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Der Himmel kann warten

von XFilerN

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Sie hatte sie erst einmal verarbeiten müssen, die Neuigkeit, die Agent Mulder ihr erzählte, während er damit beschäftigt schien, den Schreibtisch des ADs auseinander zunehmen. Im Krankenhaus sei er, vermutlich vergiftet. Agent Mulder hatte sich nichts dabei gedacht, es ihr derart schonungslos zu sagen. Wieso sollte er auch, wusste er doch schließlich nichts von den Gefühlen, die sie Walter Skinner entgegen brachte, ohne zu erwarten, dass er diese je erwidern würden.



Es folgte die Zeit des Wartens auf den Feierabend. Das Ticken der Uhr schien immer langsamer zu werden. Die Zeit verstrich langsamer, als sie es je für möglich gehalten hätte, und dennoch, irgendwann wurde es 17:00 Uhr und sie durfte das Büro verlassen. – Nur, wo sollte sie hin? Sie hatte niemanden hier in der Stadt, mit dem sie über ihre Ängste sprechen konnte. Sie war allein – ganz allein.



Als fuhr der Wagen von selbst während sie ihren Gedanken nachhing, stand sie plötzlich vor dem Krankenhaus, von dem sie durch Agent Mulder erfahren hatte, dass Walter hier läge. Konnte es sein, dass ihr Unterbewusstsein sie hierher geführt hatte? Und aus welchem Grund? Um ihn noch einmal zu sehen?



Sie wusste ja noch nicht einmal, ob er noch am Leben oder bereits tot war. Wer sollte es auch schon für nötig halten, die Sekretärin darüber zu informieren. Für Leute wie Agent Mulder war sie nur eine einfache Angestellte, die Papierkram erledigte, dem Assistant Director Telefonate durchstellte und Termine vereinbarte. Sie war jedoch viel mehr als nur das. Kim Cook, die unscheinbare Frau, arbeitete nicht nur für Skinner, sie lebte auch für ihn.



Für ihn leben. Leben. Ja, könnte sie nur ihres gegen das seine eintauschen. Er war doch viel wichtiger für das Bureau als sie, in ihren Augen unersetzbar. Er sorgte dafür, dass es seinen Agenten gut ging, dass sie ihre Arbeit gewissenhaft erledigten. Er war der ruhige Pol, zu dem gerade Agent Mulder und auch Agent Scully immer zurückkehren konnten, lief etwas schief. Zu ihm kamen sie immer, wenn sie Hilfe ersuchten und nur er imstande dazu schien ihnen selbige zu bieten.



Ob sie wussten – es wirklich zu schätzen wussten, was sie eigentlich an diesem Mann, ihrem direkten Vorgesetzten hatten? Sahen sie ihn nur als den Assistant Director an, der ihnen Aufträge erteilte, oder sahen sie in ihm auch diesen vertrauensvollen Mann, der bereit war seine Hand für sie ins Feuer zu legen?

Er war für jeden von den beiden bereit sein Leben zu geben, um sie zu schützen. Sie und ihre Arbeit, die sogenannten X-Akten. Er war ihr Freund, ein Verbündeter, immer darauf bedacht Vorsicht zu wahren, damit man ihm nicht das Genick brechen konnte.



Langsam stieg sie aus dem Wagen und ging auf den Eingang der Notaufnahme zu. Sie wollte ihn noch einmal sehen. Musste wissen, wie es um ihn stand und wie stark seine Vergiftung tatsächlich war. Vielleicht – ja, es war durchaus möglich - war dies ihre letzte Chance es ihm wenigstens einmal zu zeigen. Ihm zu beweisen, dass sie ihn bewunderte, an jedem Tag, an dem er seine alltägliche Arbeit verrichtete. Sie wollte es ihm sagen, dass sie jeden Morgen sehnsüchtig auf die Uhr starrend darauf wartete, dass er ins Büro kam und sie mit einem Lächeln begrüßte.



