World of X

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Truth

von Sam23

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Fox Mulder ballte die Hände zu Fäusten und schloss seine Augen. Aus. Vorbei. Für immer. Der Taxifahrer wuchtete den letzten Koffer in den Kofferraum und knallte den Deckel zu. Fox Mulder blickte hinüber zum Haus. Er würde es nie wiedersehen. Er würde sie nie wiedersehen. Tränen schossen ihm in die Augen und für eine Sekunde glaubte er, den Schmerz nicht länger zu ertragen. Aus. Vorbei. Und warum? Weil die Welt nun mal nicht fair war. Weil es in der Welt um Geld und Macht ging und nicht um Liebe und Gefühle. Darum.

Es war nicht fair. Er liebte sie. So sehr wie er noch nie einen Menschen geliebt hatte. Und er liebte seinen Sohn. Für eine Minute hatte er das perfekte Glück gefunden. Und jetzt? Jetzt saß er in einem Taxi und wartete darauf ins Nirgendwo zu fahren. Fox Mulder hatte keine Angst vor dem, was kommen würde. Es würde sein, als hätte er niemals existiert. Als würde er einschlafen und nicht mehr aufwachen. Jedenfalls stellte er sich das so vor. Niemand hatte ihm erklärt was nun passieren würde, aber er spürte es instinktiv. Das es vorbei war. Aus. Vorüber. Endgültig.

Es war nicht fair. Fox starrte auf sein Spiegelbild im Wagen. Warum hatten sie ihn all das durchstehen lassen? All den Schmerz, den er hatte ertragen müssen, all die Hindernisse, die er hatte überwinden müssen – und das war nun der dank dafür. Er wurde einfach aus dem Drehbuch rausgeschrieben. Mit einem Satz weggewischt. In die Dunkelheit geschickt.

Es war nicht fair. Er verstand es nicht. Fox Mulder strich sich mit der Hand über die Augen, um die Tränen wegzuwischen. Die Wahrheit. Er hatte die Wahrheit gefunden, oh ja. Eine Wahrheit, die so viel bizarrer und unglaublicher war, als er sich es hätte jemals vorstellen können. Jetzt wünschte er sich die Lügen zurück. Denn dann würde er jetzt einfach gehen und seine Entscheidung nicht bedauern, nicht zurückblicken und nicht trauern. Er würde einfach gehen. So wie es im Drehbuch vorgesehen war.

Fox Mulder schlug mit der Faust gegen die Scheibe, die bedenklich klirrte.

„Hey, langsam, Mann“, rief der Taxifahrer, der sich eben hinter das Steuer schwang. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß, das ist schwer, aber davon kommt sie auch nicht zurück.“

„Bitte?“

„Eine Frau. Es geht um eine Frau. Es geht immer um eine Frau“, erklärte der Taxifahrer. Mulder schüttelte den Kopf. Eigentlich ging es um jemanden, der Gott spielte und damit durchkam. Aber wie sollte er das seinem Fahrer begreiflich machen?

„Wo soll’s denn hingehen?“

Mulder lachte verbittert auf. Ein Ziel? Er hatte kein Ziel, denn das hier war nicht sein Leben. Das hier war nicht das, was er, Fox William Mulder, für diesen Tag geplant hatte. Das hier war, was ein anderer für ihn im Sinn hatte, so wie es die letzten acht Jahre gewesen war.

Mulder versuchte sich zu erinnern, wann es ihm das erste Mal aufgefallen war. Waren es die Super-Heilungskräfte gewesen, die er und Scully anscheinend zu besitzen schienen? Als sie schwer verletzt in der Wildnis lagen und eine Woche später schon wieder zum Dienst erschienen, als sei nichts gewesen? Oder dass er sich nur an bestimmte Wochentage erinnern konnte? Oder als er das erste Mal auf die Fische in seinem Aquarium gestarrt hatte und sich fragte, ob sie eigentlich Namen hatten? Oder war es der Moment gewesen, als ihm klar geworden war, dass er keine Ahnung hatte, warum er jede Nacht auf der Couch schlief? Mulder wusste es nicht. Aber er konnte sich an den Moment erinnern, als sich alles verändert hatte. Silvester. Silvester 2000. Der Moment, in dem er Scully geküsst hatte. Der Moment, der alles verändert hatte. Er wollte diesen Kuss nicht so schnell beenden, doch etwas zwang ihn dazu. Er wollte nicht den Kopf heben und sagen: „Die Welt ist nicht untergegangen.“ Er wollte etwas ganz anderes zu der Frau an seiner Seite sagen, doch es kamen andere Worte aus seinem Mund. Worte, die nicht seine Worte waren. Worte, die jemand aufgeschrieben hatte, damit er sie aufsagte. Worte, die nicht aus seinem Verstand, nicht aus seinem Herzen gekommen waren. Und da hatte Fox Mulder die Wahrheit verstanden. Er existierte gar nicht. Jedenfalls nicht so, wie er sich das vorstellte. Er war nichts weiter, als eine Figur in einem Film. Oder besser gesagt: in einer Fernseh-Serie.

