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In Gedanken

von XFilerN

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Scully wurde durch das Klingeln, des Telefons geweckt. Sie tastete im Dunkeln nach dem Hörer und führte ihn an ihr Ohr. Irritiert warf sie erst mal einen blinzelnden Blick auf ihren Digitalwecker. Es war kurz nach Mitternacht.



„Scully“, meldete sie sich verschlafen und gähnte herzhaft.



„Agent Scully? Hier spricht Dr. Standon, vom County General. Es geht um ihren Partner... er hatte einen Unfall“, erklärte der Arzt sachlich und ruhig.



Sofort saß Scully aufrecht in ihrem Bett: „Was ist passiert? Geht es ihm gut?“



„Er hat eine Schädelfraktur und innere Blutungen. Seine Atmung hatte vorübergehend ausgesetzt aber wir konnten ihn stabilisieren und jetzt ist er zurzeit noch im OP. Bevor er sein Bewusstsein verloren hatte, bat er eine der Schwestern, Sie darüber zu informieren...“



„Wo sagten Sie, liegt er?“, fragte Scully während sie aus dem Bett kletterte und ihren Kleiderschrank aufriss.



„County General...“, erwiderte der Arzt ruhig.



„Ich bin in einer halben Stunde da“, sagte Scully hektisch und legte den Hörer zurück auf die Gabel und stellte das Telefon wieder auf den Nachtschrank, neben ihrem Bett. Eilig zog sie sich ihre Kleidung an, flitzte ins Bad und beeilte sich mit ihrem Styling. Schminke war ihr vollkommen egal, nur schnell Zähne putzen, kämmen und schon verließ sie ihr Apartment.



Sie ging den schmalen Flur entlang, zur Notaufnahme und blieb an der Anmeldung stehen.

Ein junger Mann bemerkte sie und kam zu ihr. „Kann ich Ihnen helfen, Miss?“



„Ja, ich möchte mit einem der behandelnden Ärzte von Fox Mulder sprechen. Man hat mich angerufen und mir gesagt, dass er hier bei Ihnen eingeliefert wurde.“



„Sekunde“, erwiderte der große, hagere Mann. Er ging auf die gegenüberliegende Seite der Anmeldung und suchte nach etwas. Kurze Zeit später kam er zu der immer ungeduldiger werdenden Scully zurück und schaute sich die Formulare durch, die er eben geholt hatte.

„Gehören Sie zur Familie?“, wollte er dann wissen und Scully hob ihr Brauen an und warf ihm einen entnervten Blick zu.



„Agent Mulder ist mein Partner und Freund. Er hat keine Familie mehr, außer mir... Also wären Sie jetzt so freundlich und würden mich über seinen Zustand aufklären, oder mich mit einem seiner Ärzte sprechen lassen.“



„Nehmen Sie doch bitte einen Moment im Wartezimmer platz... Ich hole den zuständigen Arzt.“



Scully nickte dem jungen Mann zufrieden zu und ging in die Richtung, in die er sie verwiesen hatte.



Die Stühle im Wartezimmer waren wenig komfortabel und es gab auch definitiv zu wenige für alle Besucher. Nervös rutschte Scully auf dem Stuhl hin und her, den sie sich mühevoll ergattert hatte und nippte an ihrem Kaffee. Wieder und wieder schaute sie auf ihre Uhr, doch die Zeit schien still zu stehen und auch nach einer Stunde kam noch kein Arzt, der sie aufklären sollte.

Immer wieder wandten sich verschiedene Schwestern an Familienangehörige, um ihnen die unterschiedlichsten Diagnosen, über deren Verwandte zu erläutern. Es war auch vorgekommen, dass eine Ärztin zu einer der wartenden Frauen ging, um ihr mitzuteilen, dass deren Mann gestorben war.

Wie froh Scully doch war, dass so was nicht von ihr verlangt wurde, oder dass sie keine solche Nachricht bekommen hatte. Sie wusste nicht, wie sie damit umgehen würde, wenn plötzlich ein Arzt vor ihr stünde und ihr sein Beileid aussprechen würde.

Dann endlich nach eineinhalb Stunden des Wartens kam ein junger, kleiner Mann in einem weißen Kittel auf sie zu. „Sind Sie Agent Scully?“



„Ja, wie geht es meinem Partner?“, fragte sie angespannt.



„Die Operation ist gut verlaufen.“ Scully atmete erleichtert aus. „Aber er ist noch nicht wieder bei Bewusstsein. Seine Narkose hat allerdings keine Wirkung mehr...“



„Koma?“ ‚Bitte nicht, lieber Gott! Nimm ihn mir nicht weg!’ schoss es ihr in den Sinn.



„Ja. Sie sind selbst Ärztin nicht wahr?“



Scully nickte, „Ja“.



