World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Violado

von Viola Anna Wittek

Kapitel #2

... aber ich schaffte es nicht.

Als ich der Helligkeit müde entgegen blinzelte, war sie bereits wach. Meine Augen brauchten eine Weile, um sich an alles um mich herum zu gewöhnen. Aber, das erste, was ich wirklich sah, war Scully. Während ich nach und nach blinzelnd zu mir kam, beobachtete sie mich aufmerksam. Sie sah mich an, wie ein Kind, das vor dem Hamsterkäfig steht und zusieht, wie das Tier im Rad rennt.

Sie saß auf ihrer Seite des Bettes im Schneidersitz. Sie lehnte ihr Kinn in eine Handfläche, dessen Ellenbogen sich auf ihr Knie stützte. Sie kaute auf etwas herum, ein Pfefferminzkaugummi nahm ich an, denn irgendwie roch es hier auffällig stark nach Pfefferminze. Vermutlich hatte sie diese auf der Kommode in meinem Wohnzimmer entdeckt, denn ich hatte dort immer eine Menge Kaugummis zum Vorrat. Einfach, weil es mir beim Nachdenken half. Sie strich eine Haarsträhne vorsichtig hinter ihr Ohr und beobachtete mich wie ihr Lieblingsprojekt.

"Seit wann sind Sie wach?", fragte ich schließlich, als ich mich im Bett müde hochzog. Sie sah mich nur an, kaute weiterhin auf ihrem Kaugummi herum, als ich den Schlaf aus meinen Augen rieb. Ich stellte fest, dass ich mein Vorhaben nicht hatte erfüllen können. Ich hatte es nicht geschafft, vor Scully aufzuwachen.

"Weiß nicht", sagte sie und zuckte mit den Schultern. Wir sahen uns nur eine Weile wortlos an. Ich wollte keine Antworten von ihr fordern, wenn sie nicht bereit war, mir welche zu geben.

"Mulder, wovon haben Sie geträumt?", fragte sie plötzlich und ich runzelte die Stirn. Ich wunderte mich innerlich, wie lange sie mir wohl beim Schlafen zugesehen hatte. Denn manchmal redete ich in meinen Träumen oder murmelte Dinge vor mich ihn. Da sie tatsächlich eine Antwort von mir zu erwarten schien, hoffte ich, dass ich nicht von ihr geredet hatte. Weshalb fragte sie nach meinen Träumen?

"Ich habe nichts geträumt, glaube ich", sagte ich und sie schüttelte den Kopf.

"Wir träumen immer etwas, nur manchmal wissen wir es beim aufwachen nicht mehr", klärte sie mich auf und ich nickte belehrt. Ich wunderte mich, was in ihr vorging, was sie zu erfahren hoffte, durch diese Frage. Aber sie sagte weiter nichts und ich wusste auch nicht so ganz genau, was ich entgegnen sollte.

"Scully, was halten Sie davon, dass ich Brötchen holen gehe und wir uns ein schönes, ausführliches Frühstück gönnen?", fragte ich schließlich, als mir in meinen Gedanken warme Croissants mit Butter und Schokolade und Kakao vorschwebten. Ich sah, wie sie nachdenklich wurde. Wie die Gedanken in ihren Augen zu kreisen schienen.

"Ich kann nichts essen. Ich kriege meinen Mund nicht sauber, Mulder", sagte sie schließlich leise seufzend. Ich sah sie rätselnd an. Ich erinnerte mich, dass sie gestern mindestens zweimal ihre Zähne geputzt hatte. Außerdem kaute sie nun Kaugummi, ich sah Papier von mindestens vier Streifen auf dem Nachtschrank.

"Scully", sagte ich schließlich bedeutungsvoll. "Ich kann Ihnen versichern, dass ihre Zähne bald genauso weiß sind, wie dieses Plastikmodell in der Colgate Werbung." Ich sah das sich ihre Augen augenblicklich verdunkelten. Obwohl ich nicht wusste, was genau ich nicht hätte sagen dürfen, entschuldigte ich mich augenblicklich bei ihr.

"Sie verstehen das nicht, Mulder", sagte sie und ihre Augen schienen mich fast flehend anzublicken.

"Ich würde es so gerne verstehen", sagte ich liebevoll. "Ich würde so gerne verstehen, was passiert ist und was in Ihnen vorgeht." Ich sah nun, wie sie das Weinen zurückdrängte. Sie presste die Lippen aufeinander, so, wie es immer tat, wenn sie ihre Emotionen zurückhalten wollte. Aber ich spürte die Unsicherheit, die sie mit einem geschickten Räuspern zu unterdrücken versuchte.

"Ich kann nicht", sagte sie und ich bemerkte erst nun, dass sich ihre Wangen leicht gerötet hatten. "Ich kann einfach nicht, es tut mir leid, Mulder", flüsterte sie und ich war wieder versucht sie in meine Arme zu nehmen, bevor ich daran dachte, dass sie von mir ja schließlich nicht berührt werden wollte.

"Scully, es ist nichts, wofür Sie sich entschuldigen müssen", versicherte ich ihr. "Ich sorge mich um Sie, das ist alles. Ich möchte verstehen, wie es in Ihnen aussieht. Möglicherweise geht es Ihnen auch besser, wenn Sie darüber sprechen. Aber ich will Sie zu nichts drängen. Wenn Sie noch nicht bereit sind zu reden, dann warte ich. Sie haben so viel Zeit, wie Sie brauchen, Scully."

