World of X

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Abschied nehmen ist immer ein kleiner Tod

von Blue

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Meine Seele ist kalt wie Schnee. Mein Herz ist zerbrechlich wie eine hauchdünne Eisplatte. Meine Gedanken wehen im Schneesturm. Mein Leben- tiefster Winter. Ich habe das Gefühl, als ob ich erfriere. Die Wärme wurde aus meinem Körper gerissen, als du von mir gingst. Die eisige Kälte, vermischt mit Einsamkeit und Trauer, gleitet quälend langsam durch meinen Körper.

Warum hast du das getan? Warum hast du so etwas von mir verlangt? Warum habe ich es getan? Ich liebe dich.

Du warst mein Leben und seitdem du nicht mehr bist, bin auch ich wie tot. Das Leben hat für mich keinen Sinn mehr. Du warst der Sinn meines Lebens. Für dich bin ich jeden morgen aufgestanden. Für dich bin ich jeden morgen zur Arbeit gekommen. Für dich habe ich gelebt. Nur für dich, weil ich dich liebe.

Du lächelst mich von dem leuchtenden glitzernden Punkt weit über mir an. Ich weiß, dass deine Seele über mir wacht und mich beschützt. Doch das reicht mir nicht. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich weiß, dass ich dich dort oben im ewigen Sternenlicht wiedersehen werde. Ich wähle diesen Weg, weil ich dich brauche. Du bist mein Leben. Ich liebe dich.



Langsam ging die Sonne unter und ein kleines Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen. Langsam führte er seine Waffe an seine Schläfen. Er hörte das Rauschen des Windes und roch den Duft des Waldes, der hinter ihm lag. Er wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war. Jetzt konnte er gehen.

Er sah zu dem immer weniger werdenden leuchtenden Punkt am Horizont und sagte: „Ich bin gleich bei dir, Dana.“

Der Schuss hallte noch lange wider.

Der leblose Körper lag auf dem kalten Gestein des Felsens.




Eine Woche früher...

„Hey, Scully,“ sagte Mulder, als er das Büro betrat und Scully erblickte, die vor seinem Schreibtisch stand und interessiert in einer Akte blätterte.

Sie wirbelte herum, als sie seine Stimme hörte.

„Ich habe Ihnen Kaffee mitgebracht.“

Sie lächelte ihn an. Er hatte in letzter Zeit jeden Tag solch eine gute Laune. Sie mochte es, wenn er lachte und seine Späße machte. Auch wenn sie oft zum Leidtragenden wurde.

Er ging zu ihr rüber und reichte ihr den Becher mit der heißen braunen Flüssigkeit und ließ sich in seinen Sessel fallen.

„Und? Was halten Sie davon?“

Lässig legte er seine Füße auf den Tisch und legte seinen Kopf in seinen Nacken.

„Kornkreise, Mulder?“ fragte sie, als sie sich auf dem Stuhl niederließ, der wie gewohnt vor Mulders Schreibtisch stand.

Sie betrachtete die Bilder, die sich in der Akte befanden. Mulder nickte und begann sofort mit seinen Erklärungen, bevor Scully die Chance hatte noch weitere Fragen zu stellen, auf die er keine Antwort wusste.

„Diese Kornkreise traten bei mehreren Farmern in dessen Feldern auf. Immer mit kleinen Veränderungen der Muster und...“

„...und Sie denken, dass diese Kornkreise außerirdischen Ursprungs sind,“ führte Scully den Satz zu Ende.

„Genau, Scully, und ich denke, dass diese Kornkreise eine Art Landkarte darstellen sollen.“

„Landkarten? Für Außerirdische?“

Scully runzelte die Stirn und sah sich erneut die Bilder an.

„Sie haben es erfasst. Und es wurden vereinzelt Lichter am Himmel gesehen.“

Mulder ging rüber zum Projektor, um Scully die Bilder der Sichtungen zu zeigen.

„In Virginia haben die Einwohner diese Lichter gesehen. Immer kurz nachdem die Kornkreise entdeckt wurden.“

Mulders Faszination war kaum zu überhören.

„Und...äh...Was ist unser Auftrag hierbei?“

„Scully! Wir haben den Beweis für eine extraterrestrische Lebensform. Skinner will nur, dass wir das überprüfen und die Ursachen für diese Kornkreise finden, aber die Antwort haben wir doch schon, Scully. Die Antwort kommt aus dem All.“

Mulder sprühte nur so vor Energie. Scully hingegen schien eher etwas verwirrt zu sein.

„Also, verstehe ich das jetzt richtig, dass diese Kornkreise Landkarten von Aliens sind, die sich in UFOs befinden, die in Form von Lichtern gesichtet wurden?“

„Ja,“ sagte Mulder knapp.

„Na schön...Und wozu sind diese Landkarten? Ich meine, das ist so...so unlogisch. Haben diese angeblich so hochentwickelten Geschöpfe Angst sich zu verfliegen oder was wollen Sie damit sagen?“

Mulder musste schmunzeln.

„Verfliegen...Das ist gut, Scully. Ich denke, sie benutzen die Kreise, um nach einem bestimmten Muster zu erscheinen. Jedoch habe ich noch nicht herausbekommen, ob sie tatsächlich so erscheinen oder vielmehr, warum sie überhaupt erscheinen.“

Scully nickte. Sie wunderte sich über sich selbst, denn sie hatte ihm noch nicht widersprochen und versucht eine wissenschaftliche Erklärung zu finden. Sie entschied, den Dingen diesmal einfach seinen Lauf zu lassen. Mulder schien so überzeugt und glücklich. Sie konnte einfach nicht anders. Selbst musste sie aber auch feststellen, dass sie von seiner Theorien diesmal nicht ganz abgeneigt war. Sie verstand es ja selbst nicht. Vielleicht war an dieser Sache ja doch etwas dran.