„Ihr Partner hatte ein Aneurysma. Zwar konnten wir die Blutung in seinem Gehirn stillen, aber ich fürchte, dass er nicht wieder ganz der Alte werden wird. Zudem war sein Gehirn zu lange ohne Sauerstoff, so dass er vermutlich dadurch ins Koma gefallen ist. Es tut mir sehr leid.“



„Aber Sie sagten doch, dass sein Zustand stabilisiert wurde...“, erwiderte Scully ungläubig und drängte die Tränen zurück, die sich in ihren Augen sammelten.



„Wir hatten bis dahin, als ich Sie angerufen hatte noch nicht gewusst, dass seine Temporalisarterie geplatzt war. Es war ein regelrechtes Wunder, dass er überhaupt noch in der Lage war zu sprechen, als er eingeliefert wurde.“



„Ich möchte zu ihm, jetzt sofort!“ drängte Scully. Sie konnte es nicht glauben, was ihr der Arzt eben mitgeteilt hatte.



Mulder lag auf der Intensivstation. Offenbar hatte sein vegetatives Nervensystem nicht betroffen von der Blutung. Er konnte selbstständig atmen, was Scully ein klein wenig aufatmen ließ. Doch wenn sie den Worten des Arztes glauben schenken durfte, so könnte Mulder möglicher Weise nie mehr sprechen, sehen oder hören. Auch sein Gedächtnis könnte beschädigt worden sein und möglicher Weise würde er sich nicht mehr an sie erinnern. Vielleicht traf nichts davon zu, aber es war auch denkbar, dass Mulder nie wieder gehen könnte. Solange er ohne Bewusstsein war, konnten sie und die Ärzte nicht feststellen welche Schäden er durch das Aneurysma erlitten hatte.



Zwei Tage und drei Nächte saß Scully beinahe ununterbrochen an Mulders Seite, nicht Willens ihn allein zu lassen. Schließlich konnte er ja jeden Augenblick aufwachen und was wäre dann, wenn sie nicht hier wäre? Das könnte sie sich niemals verzeihen. Ihr Kopf ruhte dicht neben seiner Brust und sie schlief. Immer wieder gelang es Scully für ein paar Stunden Schlaf zu finden, doch schlief sie sehr unruhig und nicht gerade in einer bequemen Position.

Es hatte sich, seit sie hier angekommen war, nichts an seinem Zustand verbessert. Durch eine der Schwestern hatte Scully in Erfahrung bringen können, wie es zu Mulders Unfall gekommen sein musste.

Man nahm an, dass er mit dem Auto unterwegs nach Hause war. Scully wusste, dass er an jenem Abend noch etwas länger gearbeitet hatte. Dann hatte er möglicher Weise seine Sehkraft kurzzeitig, durch die geweitete Arterie, verloren und war so von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gefahren. Ein Passant hatte den Unfall mitbekommen und erzählt, dass sein Wagen unkontrolliert gegen mehrere Mülleimer und schließlich gegen den besagten Baum geprallt war. Dieser Mann, in den guten Fünfzigern, hatte dann auch sofort einen Krankenwagen angefordert.

Doch wieso hatte Mulder nicht bemerkt, dass etwas nicht mit ihm stimmte? Ein Aneurysma spürte man doch. Durch Kopfschmerzen, gelegentlichem Verlust des Sehvermögens und vielen anderen Symptomen. Wieso hatte er ihr nichts davon erzählt? Hielt er es etwa für eine Kleinigkeit, die er nicht für erwähnenswert erachtete? Und wieso hatte sie es nicht bemerkt?

Immer wieder hatte sich Scully diese Fragen gestellt, bis sie schließlich an seiner Seite eingeschlafen war.



Sie sah ihn deutlich vor sich, als sie sein Büro betrat und auf ihn zuging. Mulder beschäftigte sich mit Dias und sah erst nach einer Weile zu ihr auf. Sie begrüßte ihn mit einem Lächeln und er nahm ihre Hand und schüttelte sie kurz. ‚Agent Mulder? Ich bin Dana Scully’ hatte sie sich ihm vorgestellt, doch er war nicht ganz so froh darüber sie kennen zu lernen und glaubte, dass sie ihm zugeteilt wurde um ihn zu überwachen. Scully sah diesen Moment ganz klar und deutlich als wäre es erst gestern gewesen. Doch dieser Tag war schon vor über sieben Jahren Vergangenheit. Seit dem hatten sie so viel zusammen erlebt. Viele schreckliche Fälle hatten sie gehabt, aber sie hatten begonnen einander zu vertrauen. Sie wurden Freunde und schließlich noch mehr. Zwar hatte Scully es bislang nie zugegeben, aber Mulder hatte ihr dafür seine Gefühle gestanden, wenn er damals auch nicht ganz bei Verstand gewesen sein konnte. So viel war geschehen, so vieles das sie verband.

