World of X

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Reunion

von Jenna Tooms

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Ich stehe hier vor dem falschen Haus, ist der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schießt.



Vor wenigen Minuten wurde er hier her gebracht. Sie weckten ihn aus einem traumlosen Schlaf, stießen ihn aus einem Auto und ließen ihn hier zurück. Die Kleidung, die sie ihm gaben war zu groß und sie hatten vergessen ihm Schuhe zu geben. Humpelnd tat er einen Schritt nach vorne, blieb aber dann stehen und blickte unsicher auf die dunklen Gestalten zurück. Innerlich hoffte er, sie würden ihn zurück holen und sagen, dass alles nur ein Versehen war. Doch sie taten es nicht.



Ihm wurde erzählt, dass sie hier wäre. Die dessen Namen er im Schlaf schrie, in seinem Schmerz, seiner Angst.



Das Schlafzimmer ist in Dunkelheit gehüllt. Er meint den Geruch ihres Haares wahrzunehmen, und er kann die Spitze ihrer Nase erkennen. Doch die kleine Gestallt neben ihr, die sich an ihre Brust kauert, blass wie das Mondlicht ist ihm unbekannt.



Er berührt ihr glänzendes Haar und den flaumigen Kopf des kleinen Wesens. Beide atmen im gleichen Rhythmus. Kleine Hände drücken sich an ihre Brust, starke Arme halten den kleinen Körper fest. Sie sind wunderschön. Er will keinen der beiden wecken, und so beschließt er, dass könne bis morgen warten. Vorsichtig legt er sich hin , beruhigt durch die Wärme der Körper neben ihm.



Es war schon zu lange her! Zu lange war er nicht mehr hier gewesen.

Er kennt den Geruch, obwohl sich der Duft von Körperpuder und der eines Babys dazu gemischt hatte. Er kennt die vertraute Weichheit der Laken, die über das Bett gezogen sind. Er weiß, dass er hier schon einmal geschlafen hatte, dass er hier mit ihr gelegen und sie die ganze Nacht durch geredet hatten. Dies war der Platz, von dem er all die vergangenen Monate über geträumt hatte.



Nach wenigen Minuten wird ihm noch eine Veränderung bewusst, die sich zu der Dunkelheit und dem Gewicht seiner Gliedmaßen hinzugesellte: Die Stimmen in seinem Kopf sind verschwunden. Nur noch die seine existiert.



Ihm ist plötzlich danach und er beginnt zu lächeln, die Augen dabei schließend.



Ruckartig öffnen sie sich wieder, als die Ruhe durch einen Schrei unterbrochen wird. Es ist beinahe ein Schmerzensschrei, aber es klingt keine Furcht in ihm mit, keine Angst, sondern nur Verlangen. Ein Schrei des Erwartens. Plötzlich bewegt sich etwas und ein murrendes Geräusch ist zu hören. „Ganz ruhig. Mommy ist ja da...“



Das Licht geht an und alle verharren für einen Moment.



Scullys Augen sind dunkel und geweitet. Sie stutzt. Das Baby sieht den Fremden an, ohne Angst.



„Sie hat deine Augen“, sagt er während er zu dem Baby herüberreicht. Als ob es ihn kennen würde streckt es die kleinen Hände nach ihm aus und lässt sich aus der erstarrten Umarmung seiner Mutter befreien. Sie sehen einander an. Das Baby hat einen runden blassen Kopf, der in gewisser Weise einem Ei sehr ähnlich ist. Der kleine Kopf ist spärlich mit dunklem Haar übersäht und die kleinen blauen Augen strahlen ihn an. Die molligen Händchen klopfen auf seine Brust. Ihr Näschen ist so winzig! Sie trägt einen flaumigen gelben Schlafanzug und auf das Brustteil ist ein Hase gestickt. Ihre Augenbrauen werfen Furchen als sie ihn betrachtet und er erkennt, wie viel Ähnlichkeit sie doch mit ihrer Mutter hat.



„Mulder?“, flüstert Scully. Sie streckt die Hand nach ihm aus und streicht ihm zitternd über das Gesicht, als wolle sie sich selbst aufwecken. „Mulder... ich träume.“



„Dann träumen wir beide.“ Das kleinen Geschöpf auf seinem Arm riecht nach frisch gewaschenem Flanell. Die Kleine gibt ihm ein paar Klapser ins Gesicht und legt dann ihren warmen Kopf an seine Schulter. Er ist verliebt.