„Scully, ich schlage vor, dass wir die Orte mit dem Auto abfahren. Vielleicht sehen wir die Lichter und dann holen wir uns die Beweise.“

Das Funkeln in seinen Augen war nicht mehr zu übersehen. Scully lächelte ihn an. Schon lange hatte sie ihren Partner nicht mehr so gesehen.

„Und wann soll es losgehen?“ fragte sie nach einigen Sekunden.

„Ich würde sagen, Sie holen schnell ihr Köfferchen und auf geht´s. Ich fahre schnell bei den Lone Gunmen vorbei und hole Nachtsichtgeräte und was man sonst noch so braucht und dann hole ich Sie zu Hause ab.“

Scully stand auf und nickte. Irgendwie freute sie sich auf die Alien- Jagd mit Mulder. Sie lächelte wieder und ging aus dem Büro.

„Bis später,“ sagte sie noch, bevor sie im Aufzug verschwand.





Ca. 16 Stunden später...

Mittlerweile war es schon dunkel. Die beiden Agenten hatten ihren Wagen auf einem Berg geparkt, nachdem sie sich einen Kornkreis nach dem anderen angesehen hatten. Von hier oben hatten sie einen guten Blick auf die Stadt.

„Ich weiß nicht, Mulder. Wie lange stehen wir jetzt schon hier? So langsam müsste doch mal was passieren.“

Scully gähnte und sah Mulder an, der keine Sekunde von seinem Fernglas abließ.

„Sie müssen Geduld haben, Scully,“ war das einzigste, was er dazu sagte.

Scully holte tief Luft und sah verbittert auf die Stadt hinunter, in der Hoffung irgendwas zu sehen.

Mit vorschreitender Stunde wurde sie immer müder, bis ihr Kopf schließlich auf Mulders Schulter landete. Er sah zu ihr herunter und seufzte. Sie schien tief und fest zu schlafen. Vorsichtig legte er seinen Arm um sie, um ihr eine bessere Position zum schlafen zu geben. Dies hatte zur Folge, dass sie sich nur noch mehr an ihn kuschelte. Ein vages Lächeln flog über seine Lippen. Er nahm sein Fernglas wieder zur Hand und hoffte, dass die Wahrheit doch noch zu ihm finden würde. Doch er war schon dabei aufzugeben.



Die Sonne ging bereits auf. Mulder war noch immer wach. Er hatte keine Minute geschlafen. Scully schlief noch in seinem Arm. Doch durch die immer heller werdenden grellen Sonnenstrahlen, schien sie langsam wach zu werden.

„Hey! Guten Morgen, Sonnenschein,“ sagte Mulder, als er merkte, dass sie sich bewegte und die Augen öffnete.

„Oh, es scheint wohl nichts passiert zu sein, sonst hätten Sie mich bestimmt geweckt,“ gähnte sie.

Mulder lächelte sie an. Er war so enttäuscht darüber, dass in dieser Nacht nichts geschehen war.

„Ach übrigens: Danke für Ihre Schulter.“

Scully räkelte sich und lehnte sich wieder in ihren Sitz zurück.

„Hey! Nun schauen Sie doch nicht so. Vielleicht haben wir ja heute Nacht mehr Glück.“

Sie nahm seine Hand und versuchte überzeugend zu klingen. Mulder holte tief Luft.

„Sie werden doch jetzt nicht etwa anfangen zu weinen,“ scherzte Scully.

Jetzt musste Mulder auch lachen.

„Was ist, haben Sie Hunger?“ fragte er.

„Oh ja und wie.“

Mulder schnallte sich an, zündete den Motor an und fuhr los.

Die Strassen und Wälder lagen in zartem Nebel. Die Sonne spiegelte sich auf der feuchten Strasse und reflektierte in den Nebeltropfen bunte Lichter. Mulder musste langsam fahren, denn man konnte kaum dreißig Meter weit sehen. Mit jedem Stück, dass sie weiter fuhren, wurde der Nebel dichter und die Sicht somit immer und immer schlechter. Sie mussten noch zwei Meilen fahren, bis sie wieder unten in der Stadt waren. Doch plötzlich sah Mulder zwei Scheinwerfer auf sich zurasen kommen. Mulder riss das Lenkrad herum. Was dann passierte ging viel zu schnell, um es noch verhindern zu können. Das Auto war zu schnell gewesen. Mulder kam alles wie in Zeitlupe vor. Er hörte Scullys Schreie, er hörte seine eigenen Schreie, den Aufprall, das Knirschen von Blech auf Stahl...

Dann sah er nichts mehr. Dunkelheit-





Virginia Memorial Hospital

Mit einem kräftigen Schlag flogen die Türen der Notaufnahme auf. Zwei Betten wurden eilig hereingeschoben, umringt von Notärzten, Sanitätern und Pflegern.

„Beide Mitte dreißig, schwerer Verkehrsunfall. Sie muss sofort in den OP. Verdacht auf Nierenriss. Er muss in den Schockraum,“ befahl einer der Notärzte. Sofort eilten die Pfleger mit der Frau in den OP. Es war Scully.



Mulder erwachte langsam wieder. Verwirrt blickte er um sich. Ihm schmerzte jeder einzelne Knochen. Seine Kleidung war blutig und zerfetzt. Er sah eine Krankenschwester, die auf ihn zukam.

„Sir?“ fragte sie ihn.

Mulder begriff, wo er sich befand.

Der Unfall- Scully!

„Wo ist sie?“ fragte er hektisch und wollte aufstehen.

„Sir, Sie müssen liegen bleiben. Sie hatten einen schweren Autounfall.“

„Verdammt, mir geht es gut! Wo ist sie?“

Ehe die Schwester ihm antworten konnte, trat ein Arzt in den Raum.

„Er ist gerade aufgewacht,“ sagte sie, als sie ihn sah.

„Sir? Ich bin Dr. Woodroff. Wie geht es Ihnen?“

„Ich will zu ihr,“ sagte er nur.

