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Tshoqutoc

von Petra Weinberger

Kapitel 3

6. August; 13 Uhr

Scully hatte Mulder ein Schmerzmittel verabreicht und ihn, mit Hilfe von Bernard, entkleidet. Mit schmerzhaftem Aufstöhnen hatte Mulder die Prozedur über sich ergehen lassen.

Vorsichtig tastete Scully seine Knochen und Gelenke ab. Außer dem, was sie bereits festgestellt hatte, sowie einigen Prellungen und Schürfwunden, schien er keine weiteren Verletzungen zu haben. Doch sein Zustand war alles andere als beruhigend. Sein Brustkorb schimmerte bläulich und seine Schulter war geschwollen. Zudem stand er unter Schock und seine Lungenfunktion war ebenfalls besorgniserregend. Während Bernard den Agenten abermals aufsetzte, hörte Scully ihn noch einmal ab.

Zweifelnd schüttelte sie den Kopf, " er müßte dringend auf einen OP Tisch. Er dürfte eine schwere Lungenprellung haben."

" Wir haben zwar alles für eine OP da, aber das Risiko, daß es zu starken Blutungen kommt, ist zu groß. Wir haben keine Blutkonserven und auch kein Plasma hier. Gerade wenn wir ihn an der Lunge operieren, kann er sehr viel Blut verlieren. Er könnte uns unter den Händen wegsterben. Doch Prellungen heilen auch so aus. Allerdings dauert es und eine 100prozentige Heilung ist meist nicht möglich. - Wenn wir Glück haben kann er in drei oder vier Tagen ins Hospital gebracht und operiert werden. Dann hat er immer noch gute Chancen wieder ganz gesund zu werden," überlegte Bernard und legte Mulder vorsichtig zurück.

Scully nickte, " bis dahin können wir nur seinen Kreislauf stabilisieren, ihm schmerzstillende Mittel geben und ihn überwachen."

Bernard erhob sich, " ich hole alles notwendige und versuche dann noch einmal, eine Verbindung zur Basis zu bekommen."

Scully deckte ihren Partner zu und schob ihm ein Kissen unter die Beine, damit diese - wegen des Schocks - höher lagen. Er hatte das Bewußtsein wieder verloren und die Diagnose nicht mitbekommen.

Als Bernard zurückkam, brachte er auch gleich noch einige Binden mit, " damit können wir seine Rippen bandagieren und seine Hände und Gelenke verbinden."

Scully nickte dankbar.

Erneut wurde Mulder aufgesetzt. Bernard hielt ihn fest, während Scully ihm die Binden so fest wie möglich um den Brustkorb wickelte.

Mulder bekam auch davon nichts mit. Er war noch immer ohne Besinnung.

Scully packte ihn noch in einen dicken Pullover, ehe sie ihn zurücklegten und wieder zudeckten. Der Veterinär machte die Injektion fertig, die Mulders Kreislauf stabilisieren sollte. Scully schob ihrem Partner den Ärmel hoch, desinfizierte die Einstichstelle kurz und nahm dann die Spritze entgegen. Sie injizierte Mulder das Mittel direkt in die Armvene. Nachdem sie noch ein kleines Pflaster auf die winzige Wunde geklebt hatte, deckte sie ihn wieder zu und ließ sich neben ihm nieder. Besorgt beobachtete sie ihn, wischte ihm den Schweiß von der Stirn und wartete.

Bernard versuchte derweil sein Glück am Funkgerät. Doch der Sturm hatte zugenommen und eine Verbindung war unmöglich. Er gab es schließlich auf und setzte Wasser auf den kleinen Herd, um Tee zu kochen. Als das Getränk gezogen hatte, füllte er drei Tassen und kehrte in den Schlafraum zurück.

Dankbar nahm Scully die Tasse entgegen.

" Wie geht es ihm ?"

Scully wiegte skeptisch den Kopf, " er schläft, ansonsten hat sich sein Zustand nicht verändert."

" Er kommt wieder auf die Beine. Sobald der Schock nachläßt, geht es ihm wieder besser," war Bernard überzeugt. " Was ist mit Hilardy passiert ? Können Sie mir das sagen ?"

Scully nickte und berichtete:" es sieht so aus, als sei er von einem großen Tier angegriffen worden. Mein Kollege vermutet, daß der ... - Tshoqutoc den Forscher getötet hat."

