World of X

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Luke

von Bugs

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Die Finsternis hat sich über die Stadt gelegt. Es ist ein völlig normaler Abend für die meisten Einwohner. Jedoch nicht für einen Mann, einen Mann, der vor Jahren das verloren hat, was ihm am wichtigsten war.

John Doggett hatte über die Jahre die Kunst des Verdrängens gelernt, hatte gelernt sich viele quälende Gedanken zu ersparen. Seit dem Tag an dem er seinen Sohn tot in einem Waldstück gefunden hatte, hatte er viele Stunden nachdenkend und wütend verbracht, jedoch nicht eine davon weinend. Er hatte gelernt stark zu sein, niemand außenstehenden zu zeigen, wie es wirklich in ihm aussah. Er schaffte es diese Gedanken des Gewesenen und Gefühle des Verlusts in die hinterste Ecke seiner Erinnerungen zu drängen und nie wieder hervorzulassen. Manchmal in einer ruhigen Minute lief er Gefahr von seinen Erinnerungen eingeholt zu werden, doch immer wieder schaffte er es sich zusammenzureißen und stark zu sein. Auch heute wollte er so stark sein...

Zusammengesunken saß er in seinem Wohnzimmer im Sessel, keine einzige Lampe brannte im ganzen Haus und auch das fahle Mondlicht warf nur einen kleinen Lichtstrahl durch das Fenster. Auf dem Couchtisch stand eine fast leere Flasche mit hochprozentigem Wodka. John hielt ein Glas krampfhaft mit den Fingern umschlossen in seiner Hand und starrte ins Nichts. Er versucht nicht daran zu denken, welcher Tag heute war, aber das gelang ihm nicht. Wie auch sollte man den Geburtstag seines eigenen Sohns vergessen. Man vergaß Geburtstag von Freunden oder entfernten Verwandten, aber nicht den seines eigenen Sohns. John erkannte, dass er nicht einfach so tun konnte, als wäre heute ein normaler Tag. Er war es nicht. Er würde es nie sein.

John schloss für einen Augenblick seine Augen und versuchte sich einen vergangenen Geburtstag, einen den er mit seinem Sohn gefeiert hatte, ins Gedächtnis zu rufen. Doch es gelang ihm nicht. So sehr er versuchte, sich an einen ausgelassen gefeierten Geburtstag zu erinnern, er fand einfach keine Erinnerung. Er fand keine hängengebliebene Situation, die ihn daran erinnerte jemals mit seinem Sohn Geburtstag gefeiert zu haben.
Geschockt von dieser Tatsache flogen John's Augen wieder auf. In der Hoffnung, dass er mit dem Öffnen seiner Augen auch wieder in sein Gedächtnis sehen konnte. Doch nichts. So sehr er versuchte und sich anstrengte, es gelang nicht eine Erinnerung abzurufen.

Völlig frustriert nahm er einen kräftigen Schluck von der klaren durchsichtigen Flüssigkeit, welche im Glas nur darauf wartete, getrunken zu werden und dann ihre vernichtende Arbeit zu tun. Vielleicht, hoffte John, würde er sich durch den Alkohol in einen noch emotionsgeladenere Lage bringen und somit auch die Erinnerungen zurückholen. Ein Hirngespinst, sagte ihm sein letztes bisschen unvernebelter Teil. Und John wusste das auch, aber er konnte nicht verstehen, wie er seine Erinnerungen an seinen Sohn verlieren konnte. Nicht die Erinnerung daran, dass es ihn gab. Sondern die Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes oder Besprochenes. Er konnte sich an kein einziges Wort erinnern, welches Luke jemals zu ihm gesagt hatte.

Erledigt und im Grunde auch genug mit hochprozentigem gefüllt, schloss John erneut seine Augen.
Warum konnte er seinen Sohn nicht sehen? Ihn sich nicht vorstellen mit allem was er wusste?

Hatte er durch das Verdrängen der quälenden Gedanken die Erinnerungen an seinen Sohn aus seinem Gedächtnis gelöscht? Hatte er, dadurch, dass er versucht hatte so selten wie möglich an die grausame Tatsache zu denken, alles verloren? Auch die Bilder der schönen Zeiten?
Tränen der Verzweiflung schossen in seine Augen. Er würde diese Tränen nicht vergießen, dass war etwas, was er in den Jahren der Verdrängung gelernt hatte. Und selbst jetzt, wo er erkennen muss, dass er anscheinend all seine Erinnerungen verloren hatte, konnte er seine Emotionen nicht herauslassen.

Frustriert hob er das Wodkaglas erneut und leerte den restlichen Inhalt. Wie in Trance setzte er sich auf und lehnte sich zum Tisch hinüber um auch noch den übriggebliebenen Rest der Flasche in sein Glas zu schütten.

Während er sich wieder zurücklehnte, blinzelte er seinen Tränenschleier weg. Wie gerne würde er weinen, in der Hoffnung, dann ein wenig Last von sich zu laden. Doch er konnte nicht. Immer, wenn er kurz davor war, riss er sich aus einem unerfindlichen Grund, zusammen und unterdrückte die Tränen. Wie auch jetzt. Er schluckte es einfach hinunter.
John hielt ein Wodka-Glas in Augenhöhe und blickte durch das Glas. Er dachte an den Tag zurück als er Luke tot in einem Waldstück gefunden hatte. Daran konnte er sich erinnern und auch an die ganzen qualvollen Tage danach. Aber keine schöne Erinnerung hatte sich in seinem Gedächtnis eingebrannt. War das möglich? Nein, es mussten ganz einfach irgendwo welche sein. Eine ganze Menge sogar. Angestrengt und konzentriert, wie es der Alkohol noch zu ließ, versuchte John sich zu erinnern.
Nichts. Absolut gar nichts.

Während John einen weiteren Schluck aus seinem Glas nahm, fiel ihm das Foto von Luke ein, welches er immer in seinem Portemonnaie mit herumtrug. Wenn er schon keine Erinnerungen mehr hatte, so hatte er wenigstens noch das Foto. Entschlossen angelte er seine Geldbörse aus seiner Hosetasche und zog das Bild hervor. John starrte das Foto an. Ein nahm einen zweiten Schluck aus dem Glas ohne jedoch den Blick von dem Foto abzuwenden. Irgendwas hielt seine Augen an diesem Stück Papier gefangen. Irgendwas...
*... ich liebe dich Dad ...*, hallte es plötzlich durch seinen Kopf. John erstarrte, als er sich an diese Worte erinnerte. Er erinnerte sich auch an die Umgebung, den Tag, den Grund, an einfach alles.

So wie er sich erinnerte und diese Worte immer und immer wieder durch seinen Kopf tönten, glitt ihm das Glas aus der Hand und zerschellte auf dem Boden. Im Einklang mit dem splitternden Glas, entwischt John's Kehle ein lautes Schluchzen. Verzweifelt seinen Gefühlsausbruch nicht mehr zurückhalten zu können, schlug er die Hände vors Gesicht und weinte. Ein befreiendes, längst überfälliges Weinen... mit jeder Sekunde, die er weinte und seinen Emotionen freien Lauf ließ, kamen alle Erinnerungen zurück und Stück für Stück bröckelte die Verbindung zwischen den bösen Erinnerungen und Luke. Endlich konnte er sich auch an die schönen gemeinsamen Momente erinnern ohne gleich wieder von den grausamen und quälenden Gedanken eingeholt zu werden.

Ende
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