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9x01 - Die Ruhe vor dem Sturm

von Steffi Raatz

9x01 - Die Ruhe vor dem Sturm

John Doggett stand unbeobachtet in der Tür. Er wollte das stille Glück nicht stören. Dana Scully und ihren Sohn. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie alle stark mitgenommen, doch seine ehemalige Partnerin hatte es am meisten getroffen.

"Doggett, wollen Sie hier ewig in der Tür verweilen?", Frohikes Hand legte sich von hinten auf seine Schulter. Ein kleines Kunststück, wenn man an die Größe des Freaks dachte.

"Frohike", John sah erstaunt zur Seite und entdeckte dann die Blumen in dessen Hand, "wollen Sie Dana Ihre Aufwartung machen? Ich denke, da kommen Sie ein wenig zu spät."

Auch wenn er die Freunde von Mulder erst seit knapp einem dreiviertel Jahr kannte, war ihm deutlich aufgefallen, daß Frohike eine Schwäche für die kleine rothaarige Agentin hatte.

Während Frohike zu einer Antwort auf Johns Frage ansetzen wollte, tauchten hinter ihm seine Freunde Langley und Byers auf. Die Frage erübrigte sich für John, doch es war ihm irgendwie unangenehm, daß man ihn dabei erwischt hatte, wie er seine ehemalige Partnerin beobachtete.

"Ich wollte sie nicht stören", er deutete auf das sehr private Bild auf der anderen Seite der Tür.

Die drei Lone Gunmen sahen sich an. Vielleicht war im Moment tatsächlich ein ungünstiger Zeitpunkt. Ein weiterer Blick streifte John Doggett, der den Kopf schief legte und sie abwartend ansah.

"Okay", Byers machte als erster kehrt, "ich denke, Sie haben Recht, kommen wir lieber morgen wieder."

Die anderen stimmten ein und so ging man gemeinsam nach draußen. John verabschiedete sich kurz und steuerte auf seinen Wagen zu. Die Lone Gunmen blieben noch einen Augenblick stehen und sahen ihm nach.

Frohike war es, der als erstes wieder etwas sagte. Sein Blick ging von John Doggett zu Dana's Wohnung, dann sah er seine Freunde an: "Ich glaube, John Doggett ist mir eigentlich ganz sympathisch. Bin ich krank, Jungs, wenn ich glaube, daß er die X-Akten würdig vertritt?"

Langley und Byers sahen ihn einen Augenblick schweigend an, ehe sie mehr oder weniger deutlich eine Zustimmung murmelten. Mulder war ihr bester Freund und er war die Inkarnation der X-Akten, aber es schien, als gäbe es jemanden, der ihn durchaus vertreten konnte.



*******



Skinner sah hinaus. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, wie sich die Dinge entwickelten. Noch vor ein paar Stunden hatte er Alex Krycek eine Kugel in den Schädel gejagt, jetzt war er bereits in Kersh' Büro zitiert worden. Kopf und Kragen hatte er Mulder und vor allem Dana zu liebe riskiert, jetzt war er der Depp, der hier stand. Kein John Doggett, der überhaupt erst den Kontakt zu Knowle Rohre hergestellt hatte, kein Mulder, an dessen Fersen grundsätzlich ein Alex Krycek hing. Wieder mal war er allein der Buhmann.

Die Tür hinter ihm öffnete sich und eine schlanke Gestalt schlüpfte in den Raum.

"Bin ich zu spät?", Monica Reyes sah sich aufmerksam und ein wenig nervös um. Sie war eigentlich gar nicht den X-Akten zugeteilt. Nicht wirklich. Bisher hatte John Doggett sie nur jedesmal zu Rate gezogen und dennoch... jetzt stand sie hier, mit ihm im Büro von Kersh und da konnte es nur um die X-Akten gehen. Es schien so, als ob sie unfreiwillig da mit hinein geschlittert war.

"Agent Reyes, hat man Ihnen die Gründe für unser Hiersein erklärt?", Skinner bemerkte die immer stärker werdende Unruhe in sich.

In diesem Augenblick öffnete sich hinter ihnen erneut die Tür und Kersh betrat den Raum. Ihm folgte ein junger Mann, aalglatt und undurchsichtig.

"Ich werde Ihnen Ihre Frage gleich beantworten, Agent Skinner", wieder mal trietzte Kersh in absichtlich, in dem er ihn nur mit Agent betitelte und nicht mit seinem vollen Titel des Assistant Directors. Ihm war nur zu deutlich bewußt, daß er seit Kersh Beförderung deutlich an Boden verloren hatte.

"Brad?" Monica sah den jungen Mann erstaunt an. Skinner spürte die Vertrautheit, die augenblicklich zwischen den beiden jungen Leuten herrschte.

"Agent Reyes", der Agent hielt sich bedeckt, deutete mit keiner Silbe an, daß es außer Beruf jemals etwas zwischen ihnen gegeben hätte, doch Skinner spürte instinktiv, daß dort mehr war, daß Reyes ein wenig durcheinander schien und der Agent etwas zu vertuschen versuchte.

"Wie ich sehe, kennen Sie sich. Dann werde ich es kurz machen", Kersh trat neben den jungen Mann und machte eine darreichende Handbewegung, "ich möchte Ihnen Assistant Director Brad Follmer vorstellen, er wird mir helfend zur Seite stehen, auch in Bezug auf die X-Akten."

Skinner und Reyes sahen sich einen Augenblick sprachlos an. Skinner, weil er sich automatisch von seinem Platz verdrängt sah. Wenn dieser Follmer sich um die X-Akten kümmern sollte, dann hieß das unwillkürlich, daß er von dieser Position gekickt wurde.

Reyes, weil sie immer noch nicht wußte, warum sie überhaupt hier war.

"Sir", Monica begann zu sprechen, zeitgleich setzte Skinner an.

Beide wurden von Kersh unterbrochen: "Agents..."

"Sir, ich möchte doch nur wissen, was ich...", begann Monica erneut und wiederum unterbrach Kersh sie, doch diesmal lediglich mit einer Handbewegung.

Sie verstummte und sah ein wenig verärgert in die Runde.

"Nur um das klarzustellen, Agent Reyes, ich weiß, daß Sie sich wundern, hier zu sein und deshalb möchte ich Ihnen die Situation erklären. Da Agent Scully nun in Mutterschutz ist", er sah Skinner an, dem die abfällige Art, wie Kersh über Scullys Schwangerschaft sprach, nicht gefiel, "benötigt Agent Doggett einen neuen Partner und da hat er um ihre Mitarbeit gebeten."

Einen kurzen Augenblick sah Monica ihn ratlos an, dann verspürte sie ein seichtes Triumphgefühl. Schon immer hatte sie sich für die X-Akten interessiert. Ihre Freude wurde jedoch getrübt, wenn sie daran dachte, daß es mehr oder weniger eine Strafversetzung bedeutete.

"Wir gehen nicht davon aus", Follmer überkreuzte die Arme hinter dem Rücken und durchschritt hinter den beiden Agents den Raum, "daß Sie großartig etwas dagegen haben werden, Agent Reyes."

Monica blieb, die Augen geradeaus gerichtet, stehen und sog den Atem ein. Es schien Skinner fast, als würde sich jede Nervenbahn im Inneren der Agentin zusammen ziehen.

"Sir", Monica betonte absichtlich die Anrede, "was macht Sie so sicher?"

Follmer ging seitlich an ihr vorbei und begann sie langsam von unten nach oben zu betrachten, bis er schlußendlich ihre Augen fixierte: "Waren Sie nicht dank Ihrer Ansichten stets das schwarze Schaf ihrer Abteilung?"

Monica kniff die Augen zusammen: "Eine Gegenfrage auf meine Frage, ist keine Antwort, Sir!"

Brad Follmer lächelte nur tiefgründig und gesellte sich neben Director Kersh.

Skinner erwartete noch eine Erwiderung, doch diese blieb aus. Statt dessen ergriff Kersh das Wort und beendete die Unterhaltung: "Sie sind informiert. Ich denke, daß es keine Schwierigkeiten geben wird. Gehen Sie also wieder an die Arbeit!"

Die beiden Agenten sahen einander an und verließen kommentarlos das Büro ihres Vorgesetzten.

