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Zeit der Wunder

von Eilan

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K

onzentriert beobachtete Marita wie in der Straße, in der sie wohnte, nacheinander die Straßenlaternen angingen. Es war erst halb sieben, aber schon so dunkel, das die Autos mit Licht fuhren. Es war Weihnachten, aber Marita war nicht in der Stimmung zu feiern. Die letzten Jahre hatte sie dieses Fest mit Alex Krycek gefeiert, und auch wenn es immer sehr schlicht ausfiel und es keine großen Geschenke gab, hatte sie es genoßen und wünschte sich, er wäre jetzt bei ihr. Doch das war unmöglich. Alex war tot, sie mußte das akzeptieren. Tot, tot, tot. Sozusagen nicht mehr existent.

Doch sie konnte es bis jetzt nicht akzeptieren. Alex, der mehr Leben als eine Katze zu haben schien, der sogar aus einem Raketensilo entkommen war konnte in ihren Augen einfach nicht tot sein. Es war jetzt mehrere Monate her, das sie ihn das letztemal gesehen hatte, wie lange genau wusste sie nicht. Die Nachricht war ihr von Mulder überbracht worden. Ja, Mulder hatte sie ausfindig gemacht um ihr zu sagen, das ihr Verlobter von seinem Vorgesetzten getötet worden war. Sogar etwas Mitleid hatte Mulder zustande gebracht, was ihr aber in dem Moment ziemlich egal gewesen war. An die nächsten Wochen erinnerte sich Marita nur noch vage, wie durch einen Schleier. Eine Beerdigung gab es nicht, kein Grab, an dem sie trauern konnte. Ohne Leiche war dies nicht möglich. Außer ein paar Photos und ihren Erinnerungen war nichts geblieben.

Nein, das stimmte nicht. Marita sah an sich herunter. Würde sich ihr Bauch nicht deutlich sichtbar unter dem schlichten weißen T-Shirt, das sie trug wölben, sie würde es selbst nicht glauben. Alex und sie hatten immer angenommen nach der fast tödlichen Strahlung, die er in dem Raketensilo abbekommen hatte, wäre Alex unfruchtbar. Trotzdem hatten sie verhütet. Dieses Kind war ein Wunder. Seit drei Monaten war sie sich jetzt vollständig sicher, dass sie schwanger war, nachdem sie endlich den Mut aufgebracht hatte einen Schwangerschaftstest zu machen. Und jetzt war es nicht mehr übersehbar, dass sie im siebten Monat schwanger war.

Eine Träne rollte langsam ihre Wange hinunter. Dieses Kind würde genau wie sie ohne seinen Vater aufwachsen. Aber sie hatte sich geschworen ihm nicht vorzuenthalten, wer der Vater war, nicht wie ihre eigene Mutter jede Frage abzuwehren. Nein, sie würde ihm von ihm erzählen, seinen Namen nennen, vielleicht ein paar Details über sein Leben weglassen, aber alles Wichtige erwähnen. Seinen Kampf gegen die Kolonisation, seine Engagiertheit., sein Mut, ihre Liebe. Jedenfalls, wenn sie dann noch lebte, denn die Kolonisation war eine Bedrohung, die sie zwar verdrängen, aber nicht vergessen konnte. Und diesem Problem würde sie sich wieder widmen, sobald sie über Alex‘ Tod hinweg war. Ob sie es jemals schaffen würde wusste sie selbst nicht.

