World of X

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Two Voices

von Sonja K

Kapitel 1

Scully öffnete die Augen und blinzelte. Einen Augenblick lang war sie orientierungslos, aber als sie ein Gewicht an ihrer Schulter spürte, wußte sie wieder, wo sie sich befand. Sie und Mulder saßen in einem Flugzeug und waren auf dem Weg zu ihrem neusten Fall. Sie waren schon seit vier Stunden unterwegs, denn der Ort, zu dem sie mussten, war ein schwer zu erreichendes kleines Dorf im Westen der USA. 
Seit drei Stunden saßen sie in diesem Flugzeug und Scully war so müde gewesen, dass sie gleich nach dem Start eingeschlafen war. Mulder war es offenbar genauso gegangen, denn er schlief tief und fest, den Kopf an Scullys Schulter gelehnt, während sie die Wange in sein Haar geschmiegt hatte. Sie versuchte jetzt, sich so wenig wie möglich zu bewegen, um Mulder nicht zu wecken. 
Als sie vorsichtig den Kopf drehte und aus dem Fenster sah, bewegte sich Mulder im Schlaf. 
Es war Nacht. Draußen gab es nichts zu sehen als schwarze Dunkelheit, also drehte sich Scully wieder um und beobachtete die anderen Fluggäste. Die meisten von ihnen schliefen oder dösten vor sich hin. 
Mulders warmer Atem an ihrem Hals zog Scullys Aufmerksamkeit wieder auf ihren Partner. Sie sah ihn an und eine Welle von Gefühlen überschwemmte sie, drohte, sie zu ertränken. 
Mulder sah sehr gut aus. Sein Haar war zerzaust, der Anzug zerknittert, die Krawatte verrutscht, aber für Scully war er der attraktivste Mann der Welt. 
Mulders Gesicht war ruhig und entspannt; keine Spur von seinem sonst allgegenwärtigen Mißtrauen. Er wirkte so...unschuldig. Und friedlich. 
Scully betrachtete lange die ihr so vertrauten Züge und konnte nicht umhin, sich vorzustellen... 
-"Na also, wir scheinen der Sache näher zu kommen." 
Scully fuhr zusammen. Wer hatte das gesagt? Sie erkannte, daß dieser Gedanke aus ihrem Innern gekommen war, von einem Ort tief in ihr, an dem sie ihre Gefühle verbarg. Vor anderen, und auch vor sich selbst. 
-"Wie lange willst du ihn eigentlich noch anstarren? Bis er aufwacht? Glaub mir, es gibt bessere Methoden, jemanden zu wecken." 
"Moment mal, ich will ihn gar nicht wecken." 
-"Weil du ihn weiterhin ansehen willst." 
"Nein. Er ist müde, also soll er ruhig schlafen." 
-"Am liebsten für immer an deiner Schulter, was? Du hast Angst, dass er aufwacht, weil du dich dann deinen Gefühlen für ihn stellen mußt." 
"Welchen Gefühlen?" 
-"Tu doch nicht so. Du bist in ihn verliebt, schon seit Jahren." 
"Bin ich nicht." 
-"Bist du doch. Warum sonst hast du so lange keine Beziehung mehr mit einem Mann gehabt? Weil du den, den du willst, nicht gekriegt hast." 
"Sehr richtig. Ich habe ihn nicht gekriegt, und ich werde ihn auch nicht kriegen. Und zwar, weil ich es nicht will." 
-"Lügnerin. Du willst ihn doch." 
"Nein. Er ist mein Partner. Das wäre gegen jede Vernunft." 
-"Wer redet denn von Vernunft? Ich spreche von Liebe. Das hat gar nichts mit Vernunft zu tun." 
"Blödsinn. Ich bin nicht in ihn verliebt. Er sieht gut aus, das ist alles." 
-"So? Das finden andere Frauen auch. Du solltest dich ranhalten, bevor er sich mit einer zweiten Wahl begnügt und ihn sich eine andere angelt." 
"Soll sie. Ich werde nicht mit meinem Partner schlafen, nur damit ihn keine andere kriegt." 
-"Das verlangt auch keiner von dir. Du willst ihn schließlich für immer, und da ist so etwas nicht sonderlich nützlich." 
"Ich will ihn gar nicht!" 
-"Mach dir ruhig weiter etwas vor. Mich kannst du nicht täuschen." 
