World of X

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Spiel des Lebens

von Stefan Rackow

Kapitel 12

~Teil 11~

-Eine neue Hoffnung-



[ 1 ]

~Die Lehren aus der Vergangenheit~



Mulder blickte durch die einen Spalt breit geöffnete Tür des Raumes. „Professor Collette?“



Daraufhin ließ ein dicklicher Mann, Mitte 40 mit Drei-Tage-Bart und leichtem Doppelkinnansatz von mehreren Reagenzgläsern ab.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er verwundert, aber nichtsdestotrotz freundlich. „Die Führungen sind eigentlich erst in zwei Stunden. Lassen Sie sich am besten unten einen Termin geben.“

„FBI“, erklärte Scully und zog ihren Ausweis aus der Tasche ihres Mantels. „Wir müssen mit Ihnen reden, Mister Collette.“

„Oh Gott, ist mir das peinlich...“, entschuldigte sich der Professor nervös und schüttelte den beiden Agenten die Hand. „Ich stehe heute etwas neben mir, müssen Sie wissen...“

„Genau deshalb sind wir hier“, sagte Mulder zügig und schloss langsam die Türe. „Sie arbeiten zusammen mit Steve MacFinn?“

„Wissen Sie schon davon?“

„Ja ... eher zufällig. Wir haben soeben Kenntnis von der Vermisstenmeldung erhalten.“ Scully zog einen Stuhl heran. „Was hat Sie dazu veranlasst?“

„Sie müssen verstehen...“, begann der Professor und griff nach einer Brille, welche nicht unweit auf einem Schränkchen lag, „ich bin kein Mensch, der übereilt handelt, keineswegs. Das darf ich mir in Ausübung des mir kraft Arbeitsvertrages zugesprochenen Amtes des Professors nicht erlauben.“ Er setzte die Brille auf seine Nase und rückte sie vorsichtig zurecht. „Aber als Steve nicht zur Arbeit erschien, wurde ich schon stutzig...“

„Haben Sie bei ihm zu Hause angerufen?“, fragte Mulder und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

„Das habe ich, in der Tat, denn er hatte sich nicht krankgemeldet, wie mir die Chefetage mitteilen konnte.“

„...aber er war nicht zu erreichen, richtig?“

„Ja“, murmelte Barney und senkte den Blick. „Ich habe mehrmals durchklingeln lassen, aber er nahm einfach nicht ab.“

„Nicht möglich, dass er einfach nur einkaufen gefahren ist?“ – Scully wirkte nachdenklich.

Barney Collette nahm daraufhin die Brille von der Nase und deutete mit einem Bügel auf die Agentin.

„Lassen Sie die Wohnungstüre nur angelehnt, wenn Sie einkaufen gehen, gute Frau?“

„Woher genau wissen Sie, dass die Wohnungstür nur angelehnt war?“

„Weil ich die Nachbarin gebeten hatte, mal nach dem Rechten zu sehen“, erklärte der Professor. „Und kurz darauf erhielt ich den Anruf von ihr, in dem sie mir eben jene Tatsache erzählte. Ich glaube, ich war in dem Moment noch verstörter als die arme Frau. Sie berichtete mir noch kurz, dass sie in dem ganzen Haus nach Steve gesucht habe – ohne jeden Erfolg. Dies trieb mich zu der Vermisstenmeldung.“

„...und das war das Beste, was Sie in dem Moment tun konnten, Mr. Collette“, erwiderte Mulder freundlich und gab dem Professor die Hand. „Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Was genau ist denn vorgefallen? Wissen Sie schon Genaueres? Ist er entführt worden? Es ist doch hoffentlich nichts Schlimmes passiert?“

„Wir wissen noch nicht viel mehr als Sie, Mr. Collette“, sagte Scully leise und reichte ihm ihre rechte Hand. „Aber Sie können sicher sein, dass wir auch Ihren Partner wiederfinden werden.“



Mulder erkannte, dass Scully den letzten Satz merklich schwer über die Lippen brachte und hielt es für das Beste, Barney Collette wieder seine Arbeit verrichten zu lassen. Er nickte dem Professor freundlich zu, öffnete die Tür des Raumes und trat mit Scully nach draußen auf den steril –weißen Flur.



