiner Stimme, dass er Curtis loswerden wollte. Mulder packte seine Reisetasche und lief in Richtung der Autovermietung, vielleicht würde das Scully dazu bewegen endlich die Hand von diesem Schleimer Curtis loszulassen und zu gehen.



Sein Plan ging auf. "Bis später Detektiv." sagte Scully, lies Curtis Hand los, schnappte ihre Tasche und folgte Mulder. Nach ein paar Minuten hatte sie ihn eingeholt. "Warum haben sie es denn auf einmal so eilig, Mulder?" fragte Scully.



"Kommen sie schon Scully! Sagen sie mir nicht, dass sie diesen Typ nett finden! Der hat sie ja förmlich mit seinen Augen ausgezogen!" sagte Mulder und blieb stehen um in Danas Gesicht zu sehen.



Ein Lächeln huschte über Scullys Gesicht. "Eifersüchtig?" sagte sie und lief weiter auf das kleine Häuschen, neben dem Parkplatz zu.



Mulder blieb ein paar Sekunden fassungslos stehen und ließ Danas Frage nachwirken. Was war denn das für eine Frage? Natürlich bin ich eifersüchtig, Dana! Er faßte sich wieder und lief ihr hinterher. Nach einigen Sekunden war er wieder neben ihr. "Eifersüchtig? Worauf denn?"



Scully konnte ihr Lachen jetzt nicht mehr verbergen. Sie hatte es mal wieder geschafft. Das war wieder Einmal eine der berühmten Situationen, die, wenn man es geschickt anstellte, in einem dieser intimen Momente endete, in denen sie sich näher kamen.



"Was?" fragte Mulder neugierig und entrüstet zugleich, als er Danas Lächeln bemerkte. "Was ist?"



"Nichts." Scully schmunzelte noch mehr. "Es ist nichts, Mulder!"



"Natürlich ist etwas! Warum lachen sie?" fragte er hartnäckig.



Scully schwieg.



"Sagen sie schon!" sagte er jetzt leicht quengelnd.



Sie waren bei der Autovermietung angekommen und Scully schob der Frau am Schalter ihren Ausweis entgegen. "Ich möchte ein Auto mieten!"



"Einen Moment bitte." sagte die Frau, schaute kurz auf den Ausweis und gab Scully einen Bogen zum Ausfüllen. "Füllen sie das bitte aus."



Scully nahm sich einen der Kulis und begann routinemäßig die Kästchen auszufüllen.



"Scully, was denken sie?" hackte Mulder weiter nach.



Scully schmunzelte weiter, sagte aber kein Wort. Sie wußte, dass er sie noch mindestens bis zum Büro damit löchern würde, aber wenn sie ehrlich war, gefiel er ihr, dass er so hartnäckig versuchte heraus zu bekommen, was sie dachte.



"Kommen sie schon, Scully!" versuchte er es abermals.



Scully schob der Frau am Tresen das Formular entgegen und nahm den Autoschlüssel, den ihr die Frau gab. Sie lief zu dem Parkplatz, den die Frau ihr genannt hatte und schmunzelte weiterhin vor sich hin. Mulder trottete hinter ihr her. Nachdem sie die Taschen im Kofferraum verstaut hatten und sich ins Auto gesetzt hatten, fing Mulder erneut damit an. "Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ich eifersüchtig auf diesen Curtis wäre. Ich meine, dass was da eben war, habe ich schon tausend mal gemacht..." sagte Mulder etwas mehr zu sich selbst, als müsse er sich beruhigen.



Scullys Lächeln wurde immer breiter. Ob ihm wohl bewußt war, was er da gerade gesagt hatte? "Sie meinen sie haben mich schon tausend mal mit den Augen ausgezogen?" versuchte Scully ernst zu sagen, doch sie war zu amüsiert, um ernst zu sein.



Mulder spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Warum hatte er es nicht dabei belassen? Es suchte verzweifelt nach einer Antwort, die ihn aus dieser verzwickten Lage wieder heraus holen konnte. Natürlich hatte er sie schon tausend mal in Gedanken ausgezogen. Tausend mal? Millionen mal!



Als Mulder nicht antwortete sah ihn Scully von der Seite herausfordernd an. "Nun? Hat's ihnen die Sprache verschlagen?"



Mulder grinste. "Wissen sie Scully, das hab ich nicht nötig. Ich sehe sie ja in regelmäßigen Abständen nackt! Ich meine, wenn wir mal wieder in Quarantäne kommen, oder sie aus welchen Gründen auch immer in die Antarktis verschleppt werden und nackt in einen Eisklumpen eingefroren werden..." Mulder hörte auf zu sprechen, als er einen Ellbogen in seinen Rippen spürte. 1:1! Sie hatte ihn in Verlegenheit gebracht und er hatte erfolgreich zurück geschlagen.



Scully widmete sich wieder der Straße und konzentrierte sich darauf die Einfahrt zum Hotel nicht zu verpassen.





COMMUNITY INN



"Was soll das heißen sie haben nur ein Zimmer? Wir haben reserviert!" sagte Scully entrüstet zu der Frau hinter dem Tresen.



"Es tut mit leid, hier steht nur ein Doppelzimmer. Patricia hat ihre Reservierung aufgenommen. Sie ist noch ziemlich neu, vielleicht hat sie es falsch verstanden." sagte die Frau und entschuldigte sich.



Scullys gute Laune über die Diskussion mit Mulder war verflogen. "Würden sie uns dann bitte zwei Einzelzimmer geben?"



"Tut mir leid, aber wir sind ausgebucht. Hier in der Gegen ist diese Woche eine Tagung für Magier, oder so ähnlich." sagte die Frau.



Scully verdrehte die Augen und drehte sich genervt zu Mulder. Dieser hatte sich an die Wand gelehnt und knabberte ein paar seiner Sonnenblumenkerne. Er sah ihr in die Augen und zuckte mit den Schultern. Scully drehte sich wieder zu der Frau. "Könnten sie uns denn dann bitte ein Hotel nennen, das noch frei ist."