Bernard lächelte schwach, " ja, diese Legende ist so alt wie der Staat hier. Doch Beweise für seine tatsächliche Existenz gibt es bisher keine. Mir ist er auch nicht begegnet, obwohl ich mich den ganzen Sommer über hier aufgehalten habe. Aber wenn ich Ihnen helfen kann, herauszufinden, was mit den drei Männern hier geschehen ist, dann sagen Sie es mir bitte. Hilardy war ein Freund. Jeden Sommer trafen wir uns hier und tauschten Erfahrungen aus. Ich würde gerne wissen, was tatsächlich mit ihm geschah."

Scully warf Mulder einen nachdenklichen Blick zu, dann erhob sie sich, " ich wollte noch gewisse Proben auswerten. Zudem hat Mulder eine Probe von irgendwelchen Tierfäkalien mitgenommen, die ich ebenfalls untersuchen wollte."

" Sie meinen die großen Haufen ?"

Scully nickte, " ja. Wissen Sie, wer sie hinterlassen hat ? Für einen einzelnen Eisbären scheinen sie mir etwas zu mächtig."

" Ehrlich gesagt habe ich auch keine Ahnung. Ich sehe sie in diesem Jahr zum ersten Mal und sie sind hier überall verteilt. Das spricht zumindest dafür, daß der Verursacher eine sehr gute Verdauung hat. - Ich denke, wir können Ihren Partner einen Augenblick alleine lassen. Er schläft im Moment sowieso. Dann können wir uns in der Zwischenzeit im Labor an die Arbeit machen. Es dürfte reichen, wenn wir alle halbe Stunde nach ihm sehen."

Scully war damit einverstanden. Schnell prüfte sie noch einmal Mulders Pulsschlag und seine Haut. Der Schock hatte sich etwas gelegt und war nicht mehr kritisch. Sie konnte es riskieren, ihn für eine Weile alleine zu lassen.

***

6.August; 17 Uhr

Scully sah vom Mikroskop auf und warf einen Blick auf die Uhr. Es wurde Zeit, nach ihrem Partner zu sehen.

Sie streifte sich die Latexhandschuhe ab und lief in den Schlafraum hinüber.

Mulder hatte die Augen geöffnet und sah ihr entgegen.

" Hallo. Wie fühlen Sie sich denn jetzt ? Besser ?" fragte sie und ließ sich neben ihm nieder.

Mulder versuchte ein Lächeln und nickte schwach, " ich bin wenigstens einigermaßen schmerzfrei. Ich darf nur nicht lachen."

Scully grinste, " dann lachen Sie nicht. Dr. Bernard hat Tee gekocht. Sie sollten mal etwas trinken. Durch den Schock haben Sie viel Flüssigkeit verloren."

" Das dürfte etwas schwierig sein. Dank Ihrem Verband kann ich mich kaum bewegen."

" Ich helfe Ihnen schon dabei," sagte sie lächelnd. Griff nach der Tasse und hob vorsichtig seinen Kopf an, dann setzte sie ihm die Tasse an die Lippen.

Mulder trank zwei hastige Schlucke. Gequält verzog er das Gesicht.

Scully musterte ihn besorgt, " was ist los ?"

Mulder schloß die Augen und schüttelte schwach den Kopf, " ich denke, mit dem Trinken warte ich noch etwas."

" Haben Sie Schmerzen ?"

Mulder stöhnte leise auf, dann mußte er husten. Gequält preßte er einen Arm gegen die Brust, dann verlor er abermals die Besinnung. Ein dünner Blutfaden rann langsam aus seinem Mundwinkel.

Entsetzt starrte Scully ihn an. Im nächsten Augenblick sprang sie auch schon auf und eilte zum Funkgerät. Verzweifelt versuchte sie die Basis zu erreichen. Auf allen Kanälen funkte sie ihr SOS.

Bernard, der ihre Aktion im Labor mitbekam, kam angelaufen." Was ist passiert ?"

" Er hat innere Blutungen. Er muß sofort ins Krankenhaus. Egal wie, und wenn ich ihn persönlich hintrage."

Bernard lief in den Schlafraum und untersuchte den Patienten kurz. Er kam zum selben Ergebnis wie Scully. Nachdenklich stapfte er zu ihr zurück. Scully versuchte noch immer irgend jemanden zu erreichen.

