World of X

Das älteste Archiv für deutsche Akte-X Fanfiction

Wenn die Angst siegt

von Queequeg2

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FBI-Zentrale; Washington, D.C.

Montag, der 12.06.2000; 7.00Uhr



Agent Fox Mulder saß bereits in seinem Büro, welches sich im Keller der Zentrale des FBI befand. Er sah sich Dias auf der Leinwand an und hatte das Licht für diesen Zweck ausgeschaltet. Es klopfte an der Tür und seine Partnerin Agent Dana Scully steckte ihren Kopf durch den Türspalt und betrat daraufhin das Zimmer. Sie legte einige Mappen auf einen Stuhl und ging zu ihrem Partner.



„Guten Morgen, Mulder! Was sind das für Dias, die Sie sich da ansehen?“



Interessiert sah sie erst Mulder an, dann das Dia und wartete auf eine Antwort.



„Morgen, Scully! Gut geschlafen? Das sind Dias von drei verschiedenen Morden, die in den letzten drei Wochen hier in Washington D.C. passiert sind. Wir haben von Skinner den Auftrag bekommen uns um diesen Fall zu kümmern.“



Mulder sah seine Partnerin kurz an und dann wieder zurück zum Dia, welches eine Frau Anfang dreißig zeigte. Die Frau war tot und lag nackt auf einem Fußboden, an ihrem ganzen Körper waren Blutergüsse zu erkennen.



„Was ist denn so ungewöhnliches an diesen Mordfällen, daß wir diesen Fall bekommen haben? Soviel ich diesen Dias entnehmen kann, sind alle drei Frauen einem gewaltsamen Verbrechen zum Opfer gefallen. Das ist doch bestimmt keine X-Akte, oder?“



Scully sah ihren Partner fragend und zugleich prüfend an. Wie so oft versuchte sie seine Gedanken zu lesen, was in den meisten Fällen auch klappte.



„Nein, Scully. Es ist bestimmt keine X-Akte. Wir sollen lediglich den Fall untersuchen, weil zur Zeit kein Agent da ist, der sich dieser Sache annehmen könnte. Sie wissen doch, zur Zeit herrscht hier Urlaubszeit.“



Er grinste Scully an und diese nickte.



„Aha, und was können Sie mir zu den Mordfällen an diesen drei Frauen sagen?“



Scully nahm die Akte in die Hand, die ihr Mulder hinhielt und blätterte in ihr, um sich so einen ersten Eindruck zu verschaffen.



„Die drei Frauen sind alle Anfang dreißig und wurden erdrosselt, nachdem sie vergewaltigt wurden. Sie wurden alle drei in ihren Wohnungen gefunden und sie waren alle alleinstehend. Die örtliche Polizei geht davon aus, daß es sich jedes mal um denselben Täter handelt, da immer samstags nachts zugeschlagen wurde und alle Frauen auf die gleiche Weise umgebracht wurden. Außerdem fand man Sperma-Spuren, die diese Annahme untermauern.“



Mulder beendete seinen Vortrag und schaute zu Scully, die immer noch in der Akte herumblätterte.



„Wie ich sehe, wurde die letzte Leiche, eine Mrs. Angela Clark, noch nicht obduziert. Also werde ich mich darum kümmern. In der Zwischenzeit können Sie ja herausfinden, ob die drei irgendwelche Ähnlichkeiten oder gemeinsamen Interessen besaßen. Vielleicht kannten sie sich ja!“



Scully hob ihren Blick von der Akte und guckte Mulder an. Dieser saß in seinem Schreibtischstuhl, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt und lächelte sie an.



„Was ist? Hab ich irgendetwas Falsches gesagt? Mulder, warum grinsen Sie so dämlich?“



Scully fuhr Mulder an und in ihrem Blick konnte er langsam den Zorn sehen, der in ihr aufzusteigen drohte. Schnell erhob er sich und das Grinsen erlosch.



„Nichts. Ich liebe es, wenn Sie diesen Befehlston auflegen.“



Er sprang aus dem Stuhl auf, da er sonst die Akte auf den Kopf bekommen hätte.



Er lachte:

„Ok, ok.. Ich komme nachher in die Gerichtsmedizin und hole Sie da ab. Jetzt werde ich mir erst mal die Aussagen der Polizisten, die am Tatort waren, anhören. Also, wir sehen uns nachher.“



Mulder ging zügig zur Tür, hielt sie offen und wartete, daß Scully ihm folgte. Zusammen verließen sie den Keller und dann trennten sich ihre Wege. Scully ging geradewegs zur Gerichtsmedizin um die Leiche von Angela Clark zu obduzieren und Mulder fuhr zum zuständigen Polizeidepartement, um noch ein wenig mehr zu erfahren.



Nachdem Mulder auch noch mit dem Polizeichef gesprochen hatte, fuhr er zurück um Scully aus der Pathologie abzuholen und ihr Bericht zu erstatten.

Er betrat den Raum, in dem Scully noch immer arbeitete und gerade dabei war, die Leiche zurück in das Kühlfach zu schieben.



„Haben Sie etwas herausfinden können?“



Mulder näherte sich Scully. Diese drehte sich erst jetzt zu ihm um, da sie ihn nicht eintreten gehört hatte.



„Nein. Nichts, was wir nicht schon vorher gewußt hatten. Diese Frau wurde - genau wie die anderen beiden Opfer – erst vergewaltigt und dann erdrosselt. Unter ihren Fingernägeln befanden sich allerdings Hautpartikel, die ich noch einschicken werde. An ihren äußeren Geschlechtsorganen und in der Gebärmutter fand ich ebenfalls Sperma-Spuren, die eine hundertprozentige Überführung des Täters, wenn wir ihn finden, zulassen wird.“



Scully schloß die Kühltruhe und streifte ihre Latexhandschuhe ab. Sie legte ebenfalls ihren weißen Kittel ab und drehte ihren Kopf, damit sich ihr Nacken etwas entspannen konnte. Die Obduktion hatte mehr als drei Stunden gedauert. Es war anstrengend im Stehen zu arbeiten und dabei meist noch mit gesenktem Kopf.



„Haben Sie Hunger? Es ist schon eins durch und mein Magen meldet sich langsam. Was halten Sie davon mit mir etwas zu essen und ich erzähle Ihnen dabei, was ich herausgefunden habe?“



Mulder sah sie bittend und zugleich besorgt an. Scully sah ziemlich fertig aus, er überlegte warum? Obduktionen machte sie doch fast täglich, manchmal dauerten sie auch noch wesentlich länger, aber irgendetwas war heute anderes. Hatte es mit den Frauen zu tun? Schließlich war Scully auch eine Frau und genau in ihrem Alter. Er versuchte zu lächeln, da er bemerkte hatte, daß er Scullys Frage nicht mitbekommen hatte.



„Mulder, geht es Ihnen gut? Sie träumen ja! Also, wohin gehen wir essen? Mein Magen knurrt ebenfalls und ich muß mich auch dringend mal hinsetzen, dieses ständige Stehen während einer Obduktion macht doch ziemlich groggy!“



Scully zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, während sie ihre Tasche nahm und den Raum mit Mulder verließ.





Washington D.C. ; Montag, der 12.06.2000; 14.00Uhr



Scully und Mulder saßen bei „da Mario“, einem italienischen Restaurant, auf der Terrasse.

Das Lokal lag direkt mit der Sonnenterrasse am Potomac, was bei diesem schönen Sommerwetter ein Glücksgriff für den Besitzer war.

Beide hatte sich ihr Essen schon ausgesucht und die Bedienung brachte die Getränke und nahm die restliche Bestellung auf. Scully trank zügig an ihrem Wasser und Mulder genoß seinen kalten Eistee. Die Sonne meinte es heute gut mit den Bürgern von Washington D.C., denn man fand kaum jemanden, der nicht unter einem Sonnenschirm oder Baum stand. Jeder suchte einen Platz im kühlen Schatten. Beide Agenten warteten auf ihr bestelltes Essen, welches auch kurze Zeit später gebracht wurde. Scully aß einen großen Salat mit Pepperonies und Schafskäse. Mulder vergnügte sich stattdessen mit seiner Thunfischpizza.