"Danke", flüsterte sie und ich sah, wie die Tränen in ihre Augen schossen. Aber sie weinte sie nicht, sondern hielt sie zurück. Ihre Hand verdeckte ihre Augen. Ich denke nicht, dass sie die Tränen vor mir verstecken wollte. Für mich sah es so aus, als fühlte sie sich so einfach geschützter und weniger verletzlich.

 

***

 

Als ich mit zwei Papiertüten in meinen Armen zurückkam und die Tür geöffnet hatte, hörte ich wieder, dass sie ihre Zähne putzte. Ich hatte doch Brötchen und Croissants geholt; sie musste doch schließlich etwas essen. Vorsichtshalber hatte ich noch eine weitere Tube Zahnpasta und Duschgel gekauft. Aus einer Ahnung heraus hatte ich außerdem auch noch mehrere Päckchen Pfefferminzkaugummi gekauft, woraufhin mich eine dickliche Oma amüsiert angesehen und einen Kaugummifetischisten genannt hatte.

"Scully?", rief ich. "Ich bin wieder zurück." Ich ging mit den Tüten in meinen Armen in meine Küche. Ich stellte eine Tüte auf den Tresen, die mit den Sachen aus dem Supermarkt. Die andere, mit den Croissants und Brötchen riss ich auf und legte sie auf den Tisch. Ich wollte sie heute Morgen so gut ich konnte verwöhnen. Ich hatte Kaffe gekocht und Kakao, weil ich nicht wusste, was ihr lieber war. Ich schnappte mir die Butter, Milch, Marmelade und ein Glas besonders kalorienreiches Nussnougatzeugs aus dem Kühlschrank und stellte die Sachen auf den Tisch.

Dann ging ich auf meine Suche nach Scully, denn sie hatte mir noch immer nicht geantwortet. Ich befürchtete schon, dass etwas passiert war. Dass sie sich erbrochen hatte oder in einer Ecke zusammengeklappt war. Aber dem war nicht so. Ich entdeckte Scully an meiner Wohnungstür. Ich hatte die Tür nicht abgeschlossen, sondern einfach hinter mir zufallen lassen. Ich schloss nie ab, wenn ich zu Hause war, denn von außen konnte man ohnehin nicht öffnen. Aber Scully hatte sich meinen Schlüssel von dem Brett genommen, auf das ich ihn immer warf, und verschloss die Tür. Sie schob außerdem noch den Eisenriegel vor, den ich noch niemals benutzt hatte. Ich zog die Brauen ein wenig irritiert und besorgt in die Höhe. Aber nachdem der Kerl in ihrer Wohnung gewesen war, schien sie sich nirgendwo mehr sicher zu fühlen. Und dieses Gefühl konnte ich nachvollziehen.

Aber ich sah Erleichterung in ihren Augen, als ich mich zu ihr drehte. Sie sagte nichts, aber ich hatte das Gefühl, als hätte sie weitere Schweißausbrüche durchgestanden, als ich nicht hier gewesen war. Hatte sie solch panische Angst vor dem Alleinsein? Ich schwor mir in diesem Moment auf jeden Fall, sie nicht mehr allein zu lassen, auch nicht hier in meiner Wohnung. Auch nicht, wenn sie sagte, dass es in Ordnung war, wenn ich wegginge.

Scully frühstückte nicht gerade viel. Ich sagte nichts, denn ich war froh, dass sie wenigstens etwas aß. Sie biss in winzigen Bissen von ihrem trockenen Croissant ab, kaute lange. Meine Mutter hatte schon immer mit mir geschimpft, weil ich am Tisch zu sehr schlang und zu große Stücke herunterschluckte. Aber trotzdem kannte ich sehr wohl den Unterschied zwischen gründlich Kauen und dem was Scully da tat. Sie würde Stunden benötigen, um das winzige Croissant aufgegessen zu haben.

Ich sah, wie ihre Augen alles vor sich ausführlich musterten; ihren Kakao, die Butter, die Marmelade. Sie war nachdenklich und tief in ihre Traumwelt versunken. Ich denke, sie spürte gar nicht, dass ich sie beobachtete. Zu weit weg von diesem Planeten war sie und zu fern von allem, was um sie herum geschah. Ich wäre so gern bei ihr, wo auch immer sie sich gerade aufhielt.

 

***

 

Ich saß müde auf meiner Couch und sah fern. Es lief nichts wirklich gescheites. Nur eine Menge Seifenopern und merkwürdige Filme. Ich hörte, wie das Wasser in der Dusche erneut abgedreht wurde. Erstmals bemerkte ich, welch ein reinlicher Mensch Scully zu sein schien. Sie duschte das zweite Mal an diesem Tag und fast eine Packung medizinischen Kaugummi gekaut. Aber ich hatte Scully seit diesem Morgen nicht auf die gestrigen Ereignisse angesprochen. Ich wollte, dass sie zu mir kam, wenn sie reden wollte.

Das alles war nun rund einen Tag her. Das FBI hatte sich mit notdürftigen Antworten vertrösten lassen, weil sie noch nicht dazu bereit zu sein schien, genauere zu geben. Manchmal in diesen letzten Stunden schien es mir, als sei das nicht die Person, die ich gekannt hatte. So als hätte man in Scullys Körper die Seele einer leicht verstörten und verängstigten Frau anstelle der Scullys eingesetzt.