"Skinner, was geht hier vor sich?" Monica blieb noch im Vorraum stehen und sah den Assistant Director an.

Dieser stoppte ebenfalls in seiner Bewegung und drehte sich zu ihr um: "Ich weiß es nicht, Agent Reyes, ich weiß es nicht..."

Er wußte wirklich nicht, was er von der ganzen Angelegenheit halten sollte, doch eines war sicher. Irgendwas war im Busch, er mußte nur noch herausfinden, was es war.



*******



"Hast Du wirklich geglaubt, es würde einfach werden?", Dana legte William zurück in die Wiege.

Mulder, der hinter ihr stand und sich an den Türrahmen lehnte, seufzte laut: "Ich will mich ja auch nicht beklagen, aber..."

"Aber Du tust es", lächelte sie, sich zu ihm umdrehend.

Mulder betrachtete sie einen Augenblick, ohne ein Wort zu sagen. Dana's blaue Augen schienen lebendiger, seit sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte. Es war erstaunlich, wie einfach sie seine Entführung und die letzten Ereignisse weggesteckt hatte.

"Mulder!" ihre Stimme wurde ein wenig ungeduldig, "warum siehst Du mich so an?"

Er blinzelte kurz, stieß sich von der Tür ab und zog sie in seine Arme. Sie legte ihre Arme ebenso um ihn und sah zu ihm auf. Ihre Blicke trafen sich und sehr viel Verständnis und Zuneigung standen darin geschrieben.

Mulder lächelte: "Irgendwie kann ich es immer noch nicht begreifen, daß ich jetzt eine Familie habe."

Sie wußte, er spielte auf Sam an und auf deren Entführung, welche die Familie entzweit und Mulder in einen Strudel von Selbstvorwürfen geworfen hatte. Langsam aber sicher war seine Familie auseinander gebrochen und er hatte einen Teil verloren nach dem anderen, bis nur noch er übrig geblieben war. Doch auch ihn hatte es fast nicht mehr gegeben. Daß er nun so lebendig vor ihr stand, erschien auch ihr wie ein kleines Wunder. Es gefiel ihr, daß er sie als seine Familie betrachtete. Es hatte soviel von Wärme und Nähe.

Mulder beugte sich zu ihr hinab und küßte ihre Nasenspitze. Dana genoß das kurze Kribbeln und glitt dann wieder aus der Umarmung, um William zu zudecken.

"Und warum wollten sie Dich diesmal nicht?"

Mulder nahm ein blaues Plüschhäschen in die Hand und drehte es gedankenverloren in seinen Händen: "Ich hatte wohl nicht die richtigen Qualifikationen?!"

Dana richtete sich wieder auf und drehte ihren Kopf in seine Richtung: "Wenn Du nicht für eine Ufofachzeitschrift die richtige Qualifikation hast, dann... oder hast Du Ihnen wieder von Deiner Entführung erzählt?"

Er legte den Hasen wieder zur Seite und sah sie trotzig an: "Ich bin entführt worden. Du weißt, daß es wahr ist."

Seufzend wandte sie sich ganz in seine Richtung und stützte sich am Kinderbett rücklings auf: "Mulder, natürlich weiß ich es, aber selbst wenn die ein Ufomagazin herausgeben, suchen Sie glaubwürdige Redakteure."

"Willst Du damit andeuten, daß ich nicht glaubwürdig erscheine?", er verschränkte die Arme vor der Brust.

"Du weißt ganz genau, was ich meine!", ihre Stimme klang energisch. Wie oft hatten sie in den letzten 24 Stunden schon derartige Diskussionen geführt. Mulder hätte schon bei zwei renommierten Verlagen unterkommen können, hätte er nicht schlußendlich von seiner Entführung durch Außerirdische zu erzählen begonnen. Sie wußte nicht, warum er das tat, war es doch wohlweislich nicht seine Art, solche Dinge an die große Glocke zu hängen. Doch entweder unterstand er derzeit einem starken Mitteilungsdrang oder aber seine Gesprächspartner provozierten ihn, daß er in diese Richtung ging. Auf jeden Fall machte es die Jobsuche für ihn zu einem Spießrutenlauf und sie konnte nur erahnen, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sich seine Ansichten in der Branche herumgesprochen hatten.

Ein Klopfen an der Tür unterbrach zu Mulder's Erleichterung die Unterhaltung.

"Ich gehe schon", er machte auf dem Absatz kehrt, ignorierte Dana's leicht säuerlichen Gesichtsausdruck und verschwand aus dem Zimmer.

Sie blieb zurück, sah ihm noch kurz hinterher und wandte sich dann wieder kopfschüttelnd zu William.

"Es sind die Jungs", tönte es kaum dreißig Sekunden später aus dem Wohnzimmer und sie wußte, daß Mulder jetzt endlich wieder in seinem Element war.

Sie kümmerte sich nicht weiter um ihren Besuch. Mulder würde die drei so oder so mit Fragen zu neusten Erkenntnissen über Verschwörungstheorien oder Interessantem aus der Welt der X-Akten belagern, daß ihre Anwesenheit gar nicht erforderlich war.

"Hey, Scully", als Frohikes Kopf sich durch die Tür schob, staunte sie also nicht schlecht.

"Hey", ihre Stimme klang ein wenig überrascht.

Noch bevor Frohike etwas darauf erwidern konnte, schob sich hinter ihm Mulder ins Blickfeld und grinste sie breit an: "Byers meint, wir bekommen neue Nachbarn."

"So?", erwiderte sie und legte den Kopf schief, "wie kommt er denn darauf?"

"Draußen steht ein Möbelwagen und es laufen immer fleißig Leute in das Haus, die irgendwelche Gegenstände tragen", erwiderte Mulder mit einem Anflug von typischer Nachbarschaftsneugier. Das Fehlen der X-Akten tat ihm nicht sonderlich gut, diagnostizierte Dana mit einem Anflug von Selbstmitleid.

"Vielleicht werdet Ihr observiert?", Langley warf seine Bemerkung mehr beifällig in den Raum, dennoch versetzte sie Dana ein eiskaltes Kribbeln.

Mulder sah einen Augenblick sehr nachdenklich aus und schüttelte dann den Kopf: "Unwahrscheinlich. Würde uns jemand observieren wollen, dann würde er es sicher nicht so offensichtlich machen," nach Zustimmung suchend, blickte er Dana an, doch diese konnte ihm nicht in die Augen sehen.

Irgendwo in ihrem tiefsten Inneren, da machte sie sich Gedanken darüber, ob so etwas nicht tatsächlich geschehen konnte. Gründe gab es genug - William, Mulder, Knowle Rohre... eigentlich mochte sie gar nicht weiter denken.

"War Agent Doggett schon hier?", Melvin Frohike stellte nun endlich seine eigentliche Frage.

"John?", Dana ließ sich aus ihren Gedanken reißen und sah Melvin fragend an, "nein, wieso...?"

"Heute morgen warst Du mit William beschäftigt, da trafen wir uns alle vor Deiner Tür. Wir sind wieder gegangen, um die traute Zweisamkeit nicht zu stören, aber ich dachte, daß er mittlerweile hier gewesen wäre", er reichte ihr die Blumen, die er bereits vor einigen Stunden ihr hatte geben wollen, und die mittlerweile ein wenig welk aussahen.

"Hat er Euch gesagt, was er wollte?", Scully beobachtete, wie Mulder wieder ins Wohnzimmer verschwand. Agent Doggett war ein Thema, daß er gern umging, auch wenn er keinen Machtkampf mehr mit ihm führte.

Sie wußte, daß es ihm nicht sonderlich gefiel, daß sie sich so gut mit ihm verstand.

"Nein, aber ich vermute mal, es war nicht so wichtig, sonst wäre er schon wieder bei dir aufgetaucht", brummte Frohike und schielte hinüber in das Kinderbettchen.

Dana ließ sich ablenken und trat lächelnd neben ihn.



*******



"Dieses Büro zieht allgemeinen Spott auf sich."

John, der neben Mulder's ehemaligem Schreibtisch stand, sah von den Akten hoch, drehte seinen Kopf Richtung Tür und fixierte die Person im Türrahmen.

"Sir, weshalb sind Sie hier unten?", fragend streifte sein Blick Director Kersh, dessen Besuch im Kellerbüro der X-Akten mehr als sonderbar war.