„Drei Menschen“, murmelte Scully monoton, nachdem Mulder die Tür zu D – 405 wieder geschlossen hatte. „Drei Menschen, die alle unmittelbar miteinander in Beziehung standen, sind verschwunden. Mulder! Warum??“

„Ich weiß es nicht...“, antwortete dieser und legte seinen Arm um Scullys Schulter. „Du scheinst also auch davon auszugehen, dass Steve Mac Finn entführt wurde?“

„Machen wir uns nichts vor“, erwiderte Scully rasch und blickte in Mulders Gesicht. „Die gegebenen Umstände lassen schon darauf schließen, wenngleich ich eingestehen muss, dass ich nur ungern voreilige Schlüsse zu ziehen pflege.“ Sie seufzte. „Aber hier sieht es ganz danach aus...“



Nachdenklich und sich momentan ziemlich hilflos fühlend, verließen Mulder und Scully das imposante Gebäude. Ihre Gedanken, jeder Funke ihrer Menschlichkeit galten in diesem Augenblick John Doggett, Monica Reyes und Steve Mac Finn, welche jetzt gerade wohl irgendwo – vielleicht sogar ganz in der Nähe – darauf warteten, dass sie gerettet werden würden. Gerettet aus den Fängen eines Unbekannten, welcher sie einfach hatte von der Bildfläche verschwinden lassen. Gleich einem schwarzen Umhang in dunkler Nacht, welcher über die drei gestülpt wurde.

Mulder konnte sich nicht erklären, wie all das in Zusammenhang stehen sollte. Scully ebenso wenig. Der einzige Zeuge war das Vergangene. Das Vergangene, das Aufschluss darüber geben könnte, was mit den Vermissten geschehen war. Damals. Doch man konnte das nun einmal Vergangene nicht fassen, geschweige denn befragen.



*



Ein jeder Mensch strebt danach, in der Zukunft zu bestehen, Halt zu finden. Doch viele erkennen nicht, dass dazu ein Streben alleine nicht ausreicht. Vielmehr hat der Mensch zu lernen – zu lernen aus der Vergangenheit. Wer dies bewältigt, findet Halt, besteht. Alle anderen geben sich einer Illusion hin.



Der Weg eines Jeden in die Zukunft führt durch die Vergangenheit.



*





2.2. 1936



Zuerst war alles noch still. Eine trügerische Stille machte sich breit in dem einstmaligen Ort, der Sicherheit zu bieten und selbige anzuordnen und durchzuführen hatte. Sie erreichte jeden Bereich des Weißen Hauses, umspielte die Gemälde an der Wand, die Statuetten auf den Fluren und gelangte letztlich an das Ohr des Präsidenten.



Es folgte eine Vibration, welche für einen Sekundenbruchteil das ganze Gebäude erfasste. Und bevor irgendjemand auch nur realisieren konnte, was geschah, ertönte der Knall. Ein ohrenbetäubender Knall.

Roosevelt, welcher unweit eines Fensters auf dem Flur stand, wandte sich instinktiv nach hinten, richtete seinen Blick auf die von Feuer erhellte Silhouette seiner Stadt. „Weg...“, murmelte er zuerst leise und erkannte das nahende Unheil. „WEG, SCHNELL!“, brüllte er schließlich und schob seine fassungslosen Berater vor sich her. „Lauft, lauft!“



Verfolgt von einem plötzlich aufkommenden ohrenbetäubenden Pfeifen draußen vor den Mauern des Weißen Hauses eilten Roosevelt und seine Berater durch die Korridore des sich zu einem Gefängnis entwickelnden Gebäudes, immer auf dem Weg nach unten, Richtung Ausgang, vorbei an verkohlten Leichen der vormals Bediensteten, über Schutt und Trümmer. Ohne sich umzusehen. Ohne anzuhalten. Ohne es vorauszuahnen.



Denn gerade als die Flüchtenden die rettende Tür des Anwesens erreichten, unten im Erdgeschoss, sie aufrissen und ins Freie stürmten, erfolgte die Explosion.





[ 2 ]

~ Schmerzhafte Erinnerung ~



Ein metallenes Ungetüm stürzte auf das Weiße Haus und riss, als es in einem gewaltigen Feuerball explodierte, die komplette Vorderfront des einstigen Amtssitzes Roosevelts nieder. Roosevelt und seine Berater wurden von der Wucht der Detonation zu Boden geworfen und drückten ihre Gesichter tief in das nasse Gras.

Der Boden rumorte.