"Tut mir leid Ma'am, aber sie werden keines finden. Keines mit zwei Einzelzimmern, geschweige denn mit zwei Doppelzimmern!" sagte sie Frau.



Scully seufzte und lehnte sich an den Tresen. "Wir nehmen es," gab sie dann schließlich von sich und nahm den Türschlüssel entgegen. Mulder folgte ihr nach draußen, als sie zielstrebig auf eines der Zimmer zusteuerte. Nicht dass sie etwas dagegen gehabt hätte mit Mulder in einem Zimmer zu schlafen, geschweige denn in einem Bett, sie hatte das ja schließlich schon öfter gemacht, aber ihr fielen spontan doch ein paar Gründe ein, die dagegen stimmten. 1. Durften sich, nach den FBI-Verhaltensregeln, die Agenten während der Untersuchung eines Falles nicht im selben Zimmer aufhalten, aber wann hatten sie sich jemals an Regeln gehalten? 2. Wußte sie nicht, ob nicht vielleicht doch ihre Gefühle die Oberhand gewinnen konnten, denn in den letzten Monaten waren sie sich näher denn je gekommen. Und 3., und das wußte Scully nur allzu gut, denn sie hatte ja schon oft genug mit ihm undercover gearbeitet und sie hatte auch schon oft genug seine Wohnung gesehen, um zu wissen, dass er nicht gerade der Mensch war, der für eine Wohngemeinschaft in Frage kam. Er war unordentlich und alles was er gerade nicht brauchte landete auf dem Boden und er war ein ziemlicher Egoist, was das Schlafen anging.



Kaum hatte Scully diesen Gedanken zu Ende gespielt, setzte er sich auch schon in die Realität um. Noch während Scully wieder die Tür hinter sich schloß, nahm Mulder Anlauf und warf sich aufs Bett. "Auf welcher Seite wollen sie schlafen, Scully?" fragte Mulder, legte sich mitten ins Bett und streckte seine Arme nach beiden Seiten aus, so dass er fast das ganze Bett alleine einnahm.



Scully antwortete nicht und ließ statt dessen ihre Tasche auf dem Boden nieder. Sie beobachtete ihn einige Sekunden. "Kommen Sie Mulder. Wir haben heute noch viel vor! Außerdem freue ich mich Detektiv Curtis wiederzusehen!" sagte Scully und betonte den letzten Satz absichtlich etwas.



Mulder drehte sich auf den Bauch und sah sich das Zimmer etwas genauer an. Er tat so, als hätte er Scullys letzten Satz nicht gehört. Eigentlich glaubte er zu wissen, dass Scully nicht ernst meinte, was sie gesagt hatte, aber es machte ihn trotzdem eifersüchtig. Sein Blick fiel auf den kleinen Apparat mit Münzschlitz neben dem Bett. "Sehen sie sich das an Scully!" er deutete entzückt darauf. "Mir wird heute Abend bestimmt nicht langweilig, wenn sie Millers Leiche obduzieren!"



"Vielleicht sollten sie sich auch wieder eine Pizza bestellen und den Lieferanten pfählen, weil sie denken er sei ein Vampir!" sagte Scully sarkastisch.



Mulders Lächeln wurde etwas kleiner. "Vielleicht ist es ja auch eine Lieferantin! Auf jeden Fall werde ich mehr Spaß haben als sie, mit ihrer Leiche!" sagte er schließlich und sein Lächeln wurde wieder etwas breiter.



"Vielleicht leistet mir Detektiv Curtis ja Gesellschaft, bei der Obduktion!" sagte Scully herausfordernd.



"Um was zu tun? Die Leiche zu befragen?" fragte Mulder sarkastisch. "So unerfahren wie der ist, würde ich ihm das zutrauen!"



Scully sah ihm wieder einige Sekunden in die Augen. Sie wollte diese Unterhaltung nicht weiter führen. Mulder leitete sie auf ein Thema, über das sie unter keinen Umständen reden wollte. "Lassen sie uns gehen Mulder. Die warten sicher schon alle!"



Mulder stand auf und ging an Scully vorbei hinaus zur Tür. "Aber diesmal fahre ich!" sagte er, während sie zum Auto liefen.





POLIZEIREVIER RICHMOND



Als Mulder und Scully das Gebäude betraten, kam gleich ein junger Polizist auf sie zu. "Sind sie die Leute vom FBI?" fragte er sie.



"Ich bin Agent Mulder und das ist Agent Scully. Wir wollen zu Detektiv Curtis." sagte Mulder. Naja, wollen ist vielleicht der falsche Ausdruck! dachte Mulder.



"Er befragt gerade noch einen Zeugen. Warum setzten sie sich nicht einfach in sein Büro und warten ein paar Minuten?" sagte der Polizist und deutete auf einen Raum.



Mulder und Scully folgten seinem Vorschlag und gingen in Curtis Büro. Mulder setzte sich auf einen der Stühle vor Curtis Schreibtisch und beobachtete interessiert die Einrichtung. Scully blieb an den Türrahmen gelehnt stehen. Curtis Büro war genau so, wie er selbst. Sauber, ordentlich und genau nach Vorschrift. Alle Akten lagen fein säuberlich auf dem Schreibtisch und es hätte Mulder nicht gewundert, wenn sie auch noch alphabetisch sortiert waren.



Detektiv Curtis kam jetzt aus dem Nebenzimmer und machte sich in Richtung zu Scully und Mulder auf. Als sie Curtis bemerkte ging Scully ein paar Schritte weiter ins innere, um ihn herein zu lassen. "Agent Scully, Agent Mulder. Schön, dass sie her gefunden haben. Wir haben die meisten Zeugen schon verhört. Sie sagen alle das Selbe aus. Richter Miller hatte sich gerade erhoben, um die Verhandlung zu vertagen, als er plötzlich wie wild um sich fuchtelte und nach Luft schnappte. Als die Sanitäter ankamen, konnten sie nichts mehr für ihn tun. Der Pathologe hat Wasser in seiner Lunge gefunden, was ja eigentlich völlig unmöglich ist und er weißt leichte Anzeichen einer Wasserleiche auf. Wir sind hier alle ratlos, was diese Sache angeht." beendete Curtis seinen Bericht.