Langsam wanderte Kersh durch den Raum, nahm hier und dort eine Akte in die Hand und ließ sehr lange auf eine Antwort von sich warten. John wurde zunehmend ungeduldiger, ließ sich diesen Umstand jedoch nicht anmerken.

Erst als Kersh unmittelbar vor ihm stand, sah er ihn wieder an und tippte mit dem Finger auf einer Akte herum: "Sind Sie es nicht leid, verspottet zu werden?"

"Director Kersh, ich weiß wirklich nicht, worauf sie hinaus wollen. Entweder sagen Sie es mir oder sie lassen mich meine Arbeit tun. Jetzt, wo Agent Scully..."

Kersh nickte bei Johns Worten und schlug nun mit der Hand auf den Tisch: "Jetzt, wo Agent Scully nicht mehr da ist, gibt es keinen Grund mehr, die X-Akten am Leben zu halten."

Es brauchte einen Augenblick bis John das Gesagte richtig erfaßt hatte, doch dann schien ihm auf einmal alles klar zu sein: "Sie wollen die X-Akten schließen."

Es war mehr eine Bestätigung, als eine Frage. Kersh hatte schon damals, als er in diese Abteilung versetzt worden war, eine derartige Anspielung gemacht, jetzt schien es für ihn soweit zu sein.

"Agent Doggett, das wäre Ihre Chance auf Rehabilitation. Ich könnte Ihnen einen guten Job in einer anderen Abteilung organisieren. Vielleicht sogar einen AD. Posten", Kersh' Lächeln war absolut falsch.

Johns Rücken versteifte sich augenblicklich. Er wollte ihn loswerden. Er wußte ja bereits, daß Kersh ihn eiskalt ausgenutzt und verheizt hatte, doch jetzt wollte er ihm auch noch die X-Akten nehmen, seine letzte Möglichkeit auf Anerkennung. Im ersten Augenblick wollte John sofort ablehnen, doch dann mußte er wieder über seine Situation nachdenken. Agent Mulder war entlassen worden, Scully befand sich im Mutterschutz und wenn er es genau betrachtete, würde sie sicherlich auch nicht wieder kommen. Was sollte er also noch bei den X-Akten? Waren die mysteriösen Fälle und das Gedenken an Mulder und Scully all das wert?

Wollte er seine Zukunft für eine Wahrheit aufs Spiel setzen, die nicht einmal seine eigene war? Doch dann spürte er wieder diese Verpflichtung, die Verpflichtung Scully gegenüber, Mulder gegenüber und vor allem seinem Sohn Luke gegenüber, dessen Tod unweigerlich zu einer X-Akte geworden war.

John sah seinen Vorgesetzten einen Augenblick nachdenklich an, ehe er zu sprechen begann. Und auch dann waren seine Worte langsam und bedacht gewählt: "Sir, ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, aber wir hatten bereits vor einiger Zeit ein Gespräch darüber..."

"Wollen Sie mir sagen, daß Sie das Angebot ablehnen, John?", Kersh verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn eindringlich an.

"Was ich damit sagen will, ist, daß ich über Ihr Angebot nachdenken werde. Ich bin nicht gewillt, Ihnen hier auf der Stelle eine Entscheidung mitzuteilen", erwiderte John und beobachtete Kersh' Reaktion.

Er wirkte nicht mehr so ärgerlich wie kurz zuvor, vielmehr schien es so, als ob er sich nun seiner Sache sehr sicher war. Es ärgerte John ein wenig, aber dennoch lenkte es nicht davon ab, daß er allein vor allem stand und das nicht die Situation war, die er sich für seine Zukunft vorstellte.



*******



Monica stand am Fenster und beobachtete die Straße. Zwar hatte sie um ein Gespräch mit Brad gebeten, doch nun wußte sie auf einmal nicht mehr so genau, warum sie wirklich hier war. Konnte sie mit ihm reden oder war er noch immer so ignorant wie zu der Zeit, als sie miteinander befreundet gewesen waren. Zudem war ihr immer noch nicht so ganz klar, welche Rolle er in den X-Akten spielte. Von Kersh wußte sie, daß er ihnen nicht sonderlich positiv gegenüber stand, doch wie war das mit Brad? War er in diesem Fall Freund oder Feind? Monica vertraute ihm, sie wußte, er würde ihr nie etwas schlechtes antun und dennoch hatte sie das unbestimmte Gefühl, daß er wieder mal dabei war, ihr Leben negativ zu beeinflussen, doch diesmal nicht privat, sondern beruflich.

"Monica", die Stimme des neuen Assistant Director erklang hinter ihr und sie drehte sich langsam in seine Richtung.

"Brad", mit noch immer verschränkten Armen sah sie ihm entgegen. Jetzt kam es darauf an, daß sie die richtigen Fragen stellte. Sie wußte, es würde schwierig werden, überhaupt Antworten von ihm zu bekommen, aber sie mußte herausfinden, warum er hier war.

"Du hast um ein Gespräch gebeten?", er näherte sich ihr langsam und versuchte die Situation einzuschätzen.

"Ja, Sir", brummte sie, doch aus dem ein wenig verkniffenen Gesichtsausdruck wurde ein leichtes Lächeln.

Als ob er es als eine Aufforderung angesehen hätte, ging er um seinen Schreibtisch herum und nahm sie in die Arme. Seine feuchten, warmen Lippen berührten ihre Wange und ein selbstsicheres Lächeln lag um seine Mundwinkel.

"Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Darling."

Monica hingegen blieb mit verschränkten Armen stehen, jeglicher Reaktion unfähig und sah ihren Gegenüber mit nur einer Frage auf den Lippen an: "Was willst Du hier?"

In ihrem Inneren schwankten jedoch die Gefühle zwischen Ekel und Freude. Sie war unsicher, wollte sich das aber nicht anmerken lassen.

Brad Follmer kniff die Augen zusammen und lehnte sich rückwärts an seinen Schreibtisch: "Warum so unfreundlich Monica? Zudem befindest Du Dich in meinem Büro und nicht umgekehrt. Also sollte ich doch sicherlich fragen, was Du hier willst, oder?"

"Ich spreche nicht von Deinem Büro", sie sah ihn ärgerlich an, "warum bist Du nicht mehr in New Orleans, sondern hier?"

"Wenn ich Dir jetzt darauf antworte, daß Du der Grund bist, würdest Du es mir nicht abkaufen, oder?", ein verschlagenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

Monica wußte nicht, ob sie darauf regieren sollte und so blieb es schließlich bei ihrem angespannten Blick, mehr nicht.

"Gut", Brad stieß sich von seinem Schreibtisch ab und kehrte wieder auf die andere Seite des Schreibtisches zurück, "so etwas habe ich mir schon gedacht."

"Warum die X-Akten?", sie hielt es nicht aus, ihn anzuschweigen, also konfrontierte sie ihn lieber mit ihren Fragen.

"Wie lange ist es her, Monica?", er legte den Kopf schief und sah sie wieder an.

"Du lenkst vom Thema ab, Brad!", Unwille klang aus ihrer Stimme.

Ein tiefer Seufzer erklang aus seiner Kehle und es dauerte einen Augenblick, bis er wieder zu ihr auf sah und etwas sagte. Währenddessen fühlte sie sich furchtbar. Wie hatte sie nur glauben können, ihre Beziehung hätte keine Spuren hinterlassen.

"Zwei Jahre", kommentierte sie schließlich doch seine Frage und ließ die Arme hängen.

"Eine lange Zeit", erwiderte er mit einem matten Lächeln.

"Und Du hast Dich nicht verändert", sie schluckte, "immer noch der selbe selbstgefällige, ignorante Kerl von damals!"

"Du mochtest es!", entgegnete er.

"Damals vielleicht", sie stützte sich auf dem Tisch auf und sah ihn an, "aber ich habe schnell dazu gelernt. Also was willst Du hier, Brad?"

Nun war es an ihm zu schlucken. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sie ihn so vehement abweisen würde. Sein Charme schien keine Wirkung mehr auf sie zu haben. Also stellte er sich ihren Fragen, so weit zumindest, wie er es für nötig hielt.