„Sir, Ihre Frau ist im OP. Sie können jetzt nicht zu ihr.“

Mulder starrte sein Gegenüber fassungslos an. Er spürte auf einmal keine Schmerzen mehr. Alles, was er fühlte war Angst.

„Sir? Ist alles in Ordnung“ fragte Dr. Woodroff, als er Mulders Blick spürte.

Mulder nickte kaum wahrnehmbar.

„Die Schwester wird Ihnen jetzt einen Gips anlegen. Sie haben verdammtes Glück gehabt.“

Mulder war nicht fähig zu sprechen. Er zitterte am ganzen Körper. Die Schwester legte ihm den Gips an.

„Sir? Wir brauchen noch Ihre Personalien und die ihrer Frau.“

„Sie ist nicht meine Frau,“ flüsterte er, während er immer noch den Punkt fixierte, an dem eben noch der Arzt gestanden hatte.





Vier Stunden später...

Mulder saß völlig erschöpft auf einem der weißen Plastikstühle im Flur. Immer und immer wieder sah er die schrecklichen Bilder vor sich, hörte Scullys Schreie.

Sie war jetzt schon so lange im OP und mit jeder Minute, die verstrich, reduzierte sich auch die Hoffnung. Unmerklich rannen die Tränen an seinen Wangen hinunter und hinterließen dunkle Flecken auf seinem blauen zerfetzten und blutigem Hemd. Er hatte Angst. Er hatte so schreckliche Angst sie nie wieder zu sehen. Man hatte ihm gesagt, er solle nach Hause fahren, doch er wollte da sein, wenn sie aus dem OP kommt. Er wollte bei ihr sein.

Mulder hörte Schritte. Ein Arzt kam auf ihn zu. Er stand auf und starrte ihn an. Der Arzt sah ernst aus.

„Mr. Mulder? Würden Sie bitte mit in mein Sprechzimmer kommen?“

Mulder spürte, wie seine Beine scheinbar nachzugeben drohten. Er hatte Angst vor dem Worten, die ihm der Arzt gleich sagen würde.

„Haben Sie ihre Mutter erreicht?“ fragte Dr. Woodroff, als er die Türe schloss.

Mulder schüttelte den Kopf.

„Ich habe ihr schon vier Mal auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber sie meldet sich einfach nicht.“

Mulder konnte kaum sprechen, denn der Kloß in seinem Hals wurde mit jedem Wort dicker.

„Sagen Sie mir jetzt endlich, was mit ihr ist.“

„Miss Scully hat durch den Unfall einen Nierenriss erlitten. Wir haben sie operiert, doch wir konnten ihre Niere nicht retten. Sie wird ein Spenderorgan brauchen, aber die Wartezeiten sind nicht voraussehbar. Sie wird an die Dialyse kommen, da die andere Niere auch sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und ihr Blut allein nicht ausreichend reinigen kann.“

Mulder verstand nicht. Was hatte der Arzt gerade gesagt? Das konnte nicht wahr sein. Das konnte er nicht akzeptieren.

„Nein...nein...“

Er schüttelte den Kopf.

„Sie dürfen nicht aufgeben. Sie braucht Ihre Hilfe. Sie müssen versuchen stark zu sein.“

Wie aus Reflex schob Mulder die Hand vor seinen Mund. Er weinte.



Scully lag in ihrem Bett auf der Intensivstation. Sie war bleich und der Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn. Zahlreiche Geräte überwachten ihre Vitalfunktionen und ein Gerät hielt sie am Leben. Seitdem sie aus dem OP gekommen war, hatte sie ihre Augen noch nicht geöffnet. Ihr Mund war geschlossen und ein kleiner Schlauch in ihrer Nase spendete ihr zusätzlich Sauerstoff. Vorsichtig trat Mulder in die Zimmernische. Sofort drang ihm das Piepen und Surren der Geräte in die Ohren. Er hatte Angst gehabt hierher zu kommen. Er hatte Angst gehabt ihren Anblick nicht ertragen zu können. Langsam schritt er an ihr Bett und strich ihr eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Haut fühlte sich kalt an. Er nahm ihre Hand und setzte sich auf die Bettkante. Er blickte auf die monströse Maschine, die Scullys Blut reinigte. Die Maschine, die sie am Leben erhielt. Mulder machte sich solche großen Vorwürfe. Er gab sich die Schuld an allem. Er saß am Steuer und somit traf ihn auch die Schuld. Er würde sich das nie verzeihen können. Er hatte ihr Leben zerstört. Innerhalb von wenigen Augenblicken hatte er alles zerstört. Er hatte Scully zerstört. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Scullys Leben von dieser Maschine abhing. Er konnte sich nicht damit abfinden, dass sie das hier vielleicht nicht überleben würde. Er strich mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Er zuckte leicht zusammen und drehte sich um. Er blickte in Magret Scullys Augen. Ohne zu zögern nahm sie Mulder in den Arm.

„Es tut mir so Leid...Es tut mir so Leid...,“ brachte Mulder nur unter Tränen heraus.

Magret sprach nicht, aber sie gab ihm zu verstehen, dass sie ihm keine Vorwürfe machte. Langsam löste sie sich wieder von Mulder. Erst jetzt sah sie die Tränen in seinem Gesicht und lächelte ein wenig.

„Sie müssen stark sein, Fox. Dana braucht Ihre Kraft.“

Mit diesen Worten ging sie zu Dana und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Mulder bewunderte Magret. Er fühlte ihren Schmerz, aber sie blieb immer gefasst. Sie war immer stark. Und genau das war es, was er so an Magret schätzte. In dieser Hinsicht ähnelte sie ihrer Tochter sehr.