Marita wandte sich vom Fenster ab und sah sich in ihrer Wohnung um. Ein paar Kerzen hatte sie angezündet, aber ansonsten wies nichts darauf hin, dass es Weihnachten war. Ein Bild von Alex hing an der Wand und wurde von zwei Kerzen in ein gelbliches Licht gehüllt. Lange hatte sie überlegt, ob sie dieses Photo aufhängen sollte, denn jedesmal, wenn sie es sah meldete sich der Schmerz wieder. Doch nachts, wenn sie aufwachte und ihn vermisste half es ihr sich einfach vor dieses Bild zu setzen und es zu betrachten. Neben dem Photo hing ein Gemälde, das Marita und ihre Mutter zeigte, als sie etwa zwölf Jahre alt war. Auch ihre Mutter war schon lange tot, sie starb ein Jahr nachdem das Bild gemalt worden war. Zwei Jahre hatte Marita danach bei Pflegeeltern verbracht, bevor der Raucher sie bei sich aufgenommen hatte, angeblich, weil ihre Mutter es so gewollt hatte. Marita vermutete, das ihr Vater etwas damit zu tun hatte. Wer auch immer das war.

Sie seufzte, riß sich von den Bildern los und ging in ihre kleine Küche. Dieser Tag war für sie wie jeder andere auch und so hatte sie nichts besonderes gekocht, nur ein paar Nudeln. Die Küchenuhr schellte und zeigte ihr, das die Nudeln fertig waren. Gerade wollte sie den Topf vom Herd nehmen um die Nudeln mit kaltem Wasser abzuschrecken, als es an der Tür schellte. Schnell schaltete sie den Herd ab und ging dann zur Tür.



Als sie durch den Spion guckte traute sein ihren Augen nicht. Alex stand vor ihrer Wohnungstür! Ihr erster Reflex war es die Tür aufzureißen und ihn zu umarmen, doch dann riß sie sich zusammen. Er war tot. Also hatte sie einen Rückfall in die Halluzinationen, wie kurz nachdem sie die Nachricht von seinem Tod vernommen hatte, oder es war der Alien-Kopfgeldjäger, der Alex‘ Gestalt angenommen hatte. Noch immer sah sie durch den Spion und ihre Zweifel wurden immer mehr von dem Verlangen Alex in die Arme zu schließen besiegt. Hektisch attmend trat sie einen Schritt von der Tür zurück, versuchte sich zu beruhigen und sah dann noch einmal hin. Definitiv Alex.

„Marita, bitte mach auf“, hörte sie Alex‘ Stimme, doch etwas stimmte mit dieser nicht. Er klang verletzt. Nicht im psychischen, sondern im physischen Sinne. Wie jemand, der gerade zusammengeschlagen worden war. Marita hatte Alex definitiv zu oft in so einer Verfassung erlebt.

„Bitte Marita, ich weiß, dass du da bist. Ich bin’s wirklich, Alex. Bitte, laß mich rein.“ Alex‘ Stimme war jetzt zwar lauter, aber sie zitterte. Marita erkannte durch den Spion, wie er seine Hand zu seiner Lederjacke führte und diese aufknöpfte. Dann zog er sich etwas über den Kopf und ließ es durch den Briefschlitz gleiten, der sich an Maritas Tür befand. Es fiel mit einem Klirren auf den Boden und Marita bückte sich um es aufzuheben. Es war ein schlichtes Band, an dem ein Ring hing. Beim Anblick des Ringes stockte Marita der Atem. Es war ihr und Alex‘ Verlobungsring, den auch sie an einem Band um den Hals trug. Namen oder Daten waren nicht eingraviert, sie hatten beschloßen, dass das zu gefährlich wäre, denn von ihrer Verlobung sollte niemand etwas wissen.

Trotz der Gefahr, dass es nicht Alex war, machte Marita ruckartig die Tür auf. Alex war gerade dabei noch etwas aus seiner Jackentasche zu holen, aber bei dem Geräusch der Tür blickte er auf. Alle Vorsicht vergessend ging Marita einen Schritt auf ihn zu und schloß ihn dann in die Arme. Ihre Umarmung wurde erwidert und beide blieben etwa eine halbe Minute schweigend so, bis Alex sich aus der Umarmung befreite. Tränen standen in seinen Augen, aber als Marita an ihm hinabsah konnte sie sehen, dass diese nicht nur Freudentränen waren so wie ihre. Obwohl er seine Jacke noch anhatte konnte sie sehen, dass er verletzt war. Ein Auge war geschwollen und rot unterlaufen, seine Lippe aufgesprungen und am Hals deutete ein Schnitt darauf hin, dass ihm wohl ein Messer an den Hals gehalten worden war. Immer noch schweigend führte sie ihn in ihre Wohnung und half ihm dabei sich in einen Sessel zu setzen.