" Das hat keinen Sinn. Selbst wenn Ihr Ruf irgendwo ankommt, wird keiner das Risiko eingehen und hierher fliegen. Nicht bei diesem Sturm. - Aber wir sind zwei Ärzte, und wir können es schaffen. Es ist alles da, was wir brauchen."

Scully sah ihn zweifelnd an, " Sie meinen, wir sollen ihn HIER operieren ?"

Bernard nickte.

Sie schüttelte auch sofort den Kopf, " wir haben hier weder ein EKG, noch Sauerstoff zur Beatmung. Und das Problem mit den fehlenden Blutkonserven besteht noch immer. Es ist zu riskant."

Bernard seufzte, " hören Sie. So wie es momentan aussieht haben wir nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir warten einfach ab, bis Hilfe kommt. Doch das kann dauern und ich fürchte, daß Ihr Kollege bis dahin innerlich verblutet ist. Oder wir versuchen es. So hat er wenigstens noch eine Chance. - Zudem sagte ich Ihnen bereits, daß Hilardy ein Freund war. Aber nicht nur das. Er war auch Tierarzt - wie ich, und auch er hat verletzte Tiere mitgenommen, sie hier behandelt und sie wieder in die Natur zurückgeführt. Wenn nötig hat er die Tiere hier auch operiert. Den dazu nötigen Sauerstoff für eine eventuelle Beatmung hat er im Schuppen aufbewahrt. Dort dürfte er noch immer stehen. Abgesehen von Blut und Plasma haben wir alles da."

Scully schüttelte noch immer den Kopf, " das Risiko ist zu groß. Wir wissen nicht mal, wo die Blutungen sind oder welches Ausmaß sie haben."

" Das werden wir sehen, wenn wir ihn geöffnet haben. Andere ... ."

" Scully," kam es leise aus dem Schlafraum.

Die Agentin und Bernard gingen hinein.

Mulder sah ihnen entgegen, " haben Sie einen weiteren Toten gefunden ?" fragte er leise und schwach.

Scully schüttelte den Kopf und ließ sich auf der Bettkante nieder. Sie deutete auf den Tiermediziner, " das ist Dr. Maison Bernard."

Mulder nickte schwach, " der Veterinär. Korrekt ?"

" Ja," sagte Scully nur. " Wir haben uns gerade über gewisse Möglichkeiten unterhalten. - Über Ihre Behandlung."

Mulder ließ seinen Blick zwischen den beiden hin und her wandern, " sieht so aus, als hätte ich schlechte Karten, was ?"

Scully sah kurz zu Bernard, dann seufzte sie, " Sie haben innere Blutungen. Wir wissen nicht, wie stark sie sind. Doch sie sind auf alle Fälle lebensbedrohlich. Draußen tobt noch immer der Sturm. Per Funk bekam ich keine Verbindung und ich weiß nicht, ob mein Hilferuf irgendwo angekommen ist. Aber selbst wenn, wird niemand hierher kommen können, um Sie ins Krankenhaus zu fliegen. Ich habe keine Ahnung, wie lange der Sturm anhält, doch Dr. Bernard sagte mir, daß das wohl noch etwas dauern wird. - Und ich weiß nicht, wieviel Zeit Sie noch haben."

" Im Labor ist alles, was man für eine Operation benötigt. Außer Blutkonserven oder Plasma. Wir könnten einen Eingriff vornehmen, aber er bleibt ein Risiko und der Erfolg ist ungewiß," fügte Bernard hinzu.

" Es ist mir zu riskant, Mulder. Ich werde den Eingriff nicht machen," sagte Scully zögernd.

" Welche Alternativen habe ich ?" fragte Mulder schwach.

Scully und Bernard wechselten einen kurzen Blick, dann schüttelte der Veterinär den Kopf, " wir wissen nicht, wie stark die Blutungen sind. Wenn wir zu lange warten, könnte es zu spät sein. Von Nome hierher brauchen sie mindestens eine Stunde und es sieht nicht so aus, als würde der Sturm in Kürze nachlassen. Da wir keine Konserven hier haben, sollten wir den Eingriff so früh wie möglich machen, bevor Sie zuviel Blut verlieren."

Mulder warf Scully einen fragenden Blick zu, " sind Sie der selben Meinung ?"