Mulder beschloss Magret mit ihrer Tochter alleine zu lassen und trat aus der Nische. Er spürte die Müdigkeit erst jetzt zum ersten Mal. Es war mittlerweile schon Nachmittag und er hatte die ganze Nacht auf dem Berg kein Auge zu gemacht. Er beschloss sich einen Kaffee zu holen. Nach Hause wollte er unter keinen Umständen. Er kramte einen Dollar aus der Tasche und der heiße Kaffee floss in den Plastikbecher. Mit kleinen Schlücken nahm er die schwarze Flüssigkeit in sich auf. Kurze Zeit später kam Magret auf ihn zu.

„Fox? Sie ist aufgewacht.“

Mit einem Lächeln warf er den Becher in den Müll und eilte mit Magret zurück zu Scully. Zwei Krankenschwestern standen an ihrem Bett. Scully hatte die Augen nur halb geöffnet, aber sie war wach. Kurze Zeit später trat Dr. Woodroff in die Nische und ging zu ihrem Bett.

„Miss Scully?“

Eine der Krankenschwestern kam zu Magret und Mulder und bat sie auf den Flur zu gehen und dort zu warten.

Scullys Hals war so trocken, dass sie kaum sprechen konnte. Benommen blickte sie um sich.

„Miss Scully? Ich bin Dr. Woodroff. Wie geht es Ihnen?“

Scully war verwirrt. Erst jetzt bemerkte sie das Schlauchsystem in ihrem Arm. Sie blickte erschrocken zur Seite und sah den Dialysator. Der Arzt schickte die beiden Schwestern aus der Nische und nahm auf dem Stuhl neben Scully platz.

„Ich weiß, dass es jetzt ein schwerer Schlag für Sie sein wird, aber ich muss Ihnen das sagen,“ begann er.

„Ich weiß, was das ist,“ sagte Scully leise.



Mulder und Magret standen im Gang und warteten darauf, dass jemand kam und sie wieder zu Scully ließ.

Nach ca. einer halben Stunde trat Dr. Woodroff zu ihnen auf den Flur.

„Sie können jetzt zu ihr. Die Diagnose hat sie ziemlich mitgenommen. Sprechen Sie ihr Mut zu. Das ist jetzt das Wichtigste.“

Mulder nickte und legte einen Arm um Magret. Sie gingen zurück zu Scully. Als sie an ihr Bett traten, sah Mulder, wie sie weinte. Ihr Kopf war zur Seite gedreht, sodass sie nicht gleich merkte, dass sie nicht mehr alleine war. Magret wusste, dass es für Dana jetzt erst mal besser war, mit Mulder alleine zu sein. So schwer es ihr auch fiel jetzt nicht zu ihrer Tochter zu gehen, ließ sie Mulder alleine zurück und setzte sich draußen im Flur auf eine Bank.

Vorsichtig ging Mulder um das Bett herum.

„Scully?“

Sie erschrak, als sie seine Stimme hörte. Mulder hatte Angst, weil er nicht wusste, wie sie reagieren würde. Schließlich war er für all dies hier verantwortlich. Er kniete sich neben sie. In seinen Augen bildeten sich Tränen, seine Lippen zitterten.

„Es tut mir so Leid,“ konnte er nur noch sagen.

Sein Kopf glitt auf die Matratze und vergrub sich darin. Seine Beine sackten weg und er fing an zu weinen. In seinem Kopf herrschte absolute Leere. Er sollte ihr Kraft geben und die Situation nicht noch schlimmer machen, als sie ohnehin schon war. Plötzlich spürte er Scullys Hand, die durch sein Haar strich. Langsam hob er seinen Kopf und blickte zu Scully, die nach seiner Hand griff.

„Niemand gibt Ihnen die Schuld für das, was passiert ist, Mulder. Bitte hören Sie auf so was zu denken.“

Mulder war noch nicht fähig zu sprechen. Er konnte Scully nicht glauben, dass sie ihm keine Vorwürfe machte.

„Gehen Sie nach Hause, Mulder. Sie brauchen Schlaf.“

Mulder konnte sie doch jetzt nicht alleine lassen. Wenigstens das war er ihr schuldig. Er setzte zu einem Satz an, doch ehe er das erste Wort aussprechen konnte, stoppte Scully ihn.

„Bitte, es ist besser so.“

Mulder erschrak regelrecht, aber er tat, was sie sagte. Wenn ihr dies helfen würde, dann würde er das auch tun. Er nickte schwer und sagte schließlich: „In Ordnung. Ich schicke Ihre Mutter zu Ihnen.“

Mit diesen Worten ging er aus der Niesche und schickte Margret zu ihrer Tochter. Nachdenklich ging er aus dem Krankenhaus, nahm sich ein Taxi und fuhr nach Hause.

Die Couch streckte sich ihm entgegen als er seine Wohnungstüre aufschloss. Er schritt zu ihr hinüber und setzte sich. Nun saß er da und starrte in die Leere des Raumes. Was war es nur? Welche Macht verbarg sich hinter all diesen schrecklichen Dingen? Nach einer Weile schlief er mit diesen Gedanken ein und hoffte im Schlaf eine Antwort darauf zu finden. Im Traum jedoch verfolgten ihn die bizarren Schreie von Scully. Unruhig wälzte sich Mulder hin und her.

Nach ein paar Stunden erwachte er. Es war dabei hell zu werden. Erst jetzt bemerkte er, dass er noch die zerfetzte, blutige Kleidung trug. Am liebsten wäre er sofort zurück zu Scully gefahren. Immerhin hatte er sie die ganze Nacht alleine gelassen. Doch er erinnerte sich an ihre Worte. Langsam ging er rüber zum Bad, um sich zu duschen. Zumindest wollte er es versuchen. Der Gipsarm hinderte ihn daran, komplett unter die Dusche zu steigen. Aber selbst das war ihm egal. Mit mechanischen Abläufen trocknete er sich ab und zog sich frische Kleidung an. Er dachte darüber nach etwas zu essen, doch er verspürte keinerlei Hungergefühl. Es war merkwürdig, denn er hatte seit dem das alles passiert war nichts mehr zu sich genommen. Er ging in seine Küche und nahm sich ein Stück Brot, kaute darauf herum als sei es Gummi. Doch er bekam einfach nichts herunter. Nervös lief er in seiner Wohnung auf und ab. Er fühlte sich so hilflos.