„Mu-lder“, stotterte Scully nochmals als sie sich aufrichtet und sich auf ihre Knie setzt. Sie legt ihre Hand auf seine Schulter. Vorsichtig berührt sie sein Gesicht, hebt seinen Kopf und sieht ihm in die Augen. „Bist das wirklich du? Du musst es sein! Oh Gott... Sag mir bitte, dass du es bist.“



„Ich bin’s.“ Er streicht über den Rücken des Babys. Sie ist so winzig, so geschmeidig und so real. Noch einmal sieht sie zu ihm auf und wirft dabei den Kopf zurück. Dann schnellt er wieder nach vorne, und sie beginnt an seiner Wange zu saugen. Es ist für ihn wie ein Kuss. Der Kuss eines Neugeborenen.



Neugeboren. Ja. Sie ist nicht viel älter als zwei oder drei Monate. War er wirklich so lange weg gewesen? Lange genug um ihre Geburt zu verpassen. Er ist betrübt darüber, dass er es versäumt hat.

Mulder versinkt in seinen Gedanken. Er hatte nie die Gelegenheit dazu Scherze über Scullys Bauch zu machen und sie so zu necken. Er hatte nicht die Möglichkeit dazu gehabt, dem Ungeborenen Kosenamen zu geben, die kein anderer verstanden hätte. Er hat die Schwangerschaft nicht miterleben können. Er konnte nicht wach liegen, mit der Hand auf ihrem Bauch, und spüren, wie sich das Baby darunter bewegte. Er konnte nicht gemeinsam mit ihr die Einrichtung für das Kinderzimmer und den Namen aussuchen. Er konnte nicht ihre Hand halten und den Herzschlag des Babys hören.



„Mulder.“ Das ist das einzige Wort was die sonst so redegewandte Scully über ihre Lippen bringt. „Mulder.“



Scully lässt ihn weiter das Baby halten und stellt sie ihm dann mit zitternder Stimme vor. „Das ist Hannah Jane Scully.“ Sie streicht über Hannahs Kopf. „Ich habe lange darüber nachgedacht, sie nicht vielleicht doch Mulder zu nennen. Aber das schien mir dann irgendwie unehrlich, da wir ja nicht verheiratet sind.“



„Ich hätte nichts dagegen gehabt.“



„Lass uns jetzt nicht darüber nachdenken. Oh, Mulder. Es ist ja so viel geschehen. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Bevor du verschwunden warst wusste ich nicht, dass ich schwanger war. Ich dachte zwar schon, dass es möglich sein könnte... Aber das erschien mir dann doch nur Wunschdenken zu sein.“



„Sie ist so wunderschön.“



„Ja“, sagt Scully und sieht zu ihrer Tochter „alle sagen das. Sie ist ein süßes Baby. Sie ist so... lieb.“ Scullys Stimme bricht und sie sieht mit Tränen in den Augen zu Mulder auf. Er lächelt und lehnt sich hinüber, um sie zu küssen.



„Nicht weinen, mein Engel.“ Scully beginnt zu lächeln und legt ihre Arme um seinen Nacken.



„Ich versuche ja es nicht zu tun. Ehrlich. Es ist nur... Jeder sagte mir, ich solle aufgeben. Offiziell, inoffiziell. Sogar unsere Freunde wollten, dass ich aufhöre nach dir zu suchen. Sie sagten, dass es nicht gut für mich wäre, wenn ich weiter hoffen würde, obwohl es keine Hoffnung mehr gäbe. Auch meine Mutter meinte, dass es nicht gut für das Baby wäre. Ich... ich habe begonnen ihnen zu glauben.“ Sie legt ihre Handfläche auf seine Brust, seine Hüfte, sein Gesicht. „Bist du wirklich hier? Bin ich wirklich wach? Ich will nicht darüber nachdenken und erkennen, dass ich träume... Wie bist du hierher gekommen?“



„Sie haben mich her gebracht. Da war ein Auto. Sie sagten mir, dass ich dich hier finden würde und sie ließen mich herein. Ich wollte dich nicht wecken.“



„Ich bin froh, dass du es getan hast. Ich bin so froh, dass du es getan hast.“ Scully küsst ihn. „Ich bin so unendlich froh, dass du es getan hast.“



In seinem Schoß ist genug Platz für beide. Mulder nimmt Hannah auf den anderen Arm und legt den zweiten um Scully, die sich zusammenrollt und in seine warme Umarmung fallen lässt. Er spürt, durch den Stoff seiner Hose, die Kälte von Scullys Zehen.



Scully unterbricht die Stille. „Brauchst du irgendetwas? Bist du hungrig? Soll ich dich ins Krankenhaus bringen? Wir sollten vielleicht lieber auf Nummer sicher gehen.“



„Mir geht es gut.“



„Ich hab ein paar Sachen von dir im Schank. Ich musste dein Apartment aufgeben Mulder. Die Miete für beide konnte ich auf Dauer nicht bezahlen. Die meisten deiner Sachen befinden sich im Lager, aber einige habe ich behalten. Damit ich mich an dich erinnern konnte. Die mir geholfen haben Hannah von dir zu erzählen... Sie hat schon jede Geschichte gehört, obwohl ich denke sie wird sich wohl nicht mehr daran erinnern. Ich habe ihr über all unsere Erlebnisse berichtet.“



Sanft sagt Mulder, „Ich hoffe doch nicht über alle...!“. Scully beginnt zu lachen.