Leise vor sich hin murmelnd, was sie brauchte rannte sie in ihr Badezimmer und holte ihr gesammeltes Verbandsmaterial, das sie vor allem deswegen hatte, weil Alex sich während der Monate, die sie zusammengelebt hatten, so oft verletzt hatte, dass sie sich manchmal wie eine Krankenschwester vorgekommen war. Verbände, kühlende Salbe, Desinfektionsspray, Paracetamol, Pflaster und eine Schere holte sie aus dem Medizinschrank im Badezimmer, legte es vor Alex, rannte dann in die Küche und holte aus dem Kühlschrank in der Küche mehrere Kühlkompressen. Wegen ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft konnte sie sich nicht ganz so schnell bewegen wie sie gerne wollte, doch es dauerte trotzdem keine Minute, bis sie sich vor Alex hinkniete und ihm dabei half seine Jacke auszuziehen.Trotz der Kälte trug er darunter nur ein T-Shirt und sie konnte sehen, dass an diesem an manchen Stellen Blut klebte, doch darum würde sie sich später kommen, erst einmal wollte sie die Wunden am Kopf versorgen. Dass sein Blut rot war erleichterte sie schonmal, denn immerhin wußte sie dadurch, dass sie einen wirklichen Menschen vor sich sitzen hatte.

Alex öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, doch Marita legte behutsam ihren Zeigefinger auf seine Lippen und schüttelte den Kopf. So sehr sie Erklärungen wollte, so sehr mußte sich sie auf das Verbinden seiner Wunden kümmern.Um diese besser sehen zu können setzte sie sich auf die Armlehne des Sessels und spürte, wie sich sofort reflexartig ein Arm um sie legte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Ja, das war definitiv Alex.

Ein paar Kratzer, sowie die Wunde am Hals am Kopf desinfizierte sie, strich die Salbe auf die oberflächlichen Kratzer, seine verletzte Lippe und die Wunde am Hals und reichte ihm dann eine Tablette Paracetamol, die er sofort widerstandslos mit Hilfe eines Glasses Wasser, das sie aus der Küche holte, schluckte. Marita beobachtete, dass er Schwierigkeiten beim Schlucken hatte und verstand jetzt auch, warum seine Stimme nicht sehr kräftig war. Das Messer oder was man ihm auch immer an den Hals gehalten hatte war wohl die Ursache dafür.

Nun, da sie die Wunden am Kopf verarztet hatte wandte sie sich den restlichen Körper ihres Verlobten zu.

„Alex, versuch jetzt bitte nicht zu sprechen, okay?“ Sie erntete ein Nicken. Behutsam nahm sie den Saum seines T-Shirts in die Hand und signalisierte ihm, dass sie es ihm ausziehen würde. Er hob schon seine Arme, wobei sich sein Gesicht vor Schmerzen verkrampfte, als sie auf einmal eine bessere Idee hatte. „Nein, ich werde es anders von deinem Körper bekommen. Sag es, wenn ich dir wehtue.“ Wieder nickte er mit dem Kopf.