Plötzlich klopfte es an seiner Türe. Gedankenverloren und mit ausdruckloser Leere in seinem Blick öffnete er die Türe. Es war Margret Scully.

„Ist etwas passiert?“ fragte er leicht erschocken.

Margret schüttelte den Kopf.

„Nein, es geht ihr gut. Sie kann heute schon auf eine normale Station verlegt werden.“

Hörbar erleichtert atmete Mulder aus und entspannte sich wieder. Margret und Mulder setzten sich auf sein Sofa.

„Ich weiß, dass Dana Sie gestern nach Hause geschickt hat. Sie war ungerecht zu Ihnen, aber sie hatte Angst, dass Sie sie so sehen. Aber sie sprach mit mir darüber und weinte vor Verzweiflung. Sie braucht Sie. Sie weiß nicht, dass ich hier bin. Sie hat Angst, dass Sie nicht mehr zu ihr kommen werden,“ erklärte Margret mit einem sehr einfühlsamen Tonfall in ihrer Stimme.

„Das ist Unsinn. Ich werde sie jetzt nicht alleine lassen. Das bin ich ihr schuldig. Dana ist ein sehr wichtiger Mensch für mich.“

„Ich weiß. Und deshalb gehen Sie jetzt zu ihr,“ forderte ihn Margret auf.

Sie stand auf und Mulder folgte ihr. Er zog sich seine Jeansjacke über und ging mit Margret nach unten.

„Denken Sie immer daran, wie wichtig Sie für Dana sind,“ sagte Margret bevor sie in ihr Auto stieg und davon fuhr.

Mulder blieb einige Sekunden vor seinem Auto stehen und dachte darüber nach, was Margret gerade gesagt hatte. Dann fuhr er los.



Mulder ging durch den weißen langen Flur, welcher zur Intensivstation führte. Doch als er in die Niesche trat, in der Scully noch gestern gelesen hatte, fand er nur ein leeres Bett vor.

„Wo ist sie? Dana Scully?“ fragte Mulder, als ein Pfleger an ihm vorbei kam.

„Dana Scully? Vor etwa einer halben Stunde ist sie auf die Dialyse Station verlegt worden. Fragen Sie im dritten Stock nach.“

Mulder eilte die Treppen hinauf. Nachdem er sich nach Scully erkundigt hatte, konnte er zu ihr.

„Hey,“ begrüsste er sie mit einem Lächeln.

„Mulder,“ klang es verwundert aus ihrem Mund.

Sie schien tatsächlich nicht damit gerechnet zu haben ihn zu sehen. Mulder ging zu ihr rüber und setzte sich auf die Bettkante. Er sah den großen Apperat an der anderen Seite des Bettes an. Scully war noch immer am Dialysator angeschlossen.

„Wie geht es Ihnen,“ fragte er schließlich.

„Ich bin froh, dass Sie hier sind, Mulder,“ sagte sie, anstatt ihm eine Antwort auf seine Frage zu geben.

Mulder nahm ihre Hand und führte sie zu seinem Mund, um sie zu küssen.

„Wir stehen das hier zusammen durch. Ich werde immer da sein, wenn Sie mich brauchen und auch, wenn Sie mich nicht brauchen,“ lächelte er.

Scully schaute zur Seite und schloss die Augen. Zwanghaft versuchte sie ihre Tränen zu unterdrücken.

„Hey, ist schon gut. Das muss Ihnen nicht peinlich sein.“

Dann nahm er sie in den Arm, hielt sie fest und gab ihr ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Ihre Tränen rannen an ihren Wangen hinunter. Sie war so froh, dass Mulder jetzt bei ihr war und sie festhielt. Als sie sich etwas beruhigt hatte, löste sich Mulder von ihr und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Er küsste ihre Stirn und wischte mit seinem Daumen ihre Tränen weg.

„Ich habe Angst,“ flüsterte sie.

„Ich weiß, Dana. Aber alles wird gut. Sie werden ein passendes Organ finden. Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Ich werde alles menschenmögliche tun, um Ihnen zu helfen.“

Sie schwieg. Auch wenn sie es noch nicht aussprach, sie hatte bereits einen Schlussstrich gezogen.



Der Tag nahm seinen Lauf. Mulder war die ganze Zeit über bei Scully gewesen. Auch Margret hatte ihren Nachmittag damit verbracht bei ihrer Tochter zu sein. Erst gegen Abend brach Margret wieder auf, um nach Hause zu fahren.

„Wenn Sie möchten, bleibe ich heute Nacht bei Ihnen,“ bot Mulder an.

Scully schüttelte den Kopf. Er konnte nicht unterscheiden, ob sie es nicht wollte oder einfach nicht konnte. Er akzeptierte ihre Entscheidung, doch ihm fiel es schwer sie alleine zurückzulassen. Er hatte ihr versprochen am nächsten Morgen wieder da zu sein. Er war froh, dass Scully ihm keine Vorwürfe machte. Sie als Vertraute zu verlieren, wäre das Schlimmste, was ihm je hätte passieren können. Trotzdem machte er sich große Sorgen um sie. Scully war so verschlossen und sprach kaum. Ihm war klar, dass sie nicht vor Freude durch die Luft sprang. Dennoch war sie anders und Mulder überflog immer ein mulmiges Gefühl, wenn er daran dachte.





Der nächste Morgen…

„Hey! Wie geht es Ihnen?“ begrüsste Mulder sie mit einem Tonfall, der eindeutig dazu dienen sollte, Scully aufzumuntern.