Ich war nicht gut in Sentimentalitäten oder Gefühlsausbrüchen. Aber dennoch langte in diesem Moment die Wut in mir zu einem solchen. Das Wissen, dass dieser Kerl Scully ganz offenbar gequält hatte, ließ mir keine Ruhe. Normalerweise würde ich Wut und Zorn an diesem Kerl auslassen. Ich würde ihn windelweich prügeln, wenn ich die Möglichkeit hätte, um ihm genauso weh zu tun, wie er Scully weh getan hatte. Irgendwie ließ dieser Konflikt in meinem Innern mir keine Ruhe.

Das war albern, dachte ich und lachte gespielt amüsiert. Ich hatte das Gefühl, dass nicht einmal Scully selbst so kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand, wie ich es tat. Ich wusste nicht warum, aber diese ganzen Fragen ließen mir keine Ruhe. Sie machten mich unsicher und nervös.

Ich machte mir eine Weile Vorwürfe, weil ich nicht da war, um sie zu schützen, als sie mich gebraucht hatte. Weil ich statt dessen Berichte und Tatortphotos in meinem Büro sortierte, während sie zur gleichen Zeit um ihr Leben und das letzte bisschen Menschenwürde gekämpft hatte, das in ihr noch übrig war. Aber schließlich erkannte ich, dass ich sie nicht hätte schützen können. Und möglicherweise tat das noch mehr weh, als der Gedanke, dass ich nicht da war, als sie mich brauchte. Das Gefühl, dass ich sie vor der rauen dunklen Welt da draußen nicht hätte schützen können, selbst wenn ich es versucht hätte.

"Hey Mulder", hörte ich ihre liebenswürdige, vertraute Stimme neben mir. Sie wirkte gefasst. Einen Tag nach dieser ganzen Sache hatte sie sich weitestgehend beruhigt. Oder zumindest versuchte sie so zu wirken. Ich hatte ihr gesagt, dass sie sich untersuchen lassen sollte, von einem Arzt oder mit einem Psychologen sprechen sollte. Aber ihre Augen waren nur glasig geworden und sie hatte mir gesagt, dass sie all das nicht wollte. Dass mit ihr alles in Ordnung wäre, solange ich für sie da sei. Ich hatte darüber nachgedacht, einfach ohne ihr wissen einen Termin für sie zu arrangieren. Aber ich hatte es nicht getan. Ich respektierte ihre Wünsche. Sie sollte mir vertrauen. Und dazu musste ich ihr vertrauen, so schwer es in dieser Situation auch sein mochte.

Aber nun saß sie neben mir; ruhig und gelassen, so schien es. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als ich ihr ebenfalls zulächelte. Sie roch sanft nach Minze und nach dem Mentholduschgel, das ich gekauft hatte. Ihre Haare waren noch immer feucht von der zweiten Dusche dieses Tages.

"Was sehen Sie sich da an?", fragte sie und deutete mit ihren Blicken auf den Fernseher. Mir fiel erst nun wieder ein, dass er ja an war. Ich hatte das gar nicht bemerkt, weil ich so in Gedanken versunken gewesen war.

"Keine Ahnung", sagte ich schulterzuckend. "Irgendwas; es läuft nichts gescheites." Sie blieb neben mir sitzen, rutschte etwas näher an mich heran, berührte mich aber nicht. Sie schaltete schnell durch die Programme, als ich sie vorsichtig beobachtete. Sie ließ schließlich ein Programm, in dem Werbung lief. Dann sah sie mich an.

"Was wollen Sie schauen, Mulder?", fragte sie und ich zuckte mit den Schultern. Ich wusste, dass ich mich ohnehin nicht auf etwas konzentrieren konnte, wenn sie neben mir saß auf diese Art und Weise. Also überließ ich ihr die Wahl.

Sie schien schließlich etwas gefunden haben; irgendein Film auf einem Kabelkanal. Ich legte meine Füße auf meinen Wohnzimmertisch und sie tat mir gleich. Sie lächelte mir kurz verlegen zu. Ich hätte sie am liebsten in meine Arme geschlossen und schützend an mich gedrückt. Sie sollte sehen, dass ich da war und dass ich sie nicht loslassen würde, egal was passierte. Aber das wollte sie ja nicht. Das musste ich respektieren.

Ich löste schließlich meine Blicke von ihr, um auf den Fernseher zu blicken. Ich selbst achtete nur halbwegs darauf, was in dem Film passierte, denn ich sorgte mich zu sehr um meine Partnerin, als dass ich in irgendeiner Weise das Geschehen aufmerksam verfolgen konnte. Ich sah zwischen ihr und der Flimmerkiste einige Male hin und her. Denn sie sollte auch nicht wirklich merken, dass ich sie ständig beobachtete.

Aber ich bekam schon oberflächlich mit, was geschah. Scully schien dem Film hingegen interessiert zu folgen. Vermutlich war sie froh darüber, alles um sich herum ein wenig verdrängen zu können. Und ich denke, das war auch das Beste für sie, wenn sie einfach einmal alles um sich herum vergaß. Ich würde sie mit ins Kino nehmen demnächst, dachte ich mir. Damit sie ein wenig alles vergessen konnte, was in der realen Welt passierte.