„Also Mulder, was haben Sie herausgefunden?“



Scully sah von ihrem Salat hoch und griff derweilen zu ihrem Glas Wasser.



„Ja gut, womit fange ich an? Also als erstes, alle drei Frauen kannten sich nicht. Sie sind sich niemals begegnet und hatten auch sonst keinen Kontakt zueinander. Das hat die Polizei bereits herausfinden können. Als nächstes, alle Frauen wurden an verschiedenen Samstag-Abenden ermordet und alle in ihrer eigenen Wohnung. Es gab keine Spuren, die auf einen Einbruch oder sonstiges unbefugtes Betreten schließen lassen. Was mich zu der Annahme führt, daß alle drei Frauen ihren Mörder kannten, bzw. ihn selbst in die Wohnung gelassen haben. Was auffällt, ist, daß alle Frauen im selben Alter waren und ungefähr eine Größe von 1,60m hatten. Sie waren schlank und wie schon gesagt alleinstehend.“



Mulder nahm den letzten Bissen seiner Pizza in den Mund und kaute genüßlich, während er Scully ansah, die seinen Worten genau zugehört hatte und versuchte sich ein Bild vom Täter zu malen.



„Also, was glauben Sie, wie alt ist der Täter? Er muß auf alle Fälle eine ganz schöne Kraft besitzen, da am Tatort kaum Spuren eines Kampfes festzustellen waren. Dieser Mann muß eine Bestie sein, denn nach den ganzen Blutergüssen und Quetschungen zu urteilen, haben sich die Frauen sehr stark gewehrt, aber hatten dennoch keine Chance. Jedenfalls tötet er scheinbar nur an Wochenenden. Aber warum?“



Scully sah nachdenklich zum Potomac hinüber, der in der Sonne herrlich glitzerte. Mulder betrachtete in der Zeit Scullys Gesicht und mußte feststellen, daß es, obwohl es gerade ziemlich angespannt aussah und Scully zweifelsohne nachdachte, wunderschön war. Sie war wunderschön! Ihr rotes Haar glänzte in der Sonne, ihre Augen hatten ein noch intensiveres blau als sonst. Die roten Wangen, die durch die Hitze glühten, waren ein wundervoller Kontrast zu ihrer glatten, zarten und hellen Haut. Wie oft hatte er sie schon in Augenblicken wie diesem beobachtet! Sich ihre Gesichtszüge eingeprägt und genossen sie so zu sehen. Er liebte sie, das wußte er schon seit langer Zeit. Doch er wollte es sich selber nicht eingestehen.



„Wir sollten in den nächsten Tagen noch einmal mit den Familienangehörigen der Opfer sprechen! Die Polizei hat sie zwar schon vernommen, aber sonst haben wir wohl kaum einen anderen Anhaltspunkt. Wann werden denn die Gewebe- und Sperma-Proben ausgewertet sein? Vielleicht kann das uns ja weiterhelfen!“



Mulder hatte diese Ruhe unterbrochen, da es Zeit wurde wieder zurück zum Büro zu fahren. Scully richtete ihren Blick wieder zurück auf den Tisch und wandte sich Mulder zu, dabei kehrten ihre Gedanken in die Realität zurück. Als ihr Blick auf den Potomac gerichtet war, schweiften alte Erinnerungen in ihrem Kopf herum. Sie hatte schon so viele Leichen gesehen und viele waren schrecklich verstümmelt! Nie hatte sie sich an einen solchen Anblick gewöhnen können! Wenn sie ihre Arbeit tat, blieb sie rein objektiv und versuchte sich den Anblick der Toten gar nicht erst einzuprägen. Nach jeder Obduktion verbannte sie ihre Gedanken in das hinterste Eckchen ihres Kopfes. Aber manchmal kehrten diese Bilder wieder zurück und hafteten an ihrer Kraft, diese zu bewältigen. Heute war einer dieser Tage. Ihr kamen ständig die Bilder von Angela Clark und den anderen beiden Frauen hoch. Diese drei Leichen waren, genau wie sie, Frauen. Ihnen war etwas zugestoßen, von dem Scully hoffte, daß es ihr niemals passieren würde. Sie hatte schon viele Perverse, Kranke und Psychopathen gesehen, einige davon hatte sie sogar selbst hinter Gitter gebracht. Ihre Gedanken drifteten zu Donnie Pfaster. Ein Psychopath der allerschlimmsten Sorte. Er wollte sie umbringen aufgrund ihrer Fingernägel und Haare. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie sich an diesen Abend vor fünf Jahren erinnerte. Sie beantwortete Mulders Frage, damit der Gedanke wieder an den hintersten Platz ihres Gehirns zurückwanderte.



„In ein bis zwei Tagen müssten die Ergebnisse vorliegen, dann können wir sie durch den Computer jagen und sehen, ob irgendwo ein Mann mit diesem genetischen Fingerabdruck registriert ist. Lassen Sie uns zurück ins Büro gehen! Morgen kümmern wir uns um die Familien, aber vorher können wir noch nach eventuellen Verbindungen suchen. Vielleicht kannten sie sich ja doch, nicht bewusst, aber vielleicht haben sie ja alle den gleichen Friseur oder die gleiche Wäscherei. Es könnte ja sein, daß sie ihren Mörder auf eine solche Art kennen gelernt haben.“



Scully stand auf und Mulder drückte sich ebenfalls aus seinem Stuhl hoch, und folgte Scully. Nachdem sie ihr Auto erreicht hatten, fuhren sie zurück zur FBI-Zentrale.





FBI-Zentrale; Montag, der 12.06.2000; 16.00Uhr



Als Scully und Mulder den Eingang des John Edgar Hoover Gebäudes, welches das FBI-Hauptquartier war, erreichten, strömten eine Menge Reporter und verschiedene Fernsehleute auf die beiden zu. Erschrocken sahen sich Mulder und Scully an und betrachteten dann wieder die Menschenmenge, die jetzt beinahe bei ihnen war.



„Was können Sie uns zu den Mordfällen an den drei Frauen sagen?“



Alle Reporter sprachen auf einmal und es war für Mulder und Scully schwer, überhaupt eine Frage ganz zu verstehen. Sie waren sich einig, daß sie nichts sagen durften, was ihre Ermittlungen in irgendeiner Weise beeinträchtigen würde. Allerdings wurden sie selten von so vielen Reportern gleichzeitig überfallen, da die Arbeit mit den X-Akten nicht so viel Presserummel mit sich brachte!



„Haben Sie irgendeine Spur? Wurden wirklich alle Frauen zuerst vergewaltigt?“



So viele Fragen und Mulder wunderte sich, woher die Reporter überhaupt davon wissen konnten. Beide Agenten versuchten dem Menschenhaufen zu entkommen und wiederholten immer wieder „Kein Kommentar!“ oder „Warten Sie, bis es eine Pressekonferenz gibt, dort können Sie Ihre Fragen stellen!“. Sie erreichten den Sicherheitsdienst und gingen schnell durch die Kontrolle; erst jetzt hatten sie ihre Ruhe zurück.





Middeltonstreet 123; Washington D.C. zur selben Zeit



Richard Pratt saß auf einer Couch in seinem Wohnzimmer und sah fern. Seine Frau Cindy war im Garten und goss die Blumen, die durch die letzten heißen Tage ziemlich armselig aussahen. Cindy war Krankenschwester und hatte diesen Monat Nachtdienst, während ihr Mann Richard als Monteur bei „Schofield und Sohn“ arbeitete. Diese Firma war ein Familienunternehmen und verkaufte alles, was mit der Sicherheit von Wohnungen und Häusern zu tun hatte.

Mr. Pratt hatte den Fernseher lauter gestellt, da ihn der Live-Report aus der FBI-Zentrale zu interessieren schien.