"Ich mache mir nichts vor. Deshalb weiß ich ja auch, dass ich gegen Diana Fowley nicht die geringste Chance habe. Also gebe ich mich keiner Illusion hin." 
-"Wie kommst du denn ausgerechnet auf die?" 
"Ist doch klar. Er ist in sie verliebt." 
-"Sag mal, für wie blöd hältst du ihn eigentlich?" 
"Gar nicht. Wieso?" 
-"Weil du offensichtlich denkst, dass er sich in eine dumme, gemeine und obendrein auch noch häßliche Ziege verlieben würde." 
"Fowley ist aber leider nicht häßlich." 
-"Bist du blind?!? Guck doch nur mal, wie viele Falten die hat! Und wie die rumläuft. Wie `ne..." 
"Ach, halt doch die Klappe. Egal, wie sie aussieht, er ist in sie verliebt. Schließlich kommt es nicht aufs Aussehen an. Klar ist jedenfalls, daß er nicht das geringste Interesse an mir hat." 
-"Ach, und wieso nicht?" 
"Sieh doch selber mal in den Spiegel. Ich bin zu klein, habe Sommersprossen und ausgerechnet rote Haare. Und außerdem sieht er in mir seine Partnerin." 
-"Hey, pass auf, was du sagst. Bedenke, daß du auch über mich sprichst. Gerade eben hast du noch gesagt, daß es nicht aufs Aussehen ankommt. Und außerdem: Warum sollte er kein Interesse an dir haben?" 
"Hat er nicht. Das weiß ich." 
-"Beweise?" 
"Als wir zusammen geduscht haben, hat er mich völlig ignoriert. Welcher interessierte Mann würde sich so eine Gelegenheit entgehen lasen?" 
-"Also, das ist ja wohl das Dümmste, was ich jemals von dir gehört habe, und das mag was heißen, wie du weißt. Was hätte er denn tun sollen? Dich verführen, wenn jeden Moment jemand reinkommen kann? Während um euch herum das nationale Chaos ausbricht? Außerdem glaube ich nicht, dass er das wollte." 
"Sag ich doch." 
-"Jetzt laß mich gefälligst ausreden! Ich glaube nicht, daß es ihm um Sex geht. Obwohl...Hast du etwa seinen Blick nicht bemerkt? Wenn du nicht schon nackt gewesen wärst, hätte er dich ohne Probleme mit den Augen ausziehen können, so fasziniert wie er war. Und gib es zu, du hast auch nicht nur weggeschaut. Dein Glück übrigens, sonst hätte ich dich... Aber lassen wir das. Wo war ich? Ach ja; ich glaube, daß er mehr von dir will als das. Er liebt dich, und das ist ihm wichtiger als alles andere." 
"Wenn das so ist: Warum sagt er dann nichts?" 
-[Gott, wie kann man nur so blöd sein? Und sowas ist ein Teil von mir...] "Weil er dich nicht verlieren will. Er hat Angst, dir weh zu tun, dich zu erschrecken. Darum würde er niemals etwas tun, was du nicht willst [oder wovon er glaubt, daß du es nicht willst]. Er möchte, daß du ihm vertraust." 
"Das tue ich." 
-"Dann sag ihm die Wahrheit. Er wartet darauf." 
"Das werde ich nicht tun." 
-"Und warum nicht?" 
"Weil ich es nicht kann." 
-"Natürlich kannst du es. Du mußt es nur wollen." 
"Ich würde ja gerne, aber wenn er doch Diana Fowley liebt, bin ich für immer vor ihm blamiert." 
-[Na ja, wenigstens gibt sie jetzt zu, daß sie ihn liebt.] "Eben hast du noch gesagt, du vertraust ihm. Warum sollte er dich also auslachen?" 
"Ich habe nicht gesagt, dass er mich auslachen würde." 
-"Wovor hast du dann Angst?" 
"Wenn er sie...Ich käme mir wie ein Idiot vor." 
-"Du bist ein Idiot, jedenfalls so lange, wie du dich selbst und ihn quälst. Was wäre denn, wenn er deine Gefühle erwidern würde?" 
"Unmöglich." 
-[Wenigstens fragt sie nicht wieder, welche Gefühle.] "Und warum? Und komm mir jetzt nicht wieder damit, dass du nicht hübsch genug bist. Darum geht es hier gar nicht und das weißt du genau. Es geht nur um deine ewige Angst vor Nähe. Und wenn du diese Angst nicht überwindest, wirst du immer allein sein." 
