World of X

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Der Teufel

von Petra Weinberger

Kapitel #2

Heute

... 

" Dana," rief ihre Mutter vom Wohnzimmer aus und winkte sie herein.

Scully warf Mulder einen kurzen Blick zu. Er saß noch genauso da, wie sie ihn abgestellt hatte. Schnell lief sie ins Wohnzimmer und sah ihre Mutter fragend an, " was gibt es ?"

Mrs. Scully warf einen Blick zur geöffneten Terrassentür, " der Pflegedienst hat eben angerufen. Barnie hatte einen Unfall auf dem Highway. Sein Arm ist gebrochen. Er kann die nächste Zeit nicht kommen und für heute ist kein Pfleger mehr aufzutreiben. Auch bei den anderen Organisationen nicht. Sie haben alles versucht und hoffen, daß sie für morgen einen Ersatz finden."

Scully sah ihre Mutter ratlos an, " das kann doch gar nicht sein. So wenige Pfleger kann es doch gar nicht geben."

" Es tut mir ja leid, aber sie haben alles versucht. Alle Pfleger sind ausgebucht. Sie haben es selbst in den Krankenhäusern versucht. Nichts. Es sind alle voll ausgelastet."

" Na toll, und jetzt ?"

Mrs. Scully hob kurz die Schultern, " jetzt wirst du dich darum kümmern müssen. Du bist Ärztin und hast so etwas ja auch gelernt. Vielleicht kommt ja morgen schon wieder ein Pfleger."

Scully zog eine Augenbraue in die Höhe und seufzte, " oh, Mom, bitte. Wir sind Kollegen und ich wollte ihm wenigstens noch ein bißchen Intimsphäre lassen. Ich meine, es ist so schon schlimm genug für ihn und wenn ich das dann auch noch mache, wird es sicher nicht angenehmer für ihn."

Ihre Mutter schüttelte tadelnd den Kopf, " Dana, du benimmst dich wie ein kleines Kind. Du sollst ihn doch nicht wickeln. Du hilfst ihm lediglich beim Baden."

Scully sah ihre Mutter nachdenklich an, " kannst du das nicht tun ? Ich meine, du machst das andere ja auch schon."

Mrs. Scully schüttelte den Kopf, " nein, Dana. Ich mag ihn wirklich sehr gerne und tue bereits, was ich kann. Aber ehrlich gesagt, er ist mir etwas zu schwer."

Scully seufzte und nickte schließlich, " dann werde ich wohl besser mal das Wasser in die Wanne laufen lassen."

Ihre Mutter hielt sie am Arm zurück, " Dana, er ist nicht blind. Auch wenn er es jetzt vielleicht nicht sagt, so glaube ich doch, daß er es mitbekommt. Er wird spüren, wenn es dir unangenehm ist."

Dana lächelte flüchtig und schüttelte den Kopf, " mir ist es nicht unangenehm. Ich bin seine Ärztin und ich sehe ihn nicht zum ersten Mal nackt."

" Ich weiß, aber sehen und berühren ist ein Unterschied. Vergiß das nicht."

Scully mußte nun doch lachen, " Mom, hast du Medizin studiert oder ich ? Ich mach das schon und ich werde es, für ihn, so diskret wie möglich machen. Okay ?"

Ein halbe Stunde später hatte sie alles bereit gemacht. Frische Handtücher und frische Wäsche lagen im Badezimmer, das Wasser hatte genau die richtige Temperatur, und Schwamm, Seife und Shampoo waren ebenfalls griffbereit.

Scully ging auf die Terrasse und holte ihren Partner herein. Ohne Umschweife fuhr sie seinen Stuhl ins Badezimmer und schloß die Tür, " so, Partner. Kleine Programmänderung. Barnie liegt mit einem gebrochenen Arm im Krankenhaus und kann heute nicht kommen. Du mußt also mit mir vorlieb nehmen. - Wenn es geht, mach dich nicht ganz so schwer, okay ?"

Mulder zeigte keinerlei Reaktion auf ihre Worte. 

Scully nickte und zog ihn aus. Dann half sie ihm in die Wanne, " versuche mir bitte nicht zu ertrinken," grinste sie. " Eigentlich könntest du dich ja auch selbst abwaschen. Ich fürchte, Barnie war etwas zu nachlässig mit dir. Denn wenn du wirklich willst, kannst du es sicher. Vermutlich bist du einfach nur zu stur."