Zärtlich hielt sie seine Hand und streichelte sie. „Warum hast du mir nichts gesagt, Mulder? Du musst es doch bemerkt haben... Verdammt, was bist du nur immer so stur? HastdDu es für eine Lappalie gehalten, die von allein verschwindet?“ Eine Träne rollte über ihre Wangen und sie drückte seine Hand etwas fester in ihren. Ein Leben ohne ihn war für sie inzwischen undenkbar geworden. Zu stark waren die Gefühle, die sie empfand. Nach all dem was zwischen ihnen geschehen war, hatte sie noch immer nicht den Mut aufbringen können es ihm zu sagen. Ihm einfach gerade heraus zu sagen, dass sie ihn liebte und für immer lieben würde. Sie hob eine Hand und glitt über sein Gesicht. Sein Bart kratzte sie ein bisschen, doch das störte sie nicht. Sie betrachtet sein Gesicht und prägte es sich genau ein.

Plötzlich spürte sie, wie seine Hand ihre drückte und noch mehr Tränen bahnten sich ihren Weg und tropften von ihrem Kinn.



„Mulder, kannst du mich hören? Ich bin es, Scully!“ Hoffnung lag in ihrer Stimme, doch sie zitterte. Was wenn er sich nicht an sie erinnern konnte, oder sie nicht sehen oder hören konnte? „Mulder...“



Ein ganz schwaches Lächeln zierte sein Gesicht und er öffnete zum ersten Mal nach Tagen seine Augen wieder. „Scully...“ Seine Stimme klang heißer und belegt, aber er konnte sprechen. Und offensichtlich hatte er sie auch gehört. Sein Blick jedoch...



„Mulder, sieh mich bitte an“, bat Scully, als ihr sein leerer Blick auffiel.



Er wandte seinen Kopf in ihre Richtung, doch er vermochte es nicht sie ganz anzusehen. „Was ist passiert, Scully? Ich... – ich kann nicht sehen.“



„Du hattest einen Autounfall und... Mulder du hattest eine Blutung, im Mittelhirn, was deine Blindheit verursacht haben könnte.“



„Das wird schon wieder“, lächelte er erschöpft, jedoch mit Zuversichtlichkeit in der Stimme.



Sie liebte ihn für seinen Optimismus und sie wollte ihm diesen keinesfalls nehmen. Er würde ihn jetzt stärken.

„Mulder...“, begann sie zögerlich. Sie wollte es nicht länger hinaus zögern, nicht noch einmal. Beim nächsten Mal könnte es nicht so glimpflich ausgehen und sie würde vielleicht nie wieder die Chance erlangen, es ihm mitzuteilen. Sie wollte es ihm jetzt sagen, solange er noch bei Bewusstsein war und sie noch den Mut dazu hatte. „Ich liebe dich, Mulder“, hauchte sie sanft.



Wieder versuchte er zu lächeln. „Scully... ich…“ Mulder musste sich räuspern, als ihn seine Stimme vor lauter Überraschung verließ.



Scully legte ihm einen Finger auf seine Lippen, „Schh, ich weiß. Sag jetzt lieber nichts mehr, Mulder. Du musst dich schonen, dass du bald wieder zu Kräften kommst. Scully beugte sich ein Stück weit noch vorn, so dass sie seine Lippen auf ihren fühlen konnte, so warm und weich. Mulder erwiderte ihren Kuss, glücklich dass sie diese Hürde endlich überwunden hatten.



„Schlaf jetzt, Mulder“, meinte Scully liebevoll, als er sich entspannte und seine Augen schloss.



Sie würde ihn nicht im Stich lassen, egal was jetzt auch noch kommen mochte. Selbst wenn er für immer blind bleiben würde, dann wäre sie Tag und Nacht für ihn da. Wann immer Mulder ihre Hilfe brauchen würde, sie wäre zur Stelle, all Zeit bereit. Auch wenn es nicht leicht sein würde, aber das Einzige was für Scully noch zählte war, dass Mulder lebte. Dass er am Leben war und sie einander liebten. Alles Andere spielte keine Rolle. Wieder streichelte sie sein Gesicht und küsste ihn noch mal, bevor Scully ihren Kopf wieder an seine Seite legte, die Augen schloss und selbst wieder einschlief.



Als der Wecker schrillte, schreckte Scully in ihrem Bett auf. Tränen rannen über ihre Wangen. Selbst nach einem Monat konnte sie noch immer keine Nacht schlafen, ohne diesen Traum zu haben. Sie wünschte sich, sie hätte es ihm gesagt. Sie wünschte sich an seiner Seite geblieben zu sein. Aber sie fuhr am zweiten Tag nach Hause und als sie am nächsten Tag zu ihm wollte, um ihn zu besuchen...

Dunkle Ringe zierten ihre Augen. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, schaltete den Wecker aus und wünschte sich, dass ihr Traum wahr sein und Mulder noch leben würde. Doch so war es nicht. Seit einem Monat stand sie jeden Morgen mit denselben Gedanken auf.



Als sie geduscht und gefrühstückt hatte, schlüpfte Scully in ihren Mantel, nahm ihre Schlüssel und verließ ihr Apartment. Das Apartment 42! In ihren Gedanken würde er immer bei ihr sein, so als hätte er sie niemals verlassen...




Ende
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