"Ich bin nicht allein. Und ich bin Mulder nah. Aber damit das so bleibt, werde ich ihm nichts sagen." 
-"Du glaubst also im Ernst, dass er sich zurückzieht, wenn er es weiß?" 
"Natürlich, was sonst?" 
-"Würdest du das tun? [Ich hoffe, sie merkt nicht, daß das eine Falle ist...]" 
"Ich würde mich nicht zurückziehen, aber ich liebe ihn ja auch. Also wäre ich froh, wenn er so etwas zu mir sagen würde. Aber das ist unrealistisch." 
-[Mist, sie hat's gemerkt. Wie kann sie nur so clever sein und gleichzeitig so blind. Allein wie er sie immer ansieht, sagt doch schon alles.] "Wieso das nun wieder? Er ist ein Mann und du bist eine Frau. Da gibt es gute Chancen, daß er sich in dich verliebt." 
"Ich bin sein Partner." 
-[Muß sie damit schon wieder anfangen??] "Bist du deswegen weniger Frau?" 
"Für ihn schon." 
-"Woher willst du das wissen? Hast du ihn gefragt?" 
"Bist du verrückt?" 
-"Hey, keine Gegenfragen. Hast du?" 
"Nein. Und das werde ich auch nicht tun." 
-[Warum habe ich bloß den Eindruck, daß wir uns im Kreis drehen?] 
"Hey, was ist? Keine bissige Antwort?" 
-"Wozu? Du machst doch sowieso, was du willst. Oder besser: Du machst nicht, was du willst." 
"Man darf seinen Wünschen nicht einfach nachgeben." 
-"Ach du liebe Güte, woher hast du das schon wieder? Aus der Satzung der anonymen Liebenden, oder was?" 
"Sehr witzig. Das ist der Grund, warum ich nicht auf dich höre: Du nimmst das nicht ernst." 
-"Moment mal, ich bin ein Teil von dir, und so ernst wie es für dich ist, bleibt mir gar nichts anderes übrig als es auch ernst zu nehmen. Schließlich betrifft er mich auch." 
"Lass bloß die Finger von ihm!" 
-[Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt ist die auch noch auf sich selber eifersüchtig! Wird höchste Zeit, dass etwas geschieht. Aber ohne mich. Da muß sie jetzt selbst durch.] "Bedenke, dass es auch für dich gut wäre, wenn ich das nicht täte. Aber ganz wie du willst, ich werde mich raushalten." 
"Das will ich hoffen." 
Scully merkte nicht, daß Mulder sie die ganze Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte. Er hatte jede Regung auf ihrem Gesicht gesehen, ihren inneren Kampf, der sich darin spiegelte, verfolgt und nicht zu erklären vermocht, was sie so sehr beschäftigte. Nun schien sie wieder in die Gegenwart zurückgekehrt zu sein, denn in ihren Augen war Erkennen zu lesen, als sie ihn ansah. Die ganze Zeit vorher hatte sie ihn auch angesehen, aber sie hatte ihn nicht gesehen. 
Mulder schloß schnell wieder die Augen und tat so, als erwache er gerade erst, denn er wollte nicht, dass sie bemerkte, dass er sie beobachtet hatte. 
Scully spürte, wie sich Mulder an ihrer Schulter regte und sah, wie er die Augen öffnete. Seine Augen, die ihr so vertraut waren, die sie so sehr liebte... 
Nicht dran denken! befahl sie sich selbst, aber das war unmöglich. Sie konnte nicht anders. Seine Nähe war mehr, als sie ertragen konnte, wenn sie ihre Reserven aufrecht halten wollte. Also entschuldigte sie sich, um in den Waschraum zu gehen, damit sie ihm entkommen konnte. 
Unglücklicherweise ging in dem Moment das Hinweisschild an, das die Passagiere aufforderte, auf ihren Plätzen zu bleiben und sich anzuschnallen. Der Pilot verkündete durch den Lautsprecher, dass sie in leichte Turbulenzen geraten waren; es bestünde aber kein Grund zur Panik. 