Doch anstatt eines Lächelns verdunkelte sich ihr Gesichtsausdruck.

„Ich möchte mit Ihnen reden, Mulder,“ sagte sie.

Besorgt setzte er sich auf die Bettkante. Sie nahm seine Hand.

„Die Ärzte haben mir eben mitgeteilt, dass die andere Niere, welche sowieso schon stark beeinträchtigt war ebenfalls versagt. Es ist eine Frage der Zeit wie lange sie noch arbeiten kann…“ begann sie.

„Ja, aber Sie bekommen ein Spenderorgan,“ versuchte Mulder ihr begreiflich zu machen.

„Nein, Mulder. Ich brauche kein Spenderorgan mehr. Ich kann nur überleben, wenn zwei passende Organe gefunden werden und das ist so gut wie unmöglich. Die Verletzungen sind zu stark, Mulder.“

Mulder schüttelte ungläubig den Kopf. Wovon redete sie da nur? Er konnte und wollte das nicht akzeptieren.

„Sie haben mir gestern gesagt, dass Sie alles menschenmögliche tun werden, um mir zu helfen…“

Mulder nickte. Doch ihn überkam ein seltsames Gefühl. Er wollte gar nicht wissen, was sie jetzt sagen würde. Doch daran hindern konnte er sie wohl nicht. Scully drückte seine Hand. Der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde noch ernster. Ihre Augen sahen ihn flehend an.

„Ich habe nur einen Wunsch, Mulder. Einmal, einmal nur möchte ich noch die Sonne untergehen sehen…“

„Hören Sie auf damit, Scully,“ fiel ihr Mulder ins Wort.

„Nein, bitte hören Sie mir zu. Ich möchte nicht hier drin sterben…Bitte…Bitte bringen Sie mich hier raus.“

Scully begann zu weinen. Erschrocken über ihre Worte stand Mulder auf und stolperte rückwärts aus dem Zimmer. Verwirrt lief er den Gang entlang, bis er draussen angekommen war. Orientierungslos rannte er durch die Strassen, bis er einen Park erreichte. Erst jetzt bemerkte er, wie sein Arm schmerzte. Völlig ausser Atem nahm er auf einer Bank platz. Nach einer scheinbar nie endeten Zeit realisierte er erst, was eben geschehen war. Was Scully da von ihm verlangte. Warum glaubte sie nicht daran? Sie war doch selbst Ärztin. Wie konnte sie nur so schnell aufgeben? Mulder konnte das alles gar nicht begreifen. Er würde alles für sie tun, doch das war etwas Unmögliches. Er würde sie umbringen. Er würde seine beste Freundin umbringen. Schlimmer noch, er würde die Person ermorden, die er über alles liebte. Ein Leben ohne Scully war für ihn nicht möglich. So oft schon hatte er um ihr Leben gebangt und Angst gehabt sie je wieder zu sehen. Und jetzt sollte er das tun? Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das konnte sie doch nicht von ihm verlangen. Es musste ein schrecklicher Alptraum sein.



Diesen und den darauffolgenden Tag verbrachte Mulder zu Hause. Er wurde mit seinen Gedanken und der Tatsache, dass Scully nicht mehr leben wollte einfach nicht fertig. Er hatte Angst sie im Krankenhaus zu besuchen. Angst davor, was sie noch von ihm verlangen würde. Aber gab es denn überhaupt noch etwas Schlimmeres als das?

Am Abend klingelte das Telefon. Erst als der Anrufbeantworter ansprang und Mulder Margrets Stimme hörte, reagierte er und griff zum Hörer.

„Ich bin hier,“ sagte er schon fast flüsternd.

„Fox? Dana geht es sehr schlecht. Bitte kommen Sie ins Krankenhaus. Sie hat schon nach Ihnen gefragt.“

„Ich komme.“



Scully war bleich. Sie bemühte sich sichtlich die Augen offen zu halten. Mulder schloss für einen kurzen Moment Seine und ging dann rüber zu ihr. Margret, welche die ganze Zeit über an ihrem Bett gewacht hatte, ließ die beiden nun alleine.

„Bitte, Mulder. Hilf mir,“ flehte sie ihn an.

„Nein. Ich kann das nicht tun, Dana,“ schluchzte er.



Er wusste, dass er keine andere Wahl hatte. Er wusste, dass Scully es nicht schaffen würde. Die ganze Zeit über hatte er immer noch Hoffnung gehabt, doch als er sie eben gesehen hatte wusste er, dass es zu spät war.

„Ich kann das nicht tun,“ wiederholte er, als wolle er sich einreden, dass er bereit war dies für sie zu tun.

„Doch, du kannst. Ich habe Angst hier drin zu sterben. Ich wünsche mir doch nur noch einmal sie Sonne untergehen zu sehen. Bitte, Mulder.“

Scullys Stimme klang schwach und zerbrechlich. Sie musste sich sehr anstrengen, um sprechen zu können.

„Ich möchte, dass du meine Mum rein holst. Ich möchte sie noch einmal sehen.“

Mulder begriff gerade, dass seine schlimmste Befürchtung dabei war real zu werden. So sehr er es auch wollte, er konnte sich nicht dagegen wehren. Es war Scullys Wunsch. Langsam stand er auf und ging zu Margret.

„Scully…Sie möchte, dass Sie wieder rein gehen,“ sagte er nur und drehte sich von ihr ab.

Er konnte Margret nicht in die Augen sehen.

„Mum? Ich möchte, dass du nach Hause fährst und dich ausruhst,“ sagte Scully als ihre Mutter wieder an ihrem Bett angekommen war.

Margret drückte ihre Tochter fest an sich.

„Ich bleibe bei dir, Liebes.“

„Nein, Mum. Bitte fahre nach Hause,“ sagte Scully nun etwas bestimmter.

