World of X

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Simplification

von Steffi Raatz

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Der Sternenhimmel ist so friedlich und schön. Kaum zu glauben, dass ich mir all die Jahre vorgemacht habe, dass mein Leben kompliziert sei. Mein Leben war nahezu schön, in einfachen Bahnen gestrickt und klar definiert. Nicht, dass ich jetzt wirklich unzufrieden wäre. Mein neues Leben - so muß ich es nennen - ist spannend, aber auch gefährlich.

Als ich aus New Orleans nach Washington D.C. wechselte, versprach ich mir davon ein besseres, beständigeres Leben. Johns Anruf und seine Bitte, ihm zu helfen, waren wie ein Wink des Schicksal, so als ob Gott mir zu verstehen geben wollte, dass ich meine Bürde lange genug mit mir herumgetragen hatte und nun bereit war, etwas besseres, größeres zu erfahren.

Im Gegensatz zu Dana bin ich kein gläubiger Mensch, jedenfalls keiner, der an einen Gott glaubt. Glauben tu ich an vieles. Aber in diesem Augenblick war ich nahezu davon besessen, dass mich ein höheres Wesen erhört hatte.

Nun ist dieser Moment schon eine Weile her. Ich bin ein Teil dessen geworden, was die Menschen Dana Scully, Fox Mulder und schließlich auch John Doggett geformt hat. Von Selbstzweifeln geplagt, ob ich je das richtige tat, von Entsetzen gepackt, weil sich mir Dinge offenbarten, derer mein Verstand anfangs nicht mächtig war. Bereue ich jedoch irgend etwas? Doch, ja. Ich bereue, dass ich erst so spät damit in Kontakt kam. Vielleicht würde man mich für diese Aussage verrückt erklären, aber Fakt ist, dass ich erst jetzt verstehe, worin der Sinn meines Lebens ist.

Während ich grundsätzlich wegen meiner emotionalen Sichtweise der Fälle und insbesondere wegen der Thesen, die ich aufstellte, viel in meiner Dienststelle in New Orleans einstecken musste, so bin ich jetzt mit Menschen zusammen, die zwar genauso einstecken müssen, aber die mich verstehen. Deren Energien in eine Richtung treiben, der Wahrheit entgegen. Eine bittere Wahrheit, die den meisten Menschen verborgen bleibt, weil sie sie nicht sehen wollen.

Jetzt, wo ich Einblick habe in das Wesen der Menschen um mich herum, jetzt, wo ich begreife, wie viel ein Einziger von ihnen bewirken kann und bereits bewirkt hat, komme ich mir bewundernswert normal vor. Sicher hatte auch ich stets Probleme, wie eine gescheiterte Beziehung oder der Kampf um Anerkennung als Frau in meinem Beruf. Doch wenn ich diese Probleme mit denen von John, Dana, Mulder oder Walter Skinner vergleiche, sind sie nahezu nichtig.

Endlich habe ich begriffen, dass die Verleugnung all dessen, was wir uns nicht vorstellen können, zum Beispiel übernatürliche Phänomene, Aliens und vieles mehr, einfach eine Vereinfachung dessen ist, was wir Verdrängung nennen. Es gibt all diese Dinge. Reiner Selbstschutz treibt die Menschen dazu an, diese Dinge nicht ernst zu nehmen oder zu erkennen. Vermutlich hätte die Menschheit schon viel früher registriert, dass fremde Wesen planen unseren Planeten einzunehmen, doch wir haben die Zeichen mit Absicht übersehen und die wenigen, die sich der Wahrheit nicht verschlossen, für verrückt erklärt.

In was für einer Gesellschaft leben wir nur, dass wir nicht mehr imstande sind, gut oder richtig zu erkennen. Wo hohe Regierungsbeamte im stillen Kämmerlein sitzen und meinen, große Staatsmänner zu sein, während ihre eigentlichen Untergebenen an einer Verschwörung teilhaben, die alles übertrifft, was je gewesen ist. Wann hat diese gedankliche Versklavung begonnen?

Obwohl es ein sehr eigenwilliger Gedanke ist, bin ich froh, aus meiner stupiden Normalität raus zu sein. Sicher, das Leben jetzt ist vielleicht spannend und hat seinen Reiz, aber es ist im eigentlichen Sinne auch eine Art Vorhölle. Zu wissen, dass man im Grunde nicht dazu in der Lage ist, an den Gegebenheiten etwas zu ändern, aber trotzdem seine ganzen Energien in eine fast unmögliche Rettung zu investieren, kann nur als Hölle bezeichnet werden. Aber es ist meine persönliche Hölle. Ich habe sie mir freiwillig geschaffen, weil ich weiß, dass die Menschheit es nicht wert ist, auf diese Art und Weise zugrunde zu gehen.