Es war ein Film, indem es scheinbar um Liebe ging. In jedem gottverdammten Film tat es das, dachte ich seufzend. Es war mir ein wenig unangenehm diese Sachen mit Scully zu sehen, weil ich genau diese Gefühle ihr gegenüber hegte. Weil ich sie von ganzem Herzen liebte. Das war mir nicht erst seit jetzt klar, sondern schon seit langem. Bereits einige Wochen, nachdem wir uns kennen gelernt hatten, war ich ihr hoffnungslos verfallen gewesen. Ich hatte mich Hals über Kopf in ihren kühlen Verstand und ihr warmes Herz verliebt; obwohl es lange Zeit gedauert hatte, bis ich es mir selbst gegenüber eingestand. Und Scully, tja, die schien nichts zu ahnen.

Die blonde Schauspielerin und der dunkelhaarige Mann auf dem Schirm begannen sich zu küssen; liebevoll und leidenschaftlich. Es wurde dunkel im Raum, man sah einzig sie Silhouetten der beiden. Sie küssten sich, streichelten sich, zogen sich gegenseitig die Kleider vom Leib, als er sie auf das breite Bett zudrückte.

Ich sah skeptisch zu Scully hinüber und kaute auf meiner Unterlippe, etwas verlegen durch die Situation mir ein Liebespaar mit ihr anzusehen. Es schien mir einfach merkwürdig und ich war sicher, dass ich vor Verlegenheit sogar ein wenig rot angelaufen war. Aber als ich den merkwürdigen Ausdruck ihrer Augen sah, verwandelte sich jegliche Verlegenheit in große Sorge.

Sie starrte auf den Bildschirm und presste erneut ihre Lippen aufeinander. Schließlich schloss sie die Augen und senkte ihr Gesicht. Sie begann zu zittern. Ich sah unsicher auf den Schirm, wo die beiden miteinander schliefen und dann zurück zu einer erschütterten Scully. Meine Hand suchte hektisch nach der Fernbedienung. Ich wollte abschalten oder zumindest das Programm wechseln.

Doch in diesem Moment öffnete sie ihre Augen wieder. Ihr Gesicht war rot angelaufen, als sie einen weiteren Blick auf den Bildschirm warf. Und als sie sah, dass diese Szene offenbar noch immer nicht vorüber war, begann sie nach Luft zu ringen. Sie schnappte nach Luft und zitterte wie Espenlaub.

"Entschuldigen Sie mich", stotterte sie schließlich hervor und sprang auf. Bevor ich irgend etwas sagen konnte, raste sie in einer bewundernswerten Geschwindigkeit auf das Badezimmer zu. Ich konnte hören wie die Tür mit einem dumpfen Schlag zufiel, als ich nunmehr allein und verwirrt in meinem Wohnzimmer saß. Ich hörte die zärtlichen Geräusche von Richtung des Fernsehers, die übertönt wurden von ihrem Würgen. Ich konnte hören wie sie sich im Badezimmer erbrach.

Ich zog meine Beine wieder an meinen Körper heran. Und nun zitterte ich wie Espenlaub. Vermutlich war ich kreidebleich, als mein Verstand nach und nach bestimmte Teile des Puzzles zu einem ganzen zusammenfügte. Ich bettete mein Gesicht in meinen Handflächen, fühlte wie ich mich unkontrolliert schüttelte. Ich schaltete den Fernseher so schnell ich konnte ab. Ich hörte, wie sie erneut begann die Zähne zu putzen.

 

***

 

Ich wusste nicht genau, wie lange sie im Bad war. Ich hatte nicht auf die Uhr gesehen, denn ich war zu sehr in meine Gedankenwelt versunken, um überhaupt daran zu denken. Ich lauschte dem Rauschen der Zahnbürste, das nun schon eine ganze Weile von Richtung Badezimmer kam. Schließlich, nach einer scheinbaren Ewigkeit, brach es ab. Der Wasserhahn lief einen Moment.

Ich sah, wie Scully sich die Tränen aus den Augen wischte und hektisch atmete. Aber ich sah auch, wie sie sich zwang ruhig zu bleiben: Sie ging auf mich zu, setzte sich neben mich auf die Couch. Sie versuchte mich anzusehen, als sei nichts geschehen, wobei mir durchaus klar war, was mit ihr los war.

Sie sah mich fragend an, tat so, als wäre es unbedeutend. Aber diese Möglichkeit dem auszuweichen gab ich ihr diesmal nicht. Sie würde sich ihren Dämonen früher oder später stellen müssen, so sehr sie auch versuchte stark zu sein und nichts von alledem herauszulassen. Aber ich wusste es ohnehin schon. Zu deutlich waren die Hinweise für mich nun. Vor meinem inneren Auge hatte ich alles noch mal gesehen. Wie sie sich nicht von mir anfassen ließ; wie sie am mich am Abend zuvor nicht einmal hatte ansehen können, als ich meine Hose ausgezogen hatte; wie sie sich nun erbrochen hatte, als sie die Liebesszene im Fernsehen gesehen hatte.

"Er hat Sie vergewaltigt", stellte ich fassungslos fest und sah, wie etwas in ihren Augen zerbrach. So, als wären die Mauern um ihr Geheimnis zerbrochen, als sie die Bedeutung meiner Worte begriff. Ich sah, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg und sich ihre blauen Augen trübten, als sie sich mit Tränen füllten. "Nicht wahr?"

Und plötzlich fiel sie in meine Arme. Obwohl sie sich vorher von mir nicht hatte berühren lassen, lag sie nun in meinen Armen und weinte. Aber ich war froh, dass ich es nun wusste, dass sie nicht mehr glaubte, das Geheimnis vor mir hüten zu müssen; aus Scham oder aus welchem Grund auch immer. Ich wusste nicht, warum sie es mir nicht gesagt hatte. Aber wie konnte ich das auch verstehen? Ich hatte mich niemals in einer so schrecklichen Situation befunden.