Gewaltige Schockwellen ergriffen plötzlich die Erde, auf der die Personen hilflos lagen, schüttelten die im Grunde schon genug Gepeinigten durch, so dass diese – außer sich vor Angst – anfingen, um Hilfe zu schreien. Um Hilfe zu schreien, die es nicht gab. Nicht jetzt. Nicht in diesen Stunden

Roosevelt wusste das, weshalb er als Einziger versuchte, so gut wie nur irgend möglich die Fassung zu bewahren – auf den Boden gepresst, die Hände an den Ohren, um den ohrenbetäubenden Lärm nicht hören zu müssen. Doch auch in ihm gewann das Gefühl der Hilflosigkeit letztlich Oberhand und verdrängte den letzten Funken Mut.



Es bestand keine Hoffnung.



Das war das Ende.



Roosevelt sah schon sein Leben an sich vorbeiziehen, als die Schockwellen plötzlich aufhörten und für den Bruchteil einer Sekunde Ruhe einkehrte. Vorsichtig blickten der Präsident und seine Berater nach hinten zu den Trümmern des Weißen Hauses, dem Skelett des vormals imposanten Anwesens, von dem mehr und mehr die Flammen Besitz ergriffen. Und majestätisch ragte das metallene Etwas, das in das Gebäude gestürzt war, aus der Ruine hervor, funkelte im Scheine des Feuers, der kleinen Explosionen und verbarg dennoch seine Identität.

„Mister President...“, stammelte George völlig außer sich, „Sie ... Sie müssen...“ – Dann verlor auch er wie die anderen Berater das Bewusstsein und sackte leblos auf dem nassen, von Trümmerstaub weißen Gras in sich zusammen.



Verzweifelt wagte es Roosevelt aufzustehen und einen Blick umher zu werfen. Es war alles kaputt, alles zerstört. All das, was sein Leben ausgemacht hatte, alles, wofür er gelebt hatte, war zerstört worden. Ausgelöscht. Ausradiert. So als ob es den Begriff der Gerechtigkeit nie gegeben hätte. Ja, es war ungerecht. Mehr als das. Es war feige. Feige, weil die Feinde verdeckt operierten und dann völlig unvermittelt zuschlugen. Im Schutze der Dunkelheit, in Schwärze gehüllt.

Der Präsident verfluchte diejenigen, die dafür verantwortlich zeichneten, und instinktiv richtete er seinen Blick auf das seltsame Objekt inmitten der Trümmer. Sollte etwa ...? Nein, das konnte nicht sein. Das war zu abstrus. Roosevelt schüttelte den Kopf, um die aufkommende Erinnerung an das seltsame Ereignis vor einem Monat zu verdrängen. Er musste geträumt haben. Er musste am helllichten Tage geträumt haben. Und die Stimme in seinem Kopf war Einbildung. Pure Einbildung!



Dennoch suchte ihn die Erinnerung heim.



[„Die ganze Welt ahnt noch nicht, dass bald ein Krieg ausbrechen wird! Ein schrecklicher Krieg, an dessen Ende es nur einen Sieger geben kann...“]



Nein, er wollte sich nicht erinnern, nein, er verstand es einfach alles nicht!



[„Was, was wollen Sie mir damit sagen?!“
„Nur, dass jemand auf Ihrer Seite steht und versuchen wird, Schlimmeres zu verhindern.“]



Was sollte das heißen, wenn es denn wirklich passiert sein sollte? Wer würde helfen?



[„Und geben Sie niemals die Hoffnung auf. Die Hoffnung ist das Fundament, auf dem die Erfüllung eines Traumes aufbaut. Festigen Sie es!“]



Roosevelt seufzte und ging in die Knie. Er hatte keine Hoffnung mehr. Von heute auf morgen hatte sich alles verändert. Und nun war der Moment gekommen, da er hilflos und verlassen dastand, ohne die Möglichkeit, etwas zu unternehmen, ohne Unterstützung, ohne jegliche Ahnung.



Allein.

Ängstlich.

Machtlos.



Ein Gefühl ließ ihn plötzlich herumfahren und zum Himmel blicken. Er war wolkenbehangen, so dass man keine Sterne erkennen konnte. Doch etwas war da oben. Das Gefühl wurde stärker.

Und da sah Roosevelt ihn. Den hellen Punkt am wolkenbehangenen Firmament. Einen kleinen Punkt, der sich in diesem Moment mit gewaltiger Geschwindigkeit der Erde näherte und direkt auf Roosevelt zusteuerte.