Marita nahm die Schere und begann Alex‘ T-Shirt von unten nach oben aufzuschneiden. Sie hatte im Schrank Klamotten von ihm, schließlich war dies ihre gemeinsame Wohnung und er würde später sowieso etwas Wärmeres als ein T-Shirt benötigen. Als sie sein Hemd schließlich komplett aufgeschnitten hatte entfernte sie es vorsichtig an den Stellen, an denen es wegen des eingetrockneten Blutes fast mit seiner Haut verbunden war. Dabei zuckte er zwar ein paarmal zusammen, aber schließlich hatte sie es geschafft und begutachtete die Wunden. Vorsichtig strich sie mit einem Finger über eine Wunde am rechten Oberarm, die am Schlimmsten aussah. Alex‘ Reaktion darauf zeigte ihr deutlich, dass es ihm wehtat und so desinfizierte und verband sie die Wunde. Mit einem kurzen Blick versicherte sie sich außerdem, dass mit seiner Armprothese alles in Ordnung war.

Als Marita endlich fertig damit war seinen Oberkörper zu verbinden eilte sie ins Schlafzimmer. Es war ihr nicht entgangen, das Alex zitterte, auch wenn er versuchte es zu unterdrücken. Seine Arme zu heben war für ihn noch schmerzhaft und würde es wohl auch noch etwas länger bleiben, deswegen entschied sie sich für ein schwarzes Jeanshemd und eine Decke, die in einer Ecke des Kleiderschrankes lag.

Dankbar nahm Alex die angebotenen Sachen an und ließ sich von ihr beim Anziehen helfen. Danach setzte sie sich ihm gegenüber und musterte ihn. Ja, er sah schon deutlich besser aus und sie war sich sicher, dass er keine bleibenden Schäden davontragen würde. Außer ein paar mehr Narben natürlich.

„Was ist passiert, Alex?“ Die Frage war schlicht und eine bessere Formulierung war ihr nicht eingefallen.

Alex hustete einmal kurz, wobei er vor Schmerzen deutlich sein Gesicht verzog, aber schließlich fand er die Kraft zu sprechen. „Es war nicht ich, den Skinner getötet hat. Es war der Alien-Kopfgeldjäger, der den Auftrag hatte Mulder und Skinner zu töten. Ich habe das letzte halbe Jahr damit verbracht ihn zu suchen und vor drei Tagen habe ich ihn endlich gefunden und getötet. Dann habe ich mich sofort auf den Weg zu dir gemacht und wurde kurz vor deiner Hustür von Jugendlichen überfallen, die Geld von mir wollten.“

Marita konnte nicht anders, sie wollte ihn einfach nur noch in ihren Armen halten und nicht mehr loslassen. Sie stand auf, setzte sich auf die Kante seines Sessels und nahm ihn behutsam in die Arme, und er erwiderte die geste so gut er mit seiner Prothese und seinen Verletzungen konnte. Tränen bildeten sich in Maritas Augen, so sehr hatte sie Alex in den letzten Monaten vermisst und auf einmal konnte sie ihn wieder in ihren Armen halten.

Nachdem sie sich einige Minuten einfach nur schweigend umarmt hatten spürte sie auf einmal, wie sich sein Körper sich anspannte. Refelxartig zog sie sich sofort zurück und sah, wie er auf ihren Bauch starrte. Und aus seinem Gesichtsausdruck konnte sie schließen, was er gerade tat: Er rechnete zurück, wie lange er sie nicht mehr gesehen hatte , und wie weit ihre Schwangerschaft schon fortgeschritten war. Nach einiger Zeit blickte er ihr direkt in die Augen und eine Frage lag darin, die sie gerne beantwortete.

„Ja, unser.“

Und mehr Antwort brauchte er nicht, denn schon spürte sie seine Lippen auf ihren und alte Erinnerungen kamen wieder hoch. So lange hatte sie schon seit Beginn ihrer Beziehung immer wieder auf seine Anwesenheit verzichten müssen, doch sie Zeit dazwischen war die Schönste ihres Lebens gewesen. Und eine noch schönere kam jetzt auf sie zu, denn es war die Zeit der Wunder.

Und Wunder sollte man nutzen.





“Where there is great love,

there are always miracles.”

~Willa Cather.





Merry X-Mas
Eilan
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