World of X

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Merry Christmas, Mom!

von Talli W

Kapitel 2

Am nächsten Morgen

"Guten Morgen, Scully." begrüßte Mulder seine Kollegin, als sie das Büro betrat.
"Guten Morgen, Mulder." Besorgt musterte sie ihn. Er sah aus, als ob er überhaupt nicht zu Hause gewesen war, sondern wieder einmal die Nacht im Büro verbracht hatte. Aber sie konnte keine Anzeichen von Müdigkeit bei ihm erkennen und auch seiner Kleidung war, außer einigen wenigen Knitterfalten nichts anzusehen.
Kaum hatte Scully in ihrem Sessel Platz genommen, legte Mulder voller Elan los. "Ich habe einen interessanten Fall auf den Tisch bekommen. Von einem Verschwundenen. Ich habe schon ein bisschen über den Fall recherchiert. Es handelt sich dabei um Nikolaus Kessler, einen deutschen Einwanderer, der in Amerika sein Glück versuchen wollte. Er ist mit seiner Familie 1782 hierhergekommen und hat sich in der Ortschaft Silverstone niedergelassen, nachdem er in Kalifornien ein beträchtliches Vermögen durch Gold schürfen erworben hatte. Er war anscheinend einer der wenigen, die dabei wirklich Erfolg hatten. Allerdings konnte er seinen Reichtum nicht lange genießen. Zwei Jahre später, an einem kalten Dezembertag ist er spurlos verschwunden. Es war wenige Tage vor Weihnachten, als seine Frau schwer erkrankte. Seine Farm befand sich viele Meilen außerhalb von Silverstone und es lag über einen halben Meter Schnee. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich selbst auf den Weg in die Stadt zu machen. Er nahm einen Beutel Gold, sattelte sein Pferd und ritt los, um Medizin für seine Frau zu holen. Doch er ist nie in Silverstone angekommen. Sein Skelett wurde erst 16 Jahre später im Frühjahr gefunden, als der Schnee geschmolzen war. Die Umstände seines Todes konnten nie geklärt werden. Aber das war zu dieser Zeit wohl nichts Ungewöhnliches."
Mulder hörte mit seiner Erzählung auf und schaute zu Scully. "Klingt interessant, oder?" fragte er herausfordernd.
Scully kuschelte sich noch tiefer in ihren Sessel und sah ihn fragend an. "Mulder, können Sie mir erklären, weshalb wir einen Fall untersuchen sollen, der über 200 Jahre zurück liegt?"
Mulder lächelte zufrieden. "Nun, weil unser lieber Nikolaus wohl doch nicht ganz verschwunden ist. Er erscheint an kalten Wintertagen und führt verirrte Wanderer auf den richtigen Weg zurück."
"Also ein guter Geist. Und was sollen wir dort? Ihn einfangen?" meinte Scully.
"Tja, das ist noch nicht alles. Vor fünf Tagen scheint unser Nikolaus seine Samariter-Tätigkeit aufgegeben zu haben. Stattdessen hat er einen alten Mann, Mr. Benedikt Faber, krankenhausreif geschlagen. Als man den Verletzten ins städtische Krankenhaus von Kingston eingeliefert hat und er immer wieder murmelte, es wäre der Nikolaus gewesen, wollte man ihn schon ihn die psychiatrische Abteilung überstellen. Erst als seine Familie eintraf und die Geschichte vom sonst hilfsbereiten Nikolaus von Silverstone erzählte, konnte man sich einen Reim darauf machen. Ja und so ist der Fall auf unserem Schreibtisch gelandet. Es war der Polizei von Kingston wohl zu riskant, einen Geist wegen Körperverletzung zu verhaften." Mulder grinste sie glücklich an. Er war froh dem ganzen Papierkram endlich entgehen zu können, mit dem sie sich nun schon seit Tagen herumschlugen.
"Mulder, Ihnen ist doch klar, wie ärgerlich Skinner reagieren wird, wenn die Berichte nicht bis Montag auf seinem Schreibtisch liegen. Und woher wollen Sie wissen, dass es sich dabei wirklich um einen Geist handelt? Von rein wissenschaftlicher Seite betrachtet, konnte die Existenz von Geistern bisher überhaupt nicht bewiesen werden. Bei anbrechender Dunkelheit verschwimmen oft die Umrisse eines Menschen. Der alte Mann könnte sonst wen gesehen haben. Außerdem habe ich meiner Mutter versprochen, sie am Donnerstag zu besuchen. Meine Geschwister werden auch kommen. Wir wollen endlich einmal wieder ein paar gemütliche Vorweihnachtstage zusammen erleben. " argumentierte Scully.
"Och, kommen Sie schon. Es ist doch nur für maximal zwei Tage. Am Wochenende sind Sie längst wieder zu Hause. Ich verspreche auch, dass ich den ganzen Papierkram alleine mache. Skinner wird die Berichte pünktlich am Montag in seinem Büro vorfinden. Na los, geben Sie es schon zu. Sie wollen doch auch endlich raus hier, aus diesem muffigen Kabuff. Es wird bestimmt ein netter Trip in den Wald." versuchte Mulder sie zu überzeugen.
Mit einem schweren Seufzer nickte Scully ihre Zustimmung.
"Großartig! Ich habe unsere Plätze bereits reserviert. Ich treffe sie dann in einer Stunde am Flughafen, Flugsteig 9." rief ihr Mulder zu, griff nach seinem Mantel und dem Laptop und verließ das Büro, um schnell von zu Hause seine bereits gepackte Reisetasche zu holen.
Scully packte ebenfalls zusammen und folgte ihm. "Ein netter Trip in den Wald..." murmelte sie vor sich hin. "Wo habe ich das nur schon einmal gehört?"

Als sie in Kingston eintrafen, suchten sie zuerst Detective McMurry in seinem Revier auf, den zuständigen Polizisten, der die Aussage des verletzten Benedict Faber aufgenommen hatte. Doch außer den ihnen bereits bekannten Fakten erfuhren sie nichts Neues. Dann fuhren sie ins städtische Krankenhaus zu Mr. Faber. Der Betroffene hatte sich den Umständen gut erholt, war aber doch recht schwach, was aber eher seinem fortgeschrittenem Alter von 87 Jahren zuzuschreiben war, als seinen Verletzungen. Doch auch hier erfuhren sie nicht sehr viel mehr.