"Assistant Director klingt doch nicht schlecht oder?", das falsche Lächeln um seine Mundwinkel konnte Monica nicht täuschen. Daß sie so auf seinen Beweggründen beharrte, schien ihm nicht zu gefallen.

"Ein Fortschritt, doch ich kann mich erinnern, daß man Dir bereits vor zwei Jahren einen AD-Posten in Los Angeles angeboten hat. Warum also Washington?", ihre Stimme erklang ungewollt kühl.

"Damals waren wir noch zusammen. Ich wollte unsere Beziehung nicht aufs Spiel setzen", entgegnete er.

"Unsere Beziehung war zu diesem Zeitpunkt bereits am Ende, Brad!", zischte sie und sah ihn fest an.

Er beugte sich vor, so daß sie einander direkt in die Augen sehen konnten: "Du bist gegangen, ich wollte das nicht!"

"Du lenkst schon wieder ab!" erwiderte sie mit zusammen gebissenen Zähnen und sah, wie er wieder zurück wich. Er hatte Recht. Leider hatte er Recht. Sie war gegangen, sie hatte ihn verlassen, weil es unerträglich mit ihm geworden war und weil sie die Möglichkeit bekommen hatte, an einem Fall zu arbeiten, der ihr mehr wert war, als die halb zerbrochene Beziehung zu Brad Follmer.

"Als ich das Angebot von Kersh bekam, konnte ich schlecht ablehnen. Ich wußte nicht, daß Du hier bist", mit unbescholtener Miene ging er auf das Fenster zu.

Ihre Blicke folgten ihm, fixierend, nachdenklich. Worauf wollte er hinaus?

"Welch ein Zufall", feixte sie und drehte sich zu ihm um, "Du kennst Kersh also schon länger?!"

"Ich hätte jetzt nicht erwartet, daß Dich diese Tatsache überrascht. Kein Kommentar dazu, daß ich nicht wußte, daß Du in Washington bist?", er verzog das Gesicht.

Sie ging um den Tisch herum und steuerte auf die Tür zu. Er würde ihr nichts erzählen, nicht jetzt und selbst wenn, sie konnte sich nicht sicher sein, daß er die Wahrheit sagte.

"Wie ich sehe, flüchtest Du mal wieder", sein spöttischer Ton ließ sie noch einmal stehen bleiben.

Mit zusammen gekniffenen Augen sah sie ihn an und atmete tief durch: "Das unterscheidet uns, Brad. Ich weiß, wann ich mich zurückziehen muß. Du hast es bis heute nicht verstanden!"

Dann verließ sie das Büro ihres neuen Vorgesetzten und machte sich auf die Suche nach ihrem neuen Partner.



*******



Die Türklingel ließ sie aus ihren Gedanken hoch schrecken. Sie sah noch einmal kurz in das Bettchen nach William, dann verließ Dana das Kinderzimmer und steuerte die Wohnungstür an. Mit einem leisen Fluch betrachtete sie dabei das heillose Chaos aus Büchern und Zeitschriften, das auf dem Wohnzimmertisch verteilt war. Mulder und Byers waren mit Recherchen zu einem Artikel beschäftigt gewesen, als Frohike angerufen hatte, daß sie einen Hinweis über irgendeine Verschwörung bekommen hätten. Und so waren Fox Mulder und Byers dem Ruf des Übernatürlichen gefolgt. Wäre das Durcheinander nicht so groß gewesen, hätte sich Dana vermutlich ein Lächeln abgerungen.

"John", sie lächelte, als sie ihren ehemaligen Kollegen sah.

Es waren zwar kaum mehr 48 Stunden seit ihrem letzten Treffen vergangen, dennoch schien es ihr wie eine kleine Ewigkeit.

"Hallo!", er lächelte matt und sie wußte instinktiv sofort, daß etwas nicht in Ordnung war.

"Komm rein und erzähl", sie machte eine einladende Handgeste und fing seinen resignierenden Blick ein.

Er seufzte, ging an ihr vorbei und blieb im Raum stehen: "Es ist erstaunlich, wie gut Du mich mittlerweile durchschauen kannst."

Sie schloß die Tür hinter ihm und kam auf ihn zu: "Weibliche Intuition und nun setz Dich."

Lächelnd schüttelte er den Kopf und ließ sich auf einem der Sessel nieder. Dana ging in die Küche und brachte wenige Augenblicke später zwei Becher mit dampfendem Kaffee in das Wohnzimmer.

Einen drückte sie John in die Hand, den andere stellte sie auf den Tisch. Mit weichen Bewegungen ließ sie sich im Schneidersitz auf der Couch nieder und beugte sich vor, so daß sie ihrem ehemaligen Partner in die Augen sehen konnte: "Los, erzähl!"

John starrte einen Augenblick auf den Becher Kaffee, dann sah er zu ihr auf in die Augen: "Kersh hat mich gebeten, die X-Akten zu verlassen."

"Er will die Abteilung schließen. Keine wirklich grandiose Neuigkeit", ein wenig ratlos sah sie ihn an.

"Ich überlege, es zu tun", er ließ die Worte im Raum stehen und sah sie forschend an.

Einen sehr langen Augenblick starrte sie ihn an. Was wollte er ihr damit sagen? Daß er aufgeben wollte? Daß er ihr Lebenswerk beenden wollte? Dana mußte sich zusammen reißen. Es war nicht so, daß John das böswillig tat. Er hatte Grund genug, alles aufzugeben, seiner Karriere neuen Aufschwung zu geben. John Doggett hatte soviel für sie und William getan, er hatte keine Verpflichtungen ihr gegenüber, nein, eher anders herum. Und dennoch, sie konnte nicht glauben, daß das der richtige Weg war.

Als sie endlich wieder Worte fand, kniff sie die Augen zusammen und in ihrer Stimme klang trotz allem ein Hauch von Ärger wider: "Soll ich das jetzt so verstehen, daß Du aufgeben willst?"

Sein Becher Kaffee landete mit Wucht auf dem Tisch und John sprang förmlich von seinem Sessel auf. Frust und Ärger klangen nun auch in seiner Stimme mit: "Ich gebe nicht auf, Dana. Aber Mulder ist gefunden, Dein Kind geboren, ich sitze allein in dem Kellerbüro, verspottet und ohne einen tieferen Sinn."

"Sind die X-Akten nicht Sinn genug?" erwiderte sie aufgebracht und stand ebenfalls auf. Wenn es das war, was ihn veranlaßte, über ein Ausscheiden nachzudenken, dann waren es die falschen Gründe!

"Was macht Sinn ohne Dich?" er drehte sich zu ihr um und faßte sie an den Schultern.

Sie schloß die Augen und ließ den Satz einen kurzen Moment auf sich wirken.

"Oh John", ein mattes Lächeln legte sich dann über ihre Lippen, "ich bin ersetzlich, auch wenn ich mich geschmeichelt fühle."

"Du bist die X-Akten. Was mache ich ohne Deine Anleitung, ohne Dein Wissen?" er schüttelte den Kopf.

Sie lehnte ihre Stirn an seine und atmete tief durch: "Ich bin nicht die X-Akten, wenn jemand die Inkarnation der X-Akten war, so Mulder, doch jetzt bist Du da. Du hast Dir bereits reichlich Wissen angeeignet und wenn Du Hilfe brauchst, sind wir gern für Dich da, doch aufgeben darfst Du nicht!"

"Warum... verrate mir nur, warum ich nicht aufgeben sollte?!", seine Stimme klang belegt.

"Weil Du jetzt der einzige bist, der die aufhalten kann."

John wußte, wovon sie sprach. Es war bitter. Ihr sagen, daß er nicht wirklich an all das glaubte, konnte er nicht und doch wußte er, daß Kersh und einige andere Hochrangige im FBI gewaltig Dreck am Stecken hatten. Die X-Akten spielten eine große Rolle dabei, doch war er bereit alles dafür aufzugeben? Er erinnerte sich daran, daß er Kersh noch vor einigen Stunden ein Ultimatum gestellt hatte, daß er ihm geschworen hatte, jeden Fehltritt von ihm aufzudecken. Er konnte jetzt nicht gehen.

Auch wenn er nicht blieb, weil er Dana's Ansichten vertrat, so blieb ihm dennoch keine andere Wahl. Er mußte das zu ende führen, was er angefangen hatte und seine Versprechen einlösen.