Scully musterte ihn. Noch immer war er weit weg mit seinen Gedanken, mit seinem Blick. Sie setzte sich auf einen Hocker und wieder schweiften ihre Gedanken ab.

***

2½ Monate vorher

...

Scully hatte gerade begonnen, Mulders Apartment zu durchsuchen, als ihr Telefon klingelte.

" Skinner. Mulder ist verschwunden," kam es auch schon aus der Muschel, kaum das Scully den Hörer am Ohr hielt.

" Was ?" war sie entsetzt. Sie konnte es einfach nicht glauben.

" Vor einer Stunde haben sie ihn das letzte Mal im Zimmer gesehen. Noch genauso apathisch wie zuvor. Vor 15 Minuten wollten sie ihn zu einer Anwendung abholen und stellten fest, daß er verschwunden war. Wie und wohin ist bisher noch immer unklar. Ich habe eben eine Suchmeldung herausgegeben," erklärte ihr Chef auch schon.

" Ich werde sofort alle bekannten Adressen überprüfen," sagte Scully spontan.

" Tun Sie das. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich näheres weiß."

Scully schob ihr Handy wieder in die Tasche und seufzte.

Sie fragte sich, wie es ihm in seinem Zustand möglich war, überhaupt aus dem Bett aufzustehen ? Und, was er jetzt schon wieder vorhatte ? Sie kannte ihren Partner lange genug. Er war immer für Überraschungen gut. Doch sie hatte keine Ahnung, welche Überraschung er diesmal in petto hatte.

...

***

Heute

...

Scully wurde dadurch aus ihren Gedanken gerissen, weil ihr Partner gerade dabei war, langsam im Schaum zu verschwinden.

Schnell sprang sie auf und zog ihn wieder nach oben, " du hast nicht vor, es mir besonders leicht zu machen, habe ich so das Gefühl," schimpfte sie. " Du hättest ja wenigstens versuchen können, dich zu waschen. So wie es aussieht, beharrst du darauf, daß ich das mache."

Mulder hatte die Augen geschlossen, doch Scully wußte, daß er nicht schlief. Vermutlich genoß er nur das angenehm warme Wasser.

" Okay, wenn du absolut drauf bestehst," murmelte sie, schnappte sich den Schwamm und begann seine Arme einzuseifen, seine Brust, seinen Bauch. Als sie damit fertig war, zog sie ihn nach oben und wusch ihm auch den Rücken ab. Mulder ließ es über sich ergehen und verzog keine Miene.

Scully schäumte den Schwamm ein und faßte nach seinem rechten Fuß, " bleibe wenigstens sitzen und geh mir nicht wieder unter."

Sie schäumte sein Bein hinauf und knurrte einen verhaltenden Fluch, " mußt du es mir so schwer machen ?" Schnell griff sie unter seine Arme und zog ihn ein zweites Mal aus dem Wasser, da er schon wieder kurz davor war, mit dem Kopf unter Wasser zu versinken. Während sie sein linkes Bein einschäumte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Sobald er unter zu gehen drohte, drückte sein rechtes Bein nach unten und ihn damit wieder nach oben. Sie grinste siegessicher, " ha, jetzt hab ich dich. So kannst du mir nicht wieder absaufen."

Endlich hatte sie sein linkes Bein fertig und ließ es langsam wieder ins Wasser zurück, " also, wenn du nächste Woche Wassergymnastik bekommst, wird es schwierig. Ich werde deinem Therapeuten wohl besser sagen, daß er dich in einen Schwimmreifen hängen soll." 

Mulder verzog noch immer keine Miene. Zwar hatte er die Augen wieder geöffnet, doch sein Blick war weit weg.

Scully schäumte ein weiteres Mal den Schwamm ein und tauchte ihn unters Wasser, " blöde Technik. Jetzt ist überhaupt keine Seife mehr drauf. Die hätte ich mir sparen können," murmelte sie und fand ihr Ziel. Vorsichtig wusch sie ihn ab. Plötzlich hielt sie inne und zog eine Augenbraue in die Höhe. Sie konnte sich denken, daß es sich lediglich um einen unbewußten Reflex handelte. " Der Herr zeigt ja doch mal eine Reaktion." Sie lächelte flüchtig und warf ihm einen Blick zu.