Mr. Faber berichtete ihnen, dass er sich im Wald verirrt hatte und nicht mehr zu seiner Farm zurückgefunden hatte, da der frische Schnee ihn irritiert und seinen Orientierungssinn verwirrt hatte. Wie schon häufig in solchen Fällen war der hilfreiche Geist, den alle nur den "lieben Nikolaus" nannten, erschienen und hatte ihn gefragt, wohin er denn wollte. Als er sagte, dass er nach Hause, zur Faber-Farm müsse, hatte sich der Geist mit einem Wutschrei auf ihn gestürzt und wie eine Furie auf ihn eingeschlagen. Benedict Faber war dann trotz der Schläge weitergelaufen, bis er schließlich erschöpft zusammenbrach. Laut Aussage seiner Frau und seines Enkels hatten sie seine Hilfeschreie gehört und ihn nicht weit vom Haus bewusstlos im Schnee gefunden. Von dort hatte ihn dann der herbeigerufene Rettungshubschrauber in das nächste Krankenhaus gebracht.
"Gut, dann sollten wir jetzt wohl nach Silverstone fahren und uns den Geist einmal persönlich ansehen." sagte Mulder, nachdem sie sich von Mr. Faber verabschiedet und das Krankenhaus verlassen hatten.
Silverstone war ein kleines verschlafenes Örtchen mit nicht mehr als 40 Einwohnern. Es gab einen kleinen Laden, in dem man von Haushaltswaren bis zu technischen Geräten alles kaufen konnte, eine Gaststätte, die sogar drei Zimmer vermietete und eine Autowerkstatt.
Der ganze Stolz der Bewohner von Silverstone aber war das örtliche Vereinshaus, ein schlichtes weiß gestrichenes Holzgebäude, in dem auch die sonntäglichen Gottesdienste abgehalten wurden.
Die Bewohner waren recht zurückhaltend als sie erfuhren, dass Mulder und Scully für das FBI arbeiteten. Nachdem sie den Ortsvorstand, Referent Shelton, befragt hatten, sprach es sich wie ein Lauffeuer herum, dass die Agenten wegen ihrem "lieben Nikolaus" gekommen waren.
"Sie haben nicht das Recht ihn einzufangen. Er gehört hierher." "Also ich sage kein Wort. Sollen sie doch sehen, wie sie zurechtkommen." hörten sie die Worte der Männergruppe, die sich vor Referent Sheltons Haus versammelt hatte. Als Mulder und Scully trotz intensiver Befragungen nach einer Stunde immer noch keine richtigen Antworten auf ihre Fragen erhalten hatten, gaben sie auf.
"Mulder, ich denke, wir sollten es besser später noch einmal probieren, wenn die Aufregung sich gelegt hat und die Dörfler begriffen haben, dass wir ihnen nicht schaden wollen." flüsterte Scully ihrem Partner zu.
Mulder nickte zustimmend. "In der Zwischenzeit können wir die Ehefrau des Verletzten besuchen. Sie wohnt auf einer Farm etwa 20 Meilen von hier."

"Vielleicht hätten wir es ihnen sagen sollen." sprach einer der Männer, als er den davonfahrenden Wagen hinterher sah.
"Wozu? Die sind doch so schlau beim FBI. Da werden sie doch die Anzeichen eines Sturms erkennen."
"Auch wieder wahr. Aber es sind Stadtmenschen, ohne Ahnung von der Natur."
"Wenn sie sich nicht unnötig lange bei der alten Elisa aufhalten, sind sie wieder zurück, bevor auch nur eine einzige Schneeflocke gefallen ist. Dann war die ganze Aufregung umsonst und wir stehen blöd da."
"Genau. War schon richtig, dass wir den Mund gehalten haben." war das zustimmende Gemurmel der Männer.

Die Straße schlängelte sich durch einen imposanten Nadelwald aus Fichten und Tannen, der nur ab und zu von einer Lichtung durchbrochen wurde.
"Kein Wunder, wenn man sich hier verirrt." meinte Scully.
Mulder warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber. "Keine Sorge, Scully. Wir müssen immer nur dieser Straße folgen."
"Und wenn ich das richtig sehe, sind wir sowieso gleich da." sagte er, als sie an einem weißem Grenzstein vorbeifuhren. "Ich glaube, wir sind bereits auf der Farm der Fabers."
"Scheint ein recht großer Besitz zu sein. Wie können zwei alte Leute das alleine bewältigen?"
Mulder zuckte mit den Schultern. "Wahrscheinlich heuern sie jedes Jahr einige dieser netten Dorfbewohner für die Feldbestellung an. Und Kinder haben sie sicher auch noch."
"Endlich!" seufzte Mulder und bog in einen Weg ein, der direkt bis vor ein hübsches Farmerhäuschen führte. "Solche einsamen Wälder machen mich immer depressiv."
"Das liegt vielleicht daran, dass Sie es immer schaffen in einem dieser einsamen Wälder verletzt zu werden." war Scullys Kommentar dazu.
"Oh Scully, sollte das jetzt ein Vorwurf sein?" murrte Mulder.
"Nein natürlich nicht, Mulder. Nur eine Feststellung." antwortete Scully trocken.
Mulder wollte ihr noch etwas darauf antworten, doch ein großer braun-weißer Hund rannte ihm plötzlich vor das Auto und zwang ihn zum Handeln. Erschrocken riss er das Lenkrad herum und trat auf die Bremse. Das ABS-System wirkte sofort und der Wagen stand innerhalb weniger Sekunden.
"Was machst du denn, Barry? Das ist doch gar nicht Daddys Auto. Das von Dad ist doch silbern. Kannst du denn das nicht sehen?" erklang eine Kinderstimme von der Veranda, wo kurz darauf auch der dazu gehörige Körper eines etwa 6jährigem Jungen erschien.
"Silber! Wie passend für diesen Ort. Wie konnte der Hund uns auch nur so verwechselt haben? Vielleicht ist er farbenblind." kommentierte Mulder sarkastisch.
Scully schüttelte nur missbilligend den Kopf, stieg aus dem Auto und ging dem kleinen Jungen entgegen, der hastig auf sie zu gerannt kam. Mulder folgte ihr.
Einige Meter vor Mulder blieb das Kind stehen. "Haben Sie das Auto gefahren, Mister?" fragte er.