Und in ein paar Sekunden würde er nicht einmal mehr das sein. Denn dann würde sein Bildschirm-Leben enden. Er würde nicht mehr Teil dieser Geschichte sein. Er hatte viel über das warum nachgedacht. Vielleicht mochten ihn die Zuschauer nicht. Würde ihn nicht wundern, die Seiten von ihm, die sie zeigten, mochte selbst er manchmal nicht. Oder der Schauspieler, der ihm das Leben geschenkt hatte, wollte sich nach einem lukrativeren Geschäft umsehen. Zur Hölle mit dem Fernsehen, ich bin jetzt ein Kinostar. Fox konnte ihm nicht wirklich böse sein. Der Kerl, wer auch immer er war, konnte nicht wissen, dass er ein bewusst denkendes Wesen zerstörte.

Denn seit Fox die Wahrheit gefunden hatte, hatte er ein Leben gehabt. Er konnte sich an jeden Tag erinnern, an jede Sekunde. An Zeiten, in denen er frei war, tun konnte, was er wollte und andere, in denen er wie eine Marionette gesteuert wurde, ohne eine Chance auszubrechen. Diese Zeiten waren schwer gewesen. Es gab Momente, in denen er genauso gehandelt hätte wie es das Drehbuch vorschrieb. Aber es gab andere Momente, in denen er aufschreien wollte vor Wut, weil sie ihn zu etwas zwangen, was er nicht wollte.

Als er sich von Scully verabschiedet hatte, zum Beispiel. Er wäre nicht zurück in den Wald gegangen, als sie ihn gebeten hatte, nicht zu gehen. Er wäre geblieben, zur Hölle mit den Verschwörungen und Aliens. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sie in den Arm genommen und zum Mittagessen eingeladen. Und sie hätten gelacht und Spaß gehabt und vielleicht hätte er endlich die Chance gehabt, sein Glück zu finden.

Aber nein, das durfte nicht sein. Glückliche Menschen passen nicht in eine Mystery-TV-Serie. Glückliche Menschen sind langweilig. Und sie machen Arbeit, weil es wesentlich schwerer ist eine gute Storyline für zufriedene Personen zu finden, als für solche, die das Elend magisch anziehen.

Genau wie jetzt. Ihm brach fast das Herz, als er an Scully dachte. Sie würden sie leiden lassen. Sie würden sie denken lassen, er hätte sie im Stich gelassen. Allein gelassen. Wäre einfach so gegangen, weil er eben kein Familienmensch war. Alles Blödsinn, er wollte nichts lieber als eine Familie. Alles in ihm schrie danach, einfach auszusteigen und zum Haus zurückzugehen.

„Dann tun Sie’s doch.“

Fox blinzelte. Er musste den letzten Gedanken laut ausgesprochen haben. Der Taxifahrer sah ihn aufmunternd an. Fox starrte ihn an.

Warum eigentlich nicht. Was würde passieren, wenn er es tat? Würde er sich in Luft auflösen? Würde er einfach so verschwinden? Er spürte, wie ihn eine unsichtbare Kraft in den Sitz drückte. Fox biss die Zähne zusammen, griff nach der Autotür und stieß sie auf. Mit aller Kraft, die er in sich hatte, stieg er aus dem Wagen. Der Widerstand, auf den er stieß war gewaltig und doch, da war etwas, was ihm entgegen wirkte. Was Fox stützte. Ihm voran trieb. Bruchstücke von Bildern trieben durch seinen Verstand. Er und Scully am Strand. Auf einer Weihnachtsparty. Tanzend im Mondschein. Wann war das passiert? Er erinnerte sich an diese Dinge und doch wieder nicht. Sein Blick fiel auf eine achtlos weggeworfene Zeitung am Boden und er blinzelte. Die Buchstaben veränderten sich, tanzten auf und ab, verschwanden und tauchten im nächsten Moment wieder auf. Fox hob die Zeitung hoch. „Scully drehte sich um und sah ihn an. Was wohl in seinem Innersten vorging“ „Er rannte hinter dem Wagen her und rief ihren Namen“ „Er schloss die Augen, zufrieden mit sich und der Welt.“ Mulder blinzelte. Was um alles in der Welt war das? Er blickte auf den Zeitungstitel. FF Chronicle stand da. Nichts weiter.

„Also, was ist nun? Steigen sie wieder ein oder nicht?“ Der Taxifahrer wurde ungeduldig. Fox Mulder drehte sich um. „Nein. Fahren Sie ruhig, ich bleibe hier.“

„Sind Sie sicher?“

„Ganz sicher.“

Der Wagen verschwand in der Ferne und Fox Mulder blickte in den grauen Himmel. Er würde niemals erfahren, wer seine Bewegungen in den letzten Jahren gelenkt hatte. Aber eines wusste er. Von nun an würde er sein eigenes Leben leben. Und irgendwo da draußen waren Menschen, die ihm genau das ermöglichten. Fox hob die Zeitung auf, steckte sie sorgfältig in seine Jackentasche und ging langsam zum Haus zurück. Seine Familie wartete auf ihn.

The end

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