[ 3 ]

~ Die, die Leben geben ~



Nicht von dem hellen, immer größer werdenden Punkt ablassen könnend, stand der Präsident wie angewurzelt da und erkannte erst nach einer Weile, in welcher Gefahr er schwebte.

Geistesgegenwärtig hechtete Roosevelt zur Seite und begrub seinen Kopf unter den Händen, als das ungefähr drei Meter im Durchmesser runde Objekt nicht unweit von ihm mit einem lauten Knall auf der Erde aufschlug, Erde, Schutt und Metallteile durch die Gegend schleudernd.



Es dauerte einige Zeit, bis sich der aufgewirbelte Staub verzogen hatte. Roosevelt hustete. Mit wackeligen Beinen wankte er dem seltsamen Objekt entgegen, so als ob ihn eine unsichtbare Hand führen würde und er nichts dagegen unternehmen könne. Vor seinen Augen tanzten leuchtende Sterne, hervorgerufen durch die blendend helle Explosion von vorhin, so dass er die Umgebung nur schemenhaft wahrnehmen konnte.

Er erkannte daher auch nicht genau, was genau passierte, als plötzlich ein Zischen ertönte und ein schwarzer Schatten aus dem Objekt auf den Erdboden plumpste.



„Mister President...“ , hörte Roosevelt plötzlich eine klägliche Stimme sagen. Der Präsident ging in die Hocke und beugte sich zu dem am Boden liegenden Schatten, welcher erst nach einer Weile – bedingt durch das langsame Gewöhnen der Augen - die Konturen eines ihm bekannten Mannes annahm.



„George?“



„Mister President, Sie lernen auch nicht dazu...“, erwiderte der verletzte Mann krächzend, brach dann aber in nicht enden wollendes Husten aus. „Ent...schuldigen Sie...“

„Sie ... Sie sind die Person, die vor einem Monat in meinem Zimmer ... Sie sind die Person, die sich für George ausgab!“ – Roosevelt musste sich setzen. „Was ist hier los? Herrgott noch mal, in welchen Film bin ich hier reingeschlittert??“

„In den Ihres eigenen Untergangs...“, brachte „George“ mühsam hervor und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. „Aber er hat ein Happy – End.“

„WAS?“ – Roosevelt schüttelte den Kopf und zog den Mann dicht an sich heran.

„Wenn Sie es nicht mitbekommen haben sollten: Washington, D.C. wurde dem Erdboden gleichgemacht! Ich stehe hier vor den Trümmern meiner Existenz, weiß weder ein noch aus, und da erzählen Sie mir etwas von Happy End??? Wer sind Sie, dass Sie sich anmaßen, eine angemessene Beurteilung über das Geschehene abgeben zu können? Sie können es nämlich NICHT!“

Die nun folgenden Worte presste er förmlich zwischen den Zähnen hervor.

„Was - sind - Sie?!“

„Sie haben sich diese Frage schon selbst beantwortet, Franklin“, flüsterte der Verletzte leise und schloss vor Anstrengung die Augen. „Sie ... Sie wissen, was das Weiße Haus zerstört hat...“

„Nein, ich weiß es nicht!“, schrie Roosevelt frustriert und fuhr sich mit der rechten Hand durch die durchnässten, schweißnassen Haare. „Irgendwas ist hier heute abend vorgefallen! Irgendetwas, das ich nicht erklären kann, ist passiert! IRGENDWAS!“

„Eben, Sie können es auch nicht begreifen, kein Mensch kann das.“ „George“ hustete schwer. „Eben drum habe ich, als ich Sie letzten Monat aufgesucht hatte, Ihnen mitgeteilt, dass ich versuchen würde, Schlimmeres zu verhindern. Dass wir versuchen würden, Schlimmeres zu verhindern.“



Roosevelt blickte verunsichert auf das seltsame metallene Objekt, welches sich tief in den Boden gebohrt hatte. „Sie“, begann er monoton, „Sie sind kein...“

„Kein Mensch? Oh ja, das bin ich nicht, dieser Gedanke hätte Ihnen aber schon vor einem Monat kommen müssen.“ Der Fremde lächelte, was ihm aber merklich schwer fiel.

„Ich habe den Gedanken verdrängt...“, erwiderte Roosevelt kopfschüttelnd, „ich, ich habe den Gedanken verdrängt... ich konnte doch nicht ahnen, dass...“

„Dass es soweit kommen würde? Oh doch, uns war das schon lange klar. Daher haben wir uns auch gegen unsere Rasse verschworen und uns auf die Seite derer geschlagen, die angegriffen werden sollten.“

„Wo kommen Sie her?“, fragte Roosevelt völlig verunsichert und stützte sich auf die Überreste eines verkohlten Baumes.