"Ja, dein Hund ist uns...." begann Mulder.
"Da können Sie aber froh sein, dass Barry nichts passiert ist. Meine Oma hätte Ihnen sonst die Hölle heiß gemacht." wurde er von dem Knaben unterbrochen.
Mulder schaute verdutzt und Scully hatte Mühe sich ein Lachen zu verkneifen. Bevor Mulder noch etwas sagen konnte, war der Junge zu dem großen Bernhardiner gerannt, der nun friedlich einige Meter hinter dem Auto saß. "Ist alles in Ordnung, Barry? Hat dir der böse Mann auch nicht weh getan?" rief er und umarmte den Hund, der ihm schwanzwedelnd über die Wange schleckte.
Scully trat zu den beiden heran und stellte sich vor. "Ich bin Agent Dana Scully vom FBI und das ist mein Partner Fox Mulder. Wir möchten gern deine Oma sprechen."
Der Junge schaute zu ihr auf. "Sie kommen bestimmt wegen der Geschichte mit Opa und Nikolaus." stellte er fest und erhob sich vom Boden.
"Na, dann kommen Sie mal. Ich bringe Sie zu meiner Oma."
"Ach, ist das nicht diejenige, die mir die Hölle heiß machen soll? Wenn sie genauso alt ist wie ihr Ehemann dürfte sie damit aber einige Schwierigkeiten haben." flüsterte Mulder Scully grinsend zu.
Das Lachen verging ihm aber schnell, als ihnen im Flur eine energische alte Frau entgegenkam. Trotz ihres Alters ging sie immer noch stolz aufgerichtet und ohne irgendeine Gehhilfe. Ihre Augen blitzten die Eintretenden voller Zorn an. "Müssen Sie mit solchem Tempo hierher rasen? Wenn die Fahrt ein bisschen länger dauert, dürfte die Welt davon auch nicht untergehen. Sie befinden sich hier schließlich auf meinem Grundstück und nicht auf dem Highway. Wenn Sie sich unbedingt den Kopf einrennen wollen, tun Sie das gefälligst dort. Aber glauben sie mir, auf den Friedhof kommen sie noch früh genug. Da müssen Sie nicht nachhelfen." wetterte sie los.
Mulder suchte einen Moment nach Worten, dann zog er seinen Dienstausweis hervor und wollte sich vorstellen.
"Nicht nötig, Jungchen. Ich habe ihre Kollegin eben gehört. Bin schließlich nicht schwerhörig. Sie sind also beim FBI. Ich bin erstaunt, dass die jetzt auch Frauen einstellen. Ich dachte immer diese Dummköpfe haben viel zu viel Angst vor der weiblichen Konkurrenz. Aber offenbar haben sie eingesehen, dass eine kluge Frau nötig ist, um sie vor Dummheiten zu bewahren. Hat man jetzt jedem Kerl einen weiblichen Partner zugeteilt?"
Mulder verzog das Gesicht. 'Diese Alte hat ja wirklich Haare auf den Zähnen. Hoffentlich wird Scully nicht auch mal so.'
Scully war die resolute Frau jedoch sofort sympathisch.
Elisa Faber bat die beiden Agenten ins Wohnzimmer und bot ihnen einen Tee an, den Mulder zwar ablehnte, aber Scully gern annahm. Mulder kam gleich zur Sache und fragte nach dem herumspukenden Geist.
Doch Elisa schüttelte nur amüsiert den Kopf. "Ich dachte immer, ihr Stadtmenschen seid aufgeklärter. Natürlich gibt es keinen Geist. Hier draußen ist es oft sehr langweilig. Da haben sich die Farmer eben ihre eigene Story gebastelt, die sie an langen Abenden erzählen können. Und ein Ort wie Silverstone bleibt zwar auch mit dieser Geistergeschichte noch ein Nest, aber wenigstens wird er dadurch etwas interessanter."
"Aber Ihr Mann hat ausgesagt, dass er von ebendiesem Geist angegriffen wurde."
"Haben Sie meinen Mann gesehen?" Mulder nickte.
"Er ist 87 Jahre alt und leider schon etwas senil. Erst vor 8 Wochen hatte er einen Schlaganfall und seitdem sieht er alles nicht mehr so klar. Ich habe ihm noch gesagt, er soll nicht allein in den Wald gehen, sondern wenigstens den Hund mitnehmen. Aber er musste wieder mal seinen Willen durchsetzen.
"Ich mache seit 58 Jahren meinen Verdauungsspaziergang und gehe immer denselben Weg. Den kenne ich mittlerweile wie meine Westentasche." sagte er noch. "Und doch hat er sich diesmal verirrt."
Die alte Frau seufzte. "Es ist nicht nett alt zu werden. Wenn der Körper plötzlich nicht mehr mitspielt, obwohl man im Herzen jung geblieben ist. Man möchte noch so viele Dinge tun und kann es auf einmal nicht mehr. Manchmal habe ich einfach genug und möchte nur noch, dass Schluss ist. Keine Schmerzen mehr, keine Sorgen, ob man den nächsten Tag noch genug Kraft hat überhaupt aus dem Bett zu kommen oder sein Essen selbst zuzubereiten. Oder ob man hilflos und bettlägerig in einem dieser furchtbaren Altenheime endet."
Betreten sahen Mulder und Scully zu Boden als sie Mrs Faber so reden hörten.
Elisa lachte plötzlich laut auf. "Sie sollten einmal Ihre Gesichter sehen. Was soll denn dieses Mitleid? Noch bin ich ziemlich lebendig."
Scully konnte diese Frau nur bewundern. Elisa Faber ließ sich einfach nicht unterkriegen. Auch Mulder zollte der alten Frau Respekt.
"Ihr Mann wurde von irgendjemandem angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Haben sie vielleicht irgendetwas bemerkt, was uns weiterhelfen könnte. Sie möchten doch sicherlich auch, dass wir den Schuldigen so schnell wie möglich finden."
Elisa Faber überlegte kurz. "Dort draußen treiben sich immer noch Wilderer herum. Die meisten kommen von den umliegenden Farmen. Das ist immer noch die günstigste Möglichkeit, an einen Weihnachtsbraten zu kommen. Sie wissen gar nicht, wie großartig Wildbret schmeckt. Vielleicht hat Benedict einen von ihnen überrascht. Und dann treibt sich da draußen immer noch der alte Ben herum, ein Einsiedler, der der Zivilisation vor 20 Jahren den Rücken gekehrt hat und seitdem die Menschen meidet. Ab und zu kommt er auf eine der Farmen, um Felle und seine Schnitzereien gegen Lebensmittel einzutauschen. Jedoch habe ich seit dem letztem Winter nichts mehr von ihm gehört."
