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Moments Lost

von XFilerN

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Sie hatte ihn nicht beachtet und auch nicht die Tatsache, dass jede Hilfe für Mulder zu spät kommen würde. Agent Doggett ahnte wohin sie wollte, nachdem sie sich aus seinem Griff befreit hatte und in die Nacht hinein gerannt war. Er hatte ihr nachgerufen, dass es zu spät sei, doch sie hatte seinen Worten kein Gehör geschenkt, wie so oft, wenn es um Mulder ging. Sie hatte ihre Objektivität verloren und handelte aus dem Bauch heraus, was durchaus verständlich schien in Anbetracht ihrer Situation.



Ratlos und Hilfe suchend sah er zu Agent Reyes hinüber, die sich während der letzten Augenblicke dezent im Hintergrund gehalten hatte. Das Szenario war ihr bekannt, wie vielen Agenten, die nur wenige Male in ihrer Karriere das befriedigende Gefühl erfahren haben, nicht zu spät gekommen zu sein, das Gefühl zu erleben, das mit dem Wissen einherging, dass man einen Menschen retten konnte. Sie hatte es bei Agent Doggett erlebt, wie es sich anfühlte zu spät gekommen zu sein und auch bei anderen Gelegenheiten und nun schon wieder. Sie waren zu spät gekommen.

Sie atmete aufgeregt und schluckte hart.



Die Sorge um Scully und das Baby stand den beiden Agenten ins Gesicht geschrieben und es dauerte nur Sekunden, bis sie sich dazu entschlossen ihr zu folgen. Beinahe zeitgleich begannen sie loszulaufen, so als würden sie darum wetteifern, wer von ihnen als erstes bei Scully eintreffen würde. Nur dass es kein Spaß war und dass sie nicht lachend dort ankommen würden.



Das Laub raschelte unter ihren schnellen Schritten, Zweige wurden achtlos beiseite geschoben oder abgebrochen. Sie sprangen den kleinen Hügel hinauf, über Steine und größere Äste hinweg und den Hügel wieder hinab. Nichts außer dem eigenen Atem war zu hören, zumindest nicht, bis sie am Ziel ankamen, wo sie Scully vermuteten und plötzlich ein Schrei die Nacht durchschnitt, wie ein heißes Messer, das durch Butter gleitet. Abrupt blieben Doggett und Reyes für einen Moment stehen und sahen sich mit erschrockenem Blick an, dann jedoch legten sie schnell die letzten Schritte zurück und betraten das Lager.



„Nein! Nein! Nein!“



Durch die dünnen Holzwände einer der Hütten drang deutlich Scullys Stimme zu ihnen und sie folgten ihr. Doggett ging voraus, doch Reyes blieb in seiner unmittelbaren Nähe. Durch das Laufen ging ihre Atmung schnell und unregelmäßig und sie stoppten plötzlich als sie Scully fanden.



Sie kniete auf dem Boden, in dem kleinen Raum, wo sie noch vor wenigen Minuten einen Verdächtigen verhört hatte. Beide Hände schützend vor dem Gesicht weinte sie, trauerte um den Verlust ihres langjährigen Partners und Freund. Sie hatte ihn versucht zu retten, war gelaufen, als wäre der Teufel hinter ihr her und war doch zu spät gekommen. Sie hatte sich von hier, von dem Mann den sie verhört hatte Hilfe erhofft, doch er war verschwunden, hatte sich sprichwörtlich in Luft aufgelöst und mit ihm der letzte Funke an Hoffnung Mulder zu retten.



Ihr Herz brach wieder und wieder. Verloren, gesucht und gefunden und wieder verloren. Wie viel hatte sie die letzten Monate durch gestanden, auf der Suche nach ihm. Wie viel Kraft hatte sie eingesetzt und wie viele Stunden in ihrem Bett wach gelegen und sich gewünscht, dass er sich damals nicht dazu entschieden hätte, das UFO zu suchen. Sie verfluchte Mulder in ihrem Innern dafür. Dafür, dass er ihr das angetan und sie als Überlebende zurückgelassen hatte. Sie hätte bei ihm bleiben, ihn davor bewahren sollen, doch er hatte sie nicht mitgehen lassen.



Und jetzt da es zu spät und alle Möglichkeiten ihm noch zu helfen ausgeschöpft waren fühlte Scully, dass nichts mehr werden würde wie vorher. Ein Teil von ihr war mit Mulder gegangen, mit ihm gestorben, für die Ewigkeit mit ihm verbunden. Es war als würde die Sonne nicht mehr existieren und sie dazu verdammen zu erfrieren, doch es war nur der Schmerz in ihrer gebrochenen Seele, der sie dies glauben machte. Es war der Schmerz des Überlebenden.