"Oh Gott, Scully", seufzte ich, als ich sie in meinen Armen hielt. Ihre Arme hatten sich um meinen Brustkorb geschlungen, hielten mich so fest sie nur irgendwie konnte. Ich fühlte wie sie an meiner Brust weinte; wie ihre heißen Tränen in meinem T-Shirt ein Ende nahmen, als sie vom Stoff aufgesogen wurden.

"Ich hatte solche Angst", flüsterte sie und schluchzte in meinen Armen. Meine Hände strichen beruhigend über ihren Rücken als ich versuchte sie zu trösten. Ich lehnte mein Kinn an ihren Kopf, in ihr Haar. Ich wollte ihr dass Gefühl geben, dass ich sie von allen Seiten schützen würde, dass sie sich in meinen Armen verstecken konnte. Und ich hielt sie minutenlang einfach nur so fest ich konnte.

"Ich war mir sicher, dass ich sterben würde", sagte Scully schließlich, als sie ruhiger wurde. Trotzdem waren ihr Gesicht und ihre Augen vom Weinen ganz rot. Ich küsste ihre Stirn liebevoll, unsicher was ich tun sollte, unsicher, was sie wollte, dass ich tat.

Aber es fühlte sich gut an, dass sie weinte. Ich wollte nicht, dass sie ihre Emotionen und Ängste in sich hineinfraß und versuchte stark zu spielen. Ich wollte, dass sie einfach nur in meinen Armen lag und weinte, wenn ihr danach war. Ich wollte, dass sie Wut, Trauer und Schmerz mit mir teilte. Geteiltes Leid war halbes Leid, hatte meine Großmutter immer gesagt. Und in diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr, als dass Scully ihr Leid mit mir teilte.

Oder dass ich die Zeit zurückdrehen könnte, um sie zu beschützen.

Sie weinte lange in meinen Armen. Ich drückte sie an mich, streichelte ihren Hinterkopf, strich vorsichtig über ihr Haar. Ich versuchte sie ganz in meine Arme zu hüllen, so dass ihr winziger Körper kaum noch sichtbar sein würde in meiner Umarmung. Aber schließlich beruhigte sie sich wieder einigermaßen. Ich vermutete, dass ihr die Tränen ausgegangen waren und ihr Kopf vom Weinen dröhnte.

"Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist?", fragte ich schließlich. Ich spürte meinen eigenen Atem in meinem Gesicht. Ich war so nah an ihrem Kopf, dass die Luft an ihrem Haar abprallte und mir wieder entgegen stieß. Sie reagierte gar nicht, weder nickte sie, noch schüttelte sie den Kopf. Aber ich spürte, wie sie sich dichter an mich zog, so wie eine Ertrinkende sich an einen Felsvorsprung klammerte.

"Ich schäme mich so, Mulder", flüsterte sie und ich strich zärtlich über ihr Haar. "Deshalb habe ich es Ihnen nicht erzählt, weil ich mich so sehr schäme. Weil ich glaubte, sie würden mich abstoßend finden, wenn Sie es wüssten. Es tut mir leid, Mulder."

"Scully, das ist doch Unsinn", seufzte ich und zog sie dichter an mich heran. "Ich finde Sie keineswegs abstoßend. Ich habe den ganzen letzten Tag lang gewartet, dass Sie mir anvertrauen, was geschehen ist. Ich hatte ja keine Ahnung... aber ich werde immer für Sie da sein, wenn Sie mich brauchen. Und es ist Unsinn, wenn Sie glauben, dass ich Sie jetzt sich selbst überlasse, Scully. Für wie gefühllos halten Sie mich, wenn Sie denken, dass ich meine Partnerin aus diesem Grund für abstoßend hielte."

"Ich will nicht bemitleidet werden, Mulder", stammelte sie gegen meine Brust und nun konnte ich nicht anders. Ich musste traurig lachen. Dana Scully war wohl der einzige Mensch auf dem ganzen Planeten, der sich in dieser Situation kein Mitleid wollte.

"Scully, erzählen Sie mir doch einfach, was passiert ist", sagte ich leise flüsternd, als sie sich gegen mich rieb. "Vielleicht fühlen Sie sich dann besser, wenn Sie mir davon erzählt haben."

"Ich hätte besser aufpassen sollen", seufzte sie schließlich schluchzend. Ich spürte, wie sie gegen die Tränen kämpfte, aber offenbar wollte sie reden, also unterbrach ich sie nicht. "Ich bin nach Hause gefahren, in meinem Wagen, und stand an der roten Ampel. Weit und breit war keiner und dieser Kerl steigt in meinen Wagen ein, auf dem Rücksitz, direkt hinter mir. Er hielt mir den Mund zu und ich habe kaum Luft bekommen, Mulder. Er hatte eine Waffe und drückte sie mir in die Rippen. Ich...", sagte sie und stockte dann.

Ich strich gedankenverloren über ihren Rücken und versuchte mir ihre Angst auszumalen, während sie versuchte, alles loszuwerden, was passiert war. Ich spürte, wie sie versuchte die Tränen hinunter zu schlucken und beim reden ab und zu stockte, um gegen meine Brust zu schluchzen.