„Das übersteigt Ihre Vorstellungskraft“, hauchte „George“ mühsam und öffnete die Augen. „Ich komme von weit her...“, sagte er und deutete auf das riesige metallene Objekt hinter ihm. „All jene, die sich mir angeschlossen haben, kommen von weit her. Wir ... wir alle haben versucht, das Schlimmste abzuwenden. Doch wenn Sie wüssten, wie es zu dieser Stunde mit der Welt steht...“

„Wie??? Wie steht es mit der Welt?“

„Sie ist fast vollständig zerstört worden.“ Der Fremde senkte den Kopf. „Die Erde gleicht einem Schlachtfeld. Während meiner Reise hierher konnte ich mir einen Eindruck vom Ausmaß der Invasion verschaffen. Es ist ... unvorstellbar!“

„Das meinen Sie nicht ernst!“

„Doch“, erwiderte der Verletzte und verzog das Gesicht, als eine weitere Schmerzattacke den gepeinigten Körper durchfuhr. „Doch...“

„Dann ist das, was auf das Weiße Haus gestürzt ist, eine Art Flugzeug gewesen??“

„Mister President, es ist weit mehr als das...“

„Und was?!“ – Roosevelt war anzumerken, dass ihn das Gespräch merklich überforderte.

„Es ist der Motor, der alles antreibt, die Maschine, ohne die nichts funktioniert, ein Katalysator.“ Der Fremde machte eine Pause, bevor er weitersprach. „Es ist das Hauptschiff!“

„Was?!“

„Sie werden es nicht begreifen, Franklin, aber wir sind weit mehr als nur Wesen von einem anderen Stern. Wir sind der Anfang und das Ende, der Ursprung des irdischen Lebens. Wir geben Leben ... und nehmen es auch wieder.“

„Ich glaub das einfach nicht...“, stammelte Roosevelt und schloss die Augen. „Das ist zu hoch für mich!“

„Das kann ich nur allzu gut nachvollziehen...“

„Es tut mir Leid, aber ich kann das alles einfach nicht verstehen...“

„Das müssen Sie auch nicht, denn es ist vorbei, die Zeit für den Neuanfang ist gekommen.“ – „George“ richtete sich mühsam auf und schlurfte keuchend an Roosevelt vorbei.

„Wo wollen Sie hin?“



Der Fremde bückte sich und hob ein Stück Metall vom Boden auf. „Wissen Sie, was das ist?“, fragte er leise.

„Ein Stück Metall...“, antwortete Roosevelt leicht unsicher. „Das muss ein Stück des Objektes sein, das...“

„Für ungeschulte Augen mag es das sein, aber erinnern Sie sich noch daran, was ich Ihnen gerade erzählt hatte?“ – Er gab Roosevelt das Metallstück in die Hand und ließ es ihn eingehend begutachten. „Es ist ein Teil des Mutterschiffes, ein Teil des Ursprungs. Ein Teil dessen, das vermag, Leben zu geben.“

„Wie meinen?“

„Dieses Schiff ist älter als alles, was Sie kennen. Es ist ein Zeugnis der Zeit, ein Unikat. Es war in der Lage, eine riesige Flotte zusammenzustellen. Alleine. Es ist das Schiff gewesen. Das eine. Das Schiff, welches die anderen erst erschaffen sollte.“

Der Verletzte lächelte.

„Vielleicht verstehen Sie jetzt schon genauer, warum ich in Bezugnahme auf das Schiff immer von Ursprung sprach.“

„Aber wie...?“

„Erkennen Sie die Zeichen, Mister President?“ – Er deutete auf das Metallstück. „Diese Zeichen hier sind Bestandteile der Ursprache, der Sprache, aus der die anderen Sprachen erst entstehen sollten. Es sind heilige, mächtige Zeichen, welche noch mächtigere Worte formen!“

„Worte, die Leben geben...“, stammelte Roosevelt und blickte in das Gesicht seines Gegenübers.

„Dieses Schiff schuf Leben!“

„Ja, erst in fremden Galaxien und schließlich hier auf der Erde.“

„Aber warum zerstört es jetzt alles?“

„Um Territorien für die Urrassen zu schaffen“, flüsterte der Fremde und blickte zum Himmel.

