World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Shakespeare, Fahrstühle und Beziehungskisten

von Kinona

1/1

Ich weiß, es ist lächerlich! Ich bin weiß Gott keine Zwanzig mehr und doch habe ich das Gefühl ich benehme mich wie ein unsicherer, pubertierender Teenager. Und das alles nur wegen Lucy!

Es begann heute morgen. Eigentlich ein Tag wie jeder andere. Ein Donnerstag um genau zu sein. Und eigentlich verlief alles wie immer. Na ja, fast! Mal abgesehen von der Tatsache, dass an diesem bestimmten Morgen alles schief ging, was nur schief gehen konnte.

Es fing schon damit an, das ich die Nacht kaum geschlafen hatte. Was im Grunde genommen nichts Neues war. Früher hatte ich mich über Mulders Einschlafproblem immer gewundert, aber es scheint tatsächlich eine Art Berufskrankheit zu sein. Wüsste ich als Ärztin nicht, das Insomnia nicht übertragbar ist, würde ich glatt behaupten, er habe mich angesteckt.

Nachdem ich dann wohl doch irgendwann eingeschlafen war, schaffte ich es irgendwie meinen Wecker zu überhören und war spät dran.

Als dann unter der Dusche das Heißwasser nicht funktionierte, hätte ich es eigentlich besser wissen und mich für den Rest des Tages zurück ins Bett verkriechen sollen. Stattdessen würgte ich frierend und unausgeschlafen meinen Kaffee hinunter und verschüttete die Hälfte des Müslijoghurts, der den Rest meines improvisierten Frühstücks darstellte, über meine weiße Bluse.

In der Hoffnung, der Blazer würde den Fleck überdecken, fuhr ich los und geriet natürlich in den größten Verkehrsstau der Geschichte Washington D.C.´s. Unnötig zu erwähnen das es regnete.

Als ich dann, Ewigkeiten später, frierend, unausgeschlafen, nass und genervt im Büro ankam, schaffte ich es auch noch, beim Zuschließen der Wagentür, mir einen Fingernagel abzubrechen. Bereits da hoffte ich, der Tag würde so schnell wie möglich vorübergehen.

Als ich den Aufzug betrat, sah ich sie dann. Ein junges, dunkelhaariges Mädchen. Ehrlich gesagt habe ich sie zunächst nicht weiter beachtet und drückte wie immer den Knopf zum Basement. Ich hielt sie für eine der vielen Touristen, die ihre Gruppe verloren hatte.

Als ich dann jedenfalls ungeduldig auf meine Armbanduhr sah, blieb der Aufzug plötzlich mit einem Ruck stehen. Noch bevor ich irgendetwas sagen oder tun konnte, hörte ich ein leises „Shit!“ von dem Mädchen. Ich glaube, das war das erste Mal an dem Tag, dass ich lächeln musste, denn treffender hätte ich die Situation auch nicht beschreiben können.

Ich sah sie an und bemerkte, dass plötzlich jegliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war und sie verkrampft ihre Hand am Bauch hielt, während sie den Notrufknopf drückte.

„Klaustrophobie?“, fragte ich, eigentlich eher desinteressiert und aus Höflichkeit oder aus Langeweile, ich weiß es selber nicht.

Zum ersten Mal sah sie mich direkt an und ich sah in ihre Augen. Sie hatten eine Farbe, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Eine Mischung aus Grün, Braun und Gelb. Das Verrückte war, das sie trotz der Situation eine unglaubliche Wärme und Ruhe ausstrahlten.

„Nein!“, lächelte sie. „Nur morgendliche Übelkeit!“

Bei näherem Betrachten verstand ich plötzlich was sie meinte.

„Sie sind schwanger!“, es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Mulder hätte wahrscheinlich wieder irgendwelche übernatürliche Dinge in diese Tatsache hineininterpretiert, denn selbst wenn sie einen Bauch gehabt hätte, so verdeckte der übergroße Pullover ihn. Sie konnte nicht weiter als im vierten Monat sein. Aber irgendwie sah man es ihr an.