"Vielen Dank, das ist doch wenigstens ein realer Hinweis, nicht so wie diese Geschichte mit dem Geist." lächelte Scully.
Elisa lächelte zurück.
"Übrigens, haben Sie solch ein Taschentelefon, eines mit dem man von überall her anrufen kann ohne Telefonleitung?" fragte Mrs Faber plötzlich.
"Sie meinen ein Handy?" hakte Scully nach. "Ja, ich habe eines."
"Ja, genauso heißt das Ding. Edward hat auch so eines. Edward ist mein Sohn und der Vater von meinem kleinen Joshua." erläuterte Elisa Faber.
"Ich wollte Sie fragen, ob ich es einmal kurz benutzen dürfte, um Benedict im Krankenhaus anzurufen. Unsere Telefonleitung ist leider durch einen herabgestürzten Ast beschädigt worden und jetzt funktioniert es nicht mehr. Und Edward kommt erst wieder am Donnerstag. Er fährt mich dann nach Kingston ins Krankenhaus."
Scully holte ihr Handy hervor, wählte die Nummer des städtischen Krankenhauses in Kingston und reichte das Gerät dann zu Mrs Faber hinüber.
Diese entschuldigte sich und begab sich in die Küche, um mit den Ärzten und später mit ihrem Ehemann zu telefonieren.
"Eine richtig nette alte Lady ist das." murmelte Mulder.
"Und so vital und weltoffen." fügte Scully hinzu.
"Weil sie das mit dem Geist nicht glaubt, meinen Sie?"
"Ja. Ihre Erklärungen klangen jedenfalls recht plausibel."
Mrs Faber kam 10 Minuten später freudestrahlend zurück. "Benedict geht es schon viel besser. Er kann vielleicht schon am Wochenende entlassen werden." teilte sie ihnen mit.
"Na, das sind ja großartige Neuigkeiten." sagte Mulder. "Wir wollen sie dann auch nicht viel länger aufhalten. Danke für Ihre Hilfe, Mrs Faber. Wir werden alles Nötige tun, um den Angreifer Ihres Mannes zu finden." verabschiedete er sich.
"Ja, es ist wirklich besser, wenn Sie jetzt losfahren, bevor der Sturm Sie einholt. Wir erwarten Schnee und so ein Blizzard kann wirklich sehr unangenehm werden." sprach Elisa.
"Gut, dann sollten wir uns besser beeilen."
Joshua und der Bernhardiner kamen hereingelaufen und rannten Elisa um die Beine. "Elisa, kochst du mir einen Pudding? Den mit Mandeln drin." rief ihr Enkel.
"Ja ja, Jungchen. Gleich!" versprach Elisa.
"Nanu? Wo ist denn mein Handy?" fragte Scully verdutzt, als sie es nicht mehr auf dem kleinen Tischchen im Wohnzimmer vorfand, auf dem sie es gelegt hatte, nachdem Elisa es ihr wieder gegeben hatte.
Joshua und Elisa blickten auf den Hund, der jetzt schwanzwedelnd neben dem Sofa saß.
"Oh Barry, böser Hund! Wo hast du das Handy der Dame?" rief der Junge. Der Hund blickte ihn aus treuen Augen an, drehte sich herum und lief nach draußen. Scully und Joshua eilten hinterher.
"Such' das Handy, Barry. Los zeig mir, wo hast du es versteckt?" forderte der Junge. Der Hund und das Kind liefen einige Meter weiter und Scully ging frustriert hinter ihnen her.
"Knirsch!" machte es plötzlich, als sie auf etwas Hartes trat.
Scully schwante Böses und sie beugte sich hinunter. Einen Moment später hielt sie ihr angeknackstes Handy in der Hand. Trotz des sichtbaren Sprunges im Gehäuse hoffte sie, dass es noch funktionierte. Sie tippte eine Nummer ein und hielt das ramponierte Gerät ans Ohr. Nichts! Nicht einmal ein Knacksen. Das Handy war tot.
"Das tut mir aber leid. Barry hat das nicht mit Absicht gemacht. Er wollte doch bloß spielen. Sind Sie jetzt sehr böse? Ich bezahle ihnen die Reparatur auch von meinem Taschengeld." entschuldigte sich der Kleine.
"Schon in Ordnung, mein Junge." seufzte Scully. "Hier kann man sowieso nichts mehr reparieren."
Als Scully mit etwas betretenem Gesicht ins Haus zurückkehrte, hatte Mulder es sich wieder in dem großen Ohrensessel bequem gemacht und unterhielt sich angeregt mit Elisa Faber.
Mit den Worten "Na, haben Sie Ihr Handy zurück oder hat es der Hund gefressen?" empfing Mulder die Eintretende.
Scully zog es vor nichts zu sagen, aber der kleine Junge sprudelte das ganze Geschehen heraus.
"...und dann hat es laut geknackt und jetzt ist es kaputt. Aber die Dame hat gesagt, das ist nicht so schlimm." fügte er hinzu.
"Das tut mir jetzt aber leid, Scully." antwortete Mulder, konnte aber ein Schmunzeln nicht unterdrücken. "Es ist ja nicht so, dass ein Handy unbedingt lebensnotwendig wäre." versuchte er sie zu trösten.
"Das wiederholen sie bitte, wenn wir irgendwo in der Wildnis landen und Hilfe brauchen. Gott sei Dank haben Sie ja noch Ihres dabei." konterte Scully.
Sie verabschiedeten sich noch einmal von Mrs Faber und ihrem Enkel und fuhren los, die Straße zurück nach Silverstone.
Sie waren ein Viertel der Strecke gefahren, als die ersten vereinzelten Schneeflocken fielen.
Schnell ging der Flockenwirbel in einen stetigen Schneefall über und es dauerte nicht lange, da war der Boden mit einem dichten weißen Teppich bedeckt. Das Fahren durch die wachsende Schneedecke wurde immer schwieriger.
"Der Kerl von der Autovermietung hat erwähnt, dass im Kofferraum Schneeketten liegen, falls wir welche brauchen. Ich glaube, es ist besser sie zu benutzen, Mulder." meinte Scully.