"Okay", er fuhr sich durchs Haar und nahm einen Schluck Kaffee, "ich hoffe, ich werde es nicht bereuen."



*******



Monica sah auf ihre Uhr und wirkte nachdenklich, während Mulder wie ein aufgescheuchtes Tier im Büro auf und ab tigerte.

"Warum sollte ich hierher kommen?", er legte den Kopf schief und sah sie fragend an, "ich arbeite nicht mehr bei den X-Akten und das Büro macht mich momentan reichlich nervös."

"Hören Sie, Agent Mulder, ich bin neu bei den X-Akten, ich weiß nicht, warum ich hier bin, auch wenn es mich freut, daß es so ist, aber ich brauche Hintergrundinformationen", erklärte sie und lehnte sich an den Schreibtisch von Agent Doggett.

Mulder nahm das Schild von Agent Doggett in die Hand und wägte es hin und her, ehe er es mit einem tiefen Seufzer wieder zurück stellte: "Fragen Sie Ihren neuen Partner, Agent Reyes."

Monica holte kurz Luft und sah entnervt an die Decke: "Ich weiß, daß Sie eine Abneigung gegen Agent Doggett hegen, doch Sie wissen auch genauso gut, daß es mir nicht möglich ist, Agent Doggett in gewissen Dingen zu befragen, weil er einfach nicht Ihr Wissen hat!"

"Wo ist er überhaupt?", er sah sich aufmerksam um und stellte dabei fest, dass es immer noch so aussah wie früher, als er und Scully noch in diesem Büro gewesen waren.

"Ich weiß es nicht", erwiderte sie und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, "aber ist das so wichtig in Bezug auf mein Anliegen?"

"Hören Sie Agent Reyes", Mulder versuchte freundlich zu klingen, "ich habe jetzt eine Familie, die ich schützen muß. Wenn jemand erfährt, daß ich mich immer noch in die X-Akten einmische, dann kann ich die Folgen nicht verantworten."

Monica sah zu Boden, ihre Haare hingen ihr ins Gesicht. Sie verstand ihn doch. Seine Argumente waren wirklich überzeugend und trotzdem war sie auf seine Hilfe angewiesen.

"Okay, ich verstehe Sie, Agent Mulder, ich möchte Sie doch nur bitten, mir einen entscheidenden Hinweis zu geben, woran Sie zuletzt gearbeitet haben und warum man alles vertuschen will. Es geht mir doch nicht darum, Sie oder Agent Scully zu gefährden. Ich möchte Sie nur bitten, helfen Sie mir, Ihre Arbeit in Ihrem Sinne fortzuführen", sie sah wieder auf und ihm direkt in die Augen.

Schier unendliche Momente lang sah er im Raum umher, schien nachzudenken und sich nicht schlüssig zu werden, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, dann senkte er seinen Blick in ihren.

Strenge lag in seinem Blick und eine unausgesprochene Drohung: "Also gut, ich werde Ihnen die wichtigsten Akten auflisten, werde Ihnen einige Namen nennen und wenn Sie Fragen haben, dann können Sie mich anrufen, aber bitte, rufen Sie nicht von hier an und lassen Sie niemanden außer Skinner wissen, daß ich Ihnen helfen werde."

Monica nickte dankbar und reichte Mulder die Hand.



*******



Die Tür zu Kersh' Büro stand offen, die Sekretärin war nicht am Platz. John, der so oder so nichts mehr zu verlieren hatte, betrat den Raum, ohne den Versuch zu klopfen oder um Einlaß zu bitten. Zu seinem Erstaunen war das Büro des Directors leer.

Kurz darauf erklangen jedoch hinter ihm zwei Stimmen. John drehte sich um und sah Kersh und einem neuen Agenten entgegen, die soeben das Büro betraten.

Jeglicher Höflichkeit zum Trotz blieb er stehen, reichte keinem der beiden die Hand und kam auch sogleich zum eigentlichen Grund seines Besuches.

"Director Kersh, ich habe mich entschlossen, bei den X-Akten zu bleiben."

Der Director, der scheinbar nichts anderes erwartet hatte, zog die Augenbrauen hoch und umrundete John, um an seinen Schreibtisch zu gelangen.

"Ich habe Sie für klüger gehalten", Kersh' Stimme klang in seinen Ohren nach und wäre er nicht so auf Kampf eingestellt gewesen, hätte John vermutlich die Ruhe bewahrt. So jedoch, hatte er für seinen Vorgesetzten nur einen abfälligen Blick übrig.

"Ich habe Ihnen versprochen, daß ich Sie bloß stellen werde, Kersh. Mich aus den X-Akten heraus zu manövrieren war eine nette Idee, doch völlig sinnlos", er stemmte seine Hände auf den Tisch und sah seinen Vorgesetzten an, der sich mittlerweile wieder auf seinem Stuhl begeben hatte.

"Ich habe Sie gewarnt, John," erwiderte dieser und beugte sich vor, "die X-Akten werden Ihr Verderben sein und bei mir werden Sie nichts finden! Ist es das wert?"

John sah ihn einen Augenblick schweigend an, ehe seine Stimme leise, aber bestimmt die Stille durchbrach: "Ist es das wert, die Wahrheit zu vertuschen?"

Der grimmige Gesichtsausdruck seines Gegenübers verwandelte sich in ein zynisches Lächeln: "Welche Wahrheit, John? Die von Mulder und Scully? Ihre eigene?"

Doch John ließ sich nicht darauf ein, sondern richtete sich wieder auf, kehrte Kersh den Rücken zu und schritt an dem neuen Agenten vorbei.

Erst in der Tür blieb er noch einmal stehen, drehte sich um und sprach mit einem drohenden Unterton in der Stimme: "Ich bekomme Sie, Kersh, und dann werden wir sehen, wer am längeren Hebel sitzt!"

Mit einem lauten Knall fiel hinter ihm anschließend die Tür ins Schloß, während Kersh und Follmer sich ansahen.

"Agent Doggett nehme ich an?", Follmer lächelte subtil und stieß sich vom Türrahmen ab. Das Gespräch der beiden Männer war für ihn äußerst interessant gewesen.

Der Director nickte und schlug die Akte auf seinem Tisch zu, während der neue AD sich in den gegenüber stehenden Stuhl setzte.

"Ich hatte nicht erwartet, daß er so viel Schwierigkeiten machen würde. Ihren Erzählungen nach schien er doch recht ehrgeizig."

Kersh ließ sich zurück gleiten und atmete tief durch: "Agent Doggett ist ehrgeizig."

"Die X-Akten scheinen mir jedoch nicht die richtige Basis für ein berufliches Weiterkommen, oder?", lächelte Follmer und schlug die Beine übereinander.

"Agent Doggett hat zu meinem Leidwesen in der falschen Sache Ehrgeiz entwickelt. Er führt neuerdings einen Kampf um eine Wahrheit, die er selbst noch nicht einmal erkennt", Kersh' Stimme klang ein wenig resigniert.

"Er kämpft also Agent Mulder's Kampf!?", stellte Follmer mehr fest, denn er fragte.

"Er hat vermutlich mehr von ihm, als er sich selber jemals eingestehen würde", erwiderte der Director und drehte seinen Kopf nachdenklich Richtung Fenster.

"Nun, Agent Mulder konnte aufgehalten werden, wir werden auch Agent Doggett stoppen können", lamentierte Follmer und folgte Kersh' Blick.



*******



"Ich bin so ein Vollidiot!", Doggett stieß die Tür zu seinem Büro auf und registrierte erst zu spät, daß das Büro nicht leer war.

"Hallo John", Monica lächelte ihn fragend an, "schlechter Tag?"

"Was machen Sie hier, Monica?", der gereizte Unterton blieb, so sehr er sich auch bemühte.

Er hob abwehrend die Hand, bevor sie etwas entgegnen konnte und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Dann sah er sie an und atmete tief durch: "Es tut mir leid, ich wollte nicht so unwirsch klingen."

Mit einer wegwerfenden Handbewegung gab sie ihm zu verstehen, daß sie ihm die Angelegenheit nicht übel nahm und kam zu ihm hinüber.

"Warum sind Sie also hier?", brachte er nun in einem wesentlich freundlicheren Ton hervor.