„Sie müssen Agent Scully sein!“ ,unterbrach sie plötzlich meine Gedankengänge.

Überrascht blickte ich sie an.

„Kennen wir uns?“, wollte ich wissen, denn ich konnte mich nicht daran erinnern meinen Namen erwähnt zu haben, oder dieses Mädchen jemals zuvor gesehen zu haben.

„Mein Vater hat von Ihnen erzählt.“, antwortete sie. „Von Ihnen und Agent Mulder.“

Irgendwie muss ich wohl noch verwirrter aus der Wäsche geschaut haben als vorher, denn plötzlich streckte sie mir lächelnd die Hand entgegen und sagte: „Hi! Ich bin Felicity Lucretia Skinner. Ja ich weiß... Ich will gar nicht wissen, was für Zeug meine Eltern geraucht hatten, als ihnen der Name einfiel. Es war garantiert nicht legal! Nennen Sie mich einfach Lucy.“

Langsam begann ich zu verstehen.

„Sie sind Assistent Director Walter Skinners Tochter.“

„Richtig!“, nickte sie. „Aber so wie ich meinen Vater kenne, hat er wahrscheinlich niemals von mir erzählt.“

Sie hatte recht. Ich hatte nicht einmal gewusst, das Skinner überhaupt eine Tochter hatte.

„Er erzählt selten von seiner Familie oder von seinen Freunden.“, bestätigte ich.

„Ich weiss!“, erklärte Lucy. „Er versucht Geschäftliches und Privates streng zu trennen.“

Aus irgendeinem Grund verwirrte mich der Gedanke, das Walter Skinner Grossvater wurde. Und irgendwie hatte es Lucy geschafft meine schlechte Laune in sekundenschnelle zu vertreiben. Ich begann mich ernsthaft für dieses junge Mädchen und ihre Geschichte zu interessieren. Walter Skinner war in meinen Augen immer mein Chef gewesen, vielleicht auch des Öfteren ein guter Freund, aber Vater? Ich konnte mir nicht vorstellen wie sich Skinner als Vater machte. Und jetzt stand seine Tochter vor mir. Sie konnte keine 25 Jahre alt sein. Was mich noch mehr verwirrte, war, das sie mich scheinbar kannte. Ich musste schmunzeln bei dem Gedanken, das mein Boss beim Abendessen im Kreis seiner Familie von Mulder und mir redete. Ich wusste nicht, ob ich mich gekränkt oder geschmeichelt fühlen sollte, aber irgendwie gefiel mir der Gedanke.

„Dann ist Skinner also in freudiger Erwartung seines ersten Enkels?“, lächelte ich.

„Na ja, eigentlich war ich gerade auf dem Weg, um ihm die freudige Nachricht zu verkünden!“, erklärte Lucy leicht gequält.

Der Smalltalk schien ihr gut zu tun. Zumindest war wieder Farbe in ihr Gesicht gekehrt. Doch durch ihre letzte Aussage hatte sie unbemerkt ein unsichtbares Band zwischen uns geknüpft. Immerhin hatte ich sogar noch vor Skinner erfahren, das seine eigene Tochter ein Kind kriegt. Aber da war mehr. Ich fühlte mich dieser Lucy seltsam vertraut.

„Er weiß noch gar nicht, dass ich hier bin.“, fuhr sie fort. „Ich bin erst heute morgen in Washington angekommen.“

„Ich gehe in Kalifornien aufs College.“, erklärte sie, als sie meinen fragenden Blick sah. „Hauptfach: Literatur!“

Müde lies sie sich an der Wand herab auf den Boden sinken. Einen Moment zögerte ich und wünschte, ich hätte heute Morgen keinen Rock angezogen. Doch andererseits waren wir alleine im Fahrstuhl und meine hochhackigen Schuhe waren nicht unbedingt zum Stehen geschaffen. Schließlich setzte ich mich neben sie.

„Wer ist der Glückliche?“, fragte ich.