Mulder nickte zustimmend und trat auf die Bremse. Dann stieg er aus und lief nach hinten. Er wuchtete die Ketten aus dem Auto und begann sie um die Reifen zu legen. Scully war ebenfalls ausgestiegen und half ihm dabei.
"So, fertig." Mulder begutachtete sein Werk. "Jetzt kommen wir besser vorwärts." sagte er und stieg wieder ins Auto. Scully saß bereits wieder im Wagen und rieb sich die kalten Hände.
"Na dann., los!"
Mulder drehte den Zündschlüssel und gab Gas. Aber nichts rührte sich. Er probierte es noch einmal und noch einmal, immer mit dem gleichen Ergebnis. Der Motor rührte sich nicht. "Verdammt noch mal, was hat der Kerl uns denn da für eine Schrottmühle angedreht." fauchte er.
Als nach den nächsten 15 Versuchen der Motor immer noch nicht gestartet war, griff er in seine Manteltasche, um sein Handy hervor zu holen und griff ins Leere. Mulder schnaufte frustriert und fasste in die andere Tasche. Aber auch dort fand er kein Handy. Fieberhaft begann er jetzt jede Tasche seiner Kleidung zu durchsuchen. Schließlich stieg er aus, holte seine Reisetasche und durchwühlte sein Gepäck.
Scully beobachtete das ganze Treiben stirnrunzelnd. "Kein Handy?"
Mulder schüttelte entschuldigend den Kopf. "Ich muss es wohl im Büro liegen gelassen haben, nachdem ich es dort aufgeladen hatte."
"Das kann doch nicht wahr sein. Ausgerechnet die Person, die es keine Minute ohne Handy aushalten kann, vergisst es gerade dann zu Hause, wenn wir es am Nötigsten brauchen. Und meines ist nur noch Elektroschrott. Großartig! Sagten Sie mir nicht vorhin noch, so ein Handy wäre ja nicht lebenswichtig. Jetzt wäre es aber verdammt nützlich, um Hilfe anzufordern." meckerte Scully.
"Jetzt bewegen sie schon Ihren Allerwertesten und kommen ins Auto zurück, bevor der Wagen völlig auskühlt." schnauzte sie Mulder dann an.
Mulder kletterte zurück auf den Fahrersitz und schloss die Wagentür. "Das kann man aber auch netter sagen." murmelte er.
Schweigend saßen sie nebeneinander, bevor Mulder schließlich sprach:
"Wir müssen weg hier. Hier drin frieren wir uns den Hintern ab, so ohne Heizung."
"Ach und draußen wohl nicht?" war Scullys Antwort.
"Wenn wir uns bewegen, bleiben wir wenigstens etwas warm. Die Stadt ist nur eine Viertel Meile entfernt. Wenn wir direkt durch den Wald abkürzen, könnten wir es schaffen, bevor der Blizzard losschlägt."
Mulder stieg aus dem Auto und setzte sich langsam in Bewegung. Scully zögerte noch einen Moment und folgte ihm dann missmutig.
"Anstatt hier durch den Schnee zu stapfen, könnte ich jetzt gemütlich mit meiner Familie zusammen sitzen und die ersten Weihnachtsplätzchen essen. Im Kamin würde ein schönes Feuerchen brennen und es wäre wohlig warm. Und sehen Sie mich jetzt an. Da kämpfe ich mich nun durch meterhohe Schneewehen, irgendwo in einer gottverlassenen Gegend, und das alles nur, weil mein Partner einem Hirngespinst hinterher rennen musste." murmelte Scully.
Mulder senkte beschämt den Kopf. Scully wusste, dass sie maßlos übertrieb, aber sie fühlte sich im Moment zu miserabel, um auf die Gefühle Mulders Rücksicht zu nehmen. Er war schließlich für dieses Schlamassel verantwortlich und das wollte sie ihn auch spüren lassen. Nicht dass das irgendetwas an seinem Verhalten ändern würde. Auch in Zukunft würde er kommen und sie zu den unmöglichsten Zeiten aus dem Haus schleppen, nur um irgendeiner fantastischen Spur nachzugehen. In ihrer Fantasie stellte sie sich die grausamsten Dinge vor, mit dem sie ihn bestrafen würde, wenn sie erst sicher in Silverstone waren. Ihr war klar, dass sie Mulder nie wirklich etwas antun könnte, aber diese Vorstellungen hielten sie in Bewegung. Wenn sie nicht immer wieder ihre Wut von neuem anheizen würde, hätte sie sich vielleicht schon längst in den Schnee gesetzt und sich ausgeruht. Sie wusste, dass das bei diesen Temperaturen tödlich war. Ausruhen hieß Aufgeben. Und Dana Scully war keine Frau, die so leicht aufgibt. Tief vergrub sie ihre Hände in den Taschen ihres Wintermantels und stapfte mutig weiter.
Sie kamen nur langsam vorwärts. Scully hatte die größten Probleme sich durch die nun 40 cm hohe Schneedecke zu kämpfen. Mulder ging zwar vor ihr, um den Weg zu ebnen, doch da der Schnee immer wieder nachrutschte, nutzte das nicht viel. Wieder einmal verfluchte Scully ihre kurzen Beine und beneidete Mulder um seine langen Stelzen, mit denen er anscheinend mühelos durch den Schnee wanderte. Doch auch Mulder spürte bald die ersten Anzeichen von Erschöpfung. Immer öfter knickten seine Beine ein und er begann zu straucheln. Schon längst hatte er es bereut hierher gefahren zu sein. Scully hatte ja so recht. Er war schuld. Er hatte ihr das Wochenende vermasselt, hatte sie bei -5°C in diese Einöde geschleppt und das schlimmste von allem war, dass er nicht einmal sicher wusste, ob sie sich noch in die richtige Richtung bewegten. Er hatte angenommen, dass sie von der Anhöhe vor ihnen bereits Silverstone sehen könnten. Doch als sie diese nun erreicht hatten, sah er nur Wald und Schnee, aber keine Ortschaft.