Nur kurz sah Mulder sie an. Scully war sich nicht ganz sicher, aber es hatte fast so ausgesehen, als hätte er das Gesicht zu einem ganz schwachen Grinsen verzogen.

" Das scheint dir zu gefallen, wie ?" fragte sie und lächelte noch immer. " Aber genug jetzt. Wir müssen noch Haare waschen. Wenn's geht, geh nicht wieder unter."

Vorsichtig machte sie seine Haare naß und schäumte sie ebenfalls ein, dann brauste sie ihn ab, zog den Stöpsel, damit das Wasser ablaufen konnte, und half ihrem Partner aus der Wanne.

Eine halbe Stunde später war er abgetrocknet und hatte einen Pyjama an. Scully zog ihm noch einen Morgenmantel drüber, dann schob sie ihn ins Wohnzimmer.

" Heute Abend gibt es ein Basketball-Spiel im TV. Mom besucht eine Freundin, also gehört der Fernseher uns. Vielleicht weckt dich das endlich aus deiner Leichenstarre."

Mulder reagiert nicht. Weder als Scully das Gerät einschaltete, noch als seine Lieblingsmannschaft kräftig Punkte sammelte. Er sah nicht mal hin.

Als das Spiel zu ende war, schaltete Scully das Gerät aus und brachte Mulder in sein Zimmer. Sie nahm ihm den Morgenmantel ab und half ihm ins Bett. Als sie ihn zudeckte, hörte sie die Tür gehen. Ihre Mutter kam zurück.

" Gute Nacht, Partner. Ich hoffe, du schläfst wenigstens gut. – Ich werde mir heute Nacht etwas überlegen und ich schwöre dir, daß ich irgend etwas finde, was dich endlich in die Realität zurück bringt. Ich gebe nicht auf," zärtlich streichelte sie ihm über die Wange, dann löschte sie das Licht und ließ ihn alleine.

Ihre Mutter verschwand gerade in ihrem Zimmer. " Nacht, Mom," rief Scully ihr nach und zog sich ebenfalls zurück.

Nachdem sie geduscht und ihre Nachtwäsche angezogen hatte, legte sie sich in ihr Bett, zog die dünne Decke nach oben und schob die Arme unter den Kopf.

Ihre Gedanken gingen wieder dorthin, wo alles begonnen hatte. ...

***

2 ½ Monate früher

... Direktor Walter Skinner hatte Scully zu sich gerufen. Nun saß sie ihm in seinem Büro gegenüber.

" Wir haben immer noch keine Spur von Agent Mulder. Sein Wagen steht noch in unserer Garage. Seine Freunde und Verwandten hat er nicht besucht und in seiner Wohnung ist er auch nicht aufgetaucht. Auch nicht in dem Wochenendhaus seiner Eltern," erklärte sie und wußte nicht, wo sie noch suchen sollte.

Skinner nickte und rieb sich die Stirn, " soviel ich weiß, befindet sich seine Mutter in einem Pflegeheim. Denken Sie, daß er dorthin gehen könnte ?"

Scully schüttelte den Kopf, " ich war bereits bei seiner Mutter. Wenn ich sie richtig verstanden habe, hat sie ihn seit über einem Monat nicht mehr gesehen. Ihr geht es im Augenblick zwar besser, aber ich glaube nicht, das er sich gerade dorthin zurückzieht. Seine Mutter kann ihm nicht helfen."

Skinner seufzte, " wenn er in den nächsten drei Tagen nicht gefunden wird, muß ich die Suche abbrechen lassen. Dann können wir nur noch darauf hoffen, daß er irgendwann entweder von selbst wieder auftaucht oder durch Zufall gefunden wird."

Scully schloß kurz die Augen. Sie wußte, was das bedeutete. Wenn Mulder in den nächsten drei Tagen nicht auftauchte, galt er als verschollen und man würde vielleicht irgendwann einmal seine Leiche finden. Doch sie konnte nichts anderes tun. Seit fast 2 Tagen war ihr Partner nun schon verschwunden. Wenn man seinen Zustand berücksichtigte, in dem er sich befand, als er das Krankenhaus verließ, mußte man davon ausgehen, daß er schon nicht mehr am Leben war.