Während Reyes nicht wusste, was sie tun sollte und im Rahmen der Tür stehen blieb ging Doggett mit leisen Schritten zu Scully in das Zimmer und kniete sich neben sie. Behutsam, um sie nicht zu erschrecken legte er seine Hände auf ihre, versuchte sie von ihrem Gesicht zu lösen.

Sein Blick war voller Mitleid und Mitgefühl, als Scully zu ihm auf und ihm in die Augen sah. Trotz der Tränen, trotz des verschwommenen Blickfelds erkannte sie, dass er ihren Schmerz teilte, den er selbst erfahren hatte.



„Ich bin zu spät gekommen“, sagte sie leise und begleitet von einem Schluchzen. „Ich… konnte ihn nicht aufhalten. Er ist fort.“



„Wer ist fort?“, erkundigte Doggett sich. Seine Stimme war sanft und warm und immer noch hielt er ihre Hände in seinen. Er ahnte, dass Scully in diesem Augenblick nicht von Mulder sprach, sondern von dem Verdächtigen. Wieso hatte sie geglaubt, dass er noch rechtzeitig hätte helfen können? Dass er Mulder überhaupt hätte helfen können. Sie hatten keinen Beweis dafür, dass er all die anderen Menschen geheilt hatte, die sie hier in dem Lager gefunden hatten.



„Jeremiah Smith. Er ist fort. Er hätte Mulder retten können.“ Warme salzige Tränen rannen in kleinen Rinnsälen ihre Wangen entlang und tropften still auf den Stoff ihrer Hose.



„Wieso denken Sie das? Mulder ist schon seit einiger Zeit… Auch dieser Mann hätte ihm nicht mehr helfen können“, versuchte Doggett sie davon zu überzeugen, dass es nicht ihre Schuld gewesen war.



„Dana“, nun kam auch Agent Reyes und kniete sich auf die andere Seite neben Scully, „Sie haben alles getan, was Sie konnten.“



„Das habe ich nicht!“ Wut glomm in ihrem Blick auf, doch sie war nicht wütend auf Reyes oder Doggett, oder das was sie sagten, sie war wütend auf sich selbst. Sie hatte versucht die Unterleibsschmerzen zu ignorieren, die sie während des Laufs hierher bekommen hatte, doch die Schmerzen waren stark gewesen und hatten sie dadurch unweigerlich gebremst. Sie war der festen Überzeugung, dass sie Mulder hätte retten können, wäre sie nicht schwanger und somit gehindert gewesen. Sie war wütend auf sich, weil sie diese Schwangerschaft gewollt hatte, die nach ihrer Meinung Mulders Leben gekostet hatte. Sie trug sein Kind unter ihrem gebrochenen Herzen und hatte ihn geopfert, um es bekommen zu können. Er hatte soviel für sie getan, ihr schon so viele Male das Leben gerettet, ihr die Chance gegeben Mutter zu werden und sie hatte es nicht geschafft dieses eine Mal, dieses entscheidende eine Mal rechtzeitig für ihn da zu sein.



„Sie haben doch seinen Puls gefühlt. Sie wissen, dass er bereits seit einigen Minuten tot war. Selbst wenn Sie schneller gewesen wären, hätten Sie ihm nicht mehr helfen können, auch nicht mit Hilfe dieses Mr. Smith, Agent Scully.“ Doggett sah ihr sanft aber auch bestimmt in die Augen. Er musste sie davor bewahren in dasselbe abgrundtiefe Loch aus Selbstmitleid und Schuld zu fallen, in das er nach Lukes Tod gestürzt war.



„Er kann Menschen wieder zum Leben erwecken, wenn sie noch nicht lange tot sind. Er hätte es geschafft, ich weiß es!“, beharrte Scully und schüttelte den Kopf.



Reyes und Doggett tauschten erstaunte Blicke, sagten jedoch nichts und hörten Scully weiterhin zu.



„Er ist nicht der Mann gewesen, für den er sich ausgegeben hatte. Als Sie, Agent Reyes“, Scully sah sie an, „vorhin raus gegangen waren, da hatte er mir sein wahres Gesicht gezeigt und ich kenne diesen Mann. Vor Jahren hatte er schon einmal einen Mann gerettet, der erschossen worden war. Er hat sie Gabe Menschen durch Handauflegen zu heilen und Tote sogar wieder zum Leben zu erwecken.“



„Das kann niemand“, sagte Doggett.



„Und wie erklären Sie sich dann die wundersame Heilung von Teresa Hoese?“, wollte Scully wissen und ihr Partner zuckte mit den Schultern. „Sie haben es nicht gesehen, aber das heißt nicht, dass er es nicht kann, Agent Doggett. Es ist meine Schuld, dass Mulder… dass…“ Erneut begann Scully zu weinen und schloss die Augen. Es auszusprechen hatte etwas so endgültiges und es brachte sie in ihrem Innern langsam um.