"Hat man Ihnen noch nichts gesagt?", Monica Reyes schien sehr erstaunt.

"Nein, außer vielleicht", seine Stimme bekam wieder einen leicht ärgerlichen Klang, "daß ich Idiot gerade dabei bin, mir meine Zukunft zu verbauen!"

"John?", sie wirkte sehr überrascht über seinen Ausbruch und legte ihm die Hand beruhigend auf den Arm.

"Ach...", er zog seinen Arm weg und stemmte die Hände in die Hüften.

Monica, die absolut nicht wußte, wie sie auf seinen Ausbruch reagieren sollte, ergriff den einzig ihr passabel erscheinenden Weg.

"Ich bin Ihnen als neue Partnerin zugeteilt worden!"

Diesmal war es an John Doggett aufzusehen und das Erstaunen in seinem Blick, die Verwirrung hätte nicht größer sein können.

Monica, die seinen Blick absolut falsch interpretierte, schluckte einmal, ehe sie wieder zurück zu ihrer Sprache fand.

"Ich dachte... John, man sagte mir, daß Sie mich angefordert hätten."

"Ich hätte Sie angefordert?", der Klang seiner Stimme triefte vor Ironie, "man hat mich doch eben von den X-Files versetzen wollen, das kann doch nicht..."

John drehte sich einmal im Kreis, blieb dann vor dem Poster stehen und starrte es nachdenklich an.

"Wer?", kam es schließlich aus seinem Mund.

"Director Kersh...", weiter kam sie nicht, John Doggett's weit aufgerissene Augen starrten sie an, als ob er einen Geist gesehen hätte.

"Ist alles in Ordnung, John?" Monica erwiderte besorgt seinen Blick.

Während der Agent nur matt nickte, versuchte er die Situation zu erfassen. Kersh bat ihn, zwang ihn regelrecht die X-Akten zu verlassen und dann setzte er ihm Agent Reyes an die Seite? Das paßte nicht zusammen.

"Wann?", er fuhr sich kurz mit der Hand über das Gesicht, sichtlich nach Fassung ringend, "wann haben Sie davon erfahren?"

"Heute Morgen", erwiderte sie, während ihr Gegenüber fassungslos den Kopf schüttelte.

"Dieser Bastard", erklang Doggett's Stimme, "was hat er nur vor?"

"Wer?", nun war es an Monica Fragen zu stellen.

"Vergessen Sie es", erwiderte John jedoch und blockte sie ab.

Sie sah ihn ein wenig verärgert an, als er seine Jacke ergriff und aus dem Büro eilte. So hatte sie sich ihren ersten Tag sicher nicht bei den X-Akten vorgestellt und schon gar nicht hatte sie mit so einer Reaktion von ihrem neuen Partner bezüglich ihrer Zuteilung zu den X-Akten gerechnet.

John hingegen, wußte nicht, ob er Monica vertrauen konnte. An sich waren sie schon fast so etwas wie befreundet gewesen, da Kersh aber scheinbar ein falsches Spiel trieb, in dem sie eine Rolle spielte, konnte er ihr nicht vertrauen.

Er mußte mit Dana sprechen, dringend!



*******



Skinner starrte die Eingangstür an und wußte nicht, ob das, was er tat, richtig war. Dana Scully war im Mutterschutz, er hätte sie in Ruhe lassen sollen, doch seit sie weg war, seit Mulder gekündigt worden war, da fühlte er sich recht einsam auf seinem Posten. Sicher, er verstand sich mit Agent Doggett recht gut. Besser sogar, als er am Anfang geglaubt hatte, und auch Agent Reyes schien nett zu sein, doch er konnte ihnen nicht in der gleichen Art und Weise vertrauen, wie Scully oder Mulder.

Während er überlegte, ob er aussteigen sollte oder nicht, fuhr ein Möbelwagen vor und zwei Männer stiegen aus.

Sie bewegten sich zur Ladeluke und öffneten diese.

Neue Nachbarn, dachte Skinner und warf einen Blick in den Rückspiegel. Doch plötzlich wurde ihm heiß und kalt. Er kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder, aber im Wagen hinter ihm, da saß jemand... er hätte schwören können, daß es sich um Alex Krycek handelte.

Skinner griff nach seiner Waffe auf dem Beifahrersitz und schwang sich aus seinem Sitz. Krycek war tot. Er hatte ihn eigenhändig erschossen und trotzdem war er sich sicher, absolut sicher, daß er ihn gesehen hatte.

Seine Wagentür aufreißend, sprang er aus dem Fahrzeug und drehte sich mit schußbereiter Waffe zum hinter ihm parkenden Wagen, doch er war leer.

Das konnte nicht sein?! Skinner eilte zum Wagen, sah durch die Scheiben, doch der Wagen blieb leer. Hatte er sich all das nur eingebildet?

Nein, an sich war er doch ein sehr rationeller Mensch und Wahnvorstellungen gehörten nun wirklich nicht zu seinem Repertoire. Er konnte sich nicht geirrt haben.

Also zückte er sein Handy, wählte eine Nummer beim FBI und gab die Autonummer durch. Obwohl Krycek zu klug war, um sich auf diese einfache Schiene durchschauen oder erwischen zu lassen, war es das einzige, was er tun konnte.



*******



"Walter", Dana öffnete erstaunt die Tür und ließ ihren Gast eintreten, "wie komme ich um diese Uhrzeit zu der Ehre?"

Sie spielte auf die Arbeitszeit an, die noch lange nicht beendet war, dennoch stand der Assistant Director vor ihr.

Skinner winkte ab und ging an ihr vorbei in die Wohnung. Sein Weg ging zielstrebig auf das vordere Wohnzimmerfenster zu, dann lugte er vorsichtig zwischen den Vorhängen hindurch.

Dana schloß die Tür und sah ihm mit hochgezogenen Augenbrauen hinterher.

"Walter, was soll das?"

"Ihre neuen Nachbarn sind mir nicht geheuer! Ich glaube zudem Krycek gesehen zu haben", erwiderte er, ohne den Blick von der Szenerie draußen abzuwenden.

"Krycek ist tot, Walter und es ziehen nur ganz normale Menschen in die Wohnung nebenan. Keine Alien, keine Verschwörer, ganz normal", sie hörte den bemutternden Klang ihrer Stimme, dabei war sie sich doch mit letzterem selbst nicht ganz sicher.

Endlich drehte sich ihr Besucher zu ihr um und sie konnte den Streß und die Unsicherheit in seinem Gesicht sehen.

Wie schon eine Stunde zuvor John Doggett, forderte sie nun Walter Skinner auf, sich zu setzen und holte zwei Becher Kaffee aus der Küche. Die Becher von ihr und John standen noch auf der Abspüle und erinnerten sie kurzfristig an das Gespräch.

Schließlich ging sie zurück in das Wohnzimmer, reichte den einen Becher an ihren ehemaligen Vorgesetzten weiter, während sie ihren auf den Tisch stellte und gegenüber Platz nahm.

"Okay", sie holte tief Luft und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, "Sie sind doch nicht gekommen, weil Sie mir von Krycek oder meinen Nachbarn erzählen wollten. Sagen Sie mir die Wahrheit, Walter, was ist los?"

"Wir haben einen neuen Assistant Director bekommen. Mir scheint, er und Kersh stecken unter einer Decke."

Dana legte den Kopf schief und seufzte: "Das wäre doch nichts wirklich neues, oder?"

"Nein, sicher nicht", erwiderte er und stellte den Kaffee unangetastet auf den Tisch, "aber er soll Kersh mit den X-Akten helfen. Ich befürchte, ich werde nicht mehr länger gebraucht."

Sie schüttelte den Kopf: "Walter, Walter, die haben doch niemanden mehr beim FBI, der sich so langjährigen Erfahrungen mit X-Akten rühmen kann. Die werden Sie ganz sicher nicht entlassen."

"Darum geht es mir ja gar nicht, aber ich glaube, die wollen mir etwas anhängen", Skinner war reichlich nervös.

"Krycek?", schlußfolgerte Dana und nahm einen Schluck Kaffee.

"Ich denke nicht, daß es unentdeckt geblieben ist, daß ich ihn umgebracht habe", erklärte er und sah sie unglücklich an.