" Die Fahndung nach Krycek läuft weiter ?" wollte sie sich versichern.

Skinner nickte, " ja. Sobald er irgendwo gesehen wird, kommt er unverzüglich in Haft. Die bisherigen Verdachtsmomente reichen aus, um eine Haft zu rechtfertigen. – Konnten Sie etwas über seine Hintermänner in Erfahrung bringen ?"

" Nein, Sir. Doch ich vermute, daß der Kettenraucher ebenfalls in die Sache verstrickt ist. Da Sie diesen Mann eher kontaktieren können, wäre es eher an Ihnen, etwas aus ihm heraus zu bekommen."

Skinner nickte, " ich werde es versuchen. Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich etwas weiß."

...

***

Heute

... mitten in ihren Gedanken schlief Scully ein.

Als sie gegen 7 Uhr morgens aufwachte, war ihre Mutter bereits am herum werkeln. Im Nachthemd trat Scully auf den Flur und sah sich um. Ihre Mutter kam eben aus Mulders Zimmer. Sie trug eine Schüssel mit Waschzeug vor sich her und grinste, als sie ihre Tochter sah, " guten Morgen, Dana. Ich habe ihn gerade gewaschen und angezogen. Aus dem Bett holen mußt du ihn. Wenn du es gleich tust, kann er vor dem Frühstück noch etwas nach draußen. Das Wetter ist herrlich. Vielleicht bekommt er dann etwas Appetit."

Scully rieb sich den Schlaf aus den Augen, gähnte noch einmal und nickte, " hat der Pflegedienst noch niemanden geschickt ?"

" Nein. Ich habe vorhin noch einmal dort angerufen. Sie wollen sehen, daß sie wenigstens für heute Abend jemanden finden. Sie melden sich später noch einmal," erklärte Mrs. Scully und verschwand mit der Schüssel im Badezimmer.

Scully ging in ihr Zimmer zurück, streifte ihren Morgenmantel über und lief zu Mulder.

Er lag fertig angezogen auf dem Bett und starrte ausdruckslos vor sich hin.

" Morgen, Partner. Hast du gut geschlafen ?" fragte Scully und stellte den Rollstuhl zurecht. " Mom bringt dich jetzt etwas an die frische Luft, bevor wir Frühstücken. Wie sieht es aus, hättest du heute mal Lust, selbst zu essen ?"

Sie packte ihn und zog ihn in die Höhe. Dann wuchtete sie ihn in den Rollstuhl.

Als sie seine Beine zurecht gestellt hatte, seufzte sie, " du bist eine verdammt schwere Puppe, weißt du das ? Dabei könntest du sicher längst selbst auf deinen Füßen stehen. – Aber du findest es anscheinend viel bequemer, wenn ich ins Schwitzen komme." Sie musterte ihn skeptisch und schüttelte bedenklich den Kopf, " hat dir schon mal jemand gesagt, daß deine Muskeln langsam schlaff werden ? – Du hattest mal einen umwerfenden, starken Body. Doch seit du nur noch herumsitzt, ist davon nicht mehr viel übrig. Du solltest eigentlich schon längst wieder Sport treiben, sonst hast du bald nur noch Grießbrei, statt Muskeln. – Aber warum erzähle ich dir das überhaupt ? Du hörst mir ja doch nicht zu. Mit einer Wand zu reden, ist genauso effektvoll. Ich könnte ja zur Abwechslung auch mal Selbstgespräche führen. – Na komm, dann kannst du noch etwas nach draußen, ehe Mom zum Frühstück ruft."

Scully schob ihn auf den Flur hinaus. Ihre Mutter kam ihr bereits entgegen, " ich bringe ihn raus, dann kannst du dich fertig machen, bis zum Frühstück."

Scully grinste und sah ihrer Mutter nach, wie sie Mulder durch den Flur ins Wohnzimmer schob. Sie wußte schon, weshalb ihre Mutter das alles tat. Die Kinder waren aus dem Haus, Dana’s Vater war tot, und sie war den ganzen Tag alleine. Dana wußte, daß ihre Mutter einen Narren an Mulder gefressen hatte. Sie mochte diesen Mann sehr und die Aufgabe, die sie mit seiner Pflege übernommen hatte, füllte sie wieder aus. Sie hatte wieder jemanden, um den sie sich kümmern konnte, der sie brauchte. Dana war sicher, daß Mulder ihr dankbar dafür war.