"War er verheiratet?" fragte Mulder.



"Ja, er hat zwei Kinder. Die wohnen aber beide schon lange nicht mehr zu Hause." sagte Curtis.



"Wurde die Frau schon befragt?" fragte Mulder.



"Ja, aber es kam nichts produktives dabei heraus, wir wußten ja nicht, was wir fragen sollten." antwortete Curtis.



"Planwechsel Scully! Sie obduzieren Richter Miller schon jetzt und ich statte Mrs. Miller einen Besuch ab." sagte Mulder.



"Ich werde hier noch ein paar Zeugen befragen. Ich komme dann zu ihnen in die Gerichtsmedizin, um zu sehen, ob sie etwas neues haben." sagte Curtis.



Wie sollte es auch anders sein? dachte Mulder. "Kommen sie Scully, ich setze sie im Labor ab!" sagte Mulder und stand auf. "Auf wiedersehen Detektiv Curtis!"



Scully folgte Mulder nach draußen. "Bis später Detektiv!"





GERICHTSMEDIZINISCHES LABOR RICHMOND



Scully schaltete das Diktiergerät ein und begann mit der äußerlichen Untersuchung. Detektiv Curtis hatte recht gehabt. Die Leiche sah aus, als hätte sie einige Zeit im Wasser gelegen. Scully nahm sich eines der Skalpelle vom Tablett und öffnete den Brustkorb der Leiche. Wie schon ihr Vorgänger stellte Scully fest, dass die Lunge mit Wasser gefüllt war. Hätte Scully nicht gewußt, wie Richter Miller gestorben war, hätte sie gesagt, er wäre ertrunken. Doch wie war das möglich? Scully nahm einige Proben und nahm sie zur Untersuchung mit in den Nebenraum.





DAS HAUS DER MILLERS



Mulder klingelte an der Haustüre und wartete darauf, dass ihm jemand öffnete. Eine Frau um die 40 öffnete ihm. Sie trug schwarze Kleidung und hatte dunkle Ringe unter den Augen. "Mrs. Miller? Ich bin Agent Fox Mulder vom FBI. Darf ich ihnen ein paar Fragen stellen im Bezug auf ihren Mann?"



Die Frau nickte und öffnete die Türe weiter, so dass Mulder eintreten konnte. Mrs. Miller führte ihn ins Wohnzimmer und deutete auf die Couch. "Ich weiß nicht, was ich ihnen noch sagen soll. Ich habe der Polizei doch schon alles gesagt."



"Die Sache ist die Mrs. Miller. Es ist uns nicht ganz klar, an was ihr Mann gestorben ist. Hat er vielleicht ein neuartiges Medikament getestet, oder hat er in letzter Zeit etwas anderes getan, als er es sonst tat?" fragte Mulder.



"Nein, es war alles so wie immer. Ich verstehe das nicht. Die Polizei sagte es deute alles darauf hin, dass er ertrunken sei, aber wie ist das möglich in einem Raum ohne Wasser?" fragte Mrs. Miller und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.



"Ich weiß es nicht Ma'am, aber wir werden es herausfinden." sagte Mulder. "Hatte ihr Mann irgendwelche Feinde?"



"Natürlich hatte er das. Er war Richter und er hat schon so manchen verurteilt!" antwortete Mrs. Miller.





GERICHTSMEDIZINISCHES LABOR RICHMOND



Scully sah sich die Analyse der Proben an, dann ging sie zurück zu Millers Leiche und suchte seinen Körper nach Spritzeneinstichen ab. An seinem Oberarm wurde sie fündig. Ein kleiner, schon fast abgeheilter Einstich. Sie nahm ihr Handy aus ihrem Mantel und tippte Mulders Nummer ein. Während sie den Freizeichen lauschte betrachtete sie nochmals was die Analyse ergeben hatte.



DAS HAUS DER MILLERS



Mulders Handy fing plötzlich an zu klingeln und unterbrach sein Gespräch mit Mrs. Miller. Er zog es aus seiner Manteltasche und stand auf. "Entschuldigen sie mich einen Moment." Mrs. Miller nickte und Mulder ging ein paar Schritte Richtung Fenster, bevor er den Anruf annahm. "Mulder."



"Ich bin's!" tönte eine ihm wohl bekannte Stimme an sein Ohr. "Wo sind sie?"



"Ich bin bei Millers Frau. Was gibt's?" fragte Mulder.



"Ich habe in Millers Blut Spuren von Meskalin gefunden." sagte Scully.



"Halluzinogene?" fragte Mulder überrascht.



"Ja, aber es ist mit einem weiteren Stoff verabreicht worden dessen Wirkung ich nicht kenne." sagte Scully.



"O.K., Scully. Versuchen sie heraus zu bekommen, was dieser andere Stoff ist. Ich hole sie dann im Labor ab." sagte Mulder und schaltete sein Handy wieder aus. Dann wendete er sich wieder zu Mrs. Miller. "Mrs. Miller, das hört sich jetzt bestimmt verrückt an, aber ich muß das Fragen. Hat ihr Mann jemals Drogen genommen?"



"Nein, das glaube ich nicht. Er hat auch nicht geraucht, oder getrunken!" antwortete Mrs. Miller.



"Vielen Dank für ihre Hilfe Ma'am! Wenn ich noch etwas brauche werde ich mich melden!" sagte Mulder und streckte ihr die Hand entgegen. Mrs. Miller begleitete ihn noch bis zur Tür und sah zu, wie er in sein Auto stieg und den Weg zurück fuhr, von dem er gekommen war.