Ich weiß, es klingt verrückt, aber es interessierte mich wirklich. Ich wollte mehr über sie erfahren. Ich meine, was konnte ich auch sonst tun? Uns blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis irgendjemand diesen Aufzug wieder zum Fahren gebracht hatte.

„Alen!“, antwortete sie. „Alen Simens.“

Und plötzlich war da dieses Leuchten in ihren Augen. So, als ob der Klang dieses Namen ausreichte, sie in eine vollkommen andere Welt zu versetzten.

„Sie scheinen ja richtig verliebt zu sein.“, entgegnete ich schmunzelnd.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Es ist verrückt! Ich meine, ich kann mich noch dunkel an meinen ersten Kuss erinnern, doch mit Alen, das war... Ich war so verdammt nervös und aufgeregt, wie ein kleines Mädchen. Jede Berührung, jeder Blick war plötzlich neu. Alles was wir taten, war wie beim ersten Mal.“

„Liebe auf den ersten Blick?“

Ich wunderte mich selbst über meine Frage. Ich wunderte mich über mein ganzes Verhalten. Ich saß hier mit einer wildfremden Frau im Fahrstuhl fest und unterhielt mich mit ihr über Liebesbeziehungen. Doch andererseits hatte der Tag ja schon so vollkommen falsch angefangen. Und irgendwie kam sie mir seltsam vertraut vor. Es fühlte sich richtig an sich mit ihr zu unterhalten. Irgendwo, ganz weit hinten in meinem Kopf, versuchte ich vergeblich das ganze hier auf meinen fehlenden Schlaf und auf das missglückte Frühstück zu schieben.

„So in der Art!“, lächelte sie zynisch. „Das Ganze hat eigentlich vollkommen verrückt angefangen. Und ehrlich gesagt haben wir Jahre gebraucht! Wir haben uns auf dem College kennen gelernt. Na ja, er ist mir gleich am ersten Tag aufgefallen und natürlich habe ich mich sofort Hals über Kopf in ihn verliebt. Doch leider war er schon zwei Jahre über mir. Die Wahrscheinlichkeit, das wir uns jemals kennen lernen würden, strebte gegen Null. Bis wir uns schließlich ein Jahr später im selben Literaturkurs wieder fanden. Ich beschloss ihn anzusprechen. Ich glaube, ich bin an diesem Tag tausend Tode gestorben. Doch mit der Zeit kamen wir uns näher. Wir unterhielten uns und gingen zusammen Essen...“

Sie stockte. Schien wieder in dieser vollkommen eigenen Welt gefangen zu sein.

„So ergab dann wohl eins das andere.“, riet ich, in der Hoffnung sie würde weitererzählen. Ich würde es nie zugeben, doch ich stehe auf Liebesgeschichten.

„Nicht ganz!“, antwortete sie plötzlich vollkommen ernst. „Eigentlich erfuhr ich nach einiger Zeit, das er bereits eine Freundin hatte. Doch wir wurden Freunde. Gute Freunde! Ich lernte sie sogar kennen. Zu allem Überfluss verstanden wir uns sogar. Sie war süß. Ich genoss jeden Augenblick, den ich mit ihm verbringen durfte. Auch wenn es mich umbrachte, ihn nicht berühren zu dürfen. Ihm so nah zu sein, und doch Lichtjahre entfernt.“

Vergeblich versuchte ich den Kloß hinunterzuschlucken, den ich plötzlich im Hals hatte. Ihre letzten Worte hatten mich tiefer getroffen als ich erwartet hatte. Ich war definitiv unausgeschlafen. Doch irgendwie glaubte ich zu wissen wovon sie sprach.