Sie wandte sich um und ging in ihr Zimmer zurück. Mit frischen Kleidern auf dem Arm verschwand sie schließlich im Badezimmer und stellte sich unter die Dusche.

Mulder. Scully hatte noch immer das Bild vor Augen, wie sie ihn gefunden hatte. Zwei Tage, bevor Skinner die Suche einstellen wollte ...

***

2½ Monate zuvor

... Scully war mit einem Dienstwagen unterwegs. Ihrer stand noch vor dem Haus ihrer Mutter. Skinner hatte sie von dort abgeholt, um mit ihr zusammen eine Zeugenaussage zu überprüfen. Zusammen waren sie dann zur FBI Zentrale gefahren.

Die Zeugenaussage hatte wenig gebracht. Scully hatte daher beschlossen, noch einmal bei den ‘Einsamen Schützen‘ vorbei zu fahren. Vielleicht war Mulders Freunden ja doch noch etwas eingefallen, wo ihr Partner sich aufhalten konnte.

Sie war gerade auf dem Weg zu ihnen, als ihr Handy klingelte.

" Dana, Fox war eben hier. Er ist mit deinem Wagen weggefahren," sagte ihre Mutter.

" Wann war das ?" fragte Scully sofort.

" Gerade eben."

" Hat er irgend etwas gesagt ? Vielleicht wo er hin will, oder wo er die letzten Tage war ?"

" Er war nicht hier drin. Ich sah ihn nur durch das Fenster. Bevor ich bei ihm war, fuhr er auch schon los."

" In welche Richtung ist er gefahren ?"

" Richtung Littletown."

" Danke, Mom. Wenn er zurück kommt, dann halte ihn bitte fest, bis ich da bin. Ich bin bereits auf dem Weg."

Ihre Mutter versprach es. Doch Scully bezweifelte, daß ihr Partner wieder zu ihrer Mutter fuhr.

Nachdem sie den Weg zu ihrem Elternhaus eingeschlagen hatte, wählte sie die Nummer von Direktor Skinner.

" Scully. Sir, Mulder hat gerade meinen Wagen bei meiner Mutter abgeholt und ist scheinbar auf dem Weg nach Littletown. Ich bin ebenfalls auf dem Weg dorthin," sagte sie ohne Umschweife.

" Ich sage dem Sheriff dort Bescheid," antwortete Skinner nur. Damit war das Gespräch auch schon wieder beendet.

Scully legte das Telefon auf den Beifahrersitz und gab Gas.

20 Minuten später fuhr sie an ihrem Elternhaus vorbei und raste auf Littletown zu.

Etwa 5 Meilen vor der kleinen Stadt mußte sie dann abbremsen.

Fahrzeuge blockierten die Fahrbahn. Scully hielt an und sprang ins Freie. Sie versuchte über die Wagenschlange zu sehen. Doch außer einigen Passanten, die über die Straße liefen, war nichts zu erkennen. Gut 20 Wagen standen in beiden Richtungen und nichts ging mehr.

Scully eilte die Gasse entlang, die sich dazwischen gebildet hatte, bis zum Kopf der Schlange.

Am Fahrbahnrand erkannte sie schließlich eine breite aufgewühlte Spur, die sich in den Graben und den dahinter liegenden Wald fortsetzte.

Ein Unfall.

Ein Passant kletterte gerade auf die Fahrbahn zurück. Scully eilte auf ihn zu und hielt ihn an, " ist jemand verletzt ?"

Der Mann starrte sie an. " Er ist tot. Er ist bestimmt tot," stammelte er und hastete davon.

Scully rannte den Abhang hinunter. Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie das Fahrzeug sah. Es war ihr Wagen. Er hatte sich ein paar Mal überschlagen, war mit dem Dach gegen einen Baumstamm gekracht und auf die Räder zurück gefallen. Das Dach war fast bis zu den Sitzen eingedrückt, die Scheibe war heraus geplatzt. Scully befürchtete bereits das Schlimmste.

Neugierige standen um den Wagen herum und starrten ins Innere.

" Lassen Sie mich durch, ich bin Ärztin," rief sie und stieß unsanft einige Leute zur Seite.