Scully nickte zögernd, " schon, aber ... - eine Operation unter diesen Umständen hier, ohne richtiges Gerät, das ist, als würden Sie nur an einem Finger über einem 100 Meter tiefen Abgrund hängen."

" Habe ich wenigstens die Hoffnung, daß mich jemand raufzieht ?"

Scully seufzte. Noch immer zweifelte sie.

Bernard nickte, " mehr, als wenn wir warten."

" Ich möchte Sie vorher wenigstens noch einmal gründlich untersuchen," sagte Scully und schob die Decke zurück.

Vorsichtig tastete sie Mulders Leib ab. Er war gespannt und hart.

Die Agentin schloß kurz die Augen. Sie wußte, was das bedeutete.

Mulder sah zu Bernard, " gibt es im Labor auch was zum Betäuben oder müßte ich wieder die Zähne zusammenbeißen ?"

Bernard lächelte und schüttelte den Kopf, " wir haben Narcotica da und werden Sie schlafen legen. Aber die Entscheidung liegt bei Ihnen. Wenn wir den Eingriff nicht machen, fürchte ich, daß Sie keine Chance haben, rechtzeitig ins Krankenhaus zu kommen. Im anderen Fall ist die Chance, daß Sie überleben werden, wenigstens vorhanden."

Mulder sah wieder zu Scully, " von Ihrer medizinischen Ausbildung her sind Sie durchaus in der Lage, einen solchen Eingriff durchzuführen. Habe ich recht ?"

Scully nickte, " ja. Aber ... ."

" Sie sind meine Ärztin. Ich vertraue Ihnen. Ich bin sicher, wenn es jemand schafft, dann sind Sie das. - Machen Sie es. - Bitte," seine Stimme war leise, als er das sagte. Doch es klang entschieden.

Dr. Bernard nickte, " dann sollten wir jetzt alles dafür vorbereiten. Je eher wir den Eingriff vornehmen können, um so größer sind die Chancen."

Scully seufzte, " sind Sie sich wirklich sicher ?"

" Ja. - Scully, wenn Sie es nicht tun, werden Sie sich ewig Vorwürfe machen, daß Sie es nicht getan haben. Und wenn Sie es tun und es klappt doch nicht, dann haben Sie wenigstens alles versucht. - Und ich werde Sie ganz sicher nicht wegen eines Ärztefehlers verklagen," lächelte Mulder flüchtig.

Endlich nickte auch Scully, " okay. Ich werde mein möglichstes tun, daß Sie nachher hier wieder aufwachen."

" Da bin ich sicher," murmelte Mulder.

***

Zwei Stunden später war alles vorbereitet. Baladins Leiche hatte man in den Schuppen gebracht. Den großen Untersuchungstisch im Labor, auf dem Scully die Autopsie durchgeführt hatte, hatte man zum OP Tisch umfunktioniert.

Bernard half Mulder hinauf. Nur mit großer Mühe hatte es der Agent überhaupt bis ins Labor geschafft. Erleichtert legte er sich zurück und schloß die Augen.

" Tut mir leid, wenn es etwas unbequem ist, doch im Krankenhaus sind die OP Tische auch nicht weicher," entschuldigte sich Bernard.

Mulder nickte leicht, " das ist schon okay."

Er schluckte trocken. Sein Gesicht war blaß, beinahe grau. Er fühlte sich elend.

" Mulder," Scully trat neben ihn. Sie trug einen weißen Kittel, Latexhandschuhe und Mundschutz. " Wir haben sämtliche Instrumente sterilisiert und alles mögliche desinfiziert. Eine 100% Keimfreiheit, wie sie in einem OP normalerweise herrschen sollte, konnten wir allerdings nicht herstellen. Doch wir denken, daß eine Infektion so gut wie ausgeschlossen ist. Im Schrank fanden wir original verschlossene sterile Tücher und das Sauerstoffgerät funktioniert und hat auch noch genug Druck. - Um das OP Gebiet möglichst klein zu halten, wäre es von Vorteil, wenn Sie mir noch einmal genau sagen könnten, wo Sie die Schmerzen nach dem Trinken hatten. Denn dort dürften sich auch die Blutungen befinden."

Mulder nickte schwach und deutete auf eine Stelle, knapp oberhalb des Magens.

" Haben Sie dort jetzt auch noch Schmerzen ?" fragte nun Bernard.

Mulder schüttelte den Kopf und schluckte trocken, " ein Druckgefühl und es schmeckt nach Blut."