„Wenn du es so möchtest. Mulder ist ja jetzt bei dir. Ich werde ihm sagen, dass er bei dir bleiben soll.“

Margret gab ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Als sie sich abwenden wollte, hielt Scully sie fest.

„Mum? Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich sehr lieb habe. Danke, dass du immer für mich da warst.“

Mulder, der wieder ins Zimmer gekommen war, musste sich sehr zusammenreissen, um nicht in Tränen auszubrechen. Er wusste, was Scully gerade getan hatte. Das war ein Abschied. Ein Abschied für immer.

Margret lächelte ihrer Tochter zu und verschwand aus dem Zimmer. Sie hatte keine Ahnung, dass sie ihre Tochter nie wieder sehen würde. Mulder lies dies einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

„Dana, bitte. Ich kann das nicht tun.“

„Ich werde sterben, Mulder. Ob nun hier drinnen oder draussen. Das macht keinen Unterschied.“

Mulder hatte solche Angst. Er konnte sich nicht beruhigen. Scully verstand, was er gerade durchmachen musste.

„Mulder, du wirst lernen damit klar zu kommen. Du wirst es schaffen. Eines Tages wirst du die Wahrheit finden- ohne mich. Ich weiß, dass du es kannst. Du musst keine Angst haben. Du bringst mich nicht um. Du tust etwas Wundervolles für mich. Erlösung, Mulder. Du weißt, was dieses Wort bedeutet.“

Schweigen.

Mulders Kopf war gesenkt. Scully wartete auf ein Zeichen. Nach einer Weile sah er sie an.

„Mein Wagen steht unten auf dem Parkplatz.“

Diese Worte auszusprechen fiel ihm so unendlich schwer. Dann stand er auf und verschwand aus dem Zimmer, um einen Rollstuhl zu besorgen. Das Pflegepersonal war gerade dabei den abendlichen Rundgang zu machen. Es war nicht schwer einen Rollstuhl zu finden. Als seine Hände den kalten Griff umschlossen, schloss er die Augen. Unmerklich rann eine Träne über seine Wange. Erst jetzt wurde ihm richtig klar, was er da vorhatte zu tun. Er hatte immer gesagt, dass er alles für Scully tun würde, aber würde er das wirklich? Er war sich jetzt plötzlich nicht mehr sicher. Aber es war ihre Entscheidung und er musste sie einfach akzeptieren. Sie hatte sich ihm anvertraut- nur ihm. Er wusste nicht, ob er sich das jemals verzeihen würde, ob er damit leben könnte. Doch er musste es tun. Er musste es für Scully tun. Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und trat wieder in Scullys Zimmer. Er stand einfach nur da und sah in ihr Gesicht. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Sie sah glücklich aus.

„Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“

Dann stellte sie das Alarmsignal des Dialysators ab, zog den Schlauch aus ihrem Arm und drückte die Bettdecke auf die blutende Stelle, an der vor wenigen Sekunden noch der ständige Austausch von gereinigtem und ungereinigtem Blut stattgefunden hatte. Scully versuchte sich aufzusetzen. Mulder starrte sie noch immer an. Doch nach einigen weiteren Sekunden ging er zu ihr und half ihr. Seine Angst wuchs schneller als er denken konnte, doch er versuchte seine Gefühle mit aller Macht zu unterdrücken. Als er Scully in den Rollstuhl gehoben hatte, deckte er sie zu und fuhr mit ihr zur Zimmertüre. Kurz hielt er inne.

„Bist du dir wirklich völlig sicher?“ fragte er, als könne er sie damit umstimmen.

„Nein, Mulder. Es ist die einzig richtige Entscheidung.“

Mulder öffnete die Tür. Niemand war zu sehen. Die grüne Anwesenheitslampe brannte einige Zimmer weiter. Langsam schob er sie raus auf den Flur, wo er das Tempo dann beschleunigte.





Mount Rogers, Virginia…

Mulder hatte während der gesamten Autofahrt kein einziges Wort gesprochen. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt. Er dachte daran, dass er eigentlich auch einfach vor einen Baum fahren könnte. Dann könnten sie gemeinsam von diesem Planeten verschwinden. Was sollte er nur ohne sie machen? Doch diesen Gedanken schob er schnell beiseite, denn sie hatten die Stelle erreicht. Mulder stellte den Motor ab. Er umfasste das Lenkrad, als ob es ein Rettungsring wäre. Sein Blick war starr und ausdruckslos nach vorne gerichtet und man konnte nicht erkennen was genau er anstarrte. Scully wusste, was in ihm vorgehen musste. Sie ließ ihm Zeit. Sie wusste nicht, ob sie in dieser Situation so stark wäre. Oder ob sie so etwas überhaupt in solch einer Situation getan hätte.

Mulder öffnete seinen Sicherheitsgurt und stieg aus, holte den Rollstuhl aus dem Kofferraum und hob Scully hinein. Vorsichtig schob er sie die letzten Meter zu einer kleinen Lichtung, an der man einen wundervollen Blick auf die Stadt hatte. Er dachte daran, wie sehr er es sich immer gewünscht hatte mit Scully einen Tag zusammen abzuschliessen und in einen neuen zu starten. Das Leben sollte weitergehen- gemeinsam. Vorsichtig hob er sie aus dem Rollstuhl und legte sie in seinen Schoß. Ihr Zustand hatte sich schon sehr verschlechtert. Ihr drohte die Bewusstlosigkeit. Mulder merkte wie sehr sie zitterte. Er drückte sie noch enger an sich und strich ihr zärtlich durchs Haar. Er konnte nicht mehr. Er fing an bitterlich zu weinen. Seine Tränen tropften auf Scullys Gesicht. Er beugte sich über sie und wiegte sie in seinen Armen, küsste ihre Stirn. Scully spürte seine Wärme und Geborgenheit. Ihre Arme klammerten sich um seine. Sie war so froh, dass er diesen schweren Schritt für sie getan hatte und das hier mit ihr zusammen beendete. In ihrem Kopf spulte sich plötzlich ein Film ab. Momente, an denen sie scheiterten, aber auch Momente, an denen sie gesiegt hatten. Sie dachte an Mulder, der ihr so viel im Leben geschenkt hatte. In ihm hatte sie ihren besten Freund gefunden, doch sie wusste, dass er dies hier nicht aus Freundschaft tat. Er tat es aus Liebe. An diesem Abend fühlte sie es so stark wie noch nie.