GERICHTSMEDIZINISCHES LABOR RICHMOND



Scully zog mit einem gekonnten Zug das Laken wieder über Richter Millers Leiche und schob sie in den Kühlraum. Dann suchte sie ihre Sachen zusammen. Als sich die Tür öffnete und jemand das Labor betrat, huschte ein Lächeln über Scullys Gesicht. "Sie haben sich aber beeilt." sagte sie, ohne sich umzudrehen.



"Entschuldigen sie, es hat etwas länger gedauert." sagte Detektiv Curtis.



Scully drehte sich überrascht um, als sie seine Stimme erkannte. "Oh sie sind es. Ich dachte sie wären Mulder." sagte Scully.



"Da muß ich sie enttäuschen. Haben sie etwas gefunden?" fragte Curtis.



"Ja, ich habe Spuren von Meskalin und eines anderen Stoffes in seinem Blut gefunden. Ich konnte aber noch nicht in Erfahrung bringen, woraus dieser Stoff besteht." sagte Scully und steckte die Analyse des Blutes in ihre Tasche. "Ich werde die Probe ins FBI-Labor in Quantico schicken."



"Tun sie das. Kann ich sie vielleicht mit zu ihrem Hotel nehmen?" fragte Detektiv Curtis.



"Nein Danke. Mulder müßte gleich kommen. Er wollte mich abholen!" sagte Scully und lächelte.



"Schön. ich geh also dann wieder!" sagte Curtis und sah sie an, als hoffe er sie würde es sich doch nochmals überlegen.



Die Tür ging ein weiteres Mal auf und diesmal kam Mulder herein. Er schaute Curtis überrascht an. "Detektiv Curtis, was machen sie denn hier?"



"Ich wollte mich nur erkundigen, ob sie etwas neues gefunden haben." sagte Curtis. "Ich wollte jetzt sowieso gehen." er machte eine kleine Verbeugung und verschwand hinter der Tür.



Scully sah ihn lächelnd nach. "Hab ich ihn jetzt verscheucht? Das tut mir aber leid! Sie beide schienen sich so gut zu unterhalten!" sagte Mulder sarkastisch und wieder huschte dieses Lächeln über Scullys Gesicht. Das gleiche Lächeln, das sie auch morgens gehabt hatte, als sie ihn fragte, ob er eifersüchtig sei.



"Lassen sie uns gehen Mulder!" sagte sie und verschwand ebenfalls durch die Tür.



Mulder hatte darauf bestanden zu fahren und Scully war nicht gewillt dagegen zu protestieren. Sie kurbelte die Fensterscheibe hinunter und sah aus dem Fenster.



Mulder sah einige Male zu ihr hinüber. Die Sonne schien auf ihr rotblondes Haar und es sah aus, als würde es leuchten. Sie war so wunderschön! Ich sollte mich besser auf die Straße konzentrieren, sonst baue ich noch einen Unfall! dachte Mulder. Aber wie sollte er sich auf die Strasse konzentrieren, wenn neben ihm die schönste Frau der Welt saß? "Jetzt, da sie die Obduktion ja schon gemacht haben können sie sich ja doch den Porno mit mir ansehen!" sagte er und mußte sich zusammenreißen, um ernst zu wirken.



Scully drehte sich zu ihm. "Ich werde mir KEINEN Porno mit ihnen ansehen Mulder!" sagte Scully und betonte jedes Wort.



Mulder konnte sich ein Lachen nicht mehr zurückhalten, als er sah, wie Scully auf dem Beifahrersitz saß und ihn entsetzt ansah. "Das war ein Witz, Scully, klar."



Scully drehte ihren Kopf wieder zum Fenster und atmete die Luft von Richmond ein.





COMMUNITY INN



Mulder schloß die Tür zu ihrem Zimmer auf und ließ Scully nach drinnen. Scully zog ihre Jack aus. "Ich gehe duschen!" sagte sie und wühlte in ihrer Tasche nach bequemeren Klamotten. Mulder nickte, zog seine Schuhe aus und lief zum Radio, um einen geeigneten Sender einzustellen. Scully legte ihre Kleider auf einen Stuhl und suchte weiter nach ihrem Duschzeug. Wenig später verschwand sie dann im Bad.

Mulder legte sich aufs Bett und ließ sich den Fall nochmals durch den Kopf gehen.

Wenig später verspürte er einen unangenehmen Druck auf der Blase. Was sollte er jetzt machen? Scully duschte ja gerade. Er stand auf und ging zur Badtüre. "Scully?" sagte er und klopfte vorsichtig an. "Brauchen sie noch lange?"



Scully schaltete das Wasser aus und tastete nach dem Handtuch. "Ich bin gleich fertig!" Sie wickelte sich das Handtuch um den Körper und suchte nach ihren Klamotten. Verdammt! Ich hab sie draußen liegen lassen! erinnerte sie sich. Sie zog das Handtuch fester um den Körper und öffnete die Tür.



Mulder hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand neben der Türe gelehnt. Als er merkte, dass die Türe aufging, drehte er sich in Richtung der Türe. Scully kam nach draußen und Mulder dachte, er würde gleich in Ohnmacht fallen. Er starrte sie, mit offenem Mund an und schluckte dann.



Scully konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als sie Mulders Blick sah. "Ich... ich habe meine Kleider draußen vergessen." sagte sie entschuldigend für ihren Auftritt.



"Oh... äh... das macht doch nichts, sie sehen auch so gut aus." sagte Mulder. Als ihm bewußt wurde, was er gerade gesagt hatte, fing er an zu stammeln. "Ich meine... äh..."



"Schon gut Mulder, ich weiß was sie meinen!" sagte Scully und ging lächelnd an ihm vorbei zu dem Stuhl, auf dem ihre Kleider lagen.