'Was ist, wenn wir uns verirrt haben?' dachte er bestürzt. Als ob Scully seine Gedanken gelesen hätte, sagte sie nun: "Mulder, ich glaube wir haben uns verirrt. Wir laufen nun schon zwei Stunden. Wir hätten Silverstone längst erreichen müssen." Mulder wollte einen Scherz machen und seine eigenen Zweifel überdecken, doch als er sich Scully zuwandte und ihre blau gefroren Lippen sah, konnte er sie nicht anschwindeln. "Ich fürchte, Sie haben recht. Wir sind anscheinend in die falsche Richtung gelaufen."
"Mulder, es ist vielleicht besser zum Auto zurückzukehren. Wir werden einfach den Weg zurückgehen, den wir gekommen sind und dann von dort der Straße nach Silverstone folgen." Sie drehte sich herum und musste erschrocken erkennen, dass ihre Fußstapfen bereits zugeweht waren. Erst jetzt bemerkten sie, dass der Wind viel heftiger wehte als noch vor einigen Minuten.
"Ich glaube, der Blizzard kommt direkt auf uns zu." rief Mulder. Scully konnte ihn durch das Tosen des Windes kaum noch verstehen.
"Haben Sie jemals ein Iglu gebaut?" schrie Mulder nun. Scully schüttelte den Kopf. Auch wenn das wie eine gute Idee klang, bezweifelte sie, dass sie das Iglu rechtzeitig fertig bekommen würden, bevor der Sturm sie erreichte. Bereits jetzt bogen sich die Baumwipfel tief nach unten und man konnte durch den heftigen Schneefall kaum noch etwas erkennen. Sie kämpfte sich zu Mulder hinüber und schrie ihm ins Ohr. "Wir könnten uns einschneien lassen, so, wie es auch die Tiere tun. Der Schnee hält uns warm. Wenn der Sturm vorbei ist, wären wir dann ausgeruht und könnten unseren Weg fortsetzen."
"Wenn sie glauben, dass das funktioniert. Es ist ja nicht, als ob wir eine große Auswahl hätten." Mulder beugte sich hinunter und begann eine Kuhle in den Schnee zu wühlen, die Platz für sie beide bieten würde. Dann kniete er sich in die Kuhle und öffnete einladend seine Arme. Scully konnte trotz der schlechten Situation ein Grinsen nicht unterdrücken, als sie seine Mimik sah. Dann sprang sie zu ihm hinunter und kauerte sich neben ihn. Mulder legte einen Arm um ihre Schulter und zog sie näher zu sich heran. Scully wehrte sich nicht, sondern schlang ihre Arme um Mulder und kuschelte sich dicht an ihn. So saßen sie beide schweigend da und sahen dem Tanz der Schneeflocken zu, die langsam begannen ihre Körper zu bedecken.
Bereits kurze Zeit später wies nur noch ein kleiner Schneehügel darauf hin, dass unter den Schneemassen zwei Menschen verborgen waren.
Vier Stunden später erwachte Scully aus ihrem Schlaf. Sie spürte Mulders Atem an ihrer Wange. Seine Arme waren fest um sie gewunden und sein Oberkörper presste sich ganz dicht an ihre Brust. Ihre Beine hatte sie im Schlaf an ihren Unterleib herangezogen und befanden sich jetzt zwischen Mulders Oberschenkeln. Scully konnte sich nicht erinnern, wie sie in diese liegende Position gekommen waren. Im letzten Moment, an den sie sich erinnern konnte, bevor die Müdigkeit sie übermannt hatte, hatte sie noch neben Mulder gehockt. Er musste sie hingelegt haben.
Ihre Bewegungen weckten nun auch Mulder. "Scheint, als ob Ihr Plan funktioniert hat. Wir leben noch." Dann begann er zu husten als Schnee in seinen Mund rutschte. Scully begann sofort sich freizuschaufeln. Energisch schob sie den Schnee nach oben und tauchte kurze Zeit später an der Oberfläche auf. Andachtsvoll sah sie auf das sich ihr bietende Bild. In den letzten Stunden waren über 60 cm Neuschnee gefallen. Die Bäume umgab ein dichter Mantel aus Eis und Schnee. Alles sah so friedlich aus, als würde nichts außer dieser weißen Einöde existieren. Keine X-Akten, kein Konsortium. Nein, nicht einmal Menschen.
Neben ihr tauchte der Kopf Mulders aus dem Schnee.
"Ich will Sie ja in Ihrer Andacht nicht stören, Scully. Aber ich denke, wir sollten uns bewegen, bevor uns wieder kalt wird." meinte er.
Scully nickte und krabbelte aus dem Schnee, um gleich wieder bis über die Knien in den lockeren Neuschnee einzusinken. "Und in welche Richtung gehen wir jetzt? Zum Auto dürften wir wohl kaum zurückfinden."
"Mmh. Ich weiß, dass Silverstone in westlicher Richtung lag. Wenn wir also immer nach Westen gehen, müssten wir bald die Ortschaft erreichen."
"Und wo bitte sehr ist Westen?"
"Keine Ahnung. Sie kommen doch aus einer Sultans Familie. Die haben sich auch immer auf dem Meer zurechtgefunden. Da müssten sie das doch wissen." sagte Mulder.
"Die Seeleute sind nach den Sternen gesegelt. Wenn es jetzt Nacht wäre, könnte ich ihnen die richtige Richtung sagen."
"Na, mit den Sternen kenne ich mich auch aus."
"Das glaube ich gerne, Mulder. Aber das nützt uns jetzt nicht viel am helllichten Tag. Und ich möchte hier nicht herumstehen und darauf warten, dass es dunkel wird. Wir müssen eine Entscheidung treffen. War da nicht mal was mit der moosbewachsenen Seite der Bäume?"
"Zu der Zeit, als das behandelt wurde, muss ich wohl in der Schule gefehlt haben. Tut mir leid, Scully."
Scully zog eine Grimasse. "Also wohin nun? Machen Sie einen Vorschlag!"
"Sie fragen tatsächlich mich? Oh, ich fühle mich geehrt, Scully." versuchte Mulder ein bisschen die Stimmung aufzuhellen.
Scully musste trotz ihrer betrüblichen Situation lächeln. "Noch mehr als jetzt können wir uns sowieso nicht verirren. Außerdem denke ich da an das Sprichwort "Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn."
Vielleicht haben wir diesmal Glück und sie führen uns wirklich auf den richtigen Weg."
Mulder sah sie grinsend an. "Der Vergleich hinkt aber gewaltig, Scully. Erstens bin ich nicht blind, sondern nur rot-grün-blind. Und zweitens wäre die Bezeichnung Hahn wohl korrekter."
"Bitte, wie Sie meinen. Wenn der Herr Gockel sich jetzt endlich für eine Richtung entscheiden würde, bevor wir hier zu Eissäulen erstarren."
"Na dann gehen wir einfach weiter diese Anhöhe hinab. Ich bin mir wieder sicher, dass wir uns vorher in die richtige Richtung bewegt haben. Wahrscheinlich habe ich mich nur in der Entfernung verschätzt."
Scully folgte ihm wortlos, als sich Mulder den Hügel hinabbewegte.
Als sich Mulder und Scully nach einer Stunde erneut einen Hügel hinauf kämpften, blieb Scully plötzlich stehen. "Irgendwie kommt mir diese Gegend sehr bekannt vor." meinte sie.
"Nur Schnee und Bäume rundherum. Da sieht sowieso ein Fleck wie der andere aus." kam Mulders Kommentar.
"Na haben wir uns verirrt?" fragte jemand wie aus dem Nichts hinter ihnen.
Die beiden Agenten fuhren herum und starrten auf den kräftigen graubärtigen Mann in einem braunen Fellmantel und dicken Filzstiefeln.
Sie beäugten den Unbekannten misstrauisch, aber von ihm schien keine Gefahr auszugehen.
'Vielleicht ist das dieser Einsiedler Ben.' dachte Scully.
"Wir sind Agent Mulder und Scully. Unser Auto hatte eine Panne und wir wollten nach Silverstone laufen. Ich dachte, nach diesem Hügel käme gleich die Ortschaft, aber dann begann der Sturm und wir mussten uns einschneien lassen. Jetzt wissen wir nicht genau, ob wir auch in die richtige Richtung gehen." sprudelte Mulder los, als er einsah, dass sie ohne Hilfe nicht weiterkamen.
"So so, Hügel. Dieser Hügel dort? " sprach der Fremde und wies auf eine Anhöhe rechts von ihnen.
Mulder starrte fassungslos dorthin. Noch deutlich konnte den kleinen Schneeberg sehen, wo sie sich aus dem Schnee geschaufelt hatten. 'Wir sind die ganze Zeit im Kreis gelaufen.'
"Wenn Sie uns bitte den Weg nach Silverstone weisen könnten. Soweit kann es ja nicht mehr sein." war sich Mulder sicher.
"Silverstone liegt 14 Meilen von hier entfernt. Ein recht weiter Weg für zwei erschöpfte Wanderer." sprach der Bärtige.
Scully stöhnte leise auf. 'Noch 14 Meilen! Soweit schaffe ich es nicht mehr.' dachte sie. 'Bloß gut, dass ich wenigstens ein paar feste Winterschuhe angezogen habe und nicht wie beabsichtigt die zierlichen Stiefeletten mit den hohen Absätzen.'
"Ich glaube, bis Silverstone schaffen wir es heute nicht mehr. Es wird schon bald dunkel. Aber wir haben heute die Fabers besucht. Vielleicht könnten Sie uns zurück zur Faber Farm führen." fragte Mulder.
"Nein! Nicht dorthin!" antwortete der Fremde schroff.
Mulder sah ihn irritiert an und der Mann erklärte: "Zu weit! Aber hier ist eine andere Farm in der Nähe. Dort könnt ihr euch ausruhen. Kommt mit!" Mit schnellen Schritten stiefelte der Fremde die Anhöhe hinab und den beiden Agenten blieb nichts weiter übrig als ihm zu folgen, wenn sie ihn nicht aus den Augen verlieren wollten.
Erst jetzt bemerkte Mulder, dass sich ihr neuer Weggefährte gar nicht vorgestellt hatte. Aber jetzt war es zu spät ihn nach seinem Namen zu fragen. Scully und er hatten alle Mühe mit dem weit ausholenden Schritten des Unbekannten mitzuhalten.
Obwohl sie sich vorher ausgeruht und sich mit neuer Kraft auf den Weg gemacht hatten, kehrte die Erschöpfung schnell zurück. Sie hatten seit der Mahlzeit im Flugzeug am Morgen nichts mehr gegessen und befanden sich nun schon seit Stunden in der Kälte.
Scully wollte nur noch ihre Ruhe, sich einfach nicht mehr bewegen müssen. Trotzig setzte sie einen Fuß vor den anderen und wehrte hartnäckig Mulders Hilfe ab, der sie stützen wollte, wenn sie wieder einmal in den Schnee gesunken war.
'Ich will und werde es schaffen.' spornte sie sich selbst im Stillen an.
"Vorsicht bei dem Abhang. Da unten ist ein Bach." rief ihnen ihr Begleiter von weitem zu, als er hinter einem steilen Abhang verschwand. Doch es war zu spät. Scully, die sich einfach müde weiter geschleppt hatte, geriet ins Rutschen. Vergeblich versuchte Mulder ihren Arm zu ergreifen und ihren Fall aufzuhalten. Scully rutschte und rollte den Abhang hinunter und landete schließlich mit dem Bauch mitten im Bach. Auch wenn er zu dieser Jahreszeit nur wenig Wasser führte und die Ränder bereits mit einer Eisschicht bedeckt waren, genügte es doch, Scully bis auf die Haut zu durchnässen. Ihr dicker Wintermantel saugte sich sofort voller Feuchtigkeit, die weiter zu den tieferen Schichten ihrer Kleidung vordrang. Sofort biss die Kälte unangenehm in ihre Haut und schien ihr in wenigen Sekunden sämtliche Körperwärme entzogen zu haben. So schnell es ihm der steile Abhang erlaubte, rannte und rutschte Mulder zu seiner Partnerin hinunter., die sich schon wieder aufgerappelt hatte und den vor Nässe triefenden Mantel abstreifte.
"Es geht mir gut, Mulder!" erklärte Scully zähne klappernd. Hastig zog Mulder seinen Mantel aus und legte ihn ihr fürsorglich um die Schultern.
"Wir sind gleich da. Beeilt euch, bevor ihr krank werdet." sagte ihr Wegführer, der mittlerweile zu ihnen zurückgelaufen war. Mulder legte seinen Arm um Scully und verlagerte ihr Gewicht auf seine Schulter. Diesmal hatte Scully keine Einwände. Der Fremde setzte sich in Bewegung und wieder begann der kräftezehrende Gewaltmarsch. Mulder ärgerte sich, dass der Mann weder seinen dicken Mantel noch sonstige Hilfe für Scully angeboten hatte. Stetig stakste er mit großen Schritten vorwärts, als würde der Schnee und die beißende Kälte ihm überhaupt nichts aus machen. Auch Mulder klapperte nun in seinem dicken Wollpullover so ganz ohne Mantel.
"Dort ist die Farm!" rief ihr wortkarger Begleiter unerwartet und zeigte auf einen verschwommenen Fleck in der anbrechenden Dunkelheit. "Es wohnt dort niemand mehr. Fühlt euch ganz wie zu Hause und ruht euch aus. Viel Glück."
Mit langen Schritten bewegte er sich in Richtung Wald zurück. "Heh, Sie können doch nicht...." Doch der Fremde war bereits verschwunden als hätte er sich in Luft aufgelöst. Mulders hatte plötzlich eine Ahnung, wer der Unbekannte gewesen sein könnte.
'Jetzt ist keine Zeit dafür. Scully muss so schnell wie möglich ins Warme. Um den merkwürdigen Helfer kann ich mich später kümmern.' erinnerte er sich.
"Geht es noch, Scully?" fragte er besorgt. Ein müdes Nicken von ihr spornte ihn noch einmal an und sie stolperten mit vereinten Kräften vorwärts zu dem großen Farmhaus.
Überraschenderweise war die Tür des Hauses unverschlossen und die beiden Agenten stürzten erleichtert durch den Flur weiter in das gemütliche Wohnzimmer. Im großen Kamin dort brannte ein Feuer und erleuchtete den ganzen Raum mit einem gold-roten Schein. Verwundert sah sich Mulder um. Das ganze Haus sah aus, als hätte es nur kurz jemand verlassen und würde gleich wieder kommen. Vielleicht hatte der Fremde sich geirrt und das Haus war gar nicht mehr unbewohnt.
"Scully! Sie müssen sofort aus der nassen Kleidung. Ich werde mich mal umsehen, ob ich hier etwas zum Anziehen für Sie finde."
Mulder öffnete verschiedene Türen und spähte hinein. Die meisten der Räume standen leer, als wären sie schon vor Jahren ausgeräumt worden. Auch ein Telefon konnte er nirgends erspähen. Hinter einer der Türen jedoch fand er ein Zimmer mit einem großen Bauernbett. Die Bettdecke war zurück geschlagen und auf dem Kissen lag zusammengefaltet ein flauschiges blau-weiß gepunktetes Flanell-Nachthemd.
'Das muss erst mal genügen. Hauptsache, Scully kommt aus der nassen Kleidung." dachte Mulder, als er festgestellt hatte, dass offenbar nur die Küche, das Wohnzimmer, die eine Schlafstube und ein kleines Badezimmer möbliert waren. Als er ins Wohnzimmer zurückkam, ruhte Scully eingewickelt in einer Decke, die sie in einem der Sessel gefunden hatte, auf dem Sofa. Ihre nassen Sachen lagen in einem Haufen auf dem Boden. Mulder schluckte, als er daran dachte, dass Scullys einzige Bekleidung momentan nur diese dünne Decke war und sie darunter völlig nackt sein musste.
"In dem Raum rechts ganz am Ende des Flures liegt ein Nachthemd. Das ist das einzige Kleidungsstück, dass ich hier finden konnte. Dort steht auch ein gemütliches Bett, dass scheinbar erst ganz frisch bezogen wurde. Ich würde vorschlagen, sie legen sich etwas hin und ruhen sich ein bisschen aus."
Ich werde mich in der Zeit umsehen, ob ich hier was zum Essen finde und auf den Hausbewohner warten. Vielleicht ist das ja sogar unser gesuchter Geist. Unser freundlicher Helfer vorhin sah mir nämlich ganz danach aus. So wie er plötzlich spurlos von der Bildfläche verschwunden ist. Und haben Sie bemerkt, dass er scheinbar keine Fußspuren hinterlassen hat?"
Wortlos ging Scully an ihm vorbei zum Schlafzimmer. Sie war viel zu erschöpft, um mit ihm zu argumentieren. Mulder sah ihr beunruhigt hinterher. 'Hoffentlich hat diese Eskapade kein Nachspiel. Nicht auszudenken, wenn Scully hier draußen krank werden würde, so ganz ohne medizinische Hilfe.
'So ähnlich muss sich Nikolaus damals gefühlt haben.' dachte er.
Mulder hatte im Küchenschrank verschiedene Konservendosen entdeckt. Ihre Haltbarkeit war nicht wie er zuerst befürchtet hatte bereits abgelaufen, sondern sie waren erst kürzlich produziert worden. Mulder entschied sich für eine Hühnerbrühe mit Nudeln und Gemüse. Er hatte gelesen, dass das die bevorzugte Nahrung für Erkältete war, da sie angeblich das Immunsystem besonders stärkte. Er wusste nicht, ob das wirklich stimmte. Seine Mutter hatte ihm nie Hühnerbrühe gebracht, wenn er krank war.
Als er eine halbe Stunde später mit einem dampfenden Teller Suppe in das Schlafzimmer kam, schlief Scully tief und fest, die dicke Federdecke bis an die Nase herangezogen. In dem großen Bauernbett sah sie fast wie eine Porzellanpuppe aus.
Vorsichtig schlich er wieder hinaus und aß selbst etwas von der heißen Suppe. Danach sammelte er die nassen Kleidungsstücke Scullys vom Fußboden auf. Im Badezimmer fand er eine gespannte Wäscheleine und einen Klammersack. Da das Badezimmer aber viel zu kalt war, als dass die Wäsche schnell trocknen würde, wickelte Mulder kurzerhand die Leine ab und spannte sie quer durch das Wohnzimmer direkt vor den Kamin. Behutsam nahm er jedes Wäschestück und hängte es auf die Leine, wo die Teile wie Fahnen hin und her baumelten. Lange betrachtete er Scullys BH und Slip und hielt sich die Unterwäsche schließlich vor die Nase, um ihren Geruch aufzunehmen, bevor er sie schließlich laut seufzend zu den anderen Teilen auf der Leine reihte.
Dann machte er es sich auf dem Sofa bequem und war aufgrund der wohligen Wärme, die vom Kamin ausstrahlte, bald eingeschlafen.
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