„Irgendwann, als ich glaubte jegliche Hoffnung aufgegeben zu haben, ging ihre Beziehung in die Brüche. Was meine Situation nicht unbedingt leichter machte. Und plötzlich, nach vier Jahren, gab es da nur noch ihn und mich. Eines Abends saßen wir gemeinsam in meinem Zimmer, wie wir es schon tausend Mal getan hatten. Doch irgendwie war alles anders. Wir saßen fünf Stunden einfach nur da. Ich glaube wir haben nicht einmal geredet. Und dann hat er mich geküsst!“, erklärte sie. „Das war vor kaum drei Monaten. Und seitdem ist mir morgens schlecht!“

Wir mussten beide lachen.

„Sie geben sich ja alle Mühe, die verlorene Zeit nachzuholen!“, witzelte ich.

„Oh, es war keine verlorene Zeit!“, entgegnete sie strahlend. „Ich glaube, es ist ganz gut, dass wir so lange gebraucht haben. So hatten wir die Möglichkeit eine wundervolle Freundschaft aufzubauen.“

„Wie kommt er damit zurecht, das plötzlich alles so schnell geht?“, fragte ich mit einer Geste auf ihren nicht vorhandenen Babybauch.

„Nun ja, es war kein Wunschkind. Aber ich freue mich drauf, und er hat es akzeptiert. Ich wusste schon lange bevor wir uns auch nur geküsst hatten, dass er der Vater meiner zukünftigen Kinder werden würde.“

Oh ja, ich wusste genau wovon sie sprach. Plötzlich wurde mir bewusst, dass es mir nicht anders ging. Wann immer ich in den letzten Jahren an Kinder gedacht habe, war da auch Mulder. Er gehörte irgendwie dazu.

„Dann sind Sie also seit drei Monaten ein glückliches Paar. Und ich nehme an, Ihr Vater weiß noch gar nichts davon.“

Es war geraten. Doch eine innere Stimme sagte mir, das ich Recht hatte. Ein zynisches Lächeln erschien auf ihren Lippen.

„Nein und ja!“, antwortete sie. „In genau der Reihenfolge.“

Ich glaube, ich brauchte einen Moment um zu verstehen, was sie mir sagen wollte.

„Sie sind kein Paar mehr?“, fragte ich ehrlich überrascht.

Ihr Blick war starr auf den Boden gerichtet.

„Sein oder nicht sein...“, begann sie plötzlich zu zitieren. „Das ist hier die Frage.“

Ich war verwirrt, und das sah sie mir wohl auch an.

„Im Grunde genommen sind wir nie zusammengekommen. Diesen Schritt, ein offizielles Paar zu werden, haben wir nie getan. Der Schritt von Freundschaft zu Liebe, ist manchmal komplizierter als man denkt.“, erklärte sie.

„Ich weiss!“

Die Worte waren unbedacht aus mir herausgesprudelt. Doch sie schien meine Verlegenheit nicht zu bemerken.

„Es ist was es ist. Und ich versuche es zu genießen.“, fuhr sie fort. „Wissen Sie, nachdem wir so lange gebraucht haben den ersten Schritt zu tun, bedeutet jeder weitere, jede Berührung, jeder Kuss, die Welt. Und vielleicht, nur vielleicht, wird er eines Tages genauso deutlich spüren wie ich, dass wir füreinander bestimmt sind. Was passieren soll, passiert! Ich glaube ganz fest daran.“

„Es muss schwer sein in dieser Ungewissheit zu leben.“, entgegnete ich.

Und ich konnte ihren Schmerz förmlich spüren. Ich kannte ihn. Ich kannte dieses Gefühl. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt, doch ihre Stimme klang entschlossen und bitter als sie weitersprach: „Es ist die Hölle! Aber ich bin gut in so was. Ich bin gut darin, der Ersatz zu sein. Die Nummer zwei. Ich war es schließlich von Anfang an. Die Nebenfrau! Immer für ihn da, keinerlei Verpflichtungen, keine Rechte. Die ganze Zeit. Doch jetzt kann ich mich zumindest damit trösten, dass, egal was er tut oder sagt, wir nicht einfach nur Freunde sind. Freundschaft ist eine Beziehung ohne Sex! So sind die Spielregeln. Und egal wie er es nennt, wir haben eine Beziehung. Keine intakte Beziehung vielleicht, und weiß Gott keine normale Beziehung. Aber es ist doch eine Beziehung. Eine sehr enge Freundschaft mit der problematischen Komponente Sex, wie er es nennt. But a rose, a rose by any name, is still a rose!“