„Alles passenden!“, vollendet sie den Satz. „Alles über ihren mutigen, starken, gutaussehenden Daddy. Ich wollte sicher sein, dass sie wusste wer du warst. Auch wenn du nie wieder zurück gekommen wärst.“



„Danke.“ Mulder lehnt sich vor und küsst sie erneut. Seine Erinnerungen an sie waren nie verblasst und er ist froh darüber, dass es die ihren auch nicht waren. Er will für immer so verharren. Oder wenigstens für den Rest der Nacht, seine zwei Mädchen im Arm haltend.



Aber Scully befreit sich aus seiner Umarmung und klettert aus dem Bett. „Du musst ja am Verhungern sein! Warum gehst du nicht erst einmal duschen? Ich mache dir in der Zwischenzeit was zu Essen. Wir können dann in der Küche weiter reden.“



„Aber...“ Er kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas gegessen hat. Es könnte vielleicht noch einige Zeit dauern, bis er wieder etwas Festes zu sich nehmen kann. Aber noch mehr missfiel ihm, dass er Hannah loslassen und in einem anderen Raum zurücklassen müsste.



Als ob sie wüsste, warum er zögert sagt Scully „Nur für ein paar Minuten. Ich werde Hannah so lange in ihre Tragetasche legen.“



„Ich brauche wirklich nichts! Vielleicht am Morgen. Aber jetzt im Moment will ich dich nur festhalten. Euch beide.“



Schnell nickt sie und geht zum Kleiderschrank. „Du wirst dich hier drin wohler fühlen.“ Scully reicht ihm eine Pyjama-Hose und ein T-Shirt.



Mulder gibt Hannah gerade nur so lange aus den Händen, bis er das zerrissene Hemd aus und das T-Shirt angezogen hat. Dann legen sie sich wieder ins Bett, das Baby zwischen ihnen haltend. Die Bettlacken sind kälter und weicher als er sie in Erinnerung hatte.



Scully berührt leicht seinen Oberkörper. „Denkst du, du bist jetzt für immer zurück? Ist es vorbei Mulder?“



„Ich weiß es nicht.“



Sie schließt ihre Augen. „Alles was ich jemals wollte, war dass du wieder zurück kommst.“



„Alles was ich jemals wollte, war wieder zurück zu kommen.“



„Ich kann es immer noch nicht glauben. Ich habe mir alle möglichen dramatischen Situationen vorgestellt. Habe mir vorgestellt, dass du in den Entbindungsraum gestürmt kommst, um zu sehen, wie deine Tochter geboren wird.“



„Das wäre doch viel zu dramatisch gewesen.“ Beide beginnen zu kichern.



„Es war eine schwere Schwangerschaft“, beginnt Scully nach einer Weile. Mulders Aufmerksamkeit gilt nun ganz ihr. „Mein Tätigkeitsbereich wurde schon früh eingeschränkt. Die X-Akten wurden einem anderen zugeteilt und...“



„Sie haben mich ersetzt?“



„Einstweilig. Der neue ist ein guter Mann Mulder. Er hielt mich immer auf dem Laufenden und er nahm seine Arbeit sehr ernst. Als ich nicht mehr weiter machen konnte, achtete er immer noch darauf, dass ich über alles bescheid wusste. Er stellte sicher, dass sich jeder daran erinnerte, dass ich für alles zuständig und verantwortlich war. Das mein erstes Anliegen war, dich zu finden wusste und respektierte er.“



Mulder starrt an die Decke. Ein anderer Mann hatte auf seine Scully Acht gegeben! Er hasste ihn jetzt schon.



„Du würdest ihn mögen“, fährt sie fort während sie seine Wange berührt. Mulder dreht sein Gesicht zu ihrer Handfläche und küsst diese.



„Wenn du das sagst. Erzähl mir was von Hannah.“



* * *





Sie haben einander so viel zu erzählen. Doch schließlich wird ihre Unterhaltung von Hannah unterbrochen, die verkündet, dass sie hungrig ist. Scully öffnet die Knöpfe ihres Oberteiles und Mulder betrachtet fasziniert, wie Hannah gierig an der Brust ihrer Mutter saugt.