"Es hat mich gezwungen, die Hände am Steuer zu halten... er hat meine Waffe entdeckt und sie an sich genommen... ich war so hilflos! Er sagte ich solle zu mir nach Hause fahren. Und wenn ich es nicht täte, wenn ich schreie oder versuchte ihn auszutricksen, dann würde er mich töten", sagte Scully und ich spürte, wie nun auch mir Tränen über die Wangen liefen. "Und er hätte es getan, Mulder, ich schwöre, er hätte es getan; er hätte ohne auch nur mit der Wimper zu zucken getan."

Ich hielt sie fest in meinen Armen und wollte sie dazu bringen, sich wieder zu beruhigen, denn ich spürte wie ihr Herz pochte; und es raste. Ich war zwar kein Arzt, aber es war zu schnell; viel, viel zu schnell als das es gesund sein könnte. Aber ich wollte sie nicht aufhalten. Wenn sie reden wollte, dann war es das Beste, wenn sie alles sagte, was sie beunruhigte. Ich begann sie in meinen Armen sanft hin und her zu schaukeln, um sie zu trösten.

"In meiner Wohnung hatte ich den Vorteil, dass ich mich auskannte. Aber er hatte zwei Waffen und er hat geschossen, als ich versuchte, mich zu wehren. Er hätte mich fast getroffen. Dann hat er mich mit dem Lauf meiner Waffe gegen den Kopf geschlagen und ich bin zusammengebrochen. Als ich zu mir kam, lag ich auf dem Bauch auf dem Boden, inmitten meines Wohnzimmers", sagte sie und an dieser Stelle verlor sie jegliche Fassung, die sie auf bewundernswerte Weise bis hierhin behalten hatte.

Sie begann wieder zu weinen und zu schluchzen. Ich fühlte, wie sie sich an mir festkrallte. Und ich hatte Dana Scully noch niemals so erlebt. Ich spürte, wie sie ihr Gesicht gegen meine Brust rieb. Ich fühlte die Hitze ihrer Tränen und des rauschenden Blutes in ihrem Gesicht, das für seine rote Farbe verantwortlich war. Ich drückte sie so fest an mich, wie ich nur irgendwie konnte.

"Er hatte mich auf den Bauch gedreht, damit ich mich nicht wehren konnte. Ich kam zu mir, durch das Gewicht seines Körpers, der auf mir lag... und durch den brennenden Schmerz in meinem Unterleib, als er... in mir war. Es tat so verdammt weh und ich hab vor Schmerz geschrieen. Ich habe nach Ihnen geschrieen und meiner Mom, glaube ich... es tat so weh, und er war so groß, Mulder... und es tut noch immer so verdammt weh", weinte und schluchzte sie gegen mich.

In diesem Moment war ich so voller Hass und Zorn, dass ich den Kerl getötet hätte, wenn er nicht schon tot wäre. Aber der Tod durch Erschießen war eine viel zu gerechte Strafe für ihn, als das er sie verdient hatte. Ich hätte ihn am liebsten zu Tode geprügelt aus Fassungslosigkeit wie man dieser unschuldigen Frau das hatte antun können. Wie dieser Kerl es der Frau antun konnte, die ich von ganzem Herzen liebte.

"Ich habe das alles wie in Trance erlebt. Ich habe mir versucht vorzustellen, dass ich irgendwo anders war. Ich habe mir vorgestellt, bei Ihnen zu sein. Ich habe mir vorgestellt, wie Sie aussehen, Mulder, damit ich... Ich wollte nicht da sein, wo ich war. Aber ich wurde in die Realität zurück gezerrt, als er dann... fertig war... und kam, da übergab ich mich. Aus Ekel, denke ich, und mir war so unglaublich schlecht", sagte sie. "Er lag eine Weile auf mir. Und dann spürte ich, wie sein... wie er wieder... hart... wurde. Ich begann zu weinen, als mir klar wurde, dass er es noch einmal tun würde und dass es noch nicht vorbei war. Er hat mich seine kleine Hure genannt und mich gezwungen ihn oral zu befriedigen. Er stieß... sein... Ding... in meine Kehle hinein... und ich konnte nicht einmal richtig atmen. Und ich hatte keine andere Wahl, Mulder", weinte sie. "Und er ist wieder gekommen und dann hat er geschossen... nur ganz knapp an mir vorbei. Er hat mich gezwungen, sein Sperma... Mulder... ich musste seinen Samen herunterschlucken. Ich habe ich wieder gekotzt... diesmal auf die Couch... aus Ekel und aus Demütigung."

Hass war kein Ausdruck für das was ich empfand. Ich war kurz davor alles kurz und klein zu hauen und zu schlagen, aus einer fatalen Mischung aus Wut, Hass und Zorn. Ich selbst war kurz davor mich zu übergeben aus Ekel vor dem, was dieser Mann bei Scullys Leid empfunden haben musste. Dass es ihn angetörnt hatte, dass er Scully demütigte, um sexuell befriedigt zu werden. Mir wurde regelrecht schlecht aus Ekel vor dem Mann, der so abartig sein konnte, sich an dieser Misshandlung aufzugeilen.

Nun begriff ich, weshalb sie ständig ihre Zähne putzte und auf Kaugummis herumkaute. Sie versuchte den Geschmack zu vergessen, sich durch den Pfefferminzgeschmack bewusst zu sein, dass ihr Mund und ihre Zähne sauber waren. Ich verstand, weshalb sie ständig duschte und weshalb sie das Gefühl hatte, nicht sauber zu werden.