Vermutlich hatte er es nicht bemerkt, kaum jemand bemerkte sie wirklich. Weshalb sollte er da anders sein? Er war ihr Chef, der Mann, dessen Tagesablauf sie managte. Ein Assistant Director hatte weiss Gott besseres, wichtigeres zu tun, als auf die Blicke seiner Sekretärin zu achten. Sie hatte ihm an jedem Geburtstag einen Strauß Blumen und ein kleines Geschenk auf den Schreibtisch gestellt, in jedem der Jahre, die sie in seinem Vorzimmer gearbeitet hatte. Ein Lächeln und ein gerührt klingendes „Dankeschön“ hatte sie dafür bekommen.



Dies schien nicht viel zu sein, aber ihr bedeutete es immens viel. Sie wurde zur Kenntnis genommen, indem sie ihm gezeigt hatte, dass sie an ihn dachte. Seine Lieblingsagenten hatten dies nie getan, doch nur ihnen schien seine ganze Aufmerksamkeit zu gelten. Und selbst jetzt noch erkundigte er sich ständig nach den Beiden, obwohl sie AD Kersh unterstellt worden waren, die X-Akten nicht länger ihrem Aufgabengebiet unterlagen und sie somit eigentlich nicht seinem.



Eine eilig vorbeihastende Krankenschwester stieß gegen sie und riss sie aus ihren Gedanken, zurück in die Wirklichkeit. Sie befand sich inmitten der Notaufnahme, in der hektisches Treiben herrschte.

Ihr kam ein Arzt entgegen, und sie blieb stehen als er unmittelbar vor ihr war. „Entschuldigen Sie bitte“, begann sie auf sich aufmerksam zu machen und der Arzt sah sie an, „ich bin hier, um Walter Skinner zu besuchen. Man sagte mir, dass er sich in diesem Krankenhaus befände, in sehr schlechtem Zustand.“



Ihr war bewusst, dass ihre Stimme zitterte, und sie fragte sich für den Bruchteil einer Sekunde, ob es dem Arzt auch auffiel.



„Sind Sie eine Verwandte?“



Kim schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin seine Sekretärin.“



„Dann darf ich Ihnen leider keine Auskünfte geben, Miss.“ Der Arzt sah sie kurz an und blickte sich dann in dem Gang um. Sein Blick verriet, dass er in Hektik war, so wie all die anderen hier beschäftigten.



„Bitte – ich möchte ihn doch nur besuchen. Ich mache mir Sorgen um ihn. Ich arbeite seit Jahren für ihn und...“



„Es tut mir leid, wirklich, aber ich habe zu tun.“ Kaum hatte der Arzt ausgesprochen eilte er ins nächste Zimmer.



Ratlos stand sie nun in diesem Gang, und wusste noch nicht einmal mit Sicherheit, ob Walter hier war oder nicht. Sie seufzte schwer und ging den Gang langsam entlang, wobei sie in jedes der angrenzenden Zimmer schaute, in der Hoffung ihn irgendwo zu entdecken. Erst am Ende des Gangs schien das Glück, wenigstens in dieser Hinsicht, auf ihrer Seite. Doch sie erschrak fast zu Tode, als sie ihn auf dem Bett liegen sah.



Seine Adern quollen sichtbar unter seiner Haut hervor und Schweißperlen hatten sich auf seiner Stirn gebildet. Ein Schlauch, der ihm wohl das Atmen erleichtern sollte, befand sich in seiner Nase. Die Augen geschlossen lag er regungslos da, völlig allein in dem Raum. Hatten sie ihn etwa aufgegeben?

Die Monitore neben dem Bett gaben kontinuierliche Piepgeräusche von sich, er lebte also definitiv noch.



Zögerlich wagte sie sich ganz nah an das Bett vor und blieb dann stehen, den Blick über seine nahezu leblose Gestalt schweifen lassend.

„Sir – Mr. Skinner? Können Sie mich hören?“, fragte Kim leise, darauf bedacht keine Aufmerksamkeit zu erregen, um von den Ärzten unentdeckt zu bleiben. „Ich bin es, Kim Cook.“ Es war ein Bericht im Fernsehen gewesen, durch den sie davon erfahren hatte, dass Menschen die im Koma lagen alles hörten, was um sie herum geschah. Sie hoffte, dass dies zutraf, denn sie wollte ihm das Gefühl geben, nicht allein zu sein.