Endlich konnte sie in den Wagen hinein sehen.

Mulder lag quer über den Vordersitzen. Der Gurt lag noch immer um seinem Leib. Sein Gesicht war blutig.

" Oh, Mulder. Nein," rief sie entsetzt.

Sie legte sich quer über die Motorhaube und fühlte nach seinem Puls. Erleichtert atmete sie auf. Er lebte.

" Rufen Sie einen Krankenwagen und die Feuerwehr. – Sofort. Und die Leute sollen oben die Straße freimachen, daß die Rettungswagen durchkommen," brüllte sie die Neugierigen an.

Keiner rührte sich. Alle sahen sich nur ziemlich ratlos an.

Scully zeigte auf einen kräftigen jungen Mann, " besorgen Sie sich ein Telefon und rufen sie die Rettung hierher. Irgend jemand hat bestimmt ein Handy. Beeilen Sie sich."

Der Mann war so erschrocken von ihrem harten Ton, daß er sich sofort umdrehte und zur Straße zurück eilte.

Scully hatte bereits zwei weitere Opfer gefunden, " Sie beide schicken die Passanten von der Straße. Die Autos müssen weg, damit die Rettungswagen durchfahren können. Und Sie," sie zeigte auf eine ernste Frau, mittleren Alters. " Sie weisen den Rettungswagen ein. Und Sie besorgen mir bitte einen Verbandkasten," wandte sie sich an einen älteren Mann, der ständig den Kopf schüttelte und über die Jugend schimpfte. " Und wer sich nicht sofort bewegt, muß mit einem Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung rechnen. Ich bin FBI Agentin. Na los," blaffte sie die Leute an.

Im Nu stürmte alles durcheinander. Scully konnte nur hoffen, daß man tatsächlich ihre Anweisungen befolgte.

Zwei Sekunden später war sie alleine. Vorsichtig tastete sie Mulders Brustkorb und seinen Nacken ab. Kontrollierte seine Atmung und seinen Puls. Mehr konnte sie nicht tun.

Das Blut in seinem Gesicht stammte von einer Schnittwunde an seiner Stirn. Vermutlich hatte er Splitter abbekommen, als die Scheibe platzte. Mit Hilfe des Verbandkastens, den ihr der Ältere gebracht hatte, konnte sie wenigstens die Wunde auf seiner Stirn verarzten.

Es dauerte keine 5 Minuten, bis sie die ersten Sirenen hörte. Kurz darauf erschienen die Sanitäter und nach ihnen die Feuerwehr.

Scully half dabei, Mulder eine Halskrause anzulegen. Sie setzte ihm die Kanüle für die Infusionen und bereitete ihn für den Abtransport vor, während die Feuerwehr das Dach des Wagen aufschnitt, um den verletzten Agenten zu bergen.

Cops hatten inzwischen für Ordnung auf der Straße gesorgt und die Schaulustigen zurück gedrängt.

20 weitere Minuten später lag der Agent dann auf einer Vakuummatratze, war festgeschnallt und wurde in den Krankenwagen geschoben. Die Sanitäter würden sich jetzt um ihn kümmern. Sein Zustand war nicht lebensbedrohlich, aber ernst.

Scully teilte dem Einsatzleiter der Cops mit, daß der Wagen von der Spurensicherung untersucht würde. Das FBI würde sich um den Abtransport kümmern. Eine Kopie der Unfallaufnahme sollte an Direktor Skinner geschickt werden.

Die Cops nickten und notierten sich alles wichtige.

Es gab nur einen Zeugen, der den Unfall gesehen hatte. Demnach sei Mulder die Straße entlang gefahren und plötzlich im Graben verschwunden. Der Zeuge hatte gesehen, wie der Wagen sich überschlug und dann aus seinem Blickfeld verschwand. Er hatte sofort gehalten und nachgesehen. Doch er war vorsichtig, da er nicht wußte, ob der Wagen nicht vielleicht plötzlich explodieren würde.

Scully selbst sei gerade 5 Minuten nach dem Unfall angekommen.

Sie bedankte sich bei ihm und lief zu ihrem Wagen zurück. Cops hatten ihn an den Fahrbahnrand geschoben.

Vom Beifahrersitz angelte sie ihr Handy hervor und rief bei Skinner an. Schnell hatte sie ihm erklärt, was geschehen war und wo man Mulder hingebracht hatte.