Wieder ein Zitat. Ich wollte ihr widersprechen. Alles in mir wehrte sich gegen die Vorstellung, dass sie keine richtige Beziehung hatten. Er und sie zusammen. Glücklich! So sollte es sein. Vielleicht war es naiv und kitschig, aber so hatte ich es mir immer vorgestellt. Doch ich schwieg. Denn zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie stark dieses Mädchen sein musste. Sie liebte diesen Alen, und war bereit für ihn alles zu opfern. Und wenn das bedeutete, dass sie ihre romantischen Vorstellungen von Beziehung erst einmal auf Eis legen musste, dann war sie bereit das zu tun. Doch vielleicht hatte sie auch einfach nur Angst. Angst davor, das zu zerstören, was sie hatte, wenn sie ihn zu einem weiteren Schritt nach vorne zwang. Auch dieses Gefühl kam mir seltsam bekannt vor.

„Sie müssen ihn wohl sehr lieben, um seinetwegen die Kraft zu solchen Opfern aufzubringen!“, entgegnete ich anerkennend.

„Meine Freunde halten mich schon alle für komplett verrückt. Sie sagen, ich hätte ihn auf ein Podest gestellt. Ich würde nicht ihn lieben, sondern das Bild, das ich von ihm habe. Und sie würden mich wohl umbringen, wenn sie wüssten, wie weit ich es habe kommen lassen. Aber ich kann mir nicht helfen: In meinen Augen verwandelt sich alles, was er berührt, in Gold.“, grinste sie.

Wir schwiegen beide für einen Augenblick. Bis sie plötzlich wieder zu zitieren begann: „O welch ein edler Geist ist hier zerstört, des Hofmanns Auge, des Gelehrten Zunge, des Kriegers Arm, des Staates Blum´ und Hoffnung, der Sitte Spiegel und der Bildung Muster, Das Merkziel der Betrachter: ganz, ganz hin! Und ich, der Frauen elendste und ärmste, die seiner Schwüre Honig sog, ich sehe die edle, hochgebietende Vernunft misstönend wie verstimmte Glocken jetzt; dies hohe Bild, die Züge blühnder Jugend, durch Schwärmerei zerrüttet: weh mir wehe! Dass ich sah, was ich sah, und sehe, was ich sehe...“

„Shakespeare!“, stellte ich fest. „Ophelias Monolog aus Hamlet.“

„Ja!“, nickte sie. „Ich finde Ophelias Rolle in diesem Stück faszinierend.“

„Sie wird verrückt, weil sie glaubt, der Prinz verschmäht sie.“, erklärte ich irritiert. „Und am Schluss ertränkt sie sich selbst!“

„Was kann es schöneres und romantischeres geben, als aus Liebe zu jemanden sein Leben zu opfern?“, fragte sie verträumt. „Sie und Agent Mulder riskieren doch auch beinahe täglich Ihr Leben füreinander!"

„Mulder und ich sind nur Freunde!“, widersprach ich, etwas zu schnell.

„Platonic friendship is a name given to the period of time between the first sight and the first kiss.“, lächelte Lucy wissend. „Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin die letzte, die behaupten würde, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können. Im Gegenteil! Es kann gut gehen. Zwischen Alen und mir ging es schließlich auch jahrelang gut. Aber da ist etwas in Ihren Augen, das mir sagt, dass Sie mehr wollen. Es ist so ein bestimmtes Leuchten, wenn sein Name fällt. Ich kenne dieses Leuchten. Irgendwann einmal, ohne das Sie es eigentlich wirklich mitgekriegt haben, ist er der einzige Mensch geworden, der es schafft Ihre Seele zu berühren. Und eines Tages wird er auch der einzige sein, dem Sie erlauben können, ihren Körper zu berühren. Glauben Sie mir, ich weiß wovon ich rede!“

Irgendwie gefiel mir die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, ganz und gar nicht. Wann genau hatten wir eigentlich von Alen und Lucy auf Mulder und mich umgeschaltet. Das Thema war mir alles andere als angenehm und ich konnte fühlen, wie ich rot wurde. Denn eine innere Stimme sagte mir, das sie Recht hatte.