"So lange keiner ein Wort über diesen Vorfall verliert, würde ich mir an ihrer Stelle noch keine Gedanken machen. Ich denke eher, daß der neue AD deshalb eingestellt wurde, damit er die Fehler von Agent Doggett aufdeckt. So wie ich das sehe...", sie wurde von Skinner unterbrochen, der einhaltend die Hand hob.

"Agent Doggett hat Agent Reyes zugeteilt bekommen, ich denke nicht...", jetzt gab Dana ihm Handzeichen, zu stoppen.

"Wie bitte?"

"Agent Reyes wurde ihm zugeteilt. Wissen Sie das noch nicht?", Walter Skinner sah sie überrascht an.

"Nein, nein ich habe noch nicht wieder mit John gesprochen seit er vor einer Stunde hier weg ist..."

Skinner sah auf seine Uhr und wirkte nervös.

"Walter, was ist?", Dana legte ihm ihre Hand auf den Arm.

"Ich muß los, es ist noch eine Besprechung anberaumt, ich sollte gehen, wenn mein Fehlen nicht auffallen soll. Dana, was soll ich wegen Krycek tun?", Skinner wirkte immer noch nervös.

Sie stand ebenfalls auf und folgte ihm zur Tür: "Bleiben Sie ruhig. Ich glaube nicht, daß irgendwer etwas mitbekommen hat. Dann hätte man Sie längst zur Rechenschaft gezogen. Ich werde mit John sprechen, daß er Ihnen den Rücken stärkt. Aber geben Sie jetzt nicht auf, ja?"

Walter Skinner nickte und verließ mit einem matten Lächeln die Wohnung, während Dana tief Luft holend auf die zwei Tassen sah. Skinner bekam also einen Konkurrenten vor die Nase gesetzt und John wurde gebeten, die X-Akten zu verlassen, derweil wurde ihm jedoch Monica Reyes vor die Nase gesetzt. Dana nahm die beiden Tassen und dachte darüber nach. Irgendwas ging da vor sich im FBI, sie wußte nur nicht was. Und von zu Hause konnte sie so oder so nichts verrichten. Trotzdem, es ließ ihr keine Ruhe.

Verstohlen schielte sie auf dem Rückweg aus der Küche aus dem Fenster zu dem Umzugswagen. Krycek war tot, er konnte keinem mehr schaden, doch ein unwohles Gefühl blieb in ihrem Magen.

Als es an der Tür klopfte, wandte sich ihr Blick überrascht in die entsprechende Richtung. Hatte Walter irgend etwas vergessen?

"Walter, ich habe nichts gefunden...", sie öffnete die Tür und blieb erstaunt stehen, "John?"

Heute gaben sich ihre ehemaligen Kollegen ja wirklich die Klinke in die Hand.

"Du hast jemanden anders erwartet?", John schob sich an ihr vorbei und schloß die Tür.

"Hast Du Walter Skinner nicht noch eben getroffen?", sie sah ihm erstaunt hinterher.

"Nein, sollte ich?"

Dana fuhr sich mit der Hand durchs Haar: "Na ja, er war gerade eben hier."

John zog die Augenbrauen hoch: "Wir müssen Dir ganz schön auf die Nerven gehen."

Sie lachte kurz auf und ging dann in die Küche: "Setz Dich, John, ich hol Dir Deine Tasse."

Er rümpfte die Nase und winkte dankend ab: "Der Wink mit dem Zaunpfahl wäre nicht nötig gewesen. Ich bin auch gleich wieder weg."

Sie kam zurück und setzte sich auf das Sofa: "Okay, Du bist hier, weil Du Dir etwas nicht erklären kannst, richtig?"

Erstaunt nahm er ihr gegenüber Platz: "Woher weißt Du?"

"Skinner war doch eben hier. Und als er mir erzählte, Agent Reyes sei Dir zugeteilt worden, da bin ich nachdenklich geworden", erklärte sie.

"Ja, das bin ich auch. Warum will Kersh mich erst aus der Abteilung haben, während er doch zeitgleich Monica zu mir versetzt?", John wirkte leicht verwirrt, was aber unter den gegebenen Umständen nicht sonderlich außergewöhnlich war.

"Ich konnte Kersh noch nie richtig einschätzen. Vielleicht ging die Anweisung, Dich von den X-Akten versetzen zu lassen, nicht von ihm aus?", Dana wirkte nachdenklich und korrigierte sich sogleich wieder, "obwohl... Kersh ist nicht gerade ein Freund der X-Akten. Wenn er sie schließen will, dann tut er das auch, dann versetzt er Agent Reyes nicht zu Dir?"

"Wunderbar, Dir ergeht es also nicht anders als mir. Ich bin wirklich einen Schritt weiter", knurrte John und strich sich mit der Hand über sein Kinn.

"Ach komm", sie stand auf und ging wieder zum Fenster hinüber, "was erwartest Du? Die X-Akten waren schon immer Angriffsziel einiger hoher Herren. Nur weil Mulder und ich nicht mehr in dieser Abteilung sind, wird es nicht anders werden. Die Entscheidungen waren schon oft fragwürdig und unerklärlich."

John seufzte und sah zu Boden.

"Ich weiß", sie schob den Vorhang ein Stück zur Seite, "ich bin Dir keine wirklich große Hilfe, aber ich denke eines ist sicher. Du kannst Monica Reyes vertrauen. Sie ist eine wirklich großartige Frau."

"Meinst Du? Ich dachte es bisher auch, aber jetzt wo Kersh...", John sprach nicht weiter, sondern stand auf und ging zu seiner ehemaligen Partnerin hinüber.

Neugierig schielte er ihr über die Schulter, hinunter zu dem Möbelwagen.

"Ich bin damals auch den X-Akten zugeteilt worden, um Mulder zu bespitzeln und seine Theorien zu widerlegen, doch das konnte mich nicht davon abhalten, nach der Wahrheit zu suchen. Versuch Ihr zu vertrauen", erklärte sie und drehte sich zu ihrem Partner um.

"Glaubst Du, es könnte möglich sein, daß Krycek überlebt hat?", sie sah ihn fragend an.

"Krycek? Nein, der ist tot, Dana, wie kommst Du darauf?", seine Stirn legte sich in Falten.

"Ach", sie seufzte, "ich weiß auch nicht. Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl."

Er schüttelte nur den Kopf. Das war alles sehr merkwürdig.



*******



Mulder sah, daß der Fernseher lief, aber Dana war nirgends zu sehen. Müde stellte er seine Tasche ab und hing seine Jacke an die Garderobe.

"Dana?", sein Ruf hallte durch die Räume, doch es kam keine Resonanz, also wanderte er erst einmal in die Küche, sah dort das halb zubereitete Essen und zog seine Rückschlüsse. Als er schließlich die Tür zum Kinderzimmer öffnete, sah er, wie Dana William auf dem Arm trug und aus dem Fenster starrte.

"Hallo, ihr zwei!", raunte er leise, um den Jungen nicht zu wecken und betrat den Raum.

"Hi", sie lächelte und wandte sich vom Fenster ab.

"Beobachtest Du die neuen Nachbarn?", er grinste spitzbübisch und nahm ihr William ab.

"Nein", sie zog einen Schmollmund, "na ja, gut okay, ich beobachte sie."

Mulder lachte leise auf und begrüßte den Kleinen, der herzhaft in sein Ohr gähnte und gluckernde Geräusche von sich gab.

"Glaubst Du, daß Krycek überlebt haben könnte?", nachdenklich schielte sie wieder zum Fenster.

"Wie kommst Du denn jetzt darauf?", Mulder legte William wieder in sein Kinderbett und trat näher an Dana heran.

"Walter...", doch weiter kam sie nicht.

Mulder faßte sie an den Schultern und drehte sie in seine Richtung: "Skinner war hier?"

"Skinner, Doggett... sie haben sich förmlich die Klinke in die Hand gegeben", lamentierte sie seufzend.

"Und warum hast Du Dir das angetan?", er sah sie aufmerksam an.

"Weil ich die Arbeit liebe, Fox, und weil sie meine Freunde sind", erwiderte sie mit leicht energischem Unterton.