Über seinen Zustand konnte sie nichts sagen, doch sie befürchtete, daß die Wirbelsäule verletzt sein könnte.

Skinner wollte sie im Krankenhaus treffen.

Ein Stunde später wußten sie mehr. Scully stand vor den Röntgenaufnahmen. Nachdenklich betrachtete sie sich die Bilder.

Skinner sah sie fragend an. 

Scully erklärte: " er hatte verdammt großes Glück. Eine Prellung der oberen Lendenwirbel mit einem stark ausgeprägten Nerventrauma. Eine schwere Gehirnerschütterung, mehrere Prellungen, eine Platzwunde an der Stirn." 

" Und was bedeutet das ?"

" Das die Lähmungserscheinungen in kurzer Zeit verschwinden. Mit Hilfe von Massagen, Krankengymnastik und weiteren Therapien wird er in drei Monaten wieder der Alte sein."

...

***

Heute

... in drei Monaten. ‚ Ja,‘ überlegte Scully, ‚ wenn er nur endlich aufwachen und sich auf seine verdammten Füße stellen würde.‘

Von den drei Monaten hatte er bereits über zwei im Krankenhaus verbracht und es hatte sich nichts an seinem Zustand geändert. Trotz Therapien und Massagen. Ihr Partner wachte einfach nicht aus seiner Starre auf. Selbst die Psychologen und Psychiater, die ihn sich angesehen hatten, waren gescheitert.

Hypnotisch depressive Gefühlsstörung hatten sie es genannt. Ausgelöst durch ein schockbedingtes schweres Trauma. Tun konnte man dagegen nichts. Für diesen Zustand gab es keine Medikamente. Man mußte einfach warten, bis er wieder aufwachte. Eventuell hätte man Antidepressiva verabreichen können. Aber ob die helfen würden, war zweifelhaft.

Scully stellte das Wasser der Brause ab und trocknete sich ab. Sie schlang sich ein Handtuch um, setzte sich auf den Hocker und schnappte sich ihren Fön.

Die Ärzte hatten geraten, Mulder in ein Pflegeheim zu bringen, bis er aus der Starre erwachte. Doch Scully hielt nicht viel davon. Mulder wäre dort von Behinderten und Bettlägerigen umgeben gewesen. Vermutlich hätte er dort, aufgrund von Personalmangel, ebenfalls den ganzen Tag im Bett verbracht und sich langsam wund gelegen. Im Krankenhaus war er schon nicht aus dem Bett heraus gekommen. Scully kannte ihren Partner lange genug. Mulder wäre in einem solchen Heim seelisch verkümmert und wahrscheinlich nie aufgewacht. Als sie ihrer Mutter ihr Herz ausschüttete, hatte diese sich spontan bereit erklärt, sich um ihren Partner zu kümmern und ihn zu versorgen.

Da Scully Anfang der Woche noch in Washington zu tun hatte, hatte Mulder auch hier die ersten paar Tage im Bett verbracht. Es war nicht die Schuld ihrer Mutter. Doch der Pfleger, der zweimal täglich vorbei kam, hatte ihn einfach nicht aus dem Bett geholt. Nachdem Scully davon erfahren hatte, hatte sie Urlaub eingereicht und von Skinner auch genehmigt bekommen. Jetzt war sie zwei Tage zuhause und sie hatte sich fest vorgenommen, ihren Partner wieder auf die Beine zu bringen. Ein paar Ideen dazu hatte sie noch. Und sie dachte noch keineswegs daran, einfach aufzugeben.

Sie wußte, irgendwie würde sie ihn wieder zurückholen können. Sie mußte jetzt nur noch herausfinden, wie sie das machen konnte.

***

" Dana," klopfte es an die Badezimmertür. " Mr. Skinner ist hier und möchte mit dir sprechen. Er wartet auf der Terrasse."

Scully schaltete den Fön aus, " ich komme gleich, Mom."

Schnell schlüpfte sie in ihre Jeans und ein Shirt, betrachtete sich noch einmal im Spiegel und nickte befriedigt.

Ihr Chef saß in einem Stuhl und musterte Mulder nachdenklich. Als Scully auf ihn zutrat, erhob er sich und reichte ihr die Hand, zur Begrüßung, " entschuldigen Sie, daß ich einfach so herein platze."