Wie passend, dachte Scully. Turbulenzen schien ihr genau das richtige Wort zu sein für das, was sich in ihrem Innern abspielte. Und in Panik war sie schon lange. 
"Scully, können Sie mir mal helfen?" 
Mulders Stimme riss sie aus ihren Gedanken. 
"Klar, was gibt's?" 
"Ich kriege den blöden Gurt nicht zu. Er hat schon beim Start geklemmt, erinnern Sie sich? Und jetzt geht gar nichts mehr." 
"Ich versuch's mal." 
Scully beugte sich über ihren Partner und versuchte, seinen Sicherheitsgurt zu schließen, was sich als nicht gerade einfach erwies, denn erstens klemmte der Gurt, und zweitens wirkte seine Nähe nicht gerade konzentrationsfördernd. Aber sie schaffte es, und als sie sich wieder richtig hinsetzen wollte, stellte sie fest, daß sie das nicht konnte. Seine Nähe nahm sie gefangen, als habe er sie an sich gebunden. 
Gewissermaßen hat er das ja auch. 
Sie betrachtete sein Gesicht aus der Nähe, prägte sich jeden seiner Züge ein, als könne sie ihn nicht ohnehin immer vor sich sehen, wenn sie die Augen schloß. Ihr war klar, daß es kein Entkommen gab. Sie war ihr Leben lang geflüchtet, wenn ihr jemand zu nah gekommen war, der nicht zu ihrer Familie gehörte und sie hatte sich immer gefragt ob es ratsam sei, bei Mulder eine Ausnahme zu machen. Sie hatte es getan, und das hatte sie jetzt davon: Sie konnte nicht mehr ohne ihn sein. 
Mulder sah ihr stumm in die Augen. Er brauchte keine Worte, um ihr seine Gefühle zu offenbaren; sein Blick genügte vollkommen. 
Er hatte es in ihren Augen gesehen; er wußte, was sie empfand. Aber wußte sie es auch? 
Mulder war sich nicht sicher, ob sie es wissen wollte, es vor sich selbst zugeben konnte. Deshalb sagte er nichts. Er wollte ihr die Zeit geben, die sie brauchte, um sich zu entscheiden. Er würde auf sie warten, und wenn sie so weit war, würde er da sein. 
Scully konnte den Blick nicht von seinem Gesicht wenden. Er war für sie da, das wußte sie. Aber würde er auch das sein, was sie sich so sehnlich von ihm wünschte? 
Sie hatte keine Wahl; sie mußte es jetzt tun. Scheu näherte sie sich seinem Gesicht, zögerte einen Moment lang, und berührte dann seine Wange mit ihren Lippen. Unsicher strich sie darüber, ließ die Lippen zu seiner Schläfe wandern, streichelte schließlich sein Gesicht. 
Mulder schloss die Augen. Er wusste nun, dass sie es sich eingestanden hatte, aber er wagte nicht, sich zu bewegen aus Angst, sie könnte aufhören ihn zu küssen. So genoß er einfach das Gefühl ihrer weichen Lippen auf seinem Gesicht, ihren Atem auf der Haut, ihre Nähe. Und das ungläubige Glücksgefühl, das sie in ihm auslöste. 
Noch immer bewegte er sich nicht, überließ es ihr zu entscheiden, wie weit dies gehen sollte. Sie küsste seine Stirn, die Schläfe, die Wange, und wagte sich schließlich vor zu seinem Mundwinkel. Jetzt drehte er vorsichtig den Kopf ein wenig, und ihre Lippen trafen sich zum ersten Mal. 
Dana wich nicht zurück, sie zögerte auch nicht mehr. Das war vorbei. Jetzt gab es keine Unsicherheit mehr in ihr. Sie küsste ihn mit einer Hingabe, zu der sie niemals fähig zu sein geglaubt hatte. Und er erwiderte ihren Kuss, legte all seine Gefühle für sie hinein. Der Flug, der Fall, ihr Job, alles war für einen Moment vergessen, für einen schier endlosen Augenblick zwischen Himmel und Erde. Und Scully merkte nicht, daß ihre innere Stimme sich diskret zurückzog, mit einem Gefühl des Triumphs. Nein, sie merkte es nicht, denn sie war gefangen in einer Umarmung, aus der sie sich nie wieder lösen wollte. 
  
  


 

~ Finis ~

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