Dr. Bernard nickte, rasierte Mulder die Brust und desinfizierte sie.

" Normalerweise würden Sie jetzt ein Beruhigungsmittel bekommen, aber die Medikamente die hier sind, sind dafür da, Tiere einzuschläfern. Ich denke, das wäre dann nicht das richtige, für Sie," erklärte Scully.

Mulder faßte nach ihrer Hand und drückte sie leicht, " ich habe keine Angst. Das Sie hier sind und diese Operation durchführen werden, ist für mich Beruhigung genug." 

Scully drückte vorsichtig seine Hand und lächelte dankbar, " aber Sie wissen schon, daß ich normalerweise Obduktionen vornehme. Das letzte Mal, daß ich an einem Lebenden arbeitete liegt sieben Jahre zurück und war während meines Berufspraktikums."

Mulder grinste leicht, " Sie wissen, wie die Organe funktionieren, wo sie liegen und wie sie normalerweise aussehen. Zudem haben Sie ja noch einen Kollegen hier, der Ihnen beistehen wird."

Dr. Bernard legte ihm die Manschette zur Blutdruckkontrolle um den Arm und kontrollierte noch einmal den Sauerstoff. Dann machte er das Narkosemittel fertig.

" Wir können anfangen, Dr. Scully," sagte er und reichte ihr das Infusionsbesteck und den Tropfbeutel.

Scully desinfizierte die Einstichstelle und setzte ihm die Kanüle in den Arm. Mit zwei Pflasterstreifen wurde sie fixiert. " Naja, mein Kollege hat eine Kleintierpraxis. Zwar operiert er dort auch und hat damit reichlich Erfahrung. Zumal er sich auch um Pferde und anderes Nutzvieh kümmert," erklärte Scully und verband den Infusionsschlauch mit der Kanüle. " Aber meistens nimmt er Kastrationen vor," fuhr sie fort.

Bernard hängte den Tropfbeutel an einen extra angebrachten Haken am Lampenschirm. Die Flüssigkeit tropfte langsam in Mulders Vene.

Der Agent sah von Scully, zu Bernard und wieder zu Scully, " das braucht es bei mir nicht. - Ich vertraue Ihnen, Scully. Sie kriegen mich wieder hin, das weiß ich."

Langsam fielen ihm die Augen zu.

Bernard breitete die sterilen Tücher über ihm aus, bis nur noch der Eingriffsbereich frei blieb. Scully ordnete ihre Instrumente und beobachtete immer wieder ihren Partner. Bernard kontrollierte Mulders Puls und Blutdruck und setzte ihm die Sauerstoffmaske auf, die seine Atmung unterstützen sollte.

Es dauerte, bis der Agent endlich soweit betäubt war, daß sie mit der Operation beginnen konnten. Scully warf noch einen zweifelnden Blick in sein Gesicht.

' Hoffentlich tue ich hier das Richtig, Mulder,' fuhr es ihr durch den Kopf. Dann sah sie zu Bernard und nickte.

Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, war sie bereit, sich voll auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Sie durfte dabei einfach nicht daran denken, daß es tatsächlich Mulder und es alles andere als gute Voraussetzungen waren. Ihre Emotionen hätten sie sonst überrollt, ihre Hand zittern lassen und damit sein Leben gefährdet.

Routiniert setzte sie das Skalpell an und drang langsam in seinen Brustkorb ein. Bernard assistierte ihr, tupfte Blut aus der entstandenen Wunde und kontrollierte immer wieder Mulders Zustand.

Als sie Muskelgewebe und Fleisch durchtrennt hatten, sahen sie schon, daß es wirklich Zeit war. Blut quoll ihnen entgegen.

Bernard saugte es mit einem kleinen, extra dafür vorgesehenen Gerät ab.

" Knapp über einen Liter. Im Augenblick zwar noch nicht gerade lebensgefährlich viel, aber hätten wir gewartet, wäre er ohne Zweifel verblutet," sagte er hinter seiner Maske hervor.

Scully nickte. Sie wußte, daß Bernard recht hatte. Sie hätte ihren Partner verloren, wenn sie den Eingriff nicht gewagt hätten.

Mit sicherem Blick fand sie die Ursache der Blutung. Splitter seiner gebrochenen Rippen hatten sich in die Speiseröhre gebohrt und sie perforiert. Dabei hatten sie gleichzeitig das Brustfell verletzt, was schließlich auch zu Mulders Lungenproblemen geführt hatte.