Scully nickte, deutete auf den Stuhl und ließ sich ihm gegenüber nieder, " das ist schon in Ordnung. Ich war gestern morgen kurz im Büro. Laut eines Schreibens des Verkehrsgerichts sieht man von einem Verfahren gegen Fox Mulder ab. Aufgrund seines Zustandes während des Unfalles, und der Tatsache, daß er keinen Unbeteiligten verletzt hat. Er muß lediglich für die Flurschäden aufkommen."

Skinner nickte, " ich weiß. Ich bekam bereits gestern Nachmittag das Gutachten auf den Schreibtisch. Deshalb bin ich auch hier." Er reichte Scully ein dickes Dokument. " Aufgrund der am Unfallort vermißten Spuren, muß man davon ausgehen, daß Mulder den Wagen ungebremst den Abhang hinunter lenkte. Demnach kam er mit einer Geschwindigkeit von etwa 80 km/h von der Straße ab, überschlug sich siebenmal und krachte mit der Frontseite des Daches gegen den Baum," erklärte er, während Scully den 10-seitigen Bericht durchblätterte.

" Es konnten weder Spuren von Alkohol, noch von Drogen in seinem Blut gefunden werden," vervollständigte Scully. " Der Befund des Krankenhauses läßt jedoch vermuten, daß er zum Zeitpunkt des Unfalls nicht fahrtüchtig war. Wenn doch, würde das bedeuten, daß er in selbstmörderischer Absicht den Wagen in den Graben lenkte."

" Denken Sie, daß er sich tatsächlich selbst töten wollte ?" runzelte Skinner die Stirn.

Scully warf ihrem Partner einen forschenden Blick zu und schüttelte den Kopf, " ich glaube nicht, daß er sich umbringen wollte. Von seinem psychischen Zustand her hat sich, seit er damals bei meiner Mutter auftauchte, und jetzt, nichts geändert. Er dürfte sich also auch während seiner dreitägigen Flucht in diesem Zustand befunden haben. Wie er allerdings aus dem Krankenhaus heraus kam und später noch mit dem Wagen bis zur Unfallstelle fuhr, ist mir ein Rätsel. Ich weiß noch nicht mal, wo er sich während dieser drei Tage aufgehalten hat, oder weshalb er überhaupt geflohen ist. Und vor allem, wie er diese drei Tage überlebt hat."

Skinner sah seinen Agenten ebenfalls an, " glauben Sie, er findet wieder zurück ?"

" Ja. Ich habe noch viele Ideen, wie ich ihn aufwecken kann. Irgendeine wird funktionieren. – Haben Sie schon mit dem Kettenraucher gesprochen ?"

" Er streitet ab, etwas mit den Vorfällen zu tun, und behauptet, Krycek seit über einem Jahr nicht mehr gesehen zu haben. Auf diesem Weg kommen wir nicht weiter. – Das Gutachten können Sie seiner Akte beilegen. Ich habe es bereits durchgesehen. Bitte melden Sie sich bei mir, wenn sich irgend etwas ändert."

Scully erhob sich und reichte ihrem Chef die Hand, zum Abschied, " natürlich Sir. Danke."

Skinner nickte, warf Mulder noch einen kurzen Blick zu und ging.

Scully stand noch einen Augenblick nachdenklich auf der Terrasse. Sie war sich nicht sicher, ob es tatsächlich nur ein Unfall war. Es gab zu viele Ungereimtheiten.

Sein depressiv bedingter Zustand ließ eher darauf schließen, daß er sich in einer schweren inneren Krise befand, die ihm jeglichen Lebenswillen entzog. Seine Gleichgültigkeit, sein Desinteresse deuteten darauf hin, daß er durchaus zu einem Suizid imstande war. Das er überhaupt in der Lage gewesen war, aus dem Krankenhaus zu fliehen, zeigte, daß man es einfach in Betracht ziehen mußte.

Doch Scully wollte nicht glauben, daß er tatsächlich versucht haben könnte, sich das Leben zu nehmen. Sie bezweifelte auch, daß alleine der Tod von Mauricia Garrison ihren Partner in diese schwere Krise gestürzt hatte.

Es mußte einfach einen anderen Grund dafür geben.

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