Mulder sah ihr hinter her. Ob sie wohl wußte, wie erotisch sie aussah? Mulder schluckte ein weiteres Mal. Er beobachtete genau, wie die Wassertropfen langsam ihre Haut hinunter rannen, wie sich ihr nasses Haar an ihrem Nacken festklebte. Er stand völlig fasziniert vor der Badtüre und beobachtete seine Partnerin. Ob sie das mit Absicht machte? Mulder wurde in diesem Moment klar, wie nützlich doch diese Kleiderordnung beim FBI war. Wenn er Dana öfter in Tops oder engen T-Shirts sehen würde, wäre seine Aufklärungsquote von Fällen wesentlich niedriger, denn er würde sich die Hälfte der Zeit nicht konzentrieren können.



Scully bemerkte Mulders gierige Blicke und lief betont langsam zu dem Stuhl. Es gefiel ihr, das er sie anscheinend attraktiv fand. Beim Stuhl angekommen nahm sie die Kleider in die Hand und sah wieder zu Mulder. Er starrte sie noch immer an und sagte kein Wort. Scully lächelte. "Wollten sie nicht ins Bad?" fragte sie und bemerkte, dass Mulders Gesicht eine leicht rötliche Farbe annahm. Das hatte sie noch nicht oft an ihm gesehen. Mulder war eigentlich nie etwas peinlich.



"Äh... ja... sie haben recht... ich wollte ins Bad... Ich... geh dann mal!" sagte er verlegen und deutete ins Bad. Doch er bewegte sich auch weiterhin nicht von der Stelle, sondern sah sie an.



Scullys Lächeln wurde breiter und sie sah ihn mit einem erwartenden Blick an.



Mulder bemerkte ihren Blick und begann langsam sich in Richtung Bad zu bewegen, wobei er den Blick nicht von ihr löste. Als er endlich die Türe hinter sich geschlossen hatte, lehnte er sich dagegen und atmete tief ein und aus. Ob er es wohl schaffte hier mit Scully zusammen zu leben? Wenn sie das, was sie eben getan hatte noch öfter machte, würden sie irgendwann im Bett landen.



Scully lächelte, als Mulder die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie hatte ihn anscheinend ganz schön aus der Fassung gebracht. Nicht, dass ihr das nicht gefallen hatte, sie würde es jeder Zeit wieder tun, aber sie bezweifelte, ob es förderlich für ihren Fall wäre, wenn sie beide jetzt zu Sklaven der Leidenschaft werden würden. Und was wäre wenn sie wieder in D.C. waren? Wenn es herauskommen würde, dass sie eine Affäre hatten, würden sie einen von ihnen versetzen und das wollte Scully nicht riskieren. Und was wäre, wenn es nicht klappte? Was wäre, wenn sie feststellten, dass sie gar nicht zusammen paßten? Ihre Freundschaft wäre nicht mehr das, was sie jetzt war und sie könnte in ihm nie wieder den Partner, den Freund sehen, der er jetzt war. Sie würde in ihm immer den Mann sehen, den sie mehr als alles andere liebte, mit dem sie eine Beziehung hatte, die aber nicht geklappt hatte. Und was war, wenn er sie gar nicht liebte? Gut, sie hatte ihn gerade dazu gebracht ihr hinterher zu starren, so dass er keinen festen Gedanken mehr fassen konnte, aber das schafften die Mädchen in seinen Pornos auch und das bedeutete noch lange nicht, das er die liebte.

Scully zwang sich an etwas anderes zu denken und zog sich an, um fertig zu sein, wenn Mulder wieder aus dem Bad kam, denn sie wollte nicht noch einmal dafür verantwortlich sein, dass sein Gehirn aussetzte.

Dann setzte sie sich aufs Bett, schaltete das Radio aus und suchte nach der Fernbedienung des Fernsehers. Noch ehe sie sie gefunden hatte öffnete sich die Badtüre wieder und Mulder kam heraus. Er sah wesentlich besser aus, als noch vor ein paar Minuten. Scully wußte nicht, ob es daran lag, das seine Blase wieder leer war, oder weil sie jetzt angezogen war.



"Hey, das war mein Platz!" sagte er dann und versuchte verärgert auszusehen.



Scully lächelte. "Das ist UNSER Bett und es gehört zur Hälfte mir. Außerdem sind sie ja noch nicht so fett, als dass wir nicht beide hier rauf passen würden!" antwortete Scully neckisch.



"Ich vielleicht nicht, aber vielleicht sie!" sagte Mulder und im nächsten Moment wurde ihm klar, dass er Dana gerade beleidigt hatte. Doch er stellte erleichtert fest, dass sie es als Scherz aufgenommen hatte.



"Ich bin zu fett?" fragte sie lächelnd. "Na warte, das bedeutet Krieg!" Sie packte sich eines der Kopfkissen und schleuderte es Mulder mitten ins Gesicht, der den Angriff zu spät bemerkte.



Mulder hob das Kissen vom Boden auf und kam, das Kissen schützend vor sich haltend, auf Dana zu. "Das war unfair, Scully!"



"War es das?" fragte Scully, schnappte sich das zweite Kissen und warf es wieder nach Mulder. Wieder reagierte er zu spät und es landete mitten in seinem Gesicht. Scully konnte ihr Lachen nicht mehr unterdrücken, als sie Mulders beleidigtes Gesicht sah. Er sah zum kaputt lachen aus. Sie ließ sich aufs Bett fallen und lachte lauthals los.