„Ich habe mir Sorgen um Sie gemacht, Sir. Sie sehen nicht gut aus. Agent Mulder informierte mich darüber, dass Sie hier sind. Doch er konnte mir nicht genau sagen weshalb und die Ärzte hier geben mir auch keine Auskunft.“ Zärtlich berührte sie seine Hand und streichelte sie. „Das wird bestimmt wieder, davon bin ich überzeugt. Die werden herausfinden, was Ihnen fehlt und Sie behandeln. Es wird Ihnen bestimmt bald wieder gut gehen.“



Nicht nur ihm versuchte sie glauben zu machen, dass er tatsächlich genesen würde, sondern auch sich selbst. Es fiel ihr schwer die aufkommende Flutwelle ihrer schon viel zu lange unterdrückten Emotionen auch weiterhin versteckt zu halten. Ihr Blickfeld begann zu verschwimmen und sie schloss in dem schwachen Versuch die Tränen zurückzuhalten ihre Augen.



„Walter, Sie sind noch nicht soweit. Hören Sie mich? Ich möchte, dass Sie dagegen ankämpfen. Es gibt noch viel für Sie zu tun, und es gibt Menschen, die auf Sie angewiesen sind.“ Sollte sie ihm sagen, dass sie selbst eine dieser Personen war? Sollte dies der Tag, der Moment werden, an dem es Zeit wurde das auszusprechen, was sie so lange gekonnt verheimlicht hatte?



Sie lehnte sich ihm entgegen, so dass ihr Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war. Es war, als könne sie seine Wärme spüren, ohne ihn berühren zu müssen. Er hatte Fieber, vermutlich lag es daran. Wichtig war für sie, dass sie ihn davon überzeugte den Kampf nicht aufzugeben. Alles andere, auch ihre Gefühle, wurde unwichtig. Er brauchte sie jetzt, sie durfte nicht so egoistisch sein und jetzt nur an sich denken.



Kim sah sich in dem Zimmer um. Hinter einigen fahrbaren Tischen und diversen anderen Geräten entdeckte sie einen Stuhl, den sie sich holte und neben seinem Bett darauf Platz nahm. Erneut nahm sie seine Hand in ihre und streichelte ihm über die Wange.

„Egal wie lange Sie brauchen, um sich zu entscheiden, Walter, Sie sollen wissen, dass ich da bin und Sie nicht allein lasse. Ich werde solange bei Ihnen bleiben, bis die mich hinausschmeißen.“



Ob er sie auch tatsächlich hören konnte? Es gab keine Möglichkeit dies herauszufinden. Alles, was sie jetzt tun konnte war, ihr Versprechen zu halten und hier sitzen zu bleiben. Etwas Angst hatte sie schon, denn sie hatte keine Befugnis sich in diesem Raum aufzuhalten und ihm Gesellschaft zu leisten. Andererseits, was könnten sie schon großartig tun? Sie hinauswerfen, das war alles.





***



Eine gute halbe Stunde war vergangen, in der sie nur an seinem Bett gesessen und mit ihm gesprochen hatte. Sie hatte ihm erzählt, wie wichtig er für so viele Menschen war. Dass man ihn als Freund schätzte und brauchte, als Sohn liebte und als Vorgesetzten und Kollegen respektierte. Er musste wissen, dass, würde er sterben, er viele Menschen in tiefer Trauer hinterlassen würde.



Immer wieder streichelte sie ihm die Wange, über den nahezu kahlen Kopf und hielt gleichzeitig mit der freien Hand seine.

Plötzlich nahm sie einen leichten Druck an ihrem Handrücken wahr und sah hin, um sich zu vergewissern, dass es nicht nur reines Wunschdenken war. Seine Finger zuckten abermals und sein Griff verstärkte sich zunehmend an ihrer Hand.



Sie lächelte erleichtert und nahm seine Hand nun in ihre beiden. „Mr. Skinner?“, sprach sie ihn sanft an.