„Hier bin ich wieder, Anna Bixby live auf TV-Four! Heute mit einem Live-Report aus dem FBI-Hauptquartier. Es geht um die Morde an drei Frauen, die wahrscheinlich vergewaltigt und später erdrosselt in ihrer Wohnung gefunden wurden. Die Agenten Fox Mulder und Dana Scully...“ Die Kamera schwenkte von der Reporterin zu den beiden Agenten, die in einer Masse von weiteren Reportern zu ertrinken schienen. Eine Großaufnahme von Mulder wurde gezeigt, dann erfolgte ein weiterer Schwenk auf Scully. Auch von Scully gab es eine Großaufnahme und ihr Name wurde eingeblendet. „...bearbeiten den Fall. Sie wollen uns aber keine weiteren Auskünfte über den Tathergang oder den Mörder geben. Ich melde mich wieder, wenn ich mehr erfahren habe. Bis dann, das war es erst einmal von Anna Bixby, live auf TV-Four.“



Noch einmal wurde die Großaufnahme von Scully gezeigt, die sich gerade mit Mulder durch die Sicherheitskontrolle des FBI schob. Richard Pratt hielt mit einem Druck auf die Fernbedienung das Bild an und betrachtete Scully.



„Oh, Sie sind also Special Agent! Wir kennen uns doch, oder? Sie sehen wirklich bezaubernd aus, mein Kompliment!“



Mr. Pratt kniete nun vor dem Fernseher und zeichnete mit einem Finger die Konturen von Scullys Kopf nach.





FBI-Hauptquartier; Freitag, der 16.06.2000; 18.32 Uhr



Mulder und Scully saßen immer noch in ihrem Kellerbüro und gingen schon zum zehnten Mal die Aussagen der Freunde und Familienangehörigen der Opfer durch. Sie hatten die ganze Woche nach irgendwelchen Anhaltspunkten und Verbindungen gesucht. Sie hatten alle Leute abgeklappert, die mit den Opfern in Verbindung standen, doch nichts hatte sich ergeben. Auch die nun vorliegende DNS-Probe des Täters hatte nichts gebracht er war nicht im Computer registriert.



„Mulder, lassen Sie uns für heute Schluß machen! Ich bin total erledigt und wir finden ja doch nichts. Lassen Sie uns morgen weiter machen!“



Scully richtete sich auf und ließ die Mappe, welche sie in der Hand hielt, langsam auf den Schreibtisch gleiten.



„Sie haben recht, Scully. Hören wir für Heute auf!“ Morgen ist auch noch ein Tag! Außerdem brauche ich unbedingt eine kalte Dusche. Die Klimaanlage hier hat auch schon mal bessere Tage erlebt.“



Mulder lächelte, stand ebenfalls auf und ging mit Scully Richtung Tür.



„Morgen ist bloß schon Samstag und wenn wir recht behalten sollten, dann schlägt der Täter nächste Nacht wieder zu.“



Scully sah kurz Mulder an, er nickte und seine Gedanken kehrten zu den Aussagen zurück. Irgendetwas hatten sie übersehen. Er hatte schon die ganze Zeit so ein komisches Gefühl, aber was war es?

Es mußte am Wetter liegen! Es war zu heiß, sein Kopf kochte und er brauchte dringend eine Abkühlung.





Scullys Apartment; Freitag, der 16.06.2000; 20.00 Uhr



Scully schloß ihr Apartment auf und ging geradewegs, nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, ins Wohnzimmer. Sie hörte ihren Anrufbeantworter ab; es war nur eine Nachricht von ihrer Mutter darauf. Scully wollte sie nach einem entspannenden Bad zurückrufen. Sie entkleidete sich in ihrem Schlafzimmer, streifte sich ihren Bademantel über und ging ins Badezimmer, um Wasser in die Wanne laufen zu lassen. Aber bevor sie aus dem Schlafzimmer kam, drang ein Geruch in ihre Nase. Es roch wie billiges Aftershave, aber genau wußte sie es nicht. Blitzschnell griff sie nach ihrem Revolver, der auf ihrer Kommode lag. Sie ging vorsichtig durch alle Räume und durchsuchte jede Ecke, doch sie konnte nichts und niemanden entdecken. Als sie wieder in ihrem Schlafzimmer angekommen war, bemerkte sie, daß ihr Fenster noch vom morgendlichen Lüften offen stand. Schnell machte sie es zu und versuchte sich selber zu beruhigen.



„Dana, deine Sinne haben dir einen Streich gespielt, du solltest wirklich mal ausschlafen! Die letzten Tage haben dich doch mehr mitgenommen, als du es dir eingestehen willst.“



Durch diesen Gedanken beruhigt und mit der festen Überzeugung, dass niemand in ihrer Wohnung war, ging sie ins Badezimmer um sich ihre verdiente Entspannung zu holen. Nachdem sie sich abgetrocknet und sich einen frischen Pyjama angezogen hatte, telefonierte sie noch kurz mit ihrer Mutter und ging dann schlafen.





Scullys Apartment; Freitag, der 16.06.2000; sechs Stunden zuvor



Ein Mann ging zu Scullys Wohnungstür und öffnete sie mit einem Schlüssel. Bevor er die Wohnung betrat, vergewisserte er sich, ob ihn auch niemand beobachtete. Als er das Apartment betrat, ging er zielstrebig Richtung Schlafzimmer. Seine Hand streifte über das Betttuch und er roch an Scullys Kopfkissen. Nach ein paar weiteren Schritten war er an ihrer Kommode und öffnete eine Schublade. In dieser befand sich Scullys Unterwäsche. Ein cremefarbener BH glitt in seine Hände und er zog den Duft, den dieser trug, tief ein.



„Hmm, er riecht nach dir, Dana. Was benutzt du für ein Parfüm? Es riecht nach Rosen, ja, du stehst auf Rosen! Du bist meine Rose, nicht wahr? Laß mich deine Dornen spüren, laß mich dich spüren!“



Abermals roch der Mann an dem BH und steckte ihn in seine Jackentasche. Kurze Zeit später verließ er die Wohnung wieder. Niemand hatte ihn gesehen, also würde ihn auch niemand wiedererkennen können.





FBI-Hauptquartier; Samstag, der 17.06.2000; 21.00 Uhr



Mulder und Scully saßen bei Skinner, ihrem Vorgesetzten, im Büro und gingen alle Fakten, die sie bis jetzt zusammengetragen hatten, durch. Skinner hörte aufmerksam zu und zum Schluß kam auch er zu dem Ergebnis, daß sie bis jetzt noch nichts in der Hand hatten. Weder einen Verdächtigen, noch einen Zeugen. Das Einzige, was sie hatten, war der genetische Fingerabdruck, doch auch der half in diesem Moment nicht weiter.



„Also, wenn Sie Recht behalten, dann schlägt er heute Nacht zu. Ich will es aber nicht hoffen, denn wir haben nichts um diesen Verrückten daran zu hindern. Wir können nur hoffen, daß er diesmal einen Fehler macht und uns damit in die Falle geht. Also, gehen Sie erst einmal nach Hause! Ich werde Sie anrufen, wenn sich etwas ergeben sollte. Es ist schon spät, schlafen Sie gut!“



Die beiden Agenten verabschiedeten sich von ihrem Vorgesetzten und gingen zum Fahrstuhl, der sie zur Tiefgarage bringen sollte. Mulder verabschiedete sich von Scully und ein Gähnen entrann ihm.



„Nacht Mulder, gehen Sie schlafen! Sie brauchen es dringend!“



Scully lächelte ihren Partner an und er nickte ihr zu, was soviel wie „Gute Nacht“ heißen sollte.





Middeltonstreet 123; Washington D.C.; 20.00 Uhr



Richard Pratt war im Badezimmer und zog sich ein frisch gebügeltes Hemd an. Er hatte geduscht und seine Haare naß nach hinten gekämmt. Er war Mitte vierzig, ca. 1,80 groß, 90 Kilo schwer und auf seinem Hinterkopf, sowie an der Stirn, waren die Haare schon sehr licht. Die obersten drei Knöpfe seines Hemdes ließ er offen, damit man seine männlichen Brusthaare sehen konnte, die aus seinem Hemd hervortraten. Er trug eine dicke Goldkette, welche wohl sein Outfit völlig untermauern sollte.