Auf diesen Augenblick hatte Mulder gewartet. Er schmiß gleichzeitig beide Kissen auf Dana und sprang dann wie eine Raubkatze auf das Bett um Scully zu kitzeln. Scully war auf diesen Angriff nicht gefaßt und drehte sich zur Seite, um sich vor Mulders kitzeln zu schützen, doch alles wehren half nichts, sie wurde durchgekitzelt, ob sie nun wollte, oder nicht. Ein wilder Kampf entbrannte, in dem Scully immer wieder versuchte sich aus Mulders Griffen zu befreien. Als sie schließlich beide außer Atem waren, endete die Schlacht in der Mitte des Bettes. Mulder hielt Scullys Handgelenke fest und beugte sich über sie. Sie sahen sich tief in die Augen. Scully wußte nicht, wie viele Minuten vergingen, aber es kam ihr wie Stunden vor. Sie sahen sich einfach nur in die Augen und lasen darin. Scully fühlte, wie sich ein Kloß in ihre Hals bildete. Würde es passieren? Würde er sie jetzt endlich küssen? Wollte sie das überhaupt? Wollte sie, das sich alles änderte? Wollte er es? Scully forschte in seinen Augen. Natürlich wollten sie es. Sie wollten es beide mehr als alles andere. Aber war es richtig? Sollten sie es einfach tun?



"Das hab ich seit Jahren nicht mehr gemacht!" sagte Scully schließlich immer noch außer Atem.



"Ich auch nicht!" antwortete Mulder und wieder verlor er sich in ihren blauen, wunderschönen Augen. Tu es endlich Feigling! Das ist deine Chance! Das ist der perfekte Augenblick! Tu es schon! hörte Mulder etwas in ihm sagen.



Bitte! Bitte laß es ihn tun! Egal was passiert, egal welche Konsequenzen es hat, aber laß ihn mich küssen! Bitte! schickte Scully ein Stoßgebet in den Himmel.



Als hätte er ihr stilles Gebet erhört beugte er sich näher zu ihr hinunter. Langsam und zaghaft. Scully konnte seinen warmen Atem auf ihrer Haut spüren. Ihre Lippen zitterten leicht vor Verlangen. Gleich würde es passieren. Nach 7 Jahren würde er sie endlich küssen und diesmal hatte er keine Ausrede. Es war weder Silvester, noch ihr Geburtstag, noch irgend ein anderer Tag, der es entschuldigt hätte, dass er sie küßte. Scully schloß ihre Augen. Mulder tat es ihr gleich. Er näherte sich in Millimeterabständen ihrem Mund. Mit jedem Mikrometer wuchs sein Verlangen. Und dann ...



...klingelte sein Handy. Mulder schreckte auf, öffnete seine Augen und tastete danach. "Mulder!"



Scully blieb noch einige Sekunden liegen, dann stand sie auf und verschwand im Bad. Sie setzte sich auf den Hocker, der dort stand und betrachtete sich im Spiegel. Warum mußte so etwas immer passieren? Immer wenn sie kurz davor waren? Gut, dieses Mal war es keine Biene gewesen, die ihren Kuß vermasselt hatte, aber es tat in ihren Herzen genau so weh. Vielleicht war das ein Zeichen. Ein Zeichen, dass es nicht sein sollte. Das sie sich ewig anschmachten sollten, aber niemals zusammen kommen würden. Eine Träne rann Scully die Wangen hinunter. Vielleicht war es ja besser so. Sie konnte ihn als Freund sicher besser gebrauchen, wie als Liebhaber.



Mulder bemerkte nur noch, wie Dana im Bad verschwand, dann widmete er sich dem Anrufer.



"Agent Mulder? Tut mir leid, dass ich sie störe, aber es gibt wieder eine Leiche. Officer Carlton Stamper." sagte ihm Detektiv Curtis.



Ist doch klar, dass es dieser kleine Bastard ist, der mir den Kuß mit Scully versaut! dachte Mulder. "Schon gut Detektiv. Ich habe gerade sowieso nichts wichtiges gemacht!" sagte er mit einem Unterton in der Stimme. "Wieder ERTRUNKEN?" fragte Mulder sarkastisch.



"Nein! Er hat tiefe Bißwunden von Hunden!" sagte Curtis.



"Und? Was hat das mit unserem Fall zu tun?" fragte Mulder genervt.



"Es waren weit und breit keine Hunde zu sehen!" antwortete Curtis.



"Sind sie vielleicht weggerannt?" sagte Mulder, der langsam die Geduld verlor. Wie konnte dieser Typ ihn wegen so etwas davon abhalten Scully zu küssen?



"Ich glaube sie verstehen nicht Agent Mulder. Seine Frau hat ausgesagt, dass die Wunden ganz plötzlich aufgetaucht sind, ohne das auch nur ein Hund in der Nähe war." sagte Detektiv Curtis.



"Sie meinen der Hund war unsichtbar?" fragte Mulder, dessen Neugier jetzt geweckt war.



"Ich will damit sagen, das dieser Fall anscheinend genau in ihrem Aufgabenbereich liegt." sagte Curtis.



"Agent Scully und ich sind in ein paar Minuten bei ihnen." sagte Mulder und legte auf, nachdem ihm Curtis die Adresse der Stampers gegeben hatte. Dann lief er zur Badtüre und klopfte vorsichtig an. "Scully? Alles in Ordnung?"



Diese Frage hätte er sich eigentlich sparen können, denn sie antwortete wie immer mit einem "Mir geht es gut! Ich komme gleich Mulder."



"Das war Detektiv Curtis, es gibt noch eine Leiche!" sagte Mulder.



Scully riß sich ein Blatt vom Klopapier ab und versuchte die von der Träne verflossene Wimperntusche so gut es ging wieder weg zu wischen. "Gehen sie ruhig schon zum Auto. Ich komme gleich!" sagte sie und hoffte, dass Mulder ihrem Vorschlag nachgehen würde, denn sie mußte sich auch noch andere Kleidung anziehen.



Mulder blieb einige Sekunden vor der Badtüre stehen. Sollte er tun, was sie gesagt hatte, oder sollte er nach innen stürmen und sie in den Arm nehmen, denn er spürte deutlich, dass es ihr NICHT gut ging. Er beschloß dann das zu tun, was sie wollte, schließlich war sie erwachsen und wenn sie gewollt hätte, dass er sie in den Arm nahm hätte sie es ihm sicher zu verstehen gegeben. Während er die Tür öffnete und nach draußen ging überlegte er, weshalb sie wohl so down war. War es, weil sie sich NICHT geküßt hatten, oder weil sie sich FAST geküßt hatten. Was wenn letzteres zutraf? Mulder wollte nicht weiter darüber nachdenken und versuchte sich wieder auf den Fall zu konzentrieren.