„Selbst wenn es so wäre...“, versuchte ich das Gespräch wieder in eine andere Richtung zu führen. „Mulder und ich sind Partner. Persönliche Beziehungen sind da im Bureau nicht gerne gesehen.“

„Ach kommen Sie...“, lächelte Lucy. „Es denken doch sowieso schon alle, dass sie beide mehr als nur Partner sind. Selbst mein Vater ist davon überzeugt, dass Sie und Agent Mulder...“

„Die nackte Brezel machen?“, unterbrach ich sie grinsend.

„Ja!“, nickte sie und wir mussten wieder beide lachen.

Das komische war, dass ich nicht einen Augenblick lang das Bedürfnis hatte, mich vor ihr für meine Gefühle zu Mulder zu rechtfertigen, oder sie zu leugnen, sie rational zu erklären zu versuchen. Denn sie wusste genau, wie es in mir aussah, so wie ich wusste, was sie fühlte. Nur dass sie und Alen schon weiter waren. Ja es war paradox. Sie war gut zehn Jahre jünger als ich, und doch hatte ich das Gefühl von ihr lernen zu können.

„Doch die gepflückte Rose ist irdischer beglückt, als die, am unberührten Dorne welkend, wächst, lebt und stirbt in heiliger Einsamkeit!“, unterbrach sie scherzend meine Gedankengänge.

„Sie scheinen ja ein richtiger Shakespeare-Fan zu sein!“, erwiderte ich, ihre Anspielung ignorierend.

„Ich bin davon überzeugt, dass er ein sehr intelligenter Mann war!“, erklärte sie lächelnd.

„Ach ja?“, witzelte ich. „Sterben bei ihm nicht immer alle am Schluss?“

„Nicht immer!“, grinste sie.

Momente lang war es still. Ich stand auf und drückte erneut den Notrufknopf, in der Hoffnung, dass sich irgendetwas tun würde.

„Sie müssen mich wohl für ziemlich verrückt halten, nach all dem, was ich Ihnen erzählt habe.“, durchbrach Lucy plötzlich das Schweigen.

Irritiert sah ich sie an und bemerkte zu meinem Erstaunen, dass sie es vollkommen ernst meinte. Einem verrückten Einfall folgend, begann ich lächelnd zu zitieren: „Wer über Narben lacht, kennt keine Wunden.“

Strahlend beobachtete sie, wie ich mich wieder neben sie setzte.

„Sie sind gut!“, grinste sie.

Wieder war es Augenblicke lang still.

„Scheint als würden wir hier noch eine Weile festsitzen.“, begann Lucy das Gespräch wieder. „Und meine Geschichte habe ich bereits erzählt. Also warum erzählen Sie mir nicht ein bisschen von sich und Agent Mulder?“

Ein spitzbübisches Lächeln lag auf ihren Lippen.

„Wissen Sie, die Sache zwischen Agent Mulder und mir, ist ziemlich kompliziert.“, versuchte ich mich irgendwie aus der Sache herauszuwinden.

„Ist sie das nicht immer?“, fragte Lucy immer noch lächelnd.

Wieder spürte ich, wie ich rot wurde und schaute zu Boden, um ihrem Blick auszuweichen.