Er fand sich schön! Dies kennzeichnete er damit, daß er sich die halbe Flasche Aftershave ins Gesicht klatschte. Es war ein billiges Aftershave und seine Frau fand, daß es stinken würde, aber ihm gefiel es. Er kam aus dem Bad und ging zu seiner Frau in die Küche. Sie aß gerade Abendbrot und wollte gleich zum Dienst ins Krankenhaus.



„Cindy, ich werde dann mal gehen. Ich treffe mich mit den Jungs beim Bowling.“



Er ging zu ihr und wollte sie küssen, doch sie wandte sich von ihm ab. Ihre Ehe bestand nur noch auf dem Papier. Schon lange war die romantische und liebevolle Zeit aus ihrem Eheleben gewichen. Richard war oftmals betrunken und schlug Cindy, doch auch, wenn er es später bereute, sie konnte ihn nicht mehr lieben! Doch scheiden lassen konnte sie sich auch nicht, sie wollte das Haus nicht verlieren. Sie hatte die ganzen Jahre viel Arbeit investiert, aber es gehörte ihrem Mann. In eine Wohnung ziehen, daß wollte sie nicht und wenn er sie in Ruhe ließ und nicht besoffen war, konnte man gut mit ihm leben. Sie wußte schon lange, daß er sich seine Liebe woanders herholte. Allerdings konnte sie nicht sagen, was der Auslöser gewesen war, daß er sich so verhielt. Am Anfang hatte sie sich die Schuld für seine Trinkerei gegeben. Doch nachdem er sie das erste Mal geschlagen hatte und nicht mit sich reden ließ, wußte sie, daß nicht nur sie die Schuld zu tragen hatte.



Richard Pratt verließ ärgerlich das Haus, da seine Frau sich seiner Liebe wieder einmal entzogen hatte. In ihm stieg das Bedürfnis auf, seine Liebe jemand anderem mitzuteilen. Er hatte sich mit niemanden verabredet, er hatte gelogen. Seine ehemaligen Freunde hatten sich von ihm entfernt. Sie meinten, er sei nicht mehr er selbst.

Richard ging zuerst in eine Kneipe, wo er einen Wodka nach dem anderen schluckte, aber nach nur einer Stunde verließ er die Kneipe wieder und taumelte die Straße entlang.





Scullys Apartment; Samstag, der 16.06.2000; 22.15 Uhr



Scully betrat nach einem langen, anstrengenden, aber erfolglosen Arbeitstag ihre Wohnung. Sie war - wie eigentlich jeden Abend – ziemlich kaputt. Ihr Privatleben litt unter ihrem Job, wann war sie das letzte mal in einem Theater oder im Kino gewesen? Sie traf sich nur noch selten mit Freunden und ihre Familie sah sie meist nur zweimal im Jahr. Jedoch hatte sie sich ein solches Leben ausgesucht, ein Leben ohne Mann und eigener Familie. Sie liebte ihren Job, er erfüllte sie sonst völlig. Doch manchmal kam auch in ihr das Bedürfnis nach mehr. Nach Freundschaft, Geborgenheit und Liebe. Ja, Liebe! Wann hatte sie das letzte mal Liebe empfangen?

Sie versuchte diese Fragen zu verdrängen, da sie sie nur deprimieren würden. Sie suchte den Lichtschalter und fand ihn zu ihrer Rechten. Langsam ging sie durch den jetzt beleuchteten Flur, geradewegs in die Küche um sich ein Glas Orangensaft zu holen. Auch heute war es wieder unwahrscheinlich heiß gewesen.

Als sie so den Flur entlang ging, stieg ihr plötzlich dieser Geruch von billigem, stinkendem Aftershave in die Nase, den sie am Vortag schon wahrgenommen hatte. Wie ein Reflex zog sie die Waffe aus ihrem Holster und ging vorsichtigen Schrittes in Richtung des dunklen Schlafzimmers. Der Geruch wurde intensiver und langsam stieg in ihr Angst auf. Angst vor dem, was sie dort erwarten könnte. Mit erhobener Waffe ging sie ins Zimmer. Ihre Augen mußten sich erst an die dort herrschende Dunkelheit gewöhnen. Sie stand mitten im Zimmer, die Waffe fest umschlossen. Dann wurde sie herumgerissen. So plötzlich und hart, daß sie die Waffe zu Boden fallen ließ um sich aus der Umklammerung zu befreien. Zwei große und kräftige Hände schlossen sich um sie. Die eine drückte auf ihren Mund und ihre Nase, damit sie keinen Laut von sich geben könnte, die andere hatte ihre Hände gegriffen und hielt beide zusammen. Scully wehrte sich mit all ihrer Kraft, doch gelang es ihr nicht sich zu befreien. Sie war ausgebildete FBI-Agentin, doch das half in diesem Moment überhaupt nichts. Ihre Angst war zu groß geworden und sie geriet dadurch in Panik. Was sollte sie tun? Ihre Waffe lag am Boden, irgendwo. Der Mann zerrte sie ebenfalls zu Boden und noch immer wollte sie sich mit aller Kraft aus den Händen dieses Mannes, dieser Bestie, befreien. Er drückte sie unter sich und saß mit seinem ganzen Gewicht auf Scully. Sie lag auf dem Rücken, ihre Hände hielt er über ihrem Kopf zusammen. Ihr Kopf schlug hart auf den Boden und in diesem Moment wäre sie beinahe ohnmächtig geworden. Ihr Peiniger nutzte diese Chance und zog ein Stück Klebeband aus seiner Tasche, welches er auf den Mund von Scully klebte. Langsam kam sie wieder zur Besinnung und spürte das kalte Klebeband auf ihrem Mund. Sie war diesem Kerl völlig ausgeliefert! Er war viel zu schwer, als dass sie sich unter ihm befreien könnte. Scully sah eine Strumpfmaske, die der Mann über seinen Kopf gezogen hatte. Das Rasierwasser stank und schnürte ihr noch mehr den Hals zu.

Scully merkte, wie ihr die Kleider vom Leib gerissen wurden. Bei dem Gedanken, was als nächstes folgen würde, nahm sie alle Kräfte zusammen um den Mann von sich zu stoßen. Doch dieser schlug bei ihrem Versuch hart in ihr Gesicht und sie mußte sich bemühen nicht die Besinnung zu verlieren.

Noch vor kurzem hatte sie gedacht, niemals in eine solche Lage zu kommen, doch dies hatte sich gerade geändert.

Ihr Feind war ein ca. 1,80m großer, gute 90 Kilo schwerer und schrecklich stinkender Mann. Er stöhnte, als er sie auszog, danach entledigte auch er sich seiner Hosen zur Hälfte und drang schmerzhaft in sie ein. Scully wollte schreien, doch das Klebeband auf ihrem Mund ließ es nicht zu. Es schmerzte, doch plötzlich, wie durch ein Wunder, zog er sich aus ihr zurück und verließ fluchtartig die Wohnung. Erst jetzt nahm Scully die Polizeisirenen wahr und sah die blauen Lichter vor ihrem Fenster. Schmerzerfüllt und sich den Unterleib haltend zog sie ihre Hose hoch und riß sich das Klebeband vom Mund. Stille Tränen rannen ihre Wangen herunter und sie saß zusammengekauert an der Wand ihres Schlafzimmers und versuchte die vergangenen zwanzig Minuten zu vergessen.











Memorial Hospital; Washington D.C.; Sonntag, der 17.06.2000; 1.30Uhr



Scully saß auf einer Untersuchungsbahre und zog sich langsam ihre Bluse an. Um ihren Brustkorb war ein Verband gewickelt, welcher sie bei jeder Bewegung schmerzte. In ihrem Gesicht befand sich unterhalb ihres rechten Auges ein tiefroter Bluterguß. Sie sah blaß aus und hatte dunkle Ringe unter ihren Augen. Eine Ärztin betrat den Behandlungsraum und setzte sich hinter den Schreibtisch, welcher sich ebenfalls in diesem Raum befand. Frau Dr. Judy White war eine Freundin von Scully und sie kannten sich seit Jahren. Besorgt sah Judy zu ihrer Freundin, deren Bewegungen ganz langsam und starr abliefen. Doch sie wußte, daß sie mit Dana reden sollte.