Ich klinge viel zu enthusiastisch, wenn ich davon spreche, die Welt zu retten. John vergleicht mich dann immer wieder mit Mulder, der nahezu besessen von dieser Idee war. Nun ja, ich kann Mulder auch sehr gut verstehen. Zwar habe ich nicht die selben Gründe wie er, aber die Sache, für die er kämpft ist es wert und genau das reicht mir.

Doch der wirklich große Unterschied zwischen mir und Mulder ist vor allem, dass ich ein noch immer recht einfaches Leben führe. Ich stehe morgens auf, erledige den Tag über meine Arbeit und abends gehe ich - zwar nachdenklich, aber ohne Verfolgungswahn - ins Bett. Er hat mittlerweile so viel durchgemacht, dass man einen Roman darüber schreiben könnte. Und allein, dass er mit Dana zusammen ein Kind hat, das niemals hätte existieren dürfen, verkompliziert die Angelegenheit dermaßen, dass es fast unmöglich scheint, dass Dana und er irgendwann einmal ein normales Leben führen.

Bestes Beispiel hierfür ist seine Flucht. Es sind nicht einmal zwei ganze Tage vergangen, seit ich Dana geholfen habe, ihren Sohn zur Welt zu bringen. Und wieder haben wir ein Beispiel für das, was ich bereits erwähnt habe. Er ist der Meinung, sie mit dieser gravierenden Tat zu schützen, tatsächlich betreibt er aber nur das, was die gesamte Menschheit macht. Die Verleugnung dessen, was der Realität entspricht. Er verdrängt. Verdrängt die Tatsache, dass seine Flucht genau das Gegenteil bewirkt. So wie sie ihn suchen werden, so werden sie versuchen, über Dana und seinen Sohn an ihn heranzukommen. Die Gefahr bleibt die selbe, nur auf eine andere, diffizilere Art und Weise.

In den letzten Tagen und nach den letzten Ereignissen habe ich mich oft gefragt, warum ich diese persönliche Hölle meinem alten Leben gegenüber bevorzuge. Vielleicht weil ich die Menschen um mich herum ins Herz geschlossen habe. Anders als Kollegen üblicherweise, nein, ich möchte sagen, es sind auf eine sehr eigenwillige Art Freunde geworden. Selbst Mulder, mit dem ich nie viel zu tun hatte, würde ich als Freund bezeichnen. Es ist seine so bestechende Art, die Wahrheit zu erkennen, wo niemand sie erkennen würde. In gewisser Weise bewundere ich ihn dafür. Gleichermaßen fühle ich mich aber mit ihm dadurch verbunden. Er hat eine Sichtweise von Dingen, die ich teile.

Dana. Sie ist eine bewundernswerte Frau. Ich habe noch nie so viel Energie und unerschütterliche Kraft in einem einzigen Menschen erlebt. Ob sie die Liebe ihres Lebens verloren glaubte oder Angst hatte, etwas anderes, wie ein normales Kind auszutragen, sie hat nie ihre Fassung verloren. Niemals hat sie aufgehört, an die Sache ihres Freundes und Partners zu glauben. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit haben mir ermöglicht, die Dinge offener zu betrachten. Es ist fast so, als ob ihre Kraft ein wenig auf mich abgefärbt hat.

John hingegen ist der Skeptiker, den ich schon vor Jahren kennen gelernt hatte. Immer geradeaus, niemals vom Pfad abweichend, den Tatsachen entgegen. Er hat das Durchsetzungsvermögen einer Dampfwalze und das weichste Herz, das ich kenne. In gewisser Weise liebe ich ihn. Seine Art zu denken treibt mich zwar manchmal in den Wahnsinn, trotzdem liebe ich sie. Er ist so normal geblieben, auch wenn ihm langsam Zweifel an seiner Rationalität kommen. Ich weiß, dass es nicht mehr all zu lange dauern kann, bis auch er die Wahrheit an sich heran lässt.

Ja, genau das sind meine Gründe. Wegen ihnen bin ich hier geblieben, habe mich dazu entschlossen, den Kampf zu kämpfen und durch die Hölle zu gehen. Im Prinzip ist es ganz einfach. Ich habe die Wahrheit erkannt, die Leute, die dafür kämpfen, verdienen meine Unterstützung und mein Leben hat endlich einen Sinn. Einen Sinn, den ich verstehe und der mich aus der Verdrängung geführt hat. Warum brauche ich ein einfaches Leben, wenn es mir die Wahrheit verwehrt und nur auf einer Lüge basiert?

Ende
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