Ein paar Minuten später kam Scully nach draußen und setzte sich zu ihm in den Wagen. Er sah sie einige Sekunden an.



"Was ist? Wollen sie nicht losfahren?" fragte Scully überrascht.



Mulder antwortete nicht, sondern startete den Motor und legte den ersten Gang ein. "Es wird ihnen nicht gefallen, aber es scheint so, als müßten sie heute Abend doch noch eine Autopsie durchführen!" sagte er, während er aus der Ausfahrt fuhr.



"Dann können sie sich ja doch noch den Porno ansehen." sagte Scully knapp.



Mulder antwortete nichts.





DAS HAUS DER STAMPERS



Als Mulder in die Straße fuhr, die ihm Detektiv Curtis genannt hatte, merkten sie gleich, dass sie richtig waren. Überall standen Streifenwagen und der Garten der Stampers war voller Polizisten. Mulder parkte den Wagen etwas Abseits. Als sie das Haus betraten, wurde Officer Stamper gerade in einen Leichensack gesteckt. Scully betrachtete von weitem die Bißwunde am Hals der Leiche, ehe sie Mulder ins Wohnzimmer folgte. Detektiv Curtis saß vor einer um die 50 Jahre alten Frau, die völlig aufgelöst schien und unaufhörlich in ein Taschentuch weinte.



"Und er hatte doch immer so Angst vor Hunden! Es war das Einzige vor dem er Angst hatte!" sagte die Frau und weinte erneut.



Detektiv Curtis hatte Mulder und Scully bemerkt und kam ihnen entgegen. "Die Leiche wird jetzt ins gerichtsmedizinische Labor gebracht. Wenn sie wollen, können sie gleich mitfahren, Agent Scully. Ich nehme an, das sie sie persönlich obduzieren wollen." sagte Curtis.



Scully schaute einen Augenblick zu Mulder. "Vielen Dank, ich finde schon raus." Dann drehte sie sich um und ging wieder nach draußen.



"Kann ich mit ihr reden?" fragte Mulder und deutete auf Mrs. Stamper.



"Sicher, aber sie wird nicht viel sagen, sie steht unter Schock." Sagte Curtis, doch ehe er sich versah, war Mulder schon auf dem Weg.



"Mrs. Stamper? Ich bin Agent Mulder vom FBI. Wenn wir herausfinden wollen, was passiert ist, müssen sie mir ein paar Fragen beantworten!" sagte Mulder und setzte sich auf den Platz, auf dem Curtis zuvor gesessen hatte.



"Carlton ist die Treppe hinunter gerannt gekommen. Dann sah es aus, als würde etwas an seinem Hosenbein zerren und er fiel auf den Boden. Ich bin zu ihm gelaufen und wollte ihm wieder aufhelfen, doch er schlug wild um sich. Und plötzlich fing sein Arm an zu Bluten und Carlton schrie, ich solle die Polizei rufen. Ich bin zum Telefon gerannt und als ich zurück kam... lag er mit aufgerissenem Hals und tot auf dem Boden." erzählte Mrs. Stamper.



Mulder wunderte sich selbst, als er Mrs. Stamper die Frage stellte, die Scully wahrscheinlich gestellt hätte, wenn sie hier gewesen wäre. "Es könnte also während der Zeit, als sie beim Telefon waren ein Hund dagewesen sein?"



Mrs. Stamper sah ihn einige Minuten an. "Ja, schon, aber alle Türen waren verschlossen und ich habe auch keinen Hund bellen oder knurren gehört."



"Vielen Dank Mrs. Stamper, sie haben uns sehr geholfen!" Mulder stand auf und ging zurück zu Curtis. Ich brauche sämtliche Akten über Richter Steven Miller und Officer Carlton Stamper. ALLE, die sie kriegen können!" sagte er zu Curtis.



"Haben sie einen Verdacht?" fragte Curtis.



"Ich habe da nur so eine Ahnung." sagte Mulder.





GERICHTSMEDIZINISCHES LABOR RICHMOND



Nachdem Scully auch die Leiche von Officer Stamper obduziert hatte, und die Proben analysiert hatte, war sie sichtlich erschöpft und wünschte sich nur noch ein großes, weiches Bett. Sie hatte sich ein Taxi gerufen und wartete vor dem Laborgebäude. Einige Sekunden spielte sie mit dem Gedanken Mulder anzurufen, um ihm mitzuteilen, was sie entdeckt hatte. Doch sie beschloß es zu lassen. Schließlich war ja er Schuld, das sie heute zwei Obduktionen durchführen mußte und dann konnte er gefälligst auch warten, bis sie im Hotel war, ehe sie ihm ihre Ergebnisse mitteilte. Plötzlich klingelte ihr Handy und Scully kramte in ihrem Mantel danach. "Scully!"



"Agent Scully, hier ist Agent Blair aus dem Labor in Quantico. Sie hatten uns eine Probe geschickt!" sagte der Agent.



"Ja, was haben sie herausgefunden?" fragte Scully und rieb sich die Augen.



"Der Stoff, den sie nicht identifizieren konnten, habe ich auch noch nie gesehen. Er scheint völlig neuartig zu sein, aber es scheint so, als rege er bestimmte Zonen im Gehirn dazu an zu arbeiten." sagte der Agent.



"Ist gut, versuchen sie weiter mehr heraus zu bekommen. Ich danke ihnen." sagte Scully. Der Agent verabschiedete sich und Scully schob ihr Handy wieder in die Tasche.

Kurz danach bog endlich das Taxi um die Ecke und Scully stieg ein. "Community Inn, bitte."