„Dafür ist sie also da“, murmelt Mulder und wundert sich über Scullys Lachen, bis er bemerkt, dass er einen Witz gemacht hat. Nun beginnt auch er zu lachen und schüttelt das Polster neben seinem Kopf auf. „Nimmst du sie öfter mit zu dir ins Bett?“



Scully nickt. „Wenn ich mich einsam fühle... Ich versuche sie auf meiner Brust zu halten, damit ich nicht aus Versehen auf sie rolle, oder sie unter einem der Kissen erstickt.“



Er sieht zu, wie das Baby seine kleinen Fäuste gegen Scullys Brust drückt. Auf, zu, auf, zu. Tränen steigen ihm in die Augen. „Es ist nicht fair!“



„Was denn?“



„Alles. Ich hätte da sein sollen! Du hättest das alles nicht alleine durchstehen müssen!“



„Ich war nicht alleine. Meine Familie und meine Freunde haben mir sehr geholfen. Skinner war auch wundervoll. John, mein Partner... Ich hab dir ja erzählt wie hilfsbereit er war. Ich hatte immer die Hoffnung nicht mehr lange alleine zu sein.



„Wer war dabei als Hannah geboren wurde?“ Er versuchte nicht eifersüchtig zu wirken.



„Meine Mutter.“



Gut. Damit kann er leben. Wenn es Skinner oder dieser gesichtslose Partner gewesen wäre... „Ich hätte da sein müssen.“



„Mulder. Wir können die Vergangenheit nicht ändern.“ Sie gibt ihm keine Schuld daran, dass kann er in ihren Augen sehen. Sie hatte sehnsüchtig auf ihn gewartet, und nun ist er hier.



So viele Jahre hatte er Angst um sie. Befürchtete, sie würde ihm wieder weggenommen. Doch nun weiß er, als er seine Geliebte und sein Kind betrachtet, dass diese Angst sein ständiger Begleiter sein würde. Er streicht mit seinem Daumen sanft über ihre Kniescheibe. „Aber wir können die Zukunft ändern Scully.“ Sie hebt eine Augenbraue und Mulder fährt fort. „Denkst du wir sind hier sicher? Wir drei? Ich kann mir vorstellen, dass die an Hannah interessiert sind.“



„Nein. Sag das nicht Mulder. Niemand hat je eine Hand gegen mich oder das Baby erhoben. Niemand hat versucht sie mir wegzunehmen. Es gab niemals Momente, in denen ich zweifelte, dass sie nicht hundertprozentig menschlich ist, dass sie nicht unsere Tochter ist. Sie ist unschuldig Mulder!“



„Das meine ich nicht.“



„Denkst du, wir müssen vor irgend etwas Angst haben?“



„Ich weiß es nicht. Ich will nur das Schicksal nicht herausfordern, indem wir dort sind, wo wir nicht sein dürften.“



Scully senkt ihren Kopf. „Nein. Ich kann nicht davon laufen Mulder. Zu viel Wichtiges würde zurückbleiben.“



Er sagt nichts. Mulder fragt sich, ob er wohl jemals wieder ruhig schlafen können wird.



Scully unterbricht in einem sanften Tonfall die Stille, „Nicht nur unsere Zukunft steht auf dem Spiel. Wenn wir jetzt gehen und die Welt sich selbst überlassen, wird jeder leiden. Ich bin keine Heldin...“



Mulder stößt einen Protestlaut aus und Scully hält gerade so lange Inne, dass sie ihn küssen kann.



„Du weißt was ich meine. Ich denke, dass ich nicht dazu bestimmt bin die Welt zu retten aber... verdammt, wenn es getan werden muss werde ich es tun. Ich akzeptiere dieses Schicksal, wird es mir angeboten.“



Er dachte immer, sie wäre stark. Aber nun erkennt er, dass ihre Trennung sie nur noch stärker gemacht hatte. Sie ist mehr als stark. Sie ist unbesiegbar und sie ist sich ihrer Stärke bewusst. Er fühlt, nicht das erste Mal in ihrer Gegenwart und auch nicht zum ersten Mal in diesem Bett, dass sie stärker ist als jede Person die jemals lebte.



„Ja“, raunt er. „Wenn uns jemand retten kann, dann du.“



Wieder lächelt sie. „Genug mit der Dramatik! Wir brauchen nun etwas Schlaf. Lass uns morgen weiterreden.“ Sie hebt Hannah zu ihrer Schulter und klopft leicht auf ihren Rücken, bis sie aufstößt. „So ist es besser, nicht war mein Liebes?“ Als sie den Satz vollendet hat beginnt die Kleine zu gähnen.



Als Scully das Licht ausschaltet, kuscheln sie sich zusammen. Mulder erlaubt sich seine Augen wieder zu schließen, obwohl er sicher ist, dass er heute Nacht nicht sehr viel schlafen wird. Er lauscht den leisen Atemgeräuschen seiner Familie und hofft, sie würden am Morgen immer noch beisammen sein.






Ende
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