„Ich sollte das vielleicht nicht sagen“, warf Reyes bedächtig ein und hielt einen Augenblick inne, „…aber vielleicht ist es für Mulder besser so. Nach allem was wir wissen, haben diese Entführungsopfer grauenhafte Tests durchlaufen müssen, sie haben Dinge gesehen, erlebt und gefühlt, die uns nur aus Horrorfilmen bekannt sind. Hätten Sie es denn wirklich gewollt, dass er mit all diesen Erinnerungen lebt? Hätte er damit umgehen und einfach weitermachen können wie früher? Hat er so nicht seinen Frieden gefunden, den einzig wahren Frieden meine ich.“



Scullys Kopf schnellte hoch, sie sah Reyes an. „Früher hätte ich ja gesagt, da habe ich noch an einen Gott und den Himmel geglaubt und daran, dass wir dort unsere Familie und Freunde wieder sehen, doch jetzt… Es war noch zu früh. Seine Zeit konnte unmöglich schon abgelaufen sein. Es gab noch so vieles, das ich ihm sagen wollte, so vieles, das es zu sehen und zu erleben galt. Er war noch zu jung, um zu sterben. Und auf diese Weise hat er es nicht verdient, niemand verdient es so zu sterben. Allein, verlassen, gequält …“ Abermals rannen Tränen unaufhaltsam ihre Wange entlang. „Das ist einfach nicht fair.“



„Nein, das ist es nicht“, sagte Doggett und nahm Scully in die Arme. Dankbar lehnte sie sich an seine Schulter und vergrub ihr Gesicht in seinem Mantel. Mitfühlend schloss er einen Moment lang die Augen und sah dann wieder Agent Reyes an, die ratlos neben ihnen saß und seinen Blick erwiderte, während Scully ihrem Kummer freien Lauf gab.



Agent Reyes beugte sich etwas vor und legte Scully die rechte Hand auf die Schulter. Sie sollte fühlen, dass sie nicht allein war. Dass Doggett und sie ihr Trost und Halt spenden wollten. Dass sie ihren Kummer kannten und verstanden. Behutsam streichelte Reyes über Scullys Rücken. Auf und ab, auf und ab. Sie spürte das Zittern, das Scullys Tränenfluss begleitete und wünschte sich ihr etwas von dem Schmerz abnehmen zu können, doch das war ihr niemals möglich gewesen.



Schweigend hielt Doggett seine Partnerin auch weiterhin in den Armen, wiegte sie sanft, streichelte ihr über das Haar. Dieser Augenblick erinnerte ihn an das erste, das bis dahin einzige Mal, als er Scully ebenfalls gehalten und getröstet hatte. Sie hatte versucht den kleinen Jungen zu beschützen, den sie in Arizona aufgesucht hatten und von dem Scully glaubte, dass er ihr bei der Suche hilfreich hätte sein können.



Allmählich ließ das Zittern nach und auch das Schluchzen, als Scully ihren Kopf von Doggetts Schulter löste und sich die Tränen fortwischte. Keinen Moment zu früh, wie die drei schnell feststellten, denn plötzlich waren Stimmen zu hören und Schritte. Sie waren nicht mehr allein.



Reyes reichte Scully ein Taschentuch und sie nahm es dankbar an. Das Klopfen an der Holzwand lenkte die Aufmerksamkeit der drei auf sich und sie wandten sich beinahe zeitgleich um.



„Wir lassen ihn gerade in einem Helikopter abtransportieren, Agent Scully.“ Skinner sah sie betroffen an. Noch vor wenigen Stunden hatte er zu ihr gesagt, sie solle sich noch nicht auf seinen Tod vorbereiten, doch sie schien es gespürt zu haben, dass sie Mulder verloren hatte.



Ein schwaches Nicken war alles was Scully im Augenblick erwidern konnte. Stumm sah sie ihren Vorgesetzten an, mit dem sie erst vor kurzem noch über ihre Ängste und Sorgen gesprochen hatte. Sie hatte sich an seine starke Schulter gelehnt und sich trösten lassen. Da war noch Hoffnung gewesen, doch jetzt schien die Welt stehen geblieben zu sein. Zumindest ihre Welt. Für die anderen drehte sie sich weiter, als sei nichts geschehen.



„Wir sollten uns auf den Weg machen, Dana“, sagte Skinner nach einiger Zeit des Schweigens und streckte ihr seine Hand entgegen, die sie dankbar ergriff.



„Wir sehen uns dann in Washington“, verabschiedete sie sich von Doggett und Reyes, die ihr nickend zustimmten. Dann ließ sie sich von Skinner wieder hinaus begleiten. Hinaus in die Dunkelheit, hinaus in das Leben ohne Mulder.





Ende
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