Mit Hilfe ihres Kollegen hatte sie die Knochensplitter schnell entfernt und die Verletzungen geschlossen. Bevor sie seinen Brustkorb wieder schloß, kontrollierte sie erst noch, ob die Nähte hielten und es keine weiteren Blutungen gab. Erleichtert stellte sie fest, daß alles verschlossen war. Außer den Brüchen, konnte Scully nichts ernsthaftes mehr feststellen. Sie war auch froh darüber, daß sie nicht die Knochenschere benutzen und seine Rippen damit spreizen mußte. So würde die Wunde schneller verheilen und er weniger Probleme damit bekommen. Sauber vernähte sie die Wunde und klebte ein dickes Pflaster darauf.

Bernard nickte und wies mit dem Kopf auf Mulder, " es ist sauber verlaufen und alles okay. Wir geben ihm jetzt noch etwas gegen die Schmerzen und vorbeugend ein Antibiotika. Zudem sollte er vielleicht am Anfang noch zusätzlich Flüssigkeit intravenös bekommen, damit er nicht austrocknet."

Scully nickte bestätigend, " ja, die nächsten 48 Stunden sollte er jedenfalls nichts trinken. - Danke, Dr. Bernard."

Nachdem sie Mulder vom Narkosemittel befreit und ihm die nötigen Medikamente gegeben hatten, zogen sie ihm ein sauberes Hemd drüber, eine Pyjamahose an und trugen ihn zu seiner Schlafstelle zurück. Dort konnte er in Ruhe aus der Narkose erwachen. 

" Am besten bleiben Sie bei ihm und warten, bis er zu sich kommt. Ich räume inzwischen im Labor auf," bot Bernard an.

Scully nickte dankbar. Sie setzte sich auf die Bettkante und kontrollierte immer wieder Mulders Puls und Blutdruck. Sie war zufrieden. Wenn es jetzt keine Komplikationen mehr gab, war alles in bester Ordnung und ihr Partner würde heil nach Washington zurückkehren.

Mulders Augenlider begannen zu flattern. Langsam wachte er auf.

Scully hielt seine Hand und strich ihm zärtlich einige Haarsträhnen aus der Stirn.

Verschwommen sah Mulder sie an. Er seufzte leise, schloß die Augen und schlief wieder ein.

Scully lächelte flüchtig, " ruh' dich nur aus. Du kannst es gebrauchen."

Sie blieb bei ihm sitzen, bewachte seinen Schlaf und beobachtete ihn.

Ihr Leben würde um vieles leerer, wenn er nicht mehr wäre. Er hatte es bereichert, hatte es zum Abenteuer gemacht. 

Zu Beginn jeden neuen Falles wußte sie nie, was sie dabei erwartete. Sie hatte keine Ahnung, was sie sehen, hören oder zum Staunen und Zweifeln bringen würde. Es gab einfach zu vieles, was sie bisher durch ihn erlebt und erfahren hatte. Zu viel, was sie wissenschaftlich nicht mehr erklären konnte, weil es einfach zu unglaublich war, zu unbegreiflich. Sie brauchten diese Fälle nicht zu suchen. Mulder hatte eine Nase dafür, er roch förmlich das Ungewöhnliche an ihnen. Er sah Dinge, wo Scully nichts sah. Und er hatte Erklärungen, die Scully als schier unglaublich erschienen und sich später doch meist als wahr herausstellten. 

Scully wußte auch, daß zwischen ihnen mehr als nur reine Partnerschaft bestand. Sie waren Freunde, enge Freunde und sie wußte, daß sie eigentlich seine einzige Freundin war. Bei dem Gedanken daran mußte sie grinsen. 'Freundin'. Das Wort hörte sich so intim an. - Ja, es war intim. Sie wußten Dinge voneinander, die sonst niemand wußte. Sie war diejenige, an die er sich wandte, wenn es ihm schlecht ging, wenn er traurig war oder seine Alpträume ihn wieder mal nicht schlafen ließen. 