„Wissen Sie, irgend etwas läuft falsch in der heutigen Welt.“, fuhr sie fort. „Früher, da haben einen die Mütter, Tanten und Großmütter gewarnt. Sie sagten einem, dass es nichts schöneres gibt, als wenn zwei Menschen sich wirklich lieben. Und dass wahre Liebe alle Hindernisse überwinden kann. Doch sie sagten einem auch, dass wahre Liebe es wert ist, Opfer zu bringen und um sie zu kämpfen. In guten, wie in schlechten Tagen. Doch heute will das kaum jemand wahr haben. Wir erwarten, das Liebe nur unkomplizierte und schöne Seiten hat. Und haben vergessen, dass sie das einzige ist, wofür es sich wirklich zu kämpfen lohnt.“

Plötzlich setzte sich der Aufzug mit einem Ruck wieder in Bewegung. Etwas umständlich erhoben wir uns wieder von unseren Sitzplätzen.

„Na, da haben Sie ja noch einmal Glück gehabt!“, grinste Lucy. „Aber vielleicht können wir unser Gespräch ja ein nächstes mal fortführen.“

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie gefiel mir dieser Gedanke. Ich holte aus meiner Handtasche eine meiner Visitenkarten und reichte sie ihr.

„Rufen Sie mich doch einfach an, wenn Sie wieder in der Stadt sind.“, schlug ich vor.

Lächelnd nahm sie die Visitenkarte entgegen, holte Papier und Bleistift aus ihrer Tasche und begann etwas zu notieren. Dann reichte sie es mir.

„War nett Sie kennen zu lernen, Agent Scully.“, sagte sie.

Dann blieb der Aufzug im Basement stehen und ich musste mich von Lucy verabschieden. Doch dieses Gefühl der Verwirrtheit blieb. Diese Gefühl, das ich irgendetwas von diesem Mädchen gelernt hatte. Als ich das Büro betrat, tönte mir bereits Mulders vorwurfsvolle Stimme entgegen: „Scully, da sind Sie ja! Ich versuche bereits seit Stunden Sie zu erreichen.“

Dunkel erinnerte ich mich daran, das ich gestern Abend meine Handy auf dem Küchentisch gelassen hatte. Wo es wohl immer noch lag.

„Ich habe verschlafen!“, erklärte ich einsilbig und setzte mich an meinen Platz.

Dann sah ich zum ersten mal auf den Zettel, den mir Lucy gegeben hatte. Sie hatte ihre Telefonnummer darauf notiert, doch es stand noch etwas mit großen Buchstaben darüber.

„Für blinde Liebe ist auch Dunkel Licht!“

Ich musste lächeln und sah den verwirrten Gesichtsausdruck meines Partners.

„Mulder, wussten Sie, das Skinner eine Tochter hat?“, wollte ich wissen.

„Nein!“, antwortete er irritiert. „Warum fragen Sie?

„Ach nichts!“, entgegnete ich.

„Scully, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte er plötzlich sichtlich besorgt.

Ich sah ihn an, antwortete nicht. Ich war viel zu sehr in Gedanken und ließ mein Gespräch mit Lucy noch mal Revue passieren. Dann musste ich lächeln.

„Mulder, was halten Sie eigentlich von Shakespeare?“, wollte ich wissen.

...the end...
Vor kurzem hab ich einen Artikel auf der HP der „Max“, aus dem MAX-Heft 10/2001, gefunden, wo unter anderem verschiedene Frauentypen charakterisiert wurden. Unter Nebenfrau stand da: „Nebenfrauen sind wie zweitgeborene Prinzessinnen. Meistens wunderschön, aber mit keiner Chance, auch nur in die Nähe des Throns zu kommen. Sie wissen und akzeptieren das. Hoffentlich. Nebenfrauen geben einem Mann das Gefühl, körperlich begehrt zu werden. Das macht sie so mächtig. Mit Nebenfrauen muss man sich nicht darüber streiten, wer den Müll runter bringt. Nebenfrauen bauen unser Bad nicht mit Fläschchen, Döschen und Kosmetik-Abfalleimer zu. Nie würden sie sich in unserem Leben einnisten. Sie wohnen in unserem Kopf.“ Eine wundervolle Beschreibung, in der ich mich irgendwie selbst wieder erkannt habe. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, deren „Nebenfrau“ ich sein durfte.
Rezensionen