"Du hast Pause, Dana. Wir beide haben nichts mehr mit den X-Akten zu tun und deshalb sollten wir auch versuchen Abstand zu gewinnen", erklärte er, geflissentlich außer Acht lassend, daß er Monica Reyes ein völlig anderes Versprechen gegeben hatte.

"Das muß aber auch für Dich gelten!", brummte sie ungehalten. Wie ging es an, daß er sich mit den Lone Gunmen treffen konnte, aber sie den Kontakt zu Skinner und Doggett unterbrechen sollte?

"Schon klar", erwiderte er und ging kurz aus dem Raum, um wenig später mit einem weißen Stück Papier zurück zu kehren.

"Was ist das?", sie sah ihn fragend an.

"Das ist mein neuer Vertrag. Ich habe eine Zeitung gefunden, bei der ich schreiben kann", freudig wedelte er mit dem Vertrag umher.

Sie zog die Augenbrauen hoch und verschränkte die Arme vor der Brust. Den Kopf schief gelegt, sah sie ihn an: "Beim Einsamen Schützen?"

"Ey!", er sah sie verärgert an, "traust Du mir nicht zu, daß eine andere Zeitung mich nehmen würde?"

"Doch", erwiderte sie lächelnd, "aber nach den letzten Pleiten hätte ich nicht mehr so schnell damit gerechnet."

Er nicke, so als würde er sie verstehen und reichte ihr dann den Vertrag hinüber: "Aber Du liegst falsch. Es ist nichts großes, aber es wird uns erst einmal über Wasser halten."

Dana sah das Stück Papier in ihrer Hand an und begann dann zu strahlen.



*******



Monica stand am Aktenschrank und legte einige Akten beiseite. Es war kurz vor Feierabend. Sie würde nur noch aufräumen und dann gehen. John hatte sich bisher nicht wieder sehen lassen, eine Tatsache, die sie wirklich enttäuschte und auch ein wenig kränkte. Wenn sie Partner sein sollten, dann erwartete sie ein etwas anderes Verhalten. Andererseits wußte sie nicht, welche Gründe sein Fortbleiben hatte. Monica schüttelte den Kopf. Sie sollte ihn nicht verurteilen, bevor sie nicht wußte, was los war.

"Hi", erklang in diesem Augenblick hinter ihr John Doggett's Stimme.

Sie drehte sich ein wenig erschrocken um und lächelte dann. Positiv! Sie mußte positiv an die Sache heran gehen.

"Wegen vorhin...", er blieb in der Tür stehen und sah sie entschuldigend an, "es tut mir leid, daß ich so unfreundlich war und Sie allein gelassen habe."

"Hat Sie meine Einteilung zu den X-Akten so schockiert?", ging sie in die Offensive und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Nein", wehrte er ab und sie merkte, daß er sich unwohl in seiner Haut fühlte, "ich will ehrlich zu Ihnen sein, Monica. Ich war verwirrt und bin es immer noch, weil Kersh die X-Akten schließen wollte und mir einen AD-Posten angeboten hat, währenddessen aber auch Ihnen mitteilte, daß Sie mir und den X-Akten zugeteilt wären."

Sie legte den Kopf schief und sah ihn nachdenklich an: "Das ist wirklich reichlich seltsam."

"Nun ja", er sah sie müde an, "ich will ehrlich zu Ihnen sein, Monica. Ich habe vermutet, daß Sie von Kersh versetzt wurden, um mir das Leben schwer zu machen."

Er hob die Hand, als sie zu reden anfangen wollte: "Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Monica. Ich habe mit Dana Scully gesprochen und sie hat mir die Augen geöffnet. Ich sollte Ihnen vertrauen."

Sie lächelte und ließ die Arme fallen. Es war, als viele eine kleine Last von ihr: "John, Sie können mir vertrauen. Ich stecke mit niemandem unter einer Decke und ich werde Ihnen wie bisher immer loyal zur Seite stehen."

Er nickte dankbar und reichte ihr die Hand. Monica nahm sie dankend entgegen und besiegelte somit ihre Zusammenarbeit.



*******



Es war spät am Abend. Nur noch eine Lampe brannte im Wohnzimmer, wo Mulder seine Unterlagen für seine neue Stelle durchging, während Dana im Kinderzimmer stand und William beobachtete. Auch wenn sie Mulder geschworen hatte, sich keine Gedanken mehr über die X-Akten, Skinner oder John Doggett zu machen, so schweiften ihre Gedanken unkontrolliert doch wieder in diese Richtung. Sie konnte einfach nicht vergessen, daß Frohike gesagt hatte, sie würden beobachtet werden, oder daß Skinner angeblich Krycek gesehen haben wollte. Es war einfach unmöglich. Auch war es ihr nicht möglich, sich keine Gedanken über Kersh zu machen. John dazu zu bringen, die X-Akten nicht aufzugeben war eine Sache, ihn aber einer Gefahr auszusetzen war eine andere. Dana spürte instinktiv, daß es gefährlich war, bei den X-Akten zu bleiben. Gut, das war es von je her gewesen, doch die Situation hatte sich noch mehr zugespitzt, schien fast schon unkontrollierbar. Irgendwie war sie ja froh, daß sie von alle dem weg war, jetzt sicher ihr Leben leben konnte, dennoch hatte sie das dringende Bedürfnis, John zur Seite zu stehen. Die Kontrolle zu behalten, sich denen nicht auszuliefern, war alles und sie hätte es mit John zusammen gekonnt.

Kamen ihr jetzt Zweifel an Monica Reyes Fähigkeiten? Bei weitem nicht, doch die Gewißheit, daß sie als Unwissende John nicht unterstützen konnte, wie sie selbst es hätte tun können, machte sie zunehmend nervös.

Unruhig verließ sie ihren Standort am Bett ihres Sohnes und ging zum Fenster hinüber. Noch immer stand der Möbelwagen vor der Tür und wieder lief ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinab. Wenn doch nur nicht dieses Gefühl gewesen wäre, diese Unruhe.

Ihre Augen ruhten auf der Straße und sie ertappte sich dabei, wie sie nach jemandem Ausschau hielt, der eigentlich gar nicht mehr am Leben war.

Doch sie war sich auf einmal dessen gar nicht mehr so sicher.



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Skinner betrat sein Büro und holte tief Luft. Die Besprechung war mal wieder äußerst lang und anstrengend gewesen, doch es schien tatsächlich so, als ob niemand etwas von seiner Tat erfahren hatte.

Den Schlips lockernd trat er an seinen Schreibtisch heran und drückte auf den Knopf seiner Telefonanlage, um mit seiner Sekretärin zu sprechen, doch diese schien nicht mehr am Platz.

Er hatte den Finger noch nicht ganz wieder von der Tastatur runter, da klingelte es auf Leitung eins. Müde nahm er den Hörer ab und horchte der Stimme eines Agenten, der ihm mitteilte, daß das Kennzeichen des Wagens, in welchem er Krycek glaubte, gesehen zu haben, auf einen von Dana's Nachbarn zugelassen war. Als Skinner bereits resigniert wieder auflegen wollte, kam ihm eine Idee. Mit flinken Fingern wählte er die Nummer der Autopsie und erreichte zu so später Stunde auch tatsächlich noch einen Kollegen.

"Agent Denis?", seine Stimme klang ruhig, trotz seiner innerlichen Unruhe, "könnten Sie bitte nachsehen, ob die Leiche von Alex Krycek noch da ist?"

Es dauerte einen Augenblick, in dem es reichlich ruhig in der Leitung war. Nur ein leises Knacken war zu hören.

Skinner dachte noch einmal darüber nach, wie knapp es doch gewesen war. Wieviel Glück er doch im Endeffekt gehabt hatte, was Krycek anging. Man wußte von der Leiche, doch niemand hatte erfahren, daß er ihn umgebracht hatte. Niemand außer Fox Mulder, John Doggett und Dana Scully, und er wußte, denen konnte er vertrauen.

Als es am anderen Ende der Leitung wieder lauter wurde, konzentrierte sich Skinner erneut auf das Gespräch.

"Sir?", die jugendliche Stimme von Agent Denis erklang und ein wenig Besorgnis klang darin mit, "Sir, wir haben hier keine Leiche von einem Alex Krycek."

Skinner ließ den Hörer auf die Gabel sinken und wurde bleich...





Ende
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