"Ich habe mich in diesem Moment losreißen können, als er noch in seinem Höhepunkt laut herumstöhnte. Ich riss meine Waffe von ihm los... Ich wusste, dass das Magazin voll geladen war, aber er hatte nur vier Schüsse von den sechs abgegeben... aber er hatte eine zweite, seine eigene. Ich schoss auf ihn, verfehlte... traf die Couch. Dann schoss ich erneut. Meine Hände waren zu zittrig, dass ich statt sein Herz nur seinen Bauch erwischte... Aber es war ein so tolles Gefühl ihn zu erschießen, dass mir aus Ekel vor mir selbst wieder schlecht wurde... Ich hatte ihn zwar getroffen, aber er war stark genug seine eigene Waffe zu ziehen und auf mich zu zielen", sagte sie weinend. "Das Magazin war leer... aber... aber Mulder, ich wünschte so sehr, dass er mich getötet hätte."

"Sag so was nicht, Dana", sagte ich. Ich begann nun sie ganz bewusst zu duzen, obwohl ich das noch niemals zuvor getan hatte.

"Ich wünschte, er hätte es beendet, Mulder. Er hat meine Seele umgebracht; warum hat er nicht auch meinen Körper getötet, Mulder? Warum?", weinte sie und ich schüttelte den Kopf und riss sie aus meinen Armen, damit sie mich ansehen konnte. Ich legte meine Hände auf beide Seiten ihres Kopfes, damit sie mich ansehen musste.

"Verdammt, sag so was niemals, Dana", sagte ich laut zu ihr, denn nun weinte ich auch. Die Tränen strömten von meinen Wangen und meine Lippen zitterten. "Ich brauche dich in meinem Leben. Ich brauche dich. Und wenn er dich getötet hätte, dann hätte er auch mich damit umgebracht, denn ohne dich kann ich nicht, will ich nicht leben. Denn ich liebe dich, Dana, ich liebe dich."

Sie begann erneut zu weinen und fiel mir dann in die Arme. Aber diesmal schlangen sich ihre Arme um meinen Hals. Und ich zog sie an mich. Meine Arme lagen wieder auf ihren schmalen Rücken, ihr Haar klebte durch meine Tränen in meinem Gesicht. Ich spürte ihre Tränen, die auf meine Schulter tropften, als sie weinte.

"Ohne dich ist mein Leben sinnlos", flüsterte ich ihr leise zu. "Was sollte ich denn nur ohne tun?"

Sie lachte schwerfällig unter Tränen. "Mulder, ich bin ein menschliches Wrack im Moment. Ich bin dir weder Hilfe, noch ist es einfach Zeit mit mir zu verbringen. Du sorgst dich rührend um mich und ich verhalte mich so abweisend dir gegenüber. Es tut mir so leid, aber ich kann einfach nicht anders. Ich fühlte mich einfach widerlich, abstoßend und schmutzig."

"Dana", mahnte ich sie liebevoll, als sie in meinen Armen seufzte. "Dieser Kerl ist widerlich und abstoßend, weil er dir das angetan hat. Weil ihn dein Leid angemacht hat. Aber du bist weder widerlich noch abstoßend. Sieh in den Spiegel, Dana, und schau dich an. Du hast wunderschöne, ausdrucksstarke blaue Augen, wunderbare, volle Lippen und dein Gesicht ist das eines Engels. Sieh dich an und dann sag mir noch einmal vollen Ernstes, dass du widerlich bist. Und du hast so viel gebadet, so viel geduscht und so viel die Zähne geputzt, dass du unmöglich schmutzig sein kannst."

"Aber Mulder", seufzte sie und ich fühlte, dass sie sich bei meinen Worten nicht vollends wohl fühlte. "Aber ich schmecke es immer noch. Egal wie oft ich die Zähne putze und egal, wie viele Tuben Zahnpasta ich verbrauche, ich habe den Geschmack noch immer im Rachen. Ich könnte den ganzen Tag nur würgen und kotzen. Und ich habe ständig das Gefühl, dass dieser Kerl noch in mir ist. Dass seine Flüssigkeiten in mir sind, dass sein Geschmack in meiner Kehle und meiner Mundhöhle sitzt. Ich habe das Gefühl, dass ich niemals wieder Essen kann aus Ekel, weil ich ihn dann noch tiefer in mich aufnehmen würde. Dass ich niemals wieder jemanden küssen kann, weil ich seinen Geschmack mit einem anderen teilen würde. Und das ist so beschämend und widerlich."

Ich rätselte, ob ich sie nun einfach küssen sollte. Aber ich wollte ihr keine Angst machen, immerhin hatte sie sich bis vor einigen Minuten von mir nicht einmal anfassen lassen. Ich wollte sie nicht bedrängen und ihr zu nahe treten. Ich war ja schon froh, dass sie sich mir überhaupt öffnete. Dass sie mir nach und nach gezeigt hatte, was in ihr vorging.

"Nein", versicherte ich ihr. "Du musst dich nicht schämen, Dana, das ist Unsinn. Schämen muss sich dein Peiniger und nicht du. Du bist das Opfer, du musst dich nicht schämen; vor nichts, hörst du? Ich bin sicher, dass der Geschmack längst aus deinem Mund weg ist und es nur deine verwirrten Gedanken sind, in denen er noch existiert. Lass ihn nicht so weit in deine Seele, Dana, das ist es nicht wert. Versuch darüber zu stehen. Aber schäme dich nicht, denn dazu hast du keinen Grund. Und schäme dich niemals vor mir, Dana."