Genauso wußte sie, daß sie sich auf ihn verlassen konnte. So hart und unnahbar wie er sich oft gab, so sensibel und verletzlich war er, wenn es um persönliches ging. Sie kannte die enorme Trauer, die in ihm geherrscht hatte, als sie entführt wurde. Wie verzweifelt er sie gesucht hatte und die Hoffnung niemals aufgab. Wie sehr er mit ihr gelitten hatte, als sie an Krebs erkrankt und ihre Überlebenschancen schlecht waren. Wie sehr er für sie und mit ihr gegen die tödliche Krankheit gekämpft, und sie letztlich auch besiegt hatte. Er hatte sie vor dem sicheren Tod gerettet. Und er hatte es nicht nur getan, weil er sich an ihrer Erkrankung schuldig fühlte. Es war das tiefe Band, daß sie über die Jahre immer enger zusammengeschweißt hatte. Würde es reißen, weil der Andere für immer ging, so würde auch er selbst untergehen. Scully wußte es für sich genauso sicher wie für ihn.

Sie legte ihm die Hand auf die Stirn und kämmte zärtlich mit ihren Fingern seine Haare zurück.

Er sah friedlich aus, und wirkte irgendwie zerbrechlich.

Scully wußte, daß er für sein Alter schon zuviel gesehen und erlebt hatte. Es hatte Spuren auf seiner Seele hinterlassen und machte ihn verwundbar.

Sie spürte die Einsamkeit in ihm, die ihn gefangenhielt. Die seine Gefühle und Gedanken einsperrte, wie in einen Käfig. Er sehnte sich nach einer Partnerin, die ihn so liebte, wie er war und bereit war, ihm alles zu geben. Denn er würde das gleiche für sie tun.

" Oh, Mulder," seufzte sie leise. " Ich wünschte, ich könnte diejenige sein."

Sie spürte den zarten Druck seiner Hand und sah ihm in die Augen.

Müde und erschöpft sah er sie an. " Ich wünschte, mir wäre nicht so schlecht," flüsterte er kraftlos.

Scully wurde bewußt, daß sie laut gedacht hatte. Sie hatte zwar keine Ahnung, wieviel von ihren Gedanken sie preisgegeben hatte. Aber im Augenblick war ihr das auch egal.

Sie lächelte flüchtig, " das sind die Nachwirkungen der Narkose. Wie fühlen Sie sich denn sonst so ? Haben Sie Schmerzen ?"

Mulder schloß die Augen, schluckte trocken und schüttelte schwach den Kopf, " mir ist nur wahnsinnig übel."

Scully erhob sich und holte zur Sicherheit eine Schale. Gerade noch rechtzeitig kam sie zurück. Mulder rollte sich auf die Seite. Im nächsten Augenblick zog sich sein Magen zusammen.

Scully wischte ihm mit einem feuchten Tuch das Gesicht ab und ließ ihn, mit einem Schluck Wasser, den Mund ausspülen.

Erschöpft legte er sich wieder zurück.

Scully stellte die Schale zur Seite und blieb bei ihm.

" Ich hoffe, ich habe noch alle wichtigen Organe," sagte Mulder leise und krächzend.

Scully grinste, " keine Sorge. Außer einem Liter Blut fehlt Ihnen nichts. Und diesen Liter wird Ihr Körper bald wieder ersetzt haben."

Mulder lächelte schwach, " naja. Normalerweise liegen Tote vor Ihnen und werden von Ihnen obduziert und Dr. Bernard entfernt ebenfalls gerne gewisse Körperteile."

" Es ist alles noch genau da, wo es hingehört. Weder Dr. Bernard noch ich haben Ihnen irgend etwas entfernt," beruhigte ihn Scully.

Mulder nickte leicht, " wie lief es denn ?"

" Wie gesagt, Sie hatten einen Liter Blut zwischen Bauch- und Brustfell. Knochensplitter hatten Ihre Speiseröhre verletzt. Wir haben sie entfernt und die Wunden genäht. Sie sind so gut wie neu. - Sie werden es überleben, Mulder. Wir beide werden zusammen zurück nach Washington fliegen und Sie werden neben mir sitzen. Aufrecht."

Mulder sah ihr in die Augen. Er lächelte flüchtig und nickte. Schwach drückte er ihre Hand, " danke Scully. Ich wußte, daß Sie es schaffen."

Scully lächelte, " versuchen Sie noch etwas zu schlafen, damit Sie wieder zu Kräften kommen."

Mulder nickte und schloß gehorsam die Augen. Kurz darauf fiel er in einen ruhigen, tiefen Schlaf.

***

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