Er schluckte schwer und räusperte sich, bevor er mit rauer Stimme antwortete. „Kim...“ Seine Augen öffneten sich langsam und er wandte ihr das Gesicht zu. Eine kleine Weile sah er sie einfach nur an. „Sie sind hier...?“, kam es kaum hörbar und offenbar ungläubig von ihm. Er musterte sie, als sei sie nicht real und er seinen Augen nicht trauen könnte.



„Ja, Sir. – Ich wollte eher kommen, aber ich konnte nicht früher aus dem Büro. Und hier wollte man mich auch nicht zu Ihnen lassen.“



„Aber Sie sind da“, flüsterte er und versuchte angestrengt zu lächeln, was ihm nur mäßig gelang. „Es ist schön, dass Sie sich nicht aufhalten ließen. Ich freue mich Sie zu sehen.“ Seine Stimme wurde etwas fester.



Kim nickte. „Soll ich Ihre Exfrau benachrichtigen?“



„Ich denke, dass hat Scully schon gemacht. Sie ist hier irgendwo und versucht herauszufinden, was mich in diesen Zustand gebracht hat und wie man mir helfen kann.“ Er hustete und hielt sich die offenbar schmerzende Brust.



„Möchten Sie etwas Wasser?“ Kim stand auf und ließ dabei nur ungern seine Hand los.



„Ja, bitte.“



Sie nahm einen der Styroporbecher aus der Halterung und betätigte den Hebel des Wasserspenders, der unmittelbar hinter ihrem Stuhl stand. „Hier Sir.“ Sie hielt ihm den Becher hin, doch er legte nur seine Hand auf ihre. Vorsichtig schob sie die linke Hand unter Skinners Kopf, um ihm etwas aufzuhelfen, damit er trinken konnte.



„Sie sind ein Engel“, sagte er und legte den Kopf wieder zurück.



Es war ihrer Meinung nach nicht der Rede wert. Sie würde mehr für ihn tun, würde er es zulassen, als nur einen Becher Wasser an sein Krankenbett zu bringen.

Sie lächelte lediglich, da sie nicht wusste, was sie nun sagen sollte. Als er noch ohne Bewusstsein gewesen war, da war es ihr leicht gefallen mit ihm zu reden. Doch jetzt als er sie ansah, da fehlten ihr die Worte.



„Hatte ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie hier nicht rein dürfen?“, hörte sie plötzlich eine zornige Stimme, und sie wandte sich sofort zum Eingang des Zimmers um. „Bitte gehen Sie jetzt. Dieser Mann braucht Ruhe.“ Der Arzt sah sie mit strengem Blick an und deutete mit der Hand in Richtung des Gangs.



Seufzend stand Kim auf und legte noch einmal kurz die Hand auf Skinners Brust. „Geben Sie nicht auf, Sir. Der Himmel kann warten“, meinte mit einem aufmunternden Lächeln und er nickte.



„Ich gebe mein Bestes. Danke, dass Sie hier waren.“ Er legte seine Hand auf ihre, die noch immer auf seiner Brust lag und drückte sie kurz. „Und danke auch für die vielen netten Dinge, die Sie gesagt haben.“



Er hatte es also gehört, alles, was sie zu ihm gesagt hatte. Kim sah ihn ungläubig aber auch froh darüber an. Sie hoffte, dass es ihm Kraft geben würde.

Langsam zog sie ihre Hand unter seiner hervor und wandte sich von ihm ab. Der Arzt stand ungeduldig wartend im Türrahmen, noch immer den Arm Richtung Gang ausgestreckt. Sie sah sich noch einmal nach Skinner um, bevor sie dem Willen des Mediziners nachkam und das Krankenhaus wieder verließ. Der Himmel kann warten, Walter. Gib nicht auf!, flehte sie in Gedanken und machte sich auf den Weg zu ihrem Wagen, um wieder nach Hause zu dem kleinen einsamen Apartment zu fahren.




Ende





Okay, das war meine erste Kim Cook PoV und ich würde wahnsinnig gerne wissen, was ihr davon haltet. Gut? Schlecht? Akzeptabel? Jede Art von Feedback ist willkommen.
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