Ich spürte, wie sie sich in meinen Armen entspannte. Wie ihr Zwerchfell wieder normal ging, als sie aufhörte zu schluchzen. Ihr Herz, dass in der engen Umarmung gegen meine Brust gepocht hatte, normalisierte seine Geschwindigkeit wieder weitestgehend.

"Weißt du, du solltest zu einem Arzt gehen", flüsterte ich ihr liebevoll zu, als ich sie wie ein kleines Kind hin und her wiegte. "Du solltest dich untersuchen lassen. Ich hasse es dir das zu sagen, Dana, aber was wenn er dich mit irgendeiner Krankheit angesteckt hat?"

"Ich will das gar nicht wissen, Mulder", sagte sie leise und schüttelte den Kopf.

"Und was ist, wenn du mit einem anderen schläfst? Was, wenn du deinen Partner auch ansteckst?", fragte ich sie, aber sie schüttelte nur erneut den Kopf.

"Ich werde keinen Sex mehr haben. Auf diese Weise kann ich auch keinen anderen anstecken", sagte sie, als wäre das die Lösung all ihrer Probleme.

"Du willst niemals wieder Sex haben?", fragte ich sie leise und diesmal nickte sie. "Weshalb willst du denn nicht zum Arzt gehen, Dana? Er wird dich untersuchen und dann hast du Gewissheit. Wenn du im schlimmsten Falle tatsächlich etwas haben solltest, dann kann man dich wenigstens behandeln. Und der Arzt steht außerdem unter Schweigepflicht. Aber dann weißt du wenigstens Bescheid, falls du dich doch entschließt wieder mit einem Mann zu schlafen."

"Mulder, ich will aber nicht zum Arzt", sagte sie und schüttelte wieder den Kopf, als würde sie allein schon die Vorstellung ablehnen. "Ich will nicht wissen, ob ich krank bin. Ich will daran nicht denken müssen, verstehst du? Ich habe schon genügend Probleme und gesundheitliche Einschränkungen. Ich will mich nicht um noch etwas sorgen müssen. Lieber lehne ich Sex vollständig ab."

"Scully", seufzte ich nur, als ich liebevoll über ihren Hinterkopf strich. Dem hatte ich nichts zu widersetzen. Es war ihre Entscheidung, so wenig ich sie auch nachvollziehen konnte. "Dana, ich...", begann ich wieder.

"Mulder", fuhr sie mir ins Wort. "Das ist meine Sache, okay? Bitte zwing mich nicht dazu und sieh mich nicht so strafend an. Du verstehst das nicht."

"Dana, ich bin der Letzte, der dich strafend ansieht. Ja, es ist deine Sache. Aber wie wirst du dich fühlen, wenn du tatsächlich jemanden den du liebst mit einer Krankheit infiziert hast. Ich hasse es wirklich dir das sagen zu müssen, aber das Gefühl wäre vermutlich fast schlimmer als der Gedanke selbst infiziert zu sein, oder? Und, weißt du was, was das Ablehnen von Sex angeht... Ich weiß nicht, ob das etwas ist, an das du dich tatsächlich halten kannst. Vielleicht wirst du in diesem Jahr keinen Sex haben, vielleicht auch nicht im nächsten Jahr. Aber was, wenn es sich plötzlich doch ergibt? Wenn du doch mit einem Mann schlafen willst? Nicht alles lässt sich immer einplanen."

"Vielleicht nicht bei dir", sagte sie schließlich und löste sich aus meinen Armen. "Aber bei mir tut es das schon. Ich werde keinen Sex haben und damit basta. Ich dann werde ich auch niemanden infizieren. So einfach ist das."

Unsere Worte wurden langsam immer lauter, ohne das ich es wirklich bemerkte. "Aber was ist so schlimm daran zum Arzt zu gehen? Einfach nur um es zu wissen."

"Ja, aber weißt du, das ist es ja gerade. Ich will es nicht wissen. Ich will nicht mit dem Wissen krank zu sein leben! Verstehst du das nicht?"

"Aber auf diese Weise lebst du mit der Ungewissheit. Ist das nicht noch viel schlimmer? Wenn sich bei einer Untersuchung möglicherweise herausstellt, dass du nichts hast, dann ist diese Sache endgültig abgehakt. Willst du dich bis an dein Lebensende fragen, ob eine winzige Hautverfärbung zum Beispiel von dieser Sache herrührt. Das wird dich in den Wahnsinn treiben, Dana."

"Woher willst du das wissen? Ich hatte Krebs. Ich weiß, wie es ist, mit einer Krankheit leben zu müssen, die man nicht aufhalten kann. Und dieses Gefühl will ich niemals wieder erleben müssen. Lieber möchte ich die symptomfreie Zeit unbeschwert verbringen. Ist das so schwer begreiflich für dich? Ich meine, gut, du hast nicht mit dieser Art von Krankheit zu kämpfen und du hattest es auch noch niemals tun müssen. Vielleicht verstehst du es deshalb nicht."

"Schon möglich", sagte ich. Und meine Stimme wurde leiser, als ich sie traurig ansah. "Aber wirklich verstehen kann ich es dennoch nicht." Sie zuckte mit den Schultern und blickte schweigend auf den Fernseher. Es schmerzte mir, dass sie mir nun erneut ihre abweisende Seite zugekehrt hatte.

Rezensionen