„Dana? Du weißt, was dir passiert ist, ich will nicht lange um den heißen Brei reden. Du hast zwei gebrochene Rippen, Quetschungen an den Oberschenkeln und im Schambereich. Ich habe dir etwas gegen eine ungewollte Schwangerschaft verabreicht und deine Blutergebnisse haben wir in einer Woche.“



Noch immer beobachtete Judy besorgt ihre Freundin. Sie hatte langsam gesprochen, um sicher zu gehen, daß Dana alles mitbekam. Der Mann, der ihrer Freundin so etwas angetan hatte, konnte kein Mensch gewesen sein! Es war der Abschaum unterster Sorte! Judy hatte schon viele Frauen nach Vergewaltigungen gesehen, aber da Dana ihre Freundin war, traf es sie doppelt so hart. Ihre Freundin, die sonst die Stärke in Natur war, war in diesem Moment alles andere. Man hatte ihr ihre Stärke und Kraft geraubt. Alles, was man ihr gelassen hatte, war Angst!



„Du hast mir zwar nicht erzählt, wie es passiert ist, aber du mußt diese Unterlagen hier ausfüllen, damit du Anzeige erstatten kannst.“



Judy hielt Scully drei Zettel hin, doch diese sah noch nicht einmal zu ihr herüber.



„Nein, ich werde diese Zettel nicht ausfüllen.“



„Aber Dana, du wurdest vergewaltigt, du mußt dieses Schwein anzeigen!“



Fassungslos sah Judy zu Scully und schüttelte noch immer ihren Kopf.



„Ja, ich wurde vergewaltigt. Aber ich konnte den Täter nicht erkennen, ich weiß nichts von ihm, nur, daß er ekelerregend nach billigem Rasierwasser stank! Wenn ich ihn anzeige, dann werden es auch die anderen Agenten erfahren. Sie werden ihre Köpfe zusammenstecken und lästern. - `Typisch Frau´ werden sie sagen, `Was will denn so eine beim FBI, wenn sie sich noch nicht einmal selber verteidigen kann? Wahrscheinlich hat sie es drauf angelegt!´ - Nein, ich werde keine Anzeige erstatten, ich habe es auch so schon schwer genug, mich in einem Männerberuf zu behaupten!“



Scully stand zitternd auf und zog sich ihre Jacke über, sie wollte nur noch nach Hause und diese Sache vergessen. Vergessen, daß dieser Mann ihren Stolz und ihre Stärke gebrochen hatte. Die Angst war zu groß geworden, als daß sie etwas hätte tun können.



„O.k. Dana, es ist deine Entscheidung. Ich bin zwar immer noch der Ansicht, daß du diesen Dreckskerl hinter schwedische Gardinen bringen solltest, aber ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht. Ich weiß, wie hart es ist in einer Männerwelt nicht unterzugehen. Wäre ich an deiner Stelle, ich weiß nicht, was ich getan hätte! Aber du mußt mindestens Mulder Bescheid sagen. Hast du ihn schon angerufen? Er ist dein Partner, aber in aller erster Linie ein sehr guter Freund. Er wird nicht über dich urteilen, er wird dich verstehen und du brauchst jemanden, der dir die nächste Zeit hilft.“



Judy sah Scully durchdringend an und hoffte, daß sie auf ihren Vorschlag eingehen würde. Scully nickte mit dem Kopf und reichte Dr. White zum Abschied die Hand.



Scully ging den langen Korridor des Krankenhauses entlang, der sie nach draußen bringen sollte.

Erst allmählich wurde ihr bewußt, wie sie ins Krankenhaus gekommen war. Nachdem sie der Mann am Boden hatte liegengelassen, hatte sie die Sirenen gehört. Doch sie hatten nicht ihr gegolten, sondern jemandem in der Nachbarschaft. Sie war noch lange auf dem Boden sitzen geblieben und hatte an die Wand gestarrt. Sie war vom Schock wie gelähmt gewesen, noch nicht einmal geweint hatte sie, nur stumme Tränen waren ihr über das Gesicht gelaufen. Es hatte lange gedauert, bis sie sich aufgerappelt hatte. Zuerst hatte sie Mulder anrufen wollen, aber im letzten Moment hatte sie wieder aufgelegt. Ihr war klar geworden, daß sie sich selbst helfen mußte. Sie konnte nicht immer zu Mulder laufen, der ihr dann half! Schließlich war es passiert! Was hätte Mulder nun noch tun sollen? Er war immer für sie da gewesen und hatte alle Schuld auf sich geladen. Sie hatte ihn dieses eine Mal nicht mit ihren Problemen belasten wollen. Denn alles, was vorher in ihrer beider Leben passiert war, belastete ihn schon schwer genug. Sie hatte sich eingeredet, eine starke Frau bräuchte keine Hilfe; in all den Jahren hatte sie alles überwunden, auch wenn die Alpträume geblieben waren, so hatte sie doch weiter gelebt. Sie würde es auch ein weiteres Mal schaffen. Aber konnte sie das wirklich? War nicht Mulder immer derjenige gewesen, der ihr geholfen hatte?

Nachdem sie geduscht hatte, um den schrecklichen Geruch und den Schweiß von ihrem Körper zu befreien, war sie sich ihrer Verletzungen bewusst geworden und war mit ihrem Auto ins Krankenhaus gefahren, um sich von ihrer Freundin gründlich untersuchen zu lassen. Eigentlich hätte sie sich ja nicht duschen dürfen, da man sonst keinen Spuren finden würde. Aber sie hatte nicht anders gekonnt, was hätte es auch ausgemacht? Anzeige wollte sie nicht stellen, das hatte sie sofort gewusst.

Als Judy sie gesehen hatte, hatte Scully gar nichts sagen brauchen. Ihre Augen hatten Bände gesprochen von dem, was passiert sein mußte. Judy hatte nicht gewusst, daß Scully keine Babys bekommen konnte. Scully hatte es ihr aus irgend einem Grund nie erzählt. Scully war Judy für ihre Hilfe dankbar gewesen, aber erst recht, weil sie keine Fragen gestellte hatte.





Scullys Apartment; Sonntag, der 17.06.2000; irgendwann nachmittags



Scully war die Nacht aus dem Krankenhaus zurückgekommen. Die restliche Nacht hatte sie wach, in ihrem Wohnzimmer auf der Couch, gesessen. In der einen Hand ihre Pistole haltend, in der anderen ein Stück von der Wolldecke, die sie sich um ihren Körper gewickelt hatte. Die Beine hatte sie an ihre Brust gezogen, so hatte sie bis zum Morgengrauen gesessen und auch noch den ganzen Morgen. Erst, als um neun Uhr klingelte das Telefon geklingelt hatte, hatte sie sich bewegt. Zuerst hatte sie nicht drangehen wollen, aber das wäre wohl der größte Fehler gewesen. Sie hatte gewusst, daß es Mulder gewesen war und daß, wenn sie nicht drangegangen wäre, er im nächsten Moment vor ihrer Tür gestanden hätte. Sie hatte abgenommen und versucht sich zusammenzureißen, während Mulder ihr erzählt hatte, daß der Täter diesmal nicht zugeschlagen hätte. Scully hatte versucht so normal wie nur möglich zu sprechen und hatte ihrer Stimme einen ausdrucksstarken Klang gegeben. Mulder hatte natürlich dennoch gemerkt, daß irgendetwas nicht gestimmt hatte. Sie hatte ihm darauf erzählt, daß sie wohl einen Grippevirus ausbrüten würde und ziemlich fertig sein würde. Damit Mulder gar nicht auf die Idee kommen könnte vorbeizukommen, hatte sie ihm erzählt, daß ihre Mutter in einer Stunde da sein würde um sie zu pflegen und daß sie bei ihr übernachten würde. In Wirklichkeit würde sie bei einer Grippe niemals ihre Mutter kommen lassen, aber sie hatte auf keinen Fall gewollt, daß Mulder sie heute so sehen würde. Sie brauchte diesen Tag um mit sich selbst klar zu kommen und ihre Gefühle zu ordnen. Mulder war nur schwer zu überzeugen gewesen, nicht doch vorbei zu kommen. Zum Schluß hatte er ihr noch eine gute Besserung gewünscht und ihr versichert daß, wenn etwas sein sollte, sie ihn sofort anrufen sollte. Egal um welche Uhrzeit. Bei diesen Worten hatte sie lächeln müssen, das erste Mal nach dem letzten Abend. Sie wußte, daß Mulder immer für sie da war. Nur gestern Abend war er leider nicht da gewesen, aber woher hätte er es auch wissen sollen?