Ständig kämpfte Scully damit, das Bewusstsein nicht zu verlieren. Sie merkte ihre Schmerzen nicht mehr. Sie dürfte nicht einschlafen. Noch nicht. Der Himmel färbte sich schon in ein zartes Rosa und die Stille hing über den Wipfeln der Bäume. Das Einzige, was Mulder jetzt noch hörte war Scullys Atem. Er wagte es noch immer nicht zu sprechen. Als sich der Himmel immer weiter ins Rötliche verfärbte, begann Scully plötzlich mit aller Kraft an zu sprechen.

„Kennst du das Märchen Gute Nacht Mond?“

Mulder erschrak fast, als er ihre Stimme hörte.

„Ja, ich habe sie damals Samantha immer vorgelesen.“

„Erzähl sie mir,“ flüsterte Scully.

Mulder schluckte schwer. Er wusste, was gleich geschehen würde. Er blickte zum Himmel. Sie Sonne näherte sich immer mehr den Hügeln, die weit hinter der Stadt lagen.

„Gute Nacht Strümpfe,“ begann er leise.

„Gute Nacht liebe Schuh´. Gute Nacht Niemand. Es gehen alle zur Ruh…“

Er machte eine Pause und holte tief Luft, um nicht wieder weinen zu müssen.

„Gute Nacht gute Fee. Mach´ die Äuglein jetzt zu. Gute Nacht…Sterne…“

Wieder machte er eine Pause. Er drückte Scully wieder fester an sich. Er spürte das schwache Heben und Senken von Scullys Brustkorb, welches immer weniger zu werden drohte.

Mit bebender Stimme sprach er weiter: „Gute Nacht Ball…Gute Nacht Töne…All, überall…“

Erschrocken stellte Mulder fest, dass das tiefe Loch hinter den Bergspitzen nun die Sonne völlig in sich eingesogen hatte und der Himmel eine tief rote, fast schwarze Färbung erreicht hatte. Er weinte. Mulder bemerkte wie Scully versuchte sich in seinem Schoß zu ihm zu drehen. Eine weitere Träne fiel auf ihr zerbrechliches Gesicht. Mulder zögerte. Er wollte ihr jetzt das sagen, was er eigentlich schon längst hätte tun sollen. Er spürte, dass ihm die Zeit davonlief. Er beugte sich langsam zu ihr nach unten und zeichnete kleine Muster mit seinen Fingern auf ihrem Gesicht. Kurz hielt er inne und küsste sie dann schließlich. Nach einigen endlosen Augenblicken löste er sich von ihr und sah in ihr wunderschönes Gesicht.

„Ich liebe dich, Dana…“

Scully griff nach Mulders Hand, ihr Blick fixierte ihn. Sie war glücklich darüber, dass er ihr dies gesagt hatte. Jetzt war sie bereit. Bereit zu gehen. Sie fühlte sich, als ob jemand das Leben aus ihrem Körper reissen würde. Der Zeitpunkt, vor dem sich Mulder die ganze Zeit über so sehr gefürchtet hatte, war nun eingetreten. Mulders Blick wich keine Sekunde von ihr. Er realisierte noch nicht, was hier gerade vor sich ging. Plötzlich holte Scully tief Luft. Es erinnerte ihn an den letzten Atemzug eines Tieres kurz bevor seine Seele zum Himmel emporstieg.

„Liebe bedeutet loszulassen…“

Scullys Griff löste sich von seiner Hand.

Stille…





Einen Tag später…

Meine Seele ist kalt wie Schnee. Mein Herz ist zerbrechlich wie eine hauchdünne Eisplatte. Meine Gedanken wehen im Schneesturm. Mein Leben- tiefster Winter. Ich habe das Gefühl, als ob ich erfriere. Die Wärme wurde aus meinem Körper gerissen, als du von mir gingst. Die eisige Kälte, vermischt mit Einsamkeit und Trauer, gleitet quälend langsam durch meinen Körper.

Warum hast du das getan? Warum hast du so etwas von mir verlangt? Warum habe ich es getan? Ich liebe dich.

Du warst mein Leben und seit dem du nicht mehr bist, bin auch ich wie tot. Das Leben hat für mich keinen Sinn mehr. Du warst der Sinn meines Lebens. Für dich bin ich jeden morgen aufgestanden. Für dich bin ich jeden morgen zur Arbeit gekommen. Für dich habe ich gelebt. Nur für dich, weil ich dich liebe.

Du lächelst mich von dem leuchtenden glitzernden Punkt weit über mir an. Ich weiß, dass deine Seele über mir wacht und mich beschützt. Doch das reicht mir nicht. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich weiß, dass ich dich dort oben im ewigen Sternenlicht wieder sehen werde. Ich wähle diesen Weg, weil ich dich brauche. Du bist mein Leben. Ich liebe dich.



Langsam ging die Sonne unter und ein kleines Lächeln spiegelte sich auf seinen Lippen. Langsam führte er seine Waffe an seine Schläfen. Er hörte das Rauschen des Windes und roch den Duft des Waldes, der hinter ihm lag. Er wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war. Jetzt konnte er gehen.

Er sah zu dem immer weniger werdenden leuchtenden Punkt am Horizont und sagte: „Ich bin gleich bei dir, Dana.“

Der Schuss hallte noch lange wieder.

Der leblose Körper lag auf dem kalten Gestein des Felsens.




ENDE
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