„Für all jene Rassen, welche vor Jahrmillionen von Jahren entstanden sind und ihre Planeten „verbraucht“ haben.“

„Das ist unlogisch“, warf Roosevelt ein. „Warum sollte das Schiff erst die Menschen erschaffen, um sie dann auszulöschen?“

„Das stimmt so nicht“, erklärte „George“ und hielt sich den schmerzenden Bauch. „Nicht alle werden ausgelöscht. Die meisten ... werden gefangengenommen und als Sklaven derer gehalten, welche „umgesiedelt“ sind.“

„Also existierte die Menschheit nur, um versklavt zu werden?!“ – Der Präsident schüttelte den Kopf, so als ob er seine gerade gestellte Frage schon wieder als Unsinn klassifizieren wollte.

„Wenn es dazu gekommen wäre, ja, aber wir haben gesiegt...“, erwiderte der Fremde und schloss plötzlich die Augen. „Ich – ich glaube, es geht ... zu Ende!“

„Nein, nicht sterben!“, schrie Roosevelt und fing den zu Boden sinkenden Körper des Mannes auf.

„Bitte, Sie müssen kämpfen!!“

Der Körper des Fremden fiel zu Boden.



„Ich ... habe gekämpft...“, hauchte der Unbekannte und verzog das zerschürfte Gesicht zu einem schwachen Lächeln. „Und glauben Sie meinen Worten: der Neuanfang ... liegt vor Ihnen.“

Mit letzter Kraft warf er das Metallstück weit von sich und fiel kraftlos in sich zusammen. Der Fremde keuchte und atmete schwer.

„Dieses ... Metallstück ist der Neuanfang...!“

„Was sagen Sie da??“

„Dieses Teil...“, hauchte „George“, „ist nicht nur ein Teil des Schiffes, das Leben gab ...“ Er hustete zweimal schwer, während dicke Schweißperlen das zerschundene Gesicht hinabliefen. „Es ist Leben!“

„Es ... ist...? Wie, wie meinen Sie das?“

„Eine ... Konstruktion ist nichts ohne funktionierende Technik ... Dieses Schiff, welches in das Weiße Haus ... gestürzt ist“ – Plötzlich bäumte sich der Körper des Verwundeten auf. Jede Ader, jeder Muskel im Körper des Fremden schien in diesem Augenblick aus Letzterem austreten zu wollen. Die Haut spannte sich am ganzen Körper und ließ Franklin D. Roosevelt entsetzt und hilflos zugleich zurückweichen.

„Dieses ... Schiff ... schuf nur Leben wegen diesem Metallstück. Ohne ... es ... ist ... es nichts!“ – Die Worte brachen geradezu aus dem sich vor Schmerzen Krümmenden heraus. „Sehen Sie hin! S-sehen Sie...! Es ... das Stück ... wird wissen, was zu tun ist..! Nur für mich ... ist es zu spät...!“ - Mit allerletzter Kraft deutete der Fremde mit dem Zeigefinger an Roosevelt vorbei, welcher sofort seinen Kopf drehte, die Augen weit aufmachte und selbigen für einen kurzen Augenblick nicht trauen wollte.



„Was ... geht hier vor? Das, das kann nicht sein! Das ist vollkommen unmöglich!!“, stammelte Roosevelt und blickte zurück zu der Stelle, an der der Fremde in sich zusammengesunken war.



Er war nicht mehr da. Jedenfalls nicht er. Denn stattdessen blickte Roosevelt auf eine graue leblose Kreatur mit dünnem, schlacksigem Körper, langen, schmalen Armen und zwei überdimensionalen schwarzen Augen, die genau dort lag, wo vormals der Verwundete gelegen hatte.



Währenddessen spross ein kleiner grüner Grashalm aus dem Boden, nicht unweit des Metallstücks, welches „George“ zuvor weggeschleudert hatte. Ihm folgten weitere, welche mit stetigem Tempo damit begannen, sich immer weiter und weiter nach oben zu recken, sich um die im Eiltempo neu aufblühenden Blumen rankten und eine kleine grüne Idylle schufen, welche sich, von Roosevelt unbemerkt, immer weiter ausbreitete, um den Keim des Krieges langsam aber sicher zu ersticken und mit Leben zu kaschieren.



Das Leben, welches vom Himmel fiel, hatte mit seiner Arbeit begonnen ...
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