COMMUNITY INN



Scullys Träume von einem weichen, großen Bett, lösten sich in Nichts auf, als sie die Türe aufschloß und Mulder inmitten eines riesigen Haufens Akten auf dem Bett sitzen sah. Hinzu kam noch, dass überall auf dem Bett Sonnenblumenkerne verstreut lagen. Scully seufzte und ließ sich in den Sessel neben der Türe sinken. Sie war eine verzweifelte, müde Frau, die gerade festgestellt hatte, das sie wohl in nächster Zeit nicht schlafen könnte.



Mulder sah von einer Akte auf. "Hi Scully, was haben sie rausgefunden?"



Das war mal wieder typisch. Sie saß da wie ein Häufchen Elend, fühlte sich total schlapp, und er hatte nichts anderes zu tun, als sie zu fragen, was sie herausgefunden hatte. Er fragte nicht einmal, wie es ihr ging! "Ich habe in Officer Stampers Blut den gleichen Stoff, wie bei Richter Miller gefunden. Das Labor in Quantico hat den Stoff analysiert und festgestellt, dass sich bei seiner Verabreichung einige Gehirnzellen abnorm in ihrer Tätigkeit steigern."



"Und? Was ist ihre Theorie?" fragte Mulder neugierig.



"Ich habe keine Theorie Mulder. Für mich paßt das alles nicht zusammen. Rauschmittel haben doch nichts mit ertrinken, oder zerfleischt werden zu tun." sagte Scully.



"Vielleicht doch, Scully. Wenn man mehr daran glaubt, dass man tot ist, als lebendig, reagiert der Körper und stirbt. Ich glaube, dass Richter Miller und auch Officer Stamper durch die Droge so beeinflußt wurden, dass sie fest daran glaubten zu sterben und es dann auch getan haben." sagte Mulder.



"Das meinen sie doch nicht ernst Mulder! Selbst wenn dem so wäre, wo kommt das Wasser in Richter Millers Lunge her und wo sind die Hautfetzen, die aus Officer Millers Arm und Hals gerissen wurden?" fragte Scully.



"Das weiß ich nicht. Aber wo sind sie, wenn es nichts mit den Drogen zu tun hat? Klingt ein unsichtbarer Hund und ein unsichtbarer See, der nur Richter Miller ertränkt für sie logischer?" fragte Mulder.



Scully ließ den Kopf in den Nacken fallen. "Mulder, Meskalin ist ein Rauschmittel, das schöne Eindrücke erzeugt und keine Angstsituationen!"



"Schon, aber was ist mit dem anderen Stoff? Und wie erklären sie sich, dass beide Männer an genau der Sache sterben, vor der sie am meisten Angst hatten? Richter Miller haßte Wasser. Er konnte nicht schwimmen und hielt sich von Wasser immer fern und was Stampers Frau über Hunde gesagt hat haben sie ja mitbekommen." Mulder sah Scully eindringlich an. "Ich habe etwas recherchiert und herausgefunden, das Miller vor zwei Jahren einen Mörder, den Stamper gefaßt hatte verurteilt hat."



"Und sie denken das wäre ein Racheakt? Sie denken, dieser Mann hat Miller und Stamper diese Halluzinogene gespritzt um sich zu rächen?" fragte Scully skeptisch. "Denken sie doch mal logisch Mulder, da gibt es doch sicher bessere Wege jemanden umzubringen."



"Tja, aber vom Gefängnis aus scheint das ein bißchen schwer." antwortete Mulder.



"Und wie soll er vom Gefängnis aus den zwei Männern unbemerkt eine Spritze gegeben haben?" fragte Mulder.



"Genau das müssen wir herausfinden!" sagte Mulder.



Scully sah ihn einige Minuten in die Augen. "Aber nicht mehr heute Mulder. Ich bin müde! Räumen sie das Bett leer und schütteln sie ihre Sonnenblumenkerne hinunter!" sagte Scully, stand auf, wühlte in ihrer Tasche nach ihrem Pyjama und verschwand im Bad.



Mulder folgte ihrer Anweisung und stapelte die Akten auf dem Boden. Dann fegte er die Kerne vom Bett und nahm sich ein T-Shirt und eine neue Boxershort aus seiner Tasche. Als Scully wieder aus dem Bad kam, verschwand er darin. Scully sah mit halb offenen Augen auf den Boden, der nun voller Akten war. So hatte sie das eigentlich nicht gemeint. Doch Scully war zu müde, um sich darüber aufzuregen und stieg statt dessen ins Bett.

Als Mulder aus dem Bad kam schlief sie bereits. Mulder schaltete das Licht aus und stieg vorsichtig, um sie nicht zu wecken, zu ihr ins Bett. Er zog die Decke etwas höher und deckte sie zu. Dann legte er seinen Kopf auf das Kissen und beobachtete sie. Im Mondschein sah sie noch zerbrechlicher aus, als bei Tageslicht, aber Mulder wußte, dass sie ganz und gar nicht zerbrechlich war. Sie war die stärkste Frau, der er je begegnet war und es schien, als würde sie unermeßlich Leid ertragen können. Es gab nur selten Momente, in denen sie zeigte, wie verletzlich sie doch wirklich war. Mulder hatte einmal gehört, dass Menschen im Schlaf ihr wahres ich zeigten. Dann muß Dana ein Engel sein! dachte Mulder, denn sie sah wie ein Engel aus. Vorsichtig strich er ihr eine Strähne ihres rotblonden Haares aus dem Gesicht, um es ganz betrachten zu können. Er lag noch lange so neben ihr und beobachtete einfach nur wie sie schlief, bis er schließlich vom Schlaf übermannt wurde und in seine Traumwelt verschwand. In seiner Traumwelt, in der es keine Verschwörung, keine Arbeit, keine Bienen und keine Telefone gab. In seine Welt, die nur Dana und ihm gehörte.
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