Nachmittags konnte sie immer mal für eine Stunde schlafen, aber als es dunkel wurde, kamen die Erinnerungen an den vorherigen Abend umso intensiver zurück. Sie schlief auf der Couch, eine Hand immer an der Waffe. Es wurde eine lange Nacht, erst gegen Morgen schlief sie ein und wurde eine Stunde später durch einen Alptraum geweckt. Gleichzeitig klingelte der Wecker und sie stand wie in Trance auf um sich zu duschen. Ihre Augenringe und der Bluterguß unterstützten den verschlafenen und verletzten Ausdruck in ihrem Gesicht. Sie überlegte, ob sie sich krank melden sollte, doch sie glaubte, die Arbeit würde ihr gut tun und sie von ihren ständigen schmerzenden Gedanken abhalten. Sie würde lügen, was ihren Bluterguß anginge, sie durfte nur nicht dabei in Mulders Augen schauen, da er sofort bemerken würde, daß sie log. Er kannte sie zu gut.





FBI-Zentrale; Washington, D.C.; Montag, der 18.06.2000; 7.00Uhr



Scully stieg in den Fahrstuhl und drückte den untersten Knopf, der sie ins Kellerbüro bringen sollte. Sie ging den langen Flur entlang und stand vor der Tür zu Mulders Büro. Eigentlich war es ja auch ihr Büro, aber es stand nur Mulders Name auf dem Schild. Ein tiefer Atemzug, welcher ihre Gedanken ordnen sollte, dann ging sie hinein. Sie starrte beim Eintreten auf den Boden des Raumes und schloß die Tür langsam. Das erste, was sie bemerkte, war, daß Mulder nicht alleine im Büro war. Skinner stand neben seinem Schreibtisch und beide hoben den Kopf und hörten mit dem Gespräch auf, als sie das Büro betrat. Langsam schaute sie nach oben und blickte zuerst in Mulders, dann in Skinners Augen. Beide hielten, nachdem sie Scully angesehen hatten, die Luft an und wagten nicht auszuatmen. Skinner war der Erste, der seine Worte wiederfand:



„Scully, was ist denn mit Ihnen geschehen? Sie sehen ja fürchterlich aus und erst der Bluterguß! Wie ist das passiert?“



Beide sahen sie noch immer an und ihr wurde irgendwie mulmig in der Magengegend. War sie doch kurz davor, ihren Vorgesetzten und ihren Partner anzulügen! Eigentlich war sie froh, daß Skinner zuerst gefragt hatte, so konnte sie Mulders prüfenden Blicken ausweichen und Skinner würde auch nicht merken, daß sie log.



„Danke für die netten Worte. Meine Erkältung hat mich doch ein wenig mehr mitgenommen, als ich dachte. Die letzten zwei Nächte waren nicht gerade mit Schlaf erfüllt. Sehe ich denn wirklich so schrecklich aus?“



Sie versuchte zu scherzen und lächelte dabei.



„Oh, und was den Bluterguß angeht, meine Mutter konnte die Tür nicht schnell genug aufbekommen, um mich zu begrüßen, dabei schlug sie in mein Gesicht.“



Sie lächelte immer noch und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zukommen zu lassen. Sie konnte nur hoffen, daß die Notlüge auch angenommen wurde und keiner der beiden weiter fragte.

Es schien zu funktionieren, denn Skinner wurde rot und entschuldigte sich für seine Bemerkung. Mulder war still geblieben, er hatte es ihr höchstwahrscheinlich nicht abgenommen und würde bei der nächsten Gelegenheit noch mal nachfragen, um auch ganz sicher zu gehen.

Scully setzte sich in den freien Stuhl vor Mulders Schreibtisch und hörte dem Gespräch der beiden Männer zu, welches sie wieder aufgenommen hatten. Wie Mulder scheinbar herausbekommen hatte, gab es doch eine Verbindung zwischen den drei Frauen. Alle drei hatten kurz vor ihrer Ermordung neue Türschlösser bekommen, alle waren von der Firma „Schofield und Sohn“ installiert worden. Als Scully diesen Namen hörte, kam ihr plötzlich ein böser Gedanke. Auch sie hatte erst vor kurzem, nachdem ihre Mutter einen Ersatzschlüssel verloren hatte, neue Türschlösser einsetzen lassen. Auch bei ihr wurden die Schlösser von genau demselben Unternehmen eingesetzt. War das Zufall? Aber nein, es konnte kein Zufall sein, es gab letzte Nacht keine Leiche und sie selber wurde vergewaltigt! ...Was, wenn sie das nächste Opfer hätte sein sollen? Sie hatte Glück im Unglück, denn die Sirenen hatten den Mörder vertrieben. Schnell wurde sie aus ihrem Gedankengang gerissen, als sich Mulders Hand auf ihre Schulter legte.



„Scully, alles in Ordnung? Geht es Ihnen wirklich gut?“



Mulder sah besorgt auf seine Partnerin herunter. Diese war bei seiner Berührung zusammengezuckt und er ließ sie schnell wieder los. Was war nur in den letzten Tagen mit Scully los? Lag es wirklich nur an der Erkältung? Sie hatte sich noch nie von einer Berührung von ihm erschrecken lassen! Ganz im Gegenteil, er fand manchmal sogar, daß sie es geradezu genoß seine Wärme zu spüren. Er selber genoß es ja auch sie bei sich zu haben, ihre Hände auf seinem Arm zu spüren, wenn er wieder eine dieser, in ihren Augen, verrückten Ideen hatte. Er wollte sie später fragen, zur Zeit war noch Skinner mit im Raum und beobachtete sie beide.



„Mir geht es gut. Ich war gerade nur in Gedanken.“



Sie machte mit der Hand eine entschuldigende Geste und richtete sich schnell auf. Zu schnell, denn als sie fast stand, ließ sie sich direkt wieder in den Stuhl sinken. Sofort waren Mulders Hände bei ihr um sie festzuhalten. Dieses Mal entzog sie sich nicht seiner Berührung, sie war dankbar, daß er sie festhielt.



„Alles in Ordnung, Scully? Es geht wohl doch noch nicht so gut! Sie sollten sich ins Bett legen, ich kann auch alleine zu „Schofield und Sohn“ fahren. Die Angestellten müssen sowieso alle ins Labor kommen, damit eine Blutprobe von jedem genommen werden kann.“



Mulder sah sie besorgt an und hoffte, sie würde sein Angebot akzeptieren. Scully lächelte ihn dankbar an, sie konnte die Besorgnis in seinen Augen lesen.



„Mir geht es gut Mulder, aber meinetwegen, fahren Sie allein zur Firma. Ich kann dann noch ein paar Berichte fertig machen und später dann die Blutproben analysieren, damit es schneller geht.“



Scully sah zu Skinner. Dieser nickte und auch Mulder war vorerst zufrieden. Er würde auch später noch dahinter kommen, was ihr fehlte. Scully selber war nur froh, daß sie nicht mit Mulder zusammen in einem Auto fahren mußte. Sie glaubte, sie hätte es nicht ausgehalten unter seinen fragenden Blicken, die so mit Sorgen gefüllt waren.





FBI-Labor; 13.00Uhr



Scully war bereits im Labor und nahm von dem ersten Arbeiter der Firma „Schofield und Sohn“ Blut ab. Mulder hatte alle Angestellten und Mitarbeiter der Firma zur FBI-Zentrale bestellt, damit ihnen Blut abgenommen werden konnte. Er selber mußte noch einmal zu Skinner, der immer noch auf irgendeinen Bericht wartete, den er bereits vor einer Woche hätte abgeben sollen. So ließ er Scully alleine, die darüber eher froh war. Im Labor befand sich noch ein Assistent, der ihr half, die Proben, die sie genommen hatte, zu beschriften.

Fast alle hatten ihre Blutprobe abgeliefert, nur noch zwei standen auf dem Gang und warteten darauf dieses noch zu tun. Keiner der Angestellten wußte, warum sie das machen mußten. Niemand hatte sie aufgeklärt, doch alle ließen es über sich ergehen. Einer der zwei Männer, die noch vor der Tür standen, war Richard Pratt. Es war als einziger nervös und es liefen ihm dicke Schweißperlen von der Stirn.

Was sollte das? Woher konnten die das wissen? Er war doch so vorsichtig gewesen! Oder ging es vielleicht gar nicht um ihn? Er wußte, daß er nicht hätte fliehen können; damit wäre er sofort aufgeflogen. Er konnte nur hoffen, daß es um eine andere Sache ging.

Richard Pratt war der Letzte, der den Raum betrat und sich auf einen Stuhl setzte. Scully stand mit dem Rücken zu ihm und er konnte ihr Gesicht nicht erkennen.

Plötzlich zuckte Scully innerlich zusammen. Ein Geruch drang an ihre Nase und sie mußte sich zusammenreißen um sich nicht zu übergeben. Sie kannte diesen Geruch nur zu gut, aber sie hatte die Hoffnung gehabt, ihn nie wieder riechen zu müssen. Was sollte sie tun? Sich umdrehen und ihrem Vergewaltiger direkt in die Augen schauen! Sie riß sich zusammen; noch einmal wollte sie nicht, daß ihre Angst zu groß werden würde. In ihrem Kopf begann es zu arbeiten, sie wollte ihre Kraft zurück, sie wollte ihre Angst besiegen! Langsam drehte sie sich um und sah Richard Pratt direkt ins Gesicht.



„Hallo, ich bin Special Agent Dana Scully und werde Ihnen etwas Blut abnehmen.“



Sie sagte das alles in einem ganz normalen Ton und versuchte dabei so ruhig wie möglich zu bleiben.



„Nach meinen Unterlagen müßten Sie Richard Pratt sein, habe ich Recht?“



Mr. Pratt nickte und war fast wie erstarrt, als er Scully in die Augen sah. Würde sie ihn erkennen? Aber nein, warum sollte sie, er hatte doch einen Nylonstrumpf über dem Kopf getragen und gesprochen hatte er auch nicht! Was sollte sie ihm also anhaben können? Was er nun sah, irritierte ihn jedoch. Scully hatte einen kurzen Rock an, eine passende Bluse dazu und darüber einen Blazer. Sie zog als erstes den Blazer aus und legte ihn über die Stuhllehne. Dann setzte sie sich auf den Stuhl vor ihm und schob dabei ihren Rock etwas in die Höhe. Richard starrte auf ihre, nun zum Vorschein kommenden Oberschenkel und ihm wurde mit einem Mal heiß. Machte sie ihn an?



„Finden Sie nicht, daß es heute mal wieder ungewöhnlich heiß ist? Sogar hier drinnen hält man es nicht aus!“



Scully öffnete einen Knopf von ihrer Bluse, damit man noch ein wenig mehr von ihrem Dekolleté sehen konnte; dabei streckte sie ihre Brust raus. Sie streifte den linken Arm von Richards Hemd nach oben und streichelte dabei lustvoll seinen nackten Arm. Sie stach mit einem kräftigen Ruck in seinem Arm um ihm etwas Blut abzunehmen. Richard wurde immer heißer und zwischen seinen Beinen wurde es härter. Er merkte noch nicht einmal, daß der Piks der Spritze etwas zu stark gewesen war. Er hatte den Mund offen und versuchte sich zu beherrschen. Diese Frau machte ihn tatsächlich an! Dabei hatte sie sich gestern noch schreiend von ihm entreißen wollen! Hatte er das falsch verstanden? Stand sie vielleicht auf die etwas härtere Tour? Nachdem der Assistent die Blutprobe beschriftet hatte, ging Scully aus dem Raum und ließ Mr. Pratt zurück.

Kurz nachdem Scully aus dem Labor raus war, hielt sie die Hand vor den Mund und lief den Gang so schnell es ging runter und erreichte, gerade noch rechtzeitig, die Damentoilette. Sie übergab sich gleich zweimal und war froh, daß keine andere Frau sich auf dem Klo befand. Sie stützte sich mit beiden Armen am Waschbecken ab und versuchte einer Ohnmacht standzuhalten. Was hatte sie getan? War sie noch ganz zurechnungsfähig? Sie hatte ihren Peiniger angemacht, ganz offensichtlich. Aber warum? Eigentlich wußte sie warum, aber sie wollte es sich selber nicht eingestehen. Sie wollte diesen Mann selber zur Strecke bringen, dafür, daß er ihr alles genommen hatte. Er hatte sie überwältigt, hatte ihr jegliche Stärke, Kraft und den Glauben genommen. Und sie wollte sich nicht so einfach geschlagen geben, sie wollte Gerechtigkeit!

Würde ihr Plan aufgehen, dann würde Richard Pratt heute Abend zu ihr nach Hause kommen. Ihre Anmache würde er nicht einfach ignorieren können. Er müßte seinem Drang nachgehen; so hoffte sie jedenfalls.





Scullys Apartment; Montag, der 18.06.2000; 21.00Uhr



Scully saß in einer Ecke ihres Wohnzimmers, die Lichter hatte sie ausgeschaltet. Sie hatte eine Jeans und einen Rollkragenpullover an, der für diese Jahreszeit eigentlich viel zu dick war. Doch in ihm fühlte sie sich sicher. Mulder hatte ihn irgendwann bei ihr liegen gelassen. Doch sie hatte, vielleicht absichtlich, vergessen ihn ihm zurückzugeben. In ihrer Hand befand sich ihre entsicherte Waffe und sie zitterte am ganzen Körper. Nachdem sie die Blutproben der Angestellten abgenommen hatte, war sie noch zu einer Obduktion gerufen worden. Mulder hatte mit ihr zwar per Handy gesprochen, doch gesehen hatten sie sich nicht mehr. Mulder selbst mußte auch noch Formulare fertig stellen, da die, die er Skinner gegeben hatte, falsch ausgefüllt waren. Scully sah starr auf die Tür und wartete darauf, daß sich der Türknauf bewegte. Noch weitere zehn Minuten verstrichen, dann war es soweit; sie hörte einen Schlüssel sich umdrehen und die Tür öffnete sich. Langsam stand sie auf, ihre Waffe mit beiden Händen vor sich ausgestreckt. Wieder roch sie dieses abscheulich stinkende Rasierwasser, was ihr Blut in den Adern gefrieren ließ und ihren Magen zusammenzog. Der Mann betrat ihre Wohnung und sah sich vorsichtig um. Schließlich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und er konnte Scully erkennen, die mit ihrer Waffe auf ihn zielte. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß wohl sein letztes Stündchen geschlagen haben musste. Er hörte einen Schuß und ging zu Boden.

Doch er merkte, daß er noch lebte. Im gleichen Augenblick spürte er einen starken stechenden Schmerz in seinem Oberschenkel und er begann zu heulen. Er heulte, wie ein kleines Kind, daß ausgerutscht war. Scully setzte sich auf ihre Couch und sah auf Richard Pratt, der ihr nun schutzlos ausgeliefert war.

Durch diesen Anblick kam ihre verlorengegangene Stärke allmählich zurück. Sie hätte ihn töten können, aber wäre sie dann noch sie selbst? Wäre sie dann nicht genau wie Richard Pratt? Sie hätte sich nie wieder im Spiegel ansehen können, wenn sie ihren ersten Gedanken in die Tat umgesetzt hätte! Langsam liefen ihr die Tränen über das Gesicht.





Mulders Auto; Montag, der 18.06.2000; zur gleichen Zeit



Mulder fuhr gerade aus der Tiefgarage der FBI-Zentrale, als sein Handy klingelte. Er war eigentlich auf dem Weg zu Scully, da er endlich wissen wollte, was denn mit ihr los war. Er nahm das Handy aus seiner Jackentasche und hielt es an sein Ohr.



„Mulder.“



„Ja, Mulder, hier ist Dr. Judy White, die Ärztin von Dana Scully. Erinnern Sie sich noch an mich? Wir sind uns schon ein paar Mal im Krankenhaus begegnet.“



„Ja, natürlich erinnere ich mich noch an Sie, Dr. White! Sie sind doch auch eine Freundin von Scully. Was ist denn los? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“



Mulder wurde langsam unruhig; warum sollte Scullys Ärztin bei ihm anrufen und dann auch noch auf dem Handy?



„Ahm, ich habe versucht Dana zu erreichen, doch das Telefon ist immer besetzt. Ich habe mir Sorgen gemacht, da sie sich die letzten zwei Tage nicht bei mir gemeldet hat. Dabei habe ich es ihr angeboten mich jeder Zeit anzurufen.“



„Machen Sie sich nicht allzu große Sorgen!“

versuchte Mulder seine Gesprächspartnerin, wie auch sich selbst, zu beruhigen.

„Scully telefoniert bestimmt mit ihrer Mutter, das kann manchmal Ewigkeiten dauern! Aber warum haben Sie ihr denn angeboten sie anzurufen; ich dachte, Sie telefonieren sowieso öfters miteinander?“



Mulder wurde langsam misstrauisch; er hatte das Gefühl, daß sie ihm etwas verschwieg.



„Hat sie Ihnen denn nichts erzählt?“



„Mir was erzählt? Sie war krank am Wochenende und heute ging es ihr auch noch nicht so gut. Was sollte sie mir denn verschweigen?“



Zu seiner Unruhe trat jetzt Angst hinzu; Angst davor, was jetzt kommen würde. War es wieder der Krebs, ging es ihr deshalb die letzten Tage nicht so gut? Aber darüber hätten sie doch reden können, er war doch immer für sie da!



„Oh, wenn sie Ihnen nichts gesagt hat.... Ich unterliege der ärztlichen Schweigepflicht...“



Weiter kam sie nicht, denn Mulder fuhr sie nun laut an.



„Was ist mit Scully? Was hat sie? Ich bin ihr Partner, aber in erster Linie ihr Freund! Sie müssen es mir sagen!“



In seiner Stimme lag Angst und Besorgnis, dies hörte auch Judy und sie entschied sich, ihre ärztliche Schweigepflicht zu brechen, denn schließlich ging es um ihre Freundin und sie sorgte sich um sie.



„Mulder,“

begann sie ruhig.

„Scully war nicht krank, jedenfalls nicht so, wie Scully es Sie glauben ließ. Sie wurde vor zwei Tagen in ihrer Wohnung vergewaltigt!“



„Was!?!“



Bei diesen Worten wäre Mulder beinahe von der Straße abgekommen. Im letzten Moment konnte er sein Auto noch zum Stehen bringen und atmete erst einmal tief durch. Was hatte er da gerade gehört? Scully und vergewaltigt, daß konnte nicht sein, daß durfte nicht passiert sein! Langsam stiegen die Tränen in ihm auf und er hörte nur noch zur Hälfte zu. Seine Gedanken waren bei Scully.



„Mulder, sie wurde vergewaltigt. Sie hatte Angst, deshalb hat sie Ihnen nichts erzählt.“



Judy versuchte Danas Partner zu beruhigen, doch dieser hatte aufgelegt.





Scullys Apartment; Montag, der 18.06.2000; 22.00Uhr



Mulder wußte nicht, wie er so schnell hierher gekommen war. Er hatte nur noch einen Gedanken: „Scully“. Er mußte zu ihr, nachsehen, ob es ihr unter diesen Umständen gut ging. Er verstand immer noch nicht, warum ihm nichts aufgefallen war. Er hätte doch gleich stutzig werden müssen, nachdem er den Bluterguß in ihrem Gesicht gesehen hatte! Und vor allem, nachdem sie unter seiner Berührung erschrocken war.

Er konnte es nicht verstehen; sie waren doch die besten Freunde, er liebte sie wie niemanden sonst! Sie hatten doch grenzenloses Vertrauen zueinander, dennoch hatte sie ihm dieses Mal nicht vertraut. Er hätte ihr geholfen, er wäre bei ihr geblieben! Was sollte er jetzt tun? Was hätte er getan, wenn sie umgebracht worden wäre? Er hätte es nicht verkraften können! Eine Leere überfiel ihn. Er wäre innerlich zugrunde gegangen, an einem Verlust, den niemand hätte ersetzten können.

Er stand vor ihrer Wohnungstür und steckte den Schlüssel ins Loch. In der einen Hand seine Waffe, so öffnete er die Tür. Er betrat den Raum und hielt inne. Seine Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Und da sah er sie, sitzend auf ihrer Couch, die Beine an den Körper gepresst und starrend auf die Gestalt, die kurz vor seinen Füßen lag und wimmerte. Der Mann hielt sich sein Bein und jammerte wie ein Kind.

In einer Sekunde war er bei Scully an der Couch, sein Herz brach, als er ihre Tränen sah. Sie weinte lautlos, aber sie weinte. Behutsam nahm er sie in die Arme und wiegte sie.



„Schhh...Schhhh... Ich bin ja hier, ich bin ja da.“



Mulder wischte ihr die Tränen von der Wange und sah ihr tief in die Augen. Er sah eine andere Scully, eine, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Er erkannte ihren Schmerz, ihre Trauer und zugleich sah er da eine Stärke, die immer größer zu werden schien. Er konnte in ihren Augen lesen und diese erzählten ihm die Geschichte.

Aber warum hatte sie ihn nicht um Hilfe gebeten? War es denn eine Schande Angst zu haben? Er kannte Scully, noch nie zuvor war ihm ein so willensstarker Mensch begegnet! Sie strahlte immer eine Stärke aus, eine Stärke, in der er sich wohl und geborgen fühlte. Ja, ein Mann geborgen in den Armen einer Frau, obwohl er doch das stärkere Geschlecht sein sollte! Doch er war es nicht. Seine Kraft schöpfte er aus ihr, aus ihrer Stärke, ihrer Intelligenz und ihrem Glauben. Einem Glauben, der so stark war und gleichzeitig so entfernt von ihm. Jetzt hielt er diese Frau in seinen Armen und versuchte ihr durch seine gewonnene Kraft ihre eigene wiederzugeben.



„Warum? Warum hast Du mir nichts gesagt, Dana? Ich hätte dir geholfen, ich wäre für dich da gewesen!“



Er fragte dies so leise und sanft, daß er es selber kaum verstand. Jetzt liefen auch ihm die Tränen und er umarmte sie noch fester.



„Ich weiß! Ich weiß, daß du für mich da bist, egal wann. Aber in diesem Moment warst du nicht da gewesen und ich mußte es allein durchstehen, verstehst du mich? Ich mußte meine Angst alleine bewältigen; ich hätte nie wieder ich selbst sein können, wenn ich es nicht selbst versucht hätte!“



Sie schloß die Augen und atmete Mulders Duft tief ein. Dieser strömte durch sie hindurch und erfüllte jeden einzelnen Winkel ihres Körpers. Er gab ihr die Kraft zurück, die sie brauchte, damit ihre Stärke und ihr Glauben wieder wachsen konnten. Für sie war er die Quelle ihrer Kraft, nur durch ihn konnte sie immer wieder neuen Lebensmut gewinnen. Und erst jetzt, nach diesem schrecklichen Ereignis, war sie sich ihrer Gefühle für ihn sicher. Sie wußte nun, daß er sie nicht als schwach empfand.

Sie umarmten sich noch eine ganze Weile und beide wußten, auch wenn es keiner aussprach, wie sehr sie sich brauchten. Sie konnten die Angst vielleicht allein besiegen, aber nur zusammen waren sie lebensfähig. Scully wußte nun, daß sie durch Mulders Hilfe über dieses Ereignis hinwegkommen würde. Sie würde es schaffen ihre Angst zu besiegen, da Mulder für sie da sein wollte. Sie liebte ihn dafür und sie wußte auch, daß er spürte, wie sehr sie ihn liebte. Auch, wenn sie sich am Anfang gedacht hatte, es auch ohne seine Hilfe schaffen zu können, er war ihr Freund und Freunde